Urteil des EuGH vom 17.11.1998
EuGH: kommission, klage auf nichtigerklärung, verwaltungsverfahren, verordnung, vertriebsnetz, metro, selektives vertriebssystem, rüge, berufliche ausbildung, unternehmen
WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES
17. November 1998
„Rechtsmittel — Vertriebsbindungssystem — Luxuskosmetika — Unmittelbar und individuell betroffenes
Unternehmen“
In der Rechtssache C-70/97 P
Kruidvat BVBA
Rechtsanwälte O. W. Brouwer, Amsterdam, F. P. Louis und P. Wytinck, Brüssel, Zustellungsanschrift: Kanzlei
des Rechtsanwalts M. Loesch, 11, rue Goethe, Luxemburg,
Rechtsmittelführerin,
betreffend ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
(Zweite erweiterte Kammer) vom 12. Dezember 1996 in der Rechtssache T-87/92 (Kruidvat/Kommission, Slg.
1992, II-1931) wegen Aufhebung dieses Urteils,
anderer Verfahrensbeteiligter:
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
Bevollmächtigten, Zustellungsbevollmächtigter:
Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
Beklagte im ersten Rechtszug,
unterstützt durch
Parfums Givenchy SA
Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt F. Bizet, Paris, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts A. May,
31, Grand-rue, Luxemburg,
Comité de liaison des syndicats européens de l'industrie de la parfumerie et des cosmétiques
(Colipa),
Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt F. Herbert, Brüssel, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts C.
Zeyen, 56-58, rue Charles Martel, Luxemburg,
und
Fédération européenne des parfumeurs détaillants (FEPD)
Organisationen des französischen Rechts, Paris, Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt R. Verniau, Lyon,
Streithelfer im ersten Rechtszug,
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet, G.
Hirsch, P. Jann (Berichterstatter) sowie der Richter G. F. Mancini, C. Gulmann, J. L. Murray, D. A. O. Edward, H.
Ragnemalm, L. Sevón und M. Wathelet,
Generalanwalt: N. Fennelly
Kanzler: R. Grass
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der Beteiligten in der Sitzung vom 17. Februar 1998, in der die BVBA Kruidvat durch
Rechtsanwalt P. van Empel, Amsterdam, und P. Wytinck,
die Kommission durch B. J. Drijber und W. Wils, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Parfums Givenchy SA
durch Rechtsanwalt F. Bizet, das Comité de liaison des syndicats européens de l'industrie de la parfumerie
et des cosmétiques (Colipa) durch Rechtsanwalt F. Herbert und die Fédération européenne des parfumeurs
détaillants (FEPD) durch Rechtsanwalt R. Verniau, Lyon, vertreten waren,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. April 1998,
folgendes
Urteil
1.
Die Kruidvat BVBA (nachstehend: Kruidvat) hat mit Rechtsmittelschrift, die am 18. Februar 1997 bei
der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 49 der EG-Satzung des Gerichtshofes
ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 12. Dezember 1996 in der
Rechtssache T-87/92 (Kruidvat/Kommission, Slg. 1996, II-1931; nachstehend: angefochtenes Urteil)
eingelegt, soweit mit diesem ihre Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung 92/428/EWG der
Kommission vom 24. Juli 1992 in einem Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/33.542 — selektives
Vertriebssystem von Parfums Givenchy) (ABl. L 236, S. 11; nachstehend: Entscheidung) als unzulässig
abgewiesen worden ist.
2.
Nach dem angefochtenen Urteil liegt dem Rechtsstreit folgender Sachverhalt zugrunde:
„1 Die Klägerin, die Kruidvat BVBA, ... ist das belgische Tochterunternehmen einer niederländischen
Kette von ungefähr 300 Läden, die auf der Grundlage des „health & beauty“-Konzepts unter dem
Handelsnamen „Kruidvat“ betrieben werden. In diesen Läden gibt es eine Abteilung für kosmetische
Artikel, eine Abteilung für diätetische Lebensmittel und Naturkost und eine Parfümerieabteilung, in der
verschiedene Luxusparfümmarken, die miteinander in Wettbewerb stehen, und auch die auf dem
Parallelmarkt bezogenen Parfums der Marke Givenchy angeboten werden. In den Niederlanden ist die
Kruidvat-Kette in den Augen der Verbraucher „die absolute Nummer Eins“ beim Verkauf von
Luxusparfums (vgl. die Anlagen 18 und 20 der Erwiderung).
2 Die Parfums Givenchy SA (nachstehend: Givenchy) stellt kosmetische Artikel der Luxusklasse her
und gehört zur Gruppe Louis Vuitton Moët-Hennessy, die auf dem gleichen Markt, auf dem Givenchy
tätig ist, auch
noch mit den Firmen Parfums Christian Dior und Parfums Christian Lacroix vertreten ist. Über diese
drei Firmen hält die Gruppe Louis Vuitton Moët-Hennessy einen Anteil von mehr als 10 % am
Gemeinschaftsmarkt für Parfümerieartikel der Luxusklasse.
3 Am 19. März 1990 meldete Givenchy bei der Kommission ein Netz von selektiven
Vertriebsvereinbarungen für den Verkauf ihrer alkoholischen Parfümeriewaren und ihrer Erzeugnisse
der Körper- und Schönheitspflege in den Mitgliedstaaten an und beantragte ein Negativattest nach
Artikel 2 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu
den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204, nachstehend: Verordnung Nr. 17),
hilfsweise eine Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages.
4 Aus dem „EWG-Vertragshändlervertrag für Parfümeriewaren“ (nachstehend: Vertrag) und den
dazugehörigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen in der mitgeteilten Fassung ergibt sich, daß das
Vertriebsnetz von Givenchy ein geschlossenes Netz ist. Den Mitgliedern ist nämlich verboten, die
Produkte der Marke Givenchy außerhalb des Netzes zu verkaufen oder zu beziehen. Givenchy ist dafür
verpflichtet, die Einhaltung der Vertriebsbedingungen im Rahmen der geltenden Gesetze und
Rechtsvorschriften zu gewährleisten und die Erzeugnisse ihrer Marke aus den Verkaufsstellen
abzuziehen, die die vertraglichen Auswahlkriterien nicht erfüllen.
5 Die im Vertrag festgelegten Kriterien für die Auswahl der zugelassenen Einzelhändler betreffen im
wesentlichen die berufliche Ausbildung des Personals und die Fortbildungskurse, zu denen es
verpflichtet ist, den Standort und die Einrichtung der Verkaufsstelle, das Firmenzeichen des
Einzelhändlers sowie bestimmte andere von ihm zu erfüllende Bedingungen u. a. hinsichtlich des
Warenlagers, der jährlichen Mindestkäufe, der Präsenz eines ausreichenden Sortiments
konkurrierender Marken in der Verkaufsstelle, um das Image der Givenchy-Erzeugnisse zu illustrieren,
sowie der Zusammenarbeit zwischen dem Einzelhändler und Givenchy bei Werbeveranstaltungen.
6 Am 8. Oktober 1991 gab die Kommission gemäß Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 ihre
Absicht bekannt, den Vertrag für zulässig zu erklären, und forderte die betroffenen Dritten auf, ihr
eventuelle Bemerkungen innerhalb von 30 Tagen mitzuteilen (ABl. C 262, S. 2).
7 Nach der Veröffentlichung dieser Mitteilung gingen bei der Kommission eine Reihe von
Stellungnahmen ein, darunter die des Raad voor het Filiaal- en Grootwinkelbedrijf (Rat für Filial- und
Großbetriebe des Einzelhandels, nachstehend: Raad FGB) vom 29. November 1991. Zu diesem
Zeitpunkt
war Kruidvat BV, eine der Muttergesellschaften von Kruidvat, Mitglied des Raad FGB.
8 Der Vertrag trat in der Fassung, die in der Entscheidung ... beschrieben ist, am 1. Januar 1992 in
Kraft (siehe Abschnitt I.C Absatz 2 der Entscheidung).
9 Am 3. Juli 1992 ließ die Copardis SA (nachstehend: Copardis), der Alleinvertreter von Givenchy in
Belgien, Kruidvat im Verfahren der einstweiligen Anordnung zur mündlichen Verhandlung vom 8. Juli
1992 vor den Präsidenten der Rechtbank van koophandel Dendermonde laden, um ihr jeglichen
Verkauf von Erzeugnissen der Marke Givenchy in Belgien untersagen zu lassen; sie begründete dies in
erster Linie damit, daß ein Wiederverkäufer, der nicht zum selektiven Vertriebsnetz von Givenchy
gehöre, trotzdem aber die Erzeugnisse dieses Unternehmens verkaufe, sich des unlauteren
Wettbewerbs im Sinne der belgischen Rechtsvorschriften über die Lauterkeit des Handelsverkehrs
schuldig mache. Kruidvat trug in diesem Verfahren zu ihrer Verteidigung vor, das selektive
Vertriebsnetz von Givenchy sei wegen Verstoßes gegen Artikel 85 Absätze 1 und 2 des Vertrages
unzulässig.
10 Die Kommission erließ am 24. Juli 1992 die Entscheidung. Artikel 1 des verfügenden Teils lautet
folgendermaßen:
.
Artikel 85 Absatz 1 des EWG-Vertrags wird nach Artikel 85 Absatz 3 für nicht anwendbar erklärt auf
den Standardvertrag von Givenchy bzw. ihren Vertragshändlern mit Vertretern des Facheinzelhandels
in der Gemeinschaft sowie die allgemeinen Geschäftsbedingungen.
Diese Entscheidung gilt vom 1. Januar 1992 bis zum 31. Mai 1997.'
11 Nach den Akten hat der Präsident der Rechtbank van koophandel Dendermonde den Antrag von
Copardis am 24. Februar 1993 zurückgewiesen; Copardis hat hiergegen am 28. April 1993
Rechtsmittel zum Hof van Beroep Gent eingelegt.“
3.
Daraufhin hat Kruidvat mit Klageschrift, die am 16. Oktober 1992 bei der Kanzlei des Gerichts
eingegangen ist, Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung erhoben. Die Kommission hat mit
besonderem Schriftsatz, der am 3. März 1993 eingegangen ist, eine Einrede der Unzulässigkeit
erhoben, über die durch Endurteil entschieden worden ist. Das Comité de liaison des syndicats
européens de l'industrie de la parfumerie et des cosmétiques (Colipa), die Fédération européenne
des parfumeurs détaillants (FEPD) und Givenchy sind als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge
der Kommission zugelassen worden.
4.
Kruidvat hat vor dem Gericht drei Hauptargumente dafür vorgetragen, daß sie durch die
Entscheidung individuell betroffen sei.
5.
Erstens hat sie geltend gemacht, daß sie, vertreten durch den Raad FGB, der der Kommission nach
Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 seine Stellungnahme vorgelegt habe, tatsächlich an dem
Verwaltungsverfahren teilgenommen habe. Zweitens sei zum Zeitpunkt des Erlasses der
Entscheidung bereits ein konkreter Rechtsstreit zwischen Copardis und ihr über die Gültigkeit des
Vertriebssystems von Givenchy vor einem belgischen Gericht anhängig gewesen. Da ihr durch die
Entscheidung das Recht genommen sei, sich in diesem Rechtsstreit zu ihrer Verteidigung auf einen
Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zu berufen, sei sie als individuell betroffen
anzusehen. Sie beruft sich auch auf ein an sie gerichtetes Schreiben von Belluco vom 17. Juli 1992,
die sämtliche allgemeinen Vertragshändler für Belgien und Luxemburg im Bereich der Luxuskosmetika
einschließlich der Erzeugnisse von Givenchy vertritt. Belluco habe in diesem Schreiben bestätigt, daß
Kruidvat als Vertragshändler nicht in Betracht komme und der Verkauf von Markenartikeln durch einen
nicht zugelassenen Vertragshändler rechtswidrig sei. Drittens hat Kruidvat geltend gemacht, ihre
Klage müsse für zulässig erklärt werden, damit ihren Rechten nach Artikel 85 des Vertrages ein
vollständiger und wirksamer Rechtsschutz zuteil werde.
6.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht die Klage von Kruidvat als unzulässig abgewiesen.
7.
Zur Frage der individuellen Betroffenheit von Kruidvat durch die Entscheidung hat das Gericht in
Randnummer 63 zunächst festgestellt, daß weder Kruidvat noch ihre Muttergesellschaften Profimarkt
BV und Kruidvat BV noch die niederländische Evora-Gruppe, zu der Kruidvat als Tochtergesellschaft
gehöre, eine Beschwerde nach Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 bei der Kommission eingereicht, am
Verwaltungsverfahren nach Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 selbst teilgenommen oder die
Zulassung zum selektiven Vertriebsnetz von Givenchy beantragt hätten. Die vorliegende Rechtssache
unterscheide sich somit von den Rechtssachen, die zu den Urteilen vom 25. Oktober 1977 in der
Rechtssache 26/76 (Metro/Kommission, Slg. 1977, 1875), vom 22. Oktober 1986 in der Rechtssache
75/84 (Metro/Kommission, Slg. 1986, 3021; nachstehend: Urteil Metro II), und vom 11. Oktober 1983 in
der Rechtssache 210/81 (Demo-Studio Schmidt/Kommission, Slg. 1983, 3045) geführt hätten, auf die
sich Kruidvat berufe.
8.
Bezüglich der Beteiligung des Raad FGB an dem Verfahren nach Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung
Nr. 17 aufgrund seines Schreibens vom 29. November 1991 hat das Gericht in Randnummer 64
festgestellt, daß die Akten, auch wenn eine der Muttergesellschaften der Rechtsmittelführerin,
nämlich Kruidvat NV, nachweislich Mitglied des Raad FGB gewesen sei, keinen Anhaltspunkt enthielten,
daß dieses Schreiben auf Wunsch der Kruidvat NV abgesandt worden sei oder daß letztere an seiner
Abfassung beteiligt gewesen sei oder dessen Inhalt genehmigt oder zumindest beeinflußt habe.
9.
Zumindest besteht nach der vom Gericht in Randnummer 65 vertretenen Auffassung ein
erheblicher Unterschied zwischen dem Standpunkt, den der Raad FGB in seinem Schreiben zum
Ausdruck gebracht habe, und dem der Rechtsmittelführerin im vorliegenden Verfahren, da letztere u.
a. bereits das Prinzip des selektiven Vertriebs im Bereich der Luxuskosmetika in Frage stelle, während
der Raad FGB sich in seinem Schreiben mit diesem Prinzip einverstanden erklärt habe, sofern die
Auswahlkriterien objektiv und nicht diskriminierend seien.
10.
Unter diesen Umständen bestehe, wie das Gericht in Randnummer 66 feststellt, zwischen der
Beteiligung des Raad FGB an dem Verwaltungsverfahren und der individuellen Situation von Kruidvat
NV kein ausreichender Zusammenhang, um letztere in bezug auf eine individuelle
Freistellungsentscheidung nach Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages im Sinne des Artikels 173 des
Vertrages „individualisieren“ zu können. Das Schreiben des Raad FGB reiche somit erst recht nicht
aus, um die Rechtsmittelführerin zu individualisieren.
11.
Das Gericht hat daraufhin untersucht, ob andere Umstände Kruidvat haben individualisieren
können. In Randnummern 69 und 70 stellt das Gericht fest, daß die Situation der Rechtsmittelführerin
sich nicht von der zahlreicher anderer Wirtschaftsteilnehmer auf dem Parallelmarkt unterscheide, so
daß sie nicht schon dadurch individualisiert werde, daß sie aufgrund der Entscheidung Givenchy-
Erzeugnisse möglicherweise nicht unmittelbar von Givenchy, deren Alleinvertretern oder
Vertragshändlern in der Gemeinschaft beziehen könne.
12.
Nach der vom Gericht in Randnummer 71 vertreten Auffassung hat Kruidvat nicht nachgewiesen,
daß sie durch die Entscheidung daran gehindert sei, die Bezugsquellen für Givenchy-Erzeugnisse
auszunutzen, auf die sie bisher rechtmäßig zurückgegriffen habe.
13.
Zum Rechtsstreit zwischen Copardis und der Klägerin vor dem nationalen Gericht hat das Gericht in
Randnummer 73 festgestellt, daß, selbst wenn man unterstellte, daß zwischen dem Ausgang dieses
Rechtsstreits und der Gültigkeit der Entscheidung ein gewisser Zusammenhang bestehe, der
Rechtsstreit vor dem nationalen Gericht jedenfalls in erster Linie die Anwendung der belgischen
Rechtsvorschriften über den unlauteren Wettbewerb betreffe und nicht die Ablehnung eines Zugangs
zum Netz von Givenchy oder einen Antrag auf Schadensersatz wegen angeblicher Verletzung des
Artikels 85 Absatz 1 des Vertrages.
14.
In Randnummer 74 hat das Gericht weiter festgestellt, daß Kruidvat nicht schon deshalb
hinreichend individualisiert sei, weil die Rechtmäßigkeit der Entscheidung für die Lösung des vor dem
nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreits von Bedeutung sei. Jeder Händler für Parfums könne
nämlich ein Interesse daran haben, im Rahmen eines nationalen Rechtsstreits die Frage der
Rechtmäßigkeit des
Vertriebssystems von Givenchy aufzuwerfen. Außerdem sei es bloßer Zufall, daß dieser Rechtsstreit
bei Erlaß der Entscheidung anhängig gewesen sei.
15.
In Randnummer 75 des angefochtenen Urteils hat das Gericht darauf hingewiesen, daß das
nationale Gericht im Rahmen eines bei ihm anhängigen Rechtsstreits die Möglichkeit habe, den Weg
des Vorabentscheidungsverfahrens nach Artikel 177 Absatz 1 Buchstabe b EG-Vertrag zu beschreiten,
was einer Partei wie der Klägerin einen angemessenen Rechtsschutz biete.
16.
Dem von Kruidvat in Beantwortung der Fragen des Gerichts vorgelegten Schreiben von Belluco läßt
sich nach Randnummer 76 des angefochtenen Urteils nichts für einen rechtlich hinreichenden
Nachweis entnehmen, daß seine Versendung von Givenchy oder Copardis genehmigt worden sei;
dieses Schreiben stelle keine Antwort auf einen Antrag von Kruidvat auf Zulassung zum Vertriebsnetz
von Givenchy dar und sei daher für die Beurteilung der Zulässigkeit der Klage ohne Bedeutung.
17.
Kruidvat führt zur Begründung ihres Rechtsmittels zwei Gründe an: Verstoß gegen Artikel 173 Absatz
4 bzw. gegen Artikel 190 EG-Vertrag.
Zum Rechtsmittelgrund des Verstoßes gegen Artikel 173 Absatz 4 des Vertrages
18.
Dieser Rechtsmittelgrund umfaßt vier Rügen. Die erste betrifft die Teilnahme von Kruidvat am
Verwaltungsverfahren über den Raad FGB. Bei der zweiten geht es um die Folgen der Anhängigkeit
eines Verfahrens zwischen Kruidvat und Copardis bei einem nationalen Gericht zum Zeitpunkt des
Erlasses der Entscheidung. Mit der dritten Rüge wirft Kruidvat dem Gericht vor, die Auswirkungen der
Entscheidung auf die Wettbewerbssituation unzutreffend beurteilt zu haben, und mit der vierten wird
das Fehlen eines vollständigen und wirksamen Rechtsschutzes beanstandet.
19.
Die erste Rüge beruht auf der Vorstellung, daß Kruidvat nicht nachzuweisen brauche, daß sie bei
der Abfassung des Schreibens des Raad FGB aktiv mitgewirkt habe. Kruidvat ist nämlich der Ansicht,
daß Wirtschaftsvereinigungen gerade dadurch gekennzeichnet seien, daß sie jederzeit die Interessen
aller ihrer Mitglieder verträten. Kruidvat verweist dazu auf das Urteil des Gerichts vom 6. Juli 1995 in
den Rechtssachen T-447/93 bis T-449/93 (AITEC u. a./Kommission, Slg. 1995, II-1971), in dem die Klage
des Wirtschaftsverbands AITEC als zulässig angesehen worden sei, da der Verband die Interessen
seiner Mitglieder entsprechend seinen satzungsmäßigen Befugnissen wahrgenommen habe.
20.
Dagegen ist die Kommission der Ansicht, ein individuelles Interesse lasse sich nicht aus der bloßen
Zugehörigkeit zu einer Wirtschaftsvereinigung herleiten. Der Raad FGB habe an dem
Verwaltungsverfahren vor der Kommission teilgenommen und hätte daher grundsätzlich selbst eine
Klage erheben können. Diese Auslegung stehe mit der Begründung des Gerichts im Urteil AITEC u. a.
völlig im Einklang.
21.
Colipa trägt hierzu vor, daß sich im Rahmen der Beurteilung eines individuellen Interesses, das sich
aus der Beteiligung einer Wirtschaftsvereinigung am Verwaltungsverfahren herleite, auch die
Beteiligung des vertretenen Unternehmens feststellen lassen müsse.
22.
Das Gericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, daß zwischen der Beteiligung des Raad FGB an dem
Verwaltungsverfahren aufgrund des Schreibens vom 29. November 1991 und der individuellen
Situation von Kruidvat NV kein ausreichender Zusammenhang besteht, um letztere in bezug auf eine
individuelle Freistellungsentscheidung nach Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages im Sinne des Artikels
173 des Vertrages „individualisieren“ zu können.
23.
Zwar kann die Ausdehnung des Klagerechts auf Vereinigungen, die Interessen ihrer Mitglieder
wahrnehmen, Verfahrensvorteile haben, doch entbindet die Beteiligung solcher Vereinigungen am
Verwaltungsverfahren deren Mitglieder nicht von dem Nachweis eines Zusammenhangs zwischen ihrer
individuellen Situation und dem Verhalten der Vereinigung.
24.
Die von Kruidvat vertretene gegenteilige Ansicht findet im Urteil AITEC u. a. keine Stütze, in dem das
Gericht drei dem Verband angehörende Unternehmen als individuell betroffen im Sinne des Artikels
173 EG-Vertrag angesehen hat, da ihre Marktstellung durch die mit dem angefochtenen Beschluß der
Kommission gebilligte Beihilfe spürbar beeinträchtigt zu werden drohte. Dieses Urteil enthält keinen
Hinweis zu der Situation der anderen Verbandsmitglieder.
25.
Zweitens trägt Kruidvat vor, das Gericht könne sich nicht auf einen angeblichen Unterschied
zwischen dem Standpunkt des Raad FGB und dem von Kruidvat stützen. Für die Feststellung, daß
Kruidvat am Verwaltungsverfahren nicht beteiligt gewesen sei, hätte das Gericht nachweisen müssen,
daß diese Standpunkte gegensätzlich gewesen seien.
26.
Die Kommission hält diesen Teil der Argumentation des Gerichts für entbehrlich. Selbst eine
vollständige Übereinstimmung der beiden Standpunkte wäre nicht ausreichend gewesen, um Kruidvat
gegenüber anderen, ebenfalls dem Raad FGB angehörenden Unternehmen zu individualisieren.
27.
Die Rechtsmittelführerin versteht das angefochtene Urteil falsch. Das Gericht hat keineswegs
verlangt, daß zwischen dem Standpunkt der Vereinigung und dem eines seiner Mitglieder, das Klage
erhebt, kein erheblicher Unterschied bestehen dürfe, sondern hat auf diesen tatsächlichen
Gesichtspunkt nur hingewiesen, um noch stärker zu verdeutlichen, daß Kruidvat auf den Inhalt des
Schreibens des Raad FGB keinen Einfluß ausgeübt hat.
28.
Hilfsweise bestreitet Kruidvat noch im Rahmen der ersten Rüge dieses Rechtsmittelgrundes, daß
tatsächlich ein erheblicher Unterschied zwischen ihrem Standpunkt und dem des Raad FGB bestanden
habe.
29.
Dazu genügt die Feststellung, daß damit eine Tatsachenfeststellung in Zweifel gezogen wird, die
nach Artikel 51 der EG-Satzung des Gerichtshofes nicht Gegenstand eines Rechtsmittels sein kann.
30.
Mit der zweiten Rüge des ersten Rechtsmittelgrundes macht Kruidvat geltend, nach der
Rechtsprechung des Gerichtshofes, insbesondere dem Urteil Metro II, reiche die Anhängigkeit eines
zivilrechtlichen Verfahrens bei einem nationalem Gericht für die Zulässigkeit einer unmittelbaren Klage
gegen eine mit dem Streitgegenstand zusammenhängende Entscheidung der Kommission aus.
Kruidvat sei daher dadurch individualisiert, daß Copardis gegen sie ein Verfahren eingeleitet und sie
selbst in ihrer Verteidigung die Ungültigkeit des Vertriebsbindungssystems von Givenchy geltend
gemacht habe. Wie sich aus dem Urteil des Gerichtshofes vom 13. Januar 1994 in der Rechtssache C-
376/92 (Cartier, Slg. 1994, I-15) ergebe, sei in einem Verfahren wegen unlauteren Wettbewerbs die
Wirksamkeit des Vertriebssystems nach Artikel 85 des Vertrages eine vorrangige Frage.
31.
Die Kommission ist dagegen der Ansicht, daß Kruidvat kein Interesse daran haben könne, die
Ungültigkeit der Entscheidung in dem Rechtsstreit vor dem nationalen Gericht geltend zu machen;
dadurch unterscheide sich die vorliegende Rechtssache von der Rechtssache Cartier, in der es um die
Frage gegangen sei, ob Metro die Vertragshändler zum Vertragsbruch gegenüber Cartier verleitet
habe. Die Frage, ob ein Rechtsstreit vor einem nationalen Gericht anhängig sei, sei ein willkürliches
Kriterium und nicht objektiv genug, um festzustellen, ob ein Unternehmen durch eine an ein anderes
Unternehmen gerichtete Freistellungsentscheidung individuell betroffen sei.
32.
Das Gericht hat zu Recht festgestellt, daß die Klägerin nicht geltend machen kann, schon deshalb
hinreichend im Sinne des Artikels 173 Absatz 4 des Vertrages individualisiert zu sein, weil die
Rechtmäßigkeit der Entscheidung für die Lösung des vor dem nationalen Gericht anhängigen
Rechtsstreits von Bedeutung ist. Wie der Generalanwalt in Nummer 51 seiner Schlußanträge
ausgeführt hat, ist es nämlich reiner Zufall und steht in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit
einer das Vertriebsnetz betreffenden Entscheidung, wenn gegen einen Wirtschaftsteilnehmer von
einer Partei, die aus der Organisation des Netzes Nutzen zieht oder dafür verantwortlich ist, vor Ablauf
der Anfechtungsfrist für diese Entscheidung Klage erhoben wird.
33.
Entgegen der Meinung der Rechtsmittelführerin ergibt sich aus der Rechtsprechung des
Gerichtshofes nicht, daß die Anhängigkeit eines zivilrechtlichen Verfahrens für die Zulässigkeit der
Klage genügt. In dem Urteil Metro II hat der Gerichtshof der Tatsache, daß der Antrag von Metro auf
Zulassung zum Vertriebsnetz abgelehnt worden ist, Bedeutung beigemessen, hat aber nicht auf die
Anhängigkeit eines
Rechtsstreits zwischen Metro und SABA abgestellt. Zudem hat er die Beteiligung von Metro am
Verwaltungsverfahren für erheblich gehalten.
34.
Die Ansicht der Klägerin findet auch im Urteil Cartier keine Stütze, in dem der Gerichtshof
festgestellt hat, daß in einem Verfahren wegen unlauteren Wettbewerbs die Wirksamkeit des
Vertrages nach Artikel 85 EG-Vertrag eine Vorfrage sei. Die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts,
auf die sich eine der Prozeßparteien beruft, kann in vielen Fällen eine Vorfrage für die Entscheidung
des Rechtsstreits sein, ohne daß sich daraus zwangsläufig der Schluß ergibt, daß eine unmittelbare
Klage der anderen Partei vor dem Gericht wegen angeblicher Rechtswidrigkeit dieses Aktes zulässig
wäre.
35.
Im Rahmen der dritten Rüge des ersten Rechtsmittelgrundes trägt Kruidvat mehrere Argumente vor,
um aufzuzeigen, daß das Gericht die Beeinträchtigung ihrer Wettbewerbsstellung durch die
angefochtene Entscheidung sowie die Bedeutung dieses Kriteriums für die Feststellung, ob ein
einzelner individuell betroffen sei, unzutreffend beurteilt habe.
36.
Erstens sei Kruidvat durch die Entscheidung individuell betroffen, weil sie Parfümerie-Erzeugnisse
von Givenchy kaufe und verkaufe. Die Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 und 93 Absatz 2 EG-
Vertrag über staatliche Beihilfen enthielten einander entsprechende Vorschriften über die Beteiligung
betroffener Dritter am Verwaltungsverfahren vor der Kommission. Nach der Rechtsprechung des
Gerichtshofes, insbesondere den Urteilen vom 14. November 1984 in der Rechtssache 323/82
(Intermills/Kommission, Slg. 1984, 3809), vom 19. Mai 1993 in der Rechtssache C-198/91
(Cook/Kommission, Slg. 1993, I-2487) und vom 15. Juni 1993 in der Rechtssache C-225/91
(Matra/Kommission, Slg. 1993, I-3203) sei „Beteiligter“ nicht nur der Beihilfebegünstigte, sondern auch
sein Konkurrent. Daher müsse die Wettbewerbsstellung von Kruidvat gegenüber den Vertragshändlern
von Givenchy für die Individualisierung von Kruidvat im Sinne des Artikels 173 des Vertrages
ausreichen.
37.
Zweitens sei Kruidvat in ihrer Wettbewerbsstellung auch deshalb ausdrücklich betroffen, weil ihre
Zulassung zum selektiven Vertriebsnetz von vornhereinabgelehnt worden sei. Diese Ablehnung ergebe
sich zum einen aus dem Verfahren Copardis gegen Kruidvat, in dem Copardis vorgetragen habe, daß
das Image von Kruidvat nicht dem für den Vertrieb der Parfums von Givenchy erforderlichen
Luxusimage entspreche, und zum anderen aus dem Schreiben von Belluco vom 17. Juli 1992, das
Kruidvat als Vertragshändler von vornherein ausgeschlossen habe. In diesem Zusammenhang sei
ohne Bedeutung, daß Kruidvat niemals beantragt habe, zum Vertriebsnetz zugelassen zu werden.
38.
Drittens bestreitet Kruidvat die Feststellung des Gerichts, daß nicht bewiesen sei, daß sie daran
gehindert sei, dieselben Bezugsquellen auszunutzen wie vor Erlaß der Entscheidung. Dieses Argument
sei unerheblich und im übrigen falsch. Unerheblich
sei es, weil es nicht darum gehe, ob ihre frühere Stellung sich geändert habe, sondern ob der Einkauf
durch die Entscheidung schwieriger geworden sei. Falsch sei das Argument, weil es nicht die Folgen
der Umsetzung der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung
der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1) in Belgien
berücksichtige. Die Entscheidung und diese Richtlinie wirkten sich zusammen dahin aus, daß ein
Einkauf auf dem Parallelmarkt unmöglich geworden sei.
39.
Zudem stehe das angefochtene Urteil im Widerspruch zu dem Urteil des Gerichts vom 11. Juli 1996
in den Rechtssachen T-528/93, T-542/93, T-543/93 und T-546/93 (Métropole télévision u.
a./Kommission, Slg. 1996, II-649). In diesem Urteil habe das Gericht das Unternehmen Antena 3 als
durch die Entscheidung der Kommission individuell betroffen angesehen, da es als betroffener Dritter
im Sinne des Artikels 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 habe qualifiziert werden können, obwohl es
nicht an dem Verwaltungsverfahren vor der Kommission teilgenommen habe. In dem Urteil Métropole
télévision u. a./Kommission habe das Gericht lediglich geprüft, ob Antena 3 der Zugang zum Netz
verwehrt worden sei, während es in dem angefochtenen Urteil ein strengeres Kriterium angewandt
habe, nämlich ob Kruidvat einen Antrag auf Zulassung gestellt habe.
40.
Für die Kommission besteht ein erheblicher Unterschied zwischen dem Verfahren nach Artikel 93
Absatz 2 des Vertrages auf dem Gebiet staatlicher Beihilfen und dem des Artikels 19 Absatz 3 der
Verordnung Nr. 17. Den Urteilen Matra/Kommission und Cook/Kommission lasse sich nicht entnehmen,
daß allein die abstrakte Beteiligteneigenschaft für die Individualisierung eines Unternehmens
wesentlich sei. Erforderlich sei auch, daß die Beihilfe die Wettbewerbsstellung des Unternehmens
wesentlich beeinträchtige. Jede Beihilfe habe grundsätzlich eine wettbewerbsverzerrende Wirkung,
während dies bei einem Vertriebsbindungssystem nicht der Fall sei. Dritte wie Kruidvat würden durch
dieses System nicht beeinträchtigt, sondern könnten vielmehr Nutzen daraus ziehen.
41.
Mit dem zweiten Argument würden Tatsachenfeststellungen bestritten, die nicht Gegenstand eines
Rechtsmittels sein könnten. Zudem ergebe sich aus den Schriftsätzen von Kruidvat im ersten
Rechtszug, daß sie kein Interesse daran habe, Vertriebshändler für Givenchy zu werden. Weder die
Behauptung von Copardis in dem Verfahren vor dem belgischen Gericht noch das Schreiben von
Belluco könnten dahin ausgelegt werden, daß die Zulassung von Kruidvat von vornherein
ausgeschlossen worden sei, sondern müßten im Zusammenhang mit dem Argument gesehen werden,
daß nicht zugelassene Händler keine Erzeugnisse von Givenchy verkaufen könnten.
42.
Zum dritten Argument trägt die Kommission vor, Kruidvat habe in der Vergangenheit stets auf dem
Parallelmarkt eingekauft und daran sei sie durch die Entscheidung auch in Zukunft nicht gehindert.
Zudem habe Kruidvat nicht nachweisen können, daß ihre Wettbewerbsstellung durch die
Entscheidung
wesentlich im Sinne des Urteils vom 28. Januar 1986 in der Rechtssache 169/84 (Cofaz u.
a./Kommission, Slg. 1986, 391) beeinträchtigt worden sei. Was die Änderung des Benelux-
Markenrechts aufgrund der Richtlinie 89/104 betreffe, so sei diese Änderung erst mit Wirkung vom 1.
Januar 1996 eingetreten, d. h. drei Jahre nach Erlaß der Entscheidung. Es bestehe somit weder ein
zeitlicher noch ein kausaler Zusammenhang zwischen der Entscheidung und dieser Änderung des
Benelux-Rechts.
43.
Wie der Generalanwalt in Nummern 59 bis 62 seiner Schlußanträge festgestellt hat, kann Kruidvat
die Lage der im Sinne des Artikels 93 Absatz 2 des Vertrages beteiligten Unternehmen, wie sie vom
Gerichtshof in den Urteilen Matra/Kommission und Cook/Kommission beurteilt worden ist, und die der
betroffenen Dritten nach Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 nicht gleichsetzen. In diesen
Urteilen hat der Gerichtshof das Rechtsschutzinteresse mit dem Fehlen anderer Verfahrensgarantien
begründet, wenn die Kommission in einer Entscheidung eine Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt für
vereinbar erklärt hat, ohne das Untersuchungsverfahren einzuleiten. Im vorliegenden Fall ist dagegen
eine Aufforderung zur Abgabe einer Stellungnahme ergangen, und die Betroffenen konnten von ihrem
Recht, der Kommission ihren Standpunkt mitzuteilen, Gebrauch machen. Der gerichtliche Schutz ihrer
Interessen verlangt also nicht, daß sie als durch die Entscheidung individuell betroffen angesehen
werden, wenn sie von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch gemacht haben.
44.
Zu dem Vorbringen von Kruidvat bezüglich des Schreibens von Belluco vom 17. Juli 1992 ist zu
bemerken, daß die Feststellungen des Gerichts, es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, daß die
Versendung dieses Schreibens von Givenchy oder Copardis genehmigt worden sei oder daß das
Schreiben eine Antwort auf einen Antrag von Kruidvat auf Zulassung zum Netz von Givenchy gewesen
sei, Tatsachen betreffen und nicht Gegenstand eines Rechtsmittels sein können. Das Gericht hat die
Auslegung, daß das Schreiben eine Ablehnung eines Zulassungsantrags enthalte, zurückgewiesen.
Es hat dagegen hervorgehoben, daß Kruidvat niemals die Zulassung zum Vertriebsnetz beantragt hat.
Daher hat das Gericht zu Recht davon ausgehen können, daß das Schreiben für die Beurteilung der
Zulässigkeit der Klage ohne Bedeutung ist.
45.
Was die zukünftigen Einkaufsmöglichkeiten von Kruidvat betrifft, so hat das Gericht mit der
Feststellung, daß die Rechtsmittelführerin nicht nachgewiesen habe, daß sie durch die Entscheidung
daran gehindert sei, die Bezugsquellen auszunutzen, auf die sie bisher rechtmäßig zurückgegriffen
habe, eine zutreffende Prüfung vorgenommen. Allein anhand dieser Prüfung läßt sich nämlich in einem
Fall wie dem vorliegenden entscheiden, ob ein einzelner durch eine Entscheidung aufgrund
besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt ist (vgl.
Urteil vom 15. Juli 1963 in der Rechtssache 25/62 (Plaumann/Kommission, Slg. 1963, 237). Die
Wirkungen der Entscheidung, wie sie von Kruidvat beschrieben worden sind, heben selbst in
Verbindung mit den
möglichen Auswirkungen der Anwendung der belgischen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der
Richtlinie 89/104 das Unternehmen aus dem Kreis aller anderen Wirtschaftsteilnehmer, die nicht zum
Vertriebssystem von Givenchy gehören, nicht heraus.
46.
Zu dem Hinweis auf das Urteil Métropole télévision u. a./Kommission genügt die Feststellung, daß
das Gericht im vorliegenden Fall zu Recht festgestellt hat, daß Kruidvat niemals eine Zulassung zum
Vertriebsnetz von Givenchy beantragt hat und ihre Situation sich nicht von der zahlreicher anderer
Wirtschaftsteilnehmer auf dem Parallelmarkt unterschieden hat.
47.
Mit der vierten Rüge des ersten Rechtsmittelgrundes macht Kruidvat geltend, daß ihr kein
angemessener Rechtsschutz gewährt werde, wenn ihre Klage für unzulässig erklärt würde. Das Gericht
sei am besten in der Lage, über die unmittelbare Klage, mit der die Rechtswidrigkeit der
Freistellungsentscheidungen im Hinblick auf Artikel 85 des Vertrages geltend gemacht werde, zu
befinden. Der gerichtliche Schutz, den ein nationales Gericht in Verbindung mit einem
Vorabentscheidungsersuchen biete, sei nicht ausreichend.
48.
Mit den Artikeln 173 und 184 EG-Vertrag auf der einen und Artikel 177 EG-Vertrag auf der anderen
Seite ist ein umfassendes Rechtsschutzsystem geschaffen worden, innerhalb dessen dem Gerichtshof
die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe übertragen ist (vgl. Urteil vom 23.
April 1986 in der Rechtssache 294/83, Les Verts/Parlament, Slg. 1986, 1339, Randnr. 23).
49.
Wenn Kruidvat auch nicht die Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission verlangen konnte,
blieb ihr im vorliegenden Fall, wie sich aus dem Urteil vom 27. September 1983 in der Rechtssache
216/82 (Universität Hamburg, Slg. 1983, 2771, Randnr. 10) ergibt und wie auch von der Kommission
vorgetragen worden ist, doch die Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit der Entscheidung vor den
nationalen Gerichten geltend zu machen, die unter Beachtung des Artikels 177 des Vertrages
entscheiden.
50.
Nach alledem ist der erste Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.
Zum Rechtsmittelgrund des Verstoßes gegen Artikel 190 des Vertrages
51.
Mit diesem Rechtsmittelgrund macht Kruidvat geltend, daß das angefochtene Urteil in mehrfacher
Hinsicht fehlerhaft begründet sei, was gegen Artikel 190 des Vertrages verstoße.
52.
Mit der ersten Rüge dieses Rechtsmittelgrundes beanstandet Kruidvat, daß das Gericht gegen
Artikel 190 des Vertrages verstoße, wenn es sich in einem Urteil ohne Angabe von Gründen von der
früheren Rechtsprechung entferne. Das Gericht habe dem Urteil AITEC u. a./Kommission bezüglich der
Frage des Wesens einer Wirtschaftsvereinigung, dem Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 1996 in
den Rechtssachen T-19/92 und T-88/92 (Leclerc/Kommission, Slg. 1996, II-1851 und II-1961) und dem
Urteil Cartier bezüglich der Frage des Zusammenhangs zwischen einem nationalen Verfahren und der
Wirksamkeit der angefochtenen Entscheidung und dem Urteil Métropole télévision u. a./Kommission
bezüglich der Beeinträchtigung der Wettbewerbsstellung der Klägerin nicht angemessen Rechnung
getragen.
53.
Mit der zweiten Rüge dieses Rechtsmittelgrundes macht Kruidvat geltend, daß auch in vier weiteren
Punkten gegen Artikel 190 des Vertrages verstoßen worden sei. Erstens habe das Gericht in
Randnummer 65 des angefochtenen Urteils nicht hinreichend dargelegt, warum es dem Vorbringen
von Kruidvat zum Fehlen von Unterschieden zwischen ihrem Standpunkt und dem des Raad FGB nicht
gefolgt sei. Zweitens bestehe ein Widerspruch zwischen den Randnummern 1 und 70 des Urteils, in
denen das Gericht einerseits Kruidvat als „die absolute Nummer Eins“ beim Verkauf von Luxusparfums
in den Niederlanden angesehen habe, andererseits aber behaupte, daß die Lage von Kruidvat sich
nicht von der zahlreicher anderer Wirtschaftsteilnehmer auf dem Parallelmarkt unterscheide. Drittens
habe das Gericht in Randnummer 75 des angefochtenen Urteils dem Vorbringen bezüglich des
Fehlens eines angemessenen Rechtsschutzes nicht gebührend Rechnung getragen. Viertens habe
das Gericht nicht die gemeinsame Wirkung der Entscheidung und der Richtlinie 89/104 berücksichtigt.
54.
Nach Ansicht der Kommission handelt es sich hierbei um keinen eigenständigen Rechtsmittelgrund.
Die vorgetragenen Argumente seien nämlich im wesentlichen mit denen identisch, die im Rahmen des
ersten Rechtsmittelgrundes geltend gemacht worden seien.
55.
Hierzu genügt die Feststellung, daß sämtliche Argumente, die zur Stützung dieses
Rechtsmittelgrundes vorgetragen worden sind, Rechtsfragen betreffen, die bereits im Rahmen des
ersten Rechtsmittelgrundes einer Prüfung unterzogen worden sind, die zu dem Ergebnis geführt hat,
daß dem Gericht bei der Begründung des angefochtenen Urteils keine Rechtsfehler unterlaufen sind.
56.
Somit ist der zweite Rechtsmittelgrund ebenfalls zurückzuweisen.
57.
Infolgedessen ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.
Kosten
58.
Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung, der gemäß Artikel 118 auf das Rechtsmittelverfahren
anzuwenden ist, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach
Artikel 69 § 4 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof entscheiden, daß andere Streithelfer als
die Mitgliedstaaten und die Organe ihre Kosten selbst tragen.
59.
Da die Rechtsmittelführerin mit ihrem Rechtsmittel unterlegen ist, sind ihr die Kosten der
Kommission und der Streithelferin Givenchy, die Adressatin der Entscheidung ist, aufzuerlegen. Da die
Streithelfer Colipa und FEPD kein so unmittelbares Interesse wie Givenchy am Ausgang des
Rechtsstreits haben, tragen sie ihre Kosten selbst.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
für Recht erkannt und entschieden:
1.
Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
2.
Kruidvat BVBA trägt die Kosten der Kommission und der Streithelferin Parfums Givenchy
SA sowie ihre eigenen Kosten.
3.
Das Comité de liaison des syndicats européens de l'industrie de la parfumerie et des
cosmétiques und la Fédération européenne des parfumeurs detaillants tragen ihre
eigenen Kosten.
Rodríguez Iglesias
Puissochet
Hirsch
Jann
Mancini
Gulmann
Murray
Edward
Ragnemalm
Sevón
Wathelet
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. November 1998.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias
Verfahrenssprache: Niederländisch.