Urteil des EuGH vom 14.09.1999

EuGH: ältere marke, auswärtige angelegenheiten, regierung, tatsächlicher schaden, pariser verbandsübereinkunft, internationales wirtschaftsrecht, begriff, inhaber, mitgliedstaat, unterscheidungskraft

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES
14. September 1999
„Richtlinie 89/104/EWG — Marken — Schutz — Nichtähnliche Waren oder Dienstleistungen — Bekannte
Marke“
In der Rechtssache C-375/97
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Tribunal de commerce
Tournai (Belgien) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
General Motors Corporation
gegen
Yplon SA
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 5 Absatz 2 der Ersten Richtlinie
89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1)
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten der dritten und der fünften Kammer J.-P. Puissochet in Wahrnehmung der
Aufgaben des Präsidenten, des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter J. C. Moitinho de Almeida, C.
Gulmann (Berichterstatter), J. L. Murray, D. A. O. Edward, H. Ragnemalm, M. Wathelet und R. Schintgen,
Generalanwalt: F. G. Jacobs
Kanzler: R. Grass
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
— der General Motors Corporation, vertreten durch die Rechtsanwälte A. Braun und E. Cornu, Brüssel,
— der Yplon SA, vertreten durch die Rechtsanwälte E. Felten und D.-M. Philippe, Brüssel,
— der belgischen Regierung, vertreten durch J. Devadder, Conseiller général im Juristischen Dienst des
Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, Außenhandel und Entwicklungszusammenarbeit, als
Bevollmächtigten,
— der französischen Regierung, vertreten durch K. Rispal-Bellanger, Abteilungsleiterin für Internationales
Wirtschaftsrecht und Gemeinschaftsrecht in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für Auswärtige
Angelegenheiten, und A. de Bourgoing, Chargé de mission in derselben Direktion, als Bevollmächtigte,
— der niederländischen Regierung, vertreten durch J. G. Lammers, Rechtsberater im Ministerium für
Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
— der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch B. J. Drijber, Juristischer Dienst, als
Bevollmächtigten,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der General Motors Corporation, vertreten durch die
Rechtsanwälte A. Braun und E. Cornu, der Yplon SA, vertreten durch Rechtsanwalt D.-M. Philippe, der
niederländischen Regierung, vertreten durch Rechtsberater M. A. Fierstra, als Bevollmächtigten, der
Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch M. Silverleaf, QC, und der Kommission, vertreten
durch K. Banks, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, in der Sitzung vom 22. September 1998,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. November 1998,
folgendes
Urteil
1.
Das Tribunal de commerce Tournai hat mit Urteil vom 30. Oktober 1997, beim Gerichtshof
eingegangen am 3. November 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eine Frage
nach der Auslegung von Artikel 5 Absatz 2 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21.
Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl.
1989, L 40, S. 1; im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der General Motors Corporation (im
folgenden: General Motors) mit Sitz in Detroit (USA) und der Yplon SA (im folgenden: Yplon) mit Sitz in
Estaimpuis (Belgien) über die Benutzung der Marke Chevy.
Das Gemeinschaftsrecht
3.
Artikel 1 der Richtlinie („Anwendungsbereich“) bestimmt:
„Diese Richtlinie findet auf Individual-, Kollektiv-, Garantie- und Gewährleistungsmarken für Waren oder
Dienstleistungen Anwendung, die in einem Mitgliedstaat oder beim Benelux-Markenamt eingetragen
oder angemeldet oder mit Wirkung für einen Mitgliedstaat international registriert worden sind.“
4.
Artikel 5 Absätze 1 und 2 der Richtlinie („Rechte aus der Marke“) bestimmt:
„(1) Die eingetragene Marke gewährt ihrem Inhaber ein ausschließliches Recht. Dieses Recht
gestattet es dem Inhaber, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr
a) ein mit der Marke identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die mit
denjenigen identisch sind, für die sie eingetragen ist;
b) ein Zeichen zu benutzen, wenn wegen der Identität oder der Ähnlichkeit des Zeichens mit der
Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die Marke und das Zeichen erfaßten Waren oder
Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht, die die Gefahr einschließt,
daß das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.
(2) Die Mitgliedstaaten können ferner bestimmen, daß es dem Inhaber gestattet ist, Dritten zu
verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr ein mit der Marke identisches oder ihr
ähnliches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die nicht denen ähnlich sind, für die
die Marke eingetragen ist, wenn diese in dem betreffenden Mitgliedstaat bekannt ist und die
Benutzung des Zeichens die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der Marke ohne
rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt.“
Das Benelux-Recht
5.
Artikel 13 A Nr. 1 Buchstabe c des einheitlichen Benelux-Markengesetzes (im folgenden:
einheitliches Benelux-Gesetz), durch den Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie in Benelux-Recht umgesetzt
wurde, bestimmt:
„Unbeschadet einer Anwendung des allgemeinen Rechts der zivilrechtlichen Haftung gestattet das
ausschließliche Recht an der Marke ihrem Inhaber, sich folgenden Handlungen zu widersetzen:
...
c) jeder im geschäftlichen Verkehr ohne rechtfertigenden Grund erfolgenden Benutzung einer im
Benelux-Gebiet bekannten Marke oder eines ihr ähnlichen Zeichens für Waren, die nicht denen
ähnlich sind, für die die Marke eingetragen ist, wenn die Benutzung dieses Zeichens die
Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der Marke in unlauterer Weise ausnutzt oder
beeinträchtigt;
...“
6.
Diese Vorschrift, die am 1. Januar 1996 in Kraft trat, gilt seitdem anstelle des alten Artikel 13 A Nr. 2
des einheitlichen Benelux-Gesetzes, wonach das ausschließliche Recht an der Marke ihrem Inhaber
gestattete, sich „jedem im geschäftlichen Verkehr ohne rechtfertigenden Grund erfolgenden anderen
Gebrauch [als dem nach Nr. 1, d. h. dem Gebrauch für eine identische oder ähnliche Ware] der Marke
oder eines ähnlichen Zeichens unter Bedingungen, durch die der Inhaber der Marke geschädigt
werden könnte“, zu widersetzen.
Der Ausgangsrechtsstreit
7.
General Motors ist Inhaberin der Benelux-Marke Chevy, die am 18. Oktober 1971 beim Benelux-
Markenamt für Waren der Klassen 4, 7, 9, 11 und 12 und insbesondere für Kraftfahrzeuge angemeldet
wurde. Mit dieser Eintragung werden die Rechte in Anspruch genommen, die durch eine erste
Anmeldung in Belgien am 1. September 1961 und durch eine erste Benutzung in den Niederlanden
1961 und in Luxemburg 1962 erworben wurden. Zur Zeit wird die Marke Chevy in Belgien speziell zur
Bezeichnung von Fahrzeugen des Typs „van“ benutzt.
8.
Yplon ist ebenfalls Inhaberin der Benelux-Marke Chevy, die beim Benelux-Markenamt am 30. März
1988 für Waren der Klasse 3 und am 10. Juli 1991 für Waren der Klassen 1, 3 und 5 angemeldet
wurde. Sie benutzt diese Marken für Detergenzien und verschiedene Reinigungsmittel. Sie ist auch in
anderen Ländern, darunter in mehreren Mitgliedstaaten, Inhaberin der Marke Chevy.
9.
Am 28. Dezember 1995 beantragte General Motors beim Tribunal de commerce Tournai, Yplon zu
untersagen, das Zeichen Chevy für die Bezeichnung von Detergenzien oder Reinigungsmitteln zu
benutzen, da eine derartige Benutzung eine Verwässerung ihrer eigenen Marke zur Folge habe und
dadurch deren Werbefunktion beeinträchtige. Ihre Klage stützt sich für den Zeitraum vor dem 1.
Januar 1996 auf den alten Artikel 13 A Nr. 2 des einheitlichen Benelux-Gesetzes und vom 1. Januar
1996 an auf den neuen Artikel 13 A Nr. 1 Buchstabe c dieses Gesetzes. Sie macht in diesem
Zusammenhang geltend, daß ihre Marke Chevy eine „bekannte Marke“ im Sinne der letztgenannten
Vorschrift sei.
10.
Ypon wendet sich gegen den Antrag, insbesondere weil General Motors nicht nachgewiesen habe,
daß ihre Marke Chevy im Benelux-Gebiet „bekannt“ im Sinne des neuen Artikels 13 A Nr. 1 Buchstabe c
des einheitlichen Benelux-Gesetzes sei.
11.
Da das Tribunal de commerce Tournai der Auffassung ist, daß die Entscheidung des
Ausgangsrechtsstreits Erläuterungen zum Begriff „bekannte Marke“ und zu der Frage erfordere, ob
sich die Bekanntheit auf das gesamte Benelux-Gebiet erstrecken muß oder ob es genügt, daß sie in
einem Teil dieses Gebietes gegeben ist, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof
folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Welche genaue Bedeutung hat der Begriff „bekannte Marke“ im Sinne von Artikel 13 A Nr. 1
Buchstabe c des einheitlichen Benelux-Gesetzes, der gemäß dem am 1. Januar 1996 in Kraft
getretenen Änderungsprotokoll eingeführt wurde, und gilt diese „Bekanntheit“ für das gesamte
Gebiet der Benelux-Staaten oder für einen Teil davon?
Zur Vorabentscheidungsfrage
12.
Mit seiner Frage ersucht das nationale Gericht den Gerichtshof im wesentlichen, die Bedeutung des
Ausdrucks „bekannt“ zu erläutern, der in Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie für die erste der beiden
Voraussetzungen verwendet wird, die eine eingetragene Marke erfüllen muß, um in den Genuß eines
auf nichtähnliche Waren oder Dienstleistungen erweiterten Schutzes zu kommen, und zu erklären, ob
diese Voraussetzung im gesamten Benelux-Gebiet erfüllt sein muß oder ob es genügt, daß sie in
einem Teil dieses Gebietes vorliegt.
13.
General Motors vertritt die Auffassung, daß die ältere Marke, um bekannt im Sinne von Artikel 5
Absatz 2 der Richtlinie zu sein, beim betreffenden Publikum
bekannt sein müsse, ohne jedoch den Bekanntheitsgrad der „notorisch bekannten“ Marke im Sinne
von Artikel 6bis der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums vom 20.
März 1883 (im folgenden: Pariser Übereinkunft) zu erreichen, auf die in anderem Zusammenhang
Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe d der Richtlinie ausdrücklich verweise. Zudem genüge es, daß sich die
Bekanntheit auf einen wesentlichen Teil des Gebietes eines Mitgliedstaats erstrecke, der einer
Gemeinschaft oder einer Region dieses Staates entsprechen könne.
14.
Yplon ist der Ansicht, daß eine Marke, die für eine für die breite Öffentlichkeit bestimmte Ware oder
Dienstleistung eingetragen sei, bekannt im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie sei, wenn ein
großer Teil dieses Publikums sie kenne. Die Durchbrechung des Spezialitätsgrundsatzes komme nur
zugunsten der Marken in Betracht, die spontan mit einer bestimmten Ware oder Dienstleistung
assoziiert werden könnten. Die Bekanntheit müsse sich auf das gesamte Gebiet eines Mitgliedstaats
oder, im Fall des Benelux-Gebietes, auf eines der Länder dieses Gebietes erstrecken.
15.
Die belgische Regierung führt aus, der Begriff „bekannte Marke“ sei flexibel auszulegen und es
bestehe eine Abstufung beim Bekanntheitsgrad insbesondere zwischen der bekannten Marke und der
notorisch bekannten Marke. Dieser Begriff eigne sich nicht für eine abstrakte Bewertung, etwa durch
Festlegung eines Prozentsatzes des Bekanntheitsgrades. Die Bekanntheit in einem einzigen der drei
Benelux-Länder gelte für das gesamte Benelux-Gebiet.
16.
Die französische Regierung schlägt dem Gerichtshof vor, zu antworten, daß die Bekanntheit der
Marke im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie nicht exakt definiert werden könne. Vielmehr sei
von Fall zu Fall zu beurteilen, ob ein großer Teil des von den Waren der beiden Marken betroffenen
Publikums die ältere Marke kenne und ob deren Ruf ausreiche, damit das Publikum sie mit der
umstrittenen jüngeren Marke in Verbindung bringe. Sei die Bekanntheit festgestellt, so habe dann ihr
Grad eine Auswirkung auf den Umfang des Schutzes nach Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie. In
territorialer Hinsicht genüge die Bekanntheit in einem einzigen Benelux-Land.
17.
Die niederländische Regierung hält es für ausreichend, daß die Marke dem Publikum bekannt sei,
an das sie sich speziell richte. Der erforderliche Bekanntheitsgrad könne nicht abstrakt angegeben
werden. Vielmehr sei entscheidend, ob die ältere Marke unter Berücksichtigung aller Umstände des
konkreten Falles eine Wertschätzung genieße, die durch die Benutzung dieser Marke für nichtähnliche
Waren beeinträchtigt werden könne. Es sei nicht erforderlich, daß die Marke im gesamten Gebiet
eines Mitgliedstaats oder, im Fall der Benelux-Marken, im gesamten Benelux-Gebiet bekannt sei.
18.
Die Regierung des Vereinigten Königreichs trägt vor, daß die entscheidende Frage die sei, ob die
jüngere Marke ohne rechtfertigenden Grund benutzt werde und ob sie es ermögliche, die
Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der älteren
Marke in unlauterer Weise auszunutzen oder zu beeinträchtigen. Die Antwort auf diese Frage hänge
von einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Faktoren ab, insbesondere von der
Unterscheidungskraft der Marke, dem Umfang der erlangten Bekanntheit, dem Grad der Ähnlichkeit
zwischen den beiden Marken und dem Ausmaß der Unterschiede zwischen den erfaßten Waren oder
Dienstleistungen. Allen Marken, die einen Ruf erworben hätten, sei Schutz zu gewähren, und in einem
zweiten Schritt seien qualitative Kriterien anzuwenden, um den Schutz auf Marken zu beschränken,
deren Ruf dies rechtfertige, wobei der Schutz nur dann zu gewähren sei, wenn klare Beweise für einen
tatsächlichen Schaden erbracht würden. In rechtlicher Hinsicht sei nicht erforderlich, daß sich die
Bekanntheit auf das gesamte Gebiet eines Mitgliedstaats erstrecke. In der Praxis könne jedoch ein
tatsächlicher Schaden nicht nachgewiesen werden, wenn es um eine Marke gehe, deren Ruf sich auf
einen Teil eines Mitgliedstaats beschränke.
19.
Die Kommission schlägt vor, den Begriff „bekannte Marke“ so zu verstehen, daß damit eine Marke
gemeint sei, die bei dem betreffenden Publikum einen Ruf habe. Dieser Begriff bleibe ganz eindeutig
hinter dem der „notorisch bekannten“ Marke in Sinne von Artikel 6bis der Pariser Übereinkunft zurück.
Es genüge, daß die Marke in einem wesentlichen Teil des Benelux-Gebietes bekannt sei, da Marken,
die regional bekannt seien, den gleichen Schutz verdienten wie Marken, die überall in diesem Gebiet
bekannt seien.
20.
Die erste Voraussetzung für den erweiterten Schutz nach Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie lautet in
der dänischen Fassung dieser Vorschrift „er renommeret“, in der deutschen Fassung „bekannt ist“, in
der griechischen Fassung „÷áßñåé öÞìçò“, in der spanischen Fassung „goce de renombre“, in der
französischen Fassung „jouit d'une renommée“, in der italienischen Fassung „gode di notorietà“, in
der niederländischen Fassung „bekend is“, in der portugiesischen Fassung „goze de prestigio“, in der
finnischen Fassung „laajalti tunnettu“, in der schwedischen Fassung „är känt“ und in der englischen
Fassung „has a reputation“.
21.
Die deutsche, die niederländische und die schwedische Fassung verwenden Begriffe, denen zufolge
die Marke „connue“ („bekannt“) sein muß, ohne den Umfang der erforderlichen Bekanntheit näher
anzugeben, während die anderen Sprachfassungen den Begriff „renommée“ oder Ausdrücke
verwenden, die wie dieser in quantitativer Hinsicht einen bestimmten Bekanntheitsgrad beim Publikum
voraussetzen.
22.
Diese Nuance, die keinen wirklichen Widerspruch enthält, ergibt sich aus der größeren Neutralität
der in der deutschen, der niederländischen und der schwedischen Fassung verwendeten Begriffe. Mit
ihr kann jedoch nicht das Erfordernis einer Bekanntheitsschwelle in Abrede gestellt werden, das im
Rahmen einer einheitlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts aus einem Vergleich aller
Sprachfassungen der Richtlinie hervorgeht.
23.
Ein derartiges Erfordernis ergibt sich auch aus der allgemeinen Systematik und dem Zweck der
Richtlinie. Da Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie im Unterschied zu Artikel 5 Absatz 1 die eingetragenen
Marken im Hinblick auf nichtähnliche Waren oder Dienstleistungen schützt, impliziert die erste darin
aufgestellte Voraussetzung einen bestimmten Bekanntheitsgrad der älteren Marke beim Publikum.
Denn nur wenn diese Marke einen genügenden Bekanntheitsgrad hat, kann das Publikum, wenn es
mit der jüngeren Marke konfrontiert wird, gegebenenfalls, auch bei nichtähnlichen Waren oder
Dienstleistungen, eine Verbindung zwischen den beiden Marken herstellen, so daß die ältere Marke
beeinträchtigt werden kann.
24.
Das Publikum, bei dem die ältere Marke Bekanntheit erlangt haben muß, ist dasjenige, das von
dieser Marke betroffen ist, also je nach der vermarkteten Ware oder Dienstleistung die breite
Öffentlichkeit oder ein spezielleres Publikum, z. B. ein bestimmtes berufliches Milieu.
25.
Weder nach dem Buchstaben noch nach dem Geist des Artikels 5 Absatz 2 der Richtlinie kann
verlangt werden, daß die Marke einem bestimmten Prozentsatz des in dieser Weise definierten
Publikums bekannt ist.
26.
Der erforderliche Bekanntheitsgrad ist als erreicht anzusehen, wenn die ältere Marke einem
bedeutenden Teil des Publikums bekannt ist, das von den durch diese Marke erfaßten Waren oder
Dienstleistungen betroffen ist.
27.
Bei der Prüfung dieser Voraussetzung hat das nationale Gericht alle relevanten Umstände des
Falles zu berücksichtigen, also insbesondere den Marktanteil der Marke, die Intensität, die
geographische Ausdehnung und die Dauer ihrer Benutzung sowie den Umfang der Investitionen, die
das Unternehmen zu ihrer Förderung getätigt hat.
28.
In territorialer Hinsicht ist die Voraussetzung erfüllt, wenn die Marke, wie es in Artikel 5 Absatz 2 der
Richtlinie heißt, „in dem betreffenden Mitgliedstaat“ bekannt ist. Mangels einer entsprechenden
Präzisierung der Gemeinschaftsvorschrift kann nicht verlangt werden, daß sich die Bekanntheit auf
das „gesamte“ Gebiet des Mitgliedstaats erstreckt. Es genügt, daß sie in einem wesentlichen Teil
davon vorliegt.
29.
Was die beim Benelux-Markenamt eingetragenen Marken betrifft, so ist das Benelux-Gebiet dem
Gebiet eines Mitgliedstaats gleichzustellen, da Artikel 1 der Richtlinie diese Marken den in einem
Mitgliedstaat eingetragenen gleichstellt. Artikel 5 Absatz 2 ist demnach so zu verstehen, daß er eine
„im“ Benelux-Gebiet erlangte Bekanntheit betrifft. Aus den gleichen Gründen, wie sie für die
Voraussetzung der Bekanntheit in einem Mitgliedstaat gelten, kann also von einer Benelux-Marke
nicht verlangt werden, daß sich ihre Bekanntheit auf das gesamte Benelux-Gebiet erstreckt. Es
genügt, daß diese Bekanntheit in einem wesentlichen Teil davon vorliegt, der gegebenenfalls einem
Teil eines der Benelux-Länder entsprechen kann.
30.
Wenn das nationale Gericht bei seiner Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, daß die Voraussetzung
der Bekanntheit sowohl hinsichtlich des betreffenden Publikums als auch des fraglichen Gebietes
erfüllt ist, hat es die zweite Voraussetzung des Artikels 5 Absatz 2 der Richtlinie zu prüfen, also ob die
ältere Marke ohne rechtfertigenden Grund beeinträchtigt wird. Dabei ist zu beachten, daß, je größer
die Unterscheidungskraft und die Wertschätzung der Marke sind, desto eher eine Beeinträchtigung
vorliegen wird.
31.
Auf die Vorlagefrage ist daher zu antworten, daß Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie dahin auszulegen
ist, daß eine eingetragene Marke, um in den Genuß eines auf nichtähnliche Waren oder
Dienstleistungen erweiterten Schutzes zu kommen, einem bedeutenden Teil des Publikums bekannt
sein muß, das von den durch die Marke erfaßten Waren oder Dienstleistungen betroffen ist. Im
Benelux-Gebiet genügt es, daß die Marke einem bedeutenden Teil des betreffenden Publikums in
einem wesentlichen Teil dieses Gebietes bekannt ist, der gegebenenfalls einem Teil eines der Länder
dieses Gebietes entsprechen kann.
Kosten
32.
Die Auslagen der belgischen, der französischen und der niederländischen Regierung sowie der
Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor
dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des
Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht
anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Tribunal de commerce Tournai mit Urteil vom 30. Oktober 1997 vorgelegte Frage für
Recht erkannt:
Artikel 5 Absatz 2 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur
Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken ist dahin
auszulegen, daß eine eingetragene Marke, um in den Genuß eines auf nichtähnliche
Waren oder Dienstleistungen erweiterten Schutzes zu kommen, einem bedeutenden Teil
des Publikums bekannt sein muß, das von den durch die Marke erfaßten Waren oder
Dienstleistungen betroffen ist. Im Benelux-Gebiet genügt es, daß die Marke einem
bedeutenden Teil des betreffenden Publikums in
einem wesentlichen Teil dieses Gebietes bekannt ist, der gegebenenfalls einem Teil eines
der Länder dieses Gebietes entsprechen kann.
Puissochet
Jann
Moitinho de Almeida
Gulmann Murray
Edward
Ragnemalm Wathelet
Schintgen
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 14. September 1999.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias
Verfahrenssprache: Französisch.