Urteil des EuGH vom 12.09.2006

EuGH: weltorganisation für geistiges eigentum, rat der europäischen union, recht auf bildung, grundsatz der gleichbehandlung, verbreitungsrecht, original, regierung, wipo, werken, emrk

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Große Kammer)
12. September 2006()
„Richtlinie 2001/29/EG – Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten
Schutzrechte in der Informationsgesellschaft – Artikel 4 – Verbreitungsrecht – Erschöpfungsregel –
Rechtsgrundlage – Völkerrechtliche Verträge – Wettbewerbspolitik – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
– Freiheit der Meinungsäußerung – Gleichheitsgrundsatz – Artikel 151 EG und 153 EG“
In der Rechtssache C-479/04
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Østre Landsret
(Dänemark) mit Entscheidung vom 16. November 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 19.
November 2004, in dem Verfahren
Laserdisken ApS
gegen
Kulturministeriet
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans,
A. Rosas und J. Malenovský, der Richter J.‑P. Puissochet und R. Schintgen, der Richterin N. Colneric und
der Richter S. von Bahr, G. Arestis (Berichterstatter), J. Klučka, U. Lõhmus und A. Ó Caoimh,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: K. Sztranc, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Februar 2006,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Laserdisken ApS, vertreten durch H. K. Pedersen als Gesellschafter,
– der polnischen Regierung, vertreten durch T. Nowakowski als Bevollmächtigten,
– des Europäischen Parlaments, vertreten durch K. Bradley und L. G. Knudsen als Bevollmächtigte,
– des Rates der Europäischen Union, vertreten durch H. Vilstrup, F. Florindo Gijón und
R. Liudvinaviciute als Bevollmächtigte,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch W. Wils und
N. B. Rasmussen als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 4. Mai 2006
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung und die Gültigkeit von Artikel 4 Absatz 2 der
Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur
Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der
Informationsgesellschaft (ABl. L 167, S. 10, im Folgenden: Richtlinie oder Richtlinie 2001/29).
2 Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der Laserdisken ApS (im Folgenden:
Laserdisken) und dem dänischen Kulturministerium über die Anwendung von § 19 des dänischen
Urheberrechtsgesetzes (Ophavsretslov) in seiner durch das Gesetz Nr. 1051 (Lov nr. 1051, om
aendring af ophavsretsloven) vom 17. Dezember 2002 geänderten Fassung auf die Einfuhr und den
Verkauf von außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) rechtmäßig in den Verkehr
gebrachten DVDs nach bzw. in Dänemark.
Rechtlicher Rahmen
3 Die Richtlinie 2001/29 wurde auf der Grundlage der Artikel 47 Absatz 2 EG, 55 EG und 95 EG erlassen.
Ihr Artikel 1 („Anwendungsbereich“) bestimmt in Absatz 1: „Gegenstand dieser Richtlinie ist der
rechtliche Schutz des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte im Rahmen des Binnenmarkts,
insbesondere in Bezug auf die Informationsgesellschaft.“
4 Kapitel II der Richtlinie umfasst unter dem Titel „Rechte und Ausnahmen“ die Artikel 2 bis 5. Artikel 2
regelt das Vervielfältigungsrecht, Artikel 3 das Recht der öffentlichen Wiedergabe von Werken und das
Recht der öffentlichen Zugänglichmachung sonstiger Schutzgegenstände, Artikel 4 das
Verbreitungsrecht und Artikel 5 Ausnahmen und Beschränkungen in Bezug auf die in den Artikeln 2 bis
4 aufgestellten Regeln.
5 Artikel 4 der Richtlinie lautet wie folgt:
„(1) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern in Bezug auf das Original ihrer Werke oder
auf Vervielfältigungsstücke davon das ausschließliche Recht zusteht, die Verbreitung an die
Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise zu erlauben oder zu verbieten.
(2) Das Verbreitungsrecht erschöpft sich in der Gemeinschaft in Bezug auf das Original oder auf
Vervielfältigungsstücke eines Werks nur, wenn der Erstverkauf dieses Gegenstands oder eine andere
erstmalige Eigentumsübertragung in der Gemeinschaft durch den Rechtsinhaber oder mit dessen
Zustimmung erfolgt.“
6 Nach Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie können die Mitgliedstaaten in bestimmten Fällen Ausnahmen
oder Beschränkungen in Bezug auf das in Artikel 2 geregelte Vervielfältigungsrecht vorsehen. Artikel 5
Absatz 3 gestattet den Mitgliedstaaten, in den in diesem Absatz aufgezählten Fällen Ausnahmen oder
Beschränkungen in Bezug auf die in den Artikeln 2 und 3 geregelten Rechte vorzusehen.
7 Artikel 5 Absatz 4 der Richtlinie lautet: „Wenn die Mitgliedstaaten gemäß Absatz 2 oder 3 eine
Ausnahme oder Beschränkung in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht vorsehen können, können sie
entsprechend auch eine Ausnahme oder Beschränkung in Bezug auf das Verbreitungsrecht im Sinne
von Artikel 4 zulassen, soweit diese Ausnahme durch den Zweck der erlaubten Vervielfältigung
gerechtfertigt ist.“
8 Das dänische Urheberrechtsgesetz bestimmte vor der Umsetzung der Richtlinie 2001/29 in seinem §
19: „Wird ein Vervielfältigungsstück eines Werks mit Zustimmung des Urhebers verkauft oder auf
sonstige Weise einem anderen überlassen, darf das Vervielfältigungsstück weiter verbreitet werden.“
9 Nach der Änderung dieses Gesetzes durch das Gesetz Nr. 1051 vom 17. Dezember 2002 zur
Umsetzung der Richtlinie 2001/29 lautet Absatz 1 des § 19 nunmehr wie folgt:
„Wird ein Vervielfältigungsstück eines Werks mit Zustimmung des Urhebers im Europäischen
Wirtschaftsraum verkauft oder auf sonstige Weise einem anderen überlassen, darf das
Vervielfältigungsstück weiter verbreitet werden. Im Fall der Weiterverbreitung in Form der Ausleihe oder
Vermietung findet Satz 1 auch Anwendung beim Verkauf oder einer sonstigen Form der Überlassung
an einen anderen außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums.“
10 Nach Artikel 65 Absatz 2 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992
(ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen) sind die besonderen Bestimmungen und
besonderen Regelungen über das geistige Eigentum und den gewerblichen Rechtsschutz in Protokoll
28 und in Anhang XVII dieses Abkommens enthalten. Mit dem Beschluss des Gemeinsamen EWR-
Ausschusses Nr. 110/2004 vom 9. Juli 2004 zur Änderung des Anhangs XVII (Geistiges Eigentum) des
EWR-Abkommens (ABl. L 376, S. 45) wurde die Richtlinie 2001/29 in dieses Abkommen aufgenommen.
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
11 Laserdisken ist eine Handelsgesellschaft, die in ihren Verkaufsstellen in Dänemark u. a.
Vervielfältigungsstücke von Filmwerken an Privatkunden verkauft.
12 Bis Ende 2002 wurden diese Vervielfältigungsstücke von ihr im Wesentlichen aus Mitgliedstaaten der
Europäischen Union, aber auch aus Drittstaaten eingeführt. Es handelte sich vor allem um
Sonderausgaben wie amerikanische Originalfassungen oder Einspielungen unter Einsatz einer
besonderen Technik. Einen weiteren wichtigen Teil der zum Verkauf angebotenen Erzeugnisse
machten Filmwerke aus, die in Europa weder herausgegeben worden waren noch in der Zukunft
herausgegeben werden.
13 Da Laserdisken infolge der oben erwähnten Gesetzesänderung einen erheblichen Geschäftsrückgang
verzeichnete, reichte sie gegen das Kulturministerium am 19. Februar 2003 beim Østre Landsret
(Landgericht Ost) eine Klage auf Feststellung der Unanwendbarkeit von § 19 des
Urheberrechtsgesetzes in seiner im Rahmen der Umsetzung von Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie
2001/29 geänderten Fassung ein. Sie machte geltend, die Neufassung des § 19 wirke sich spürbar auf
ihre Einfuhren und Verkäufe von DVDs aus, die außerhalb des EWR rechtmäßig in den Verkehr
gebracht worden seien.
14 Zur Stützung ihrer Klage berief sich Laserdisken auf die Ungültigkeit der Richtlinie 2001/29 mit der
Begründung, dass die Artikel 47 Absatz 2 EG, 55 EG und 95 EG nicht die geeignete Rechtsgrundlage
für den Erlass der Richtlinie darstellten.
15 Außerdem machte sie geltend, Artikel 4 Absatz 2 dieser Richtlinie verletze die völkerrechtlichen
Verträge, an die die Gemeinschaft auf dem Gebiet des Urheberrechts und der verwandten
Schutzrechte gebunden sei, die Vorschriften des EG-Vertrags über die Durchführung einer
Wettbewerbspolitik, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Bekämpfung der Piraterie und,
allgemeiner, bei der Verwirklichung des Binnenmarktes, die Freiheit der Meinungsäußerung, den
Gleichheitsgrundsatz und die Vorschriften des EG-Vertrags zur Kultur- und zur Erziehungspolitik der
Mitgliedstaaten, d. h. die Artikel 151 EG und 153 EG.
16 Da das Kulturministerium die vorstehenden Klagegründe sämtlich zurückwies, hat das vorlegende
Gericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende zwei Fragen zur
Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 2001/29 ungültig?
2. Hindert Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 2001/29 einen Mitgliedstaat daran, den Grundsatz der
internationalen Erschöpfung in seinem Recht beizubehalten?
Zu den Vorlagefragen
17 Mit seiner zuerst zu prüfenden zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 4
Absatz 2 der Richtlinie 2001/29 nationale Vorschriften ausschließt, nach denen sich das
Verbreitungsrecht in Bezug auf das Original oder auf Vervielfältigungsstücke eines Werks mit dem
Erstverkauf oder einer anderen erstmaligen Eigentumsübertragung außerhalb der Gemeinschaft durch
den Rechtsinhaber oder mit dessen Zustimmung erschöpft.
18 Nach Ansicht von Laserdisken und der polnischen Regierung hindert Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie
2001/29 einen Mitgliedstaat nicht daran, in seinem Recht eine solche Erschöpfungsregel
beizubehalten. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften vertritt den entgegengesetzten
Standpunkt.
19 In Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 2001/29 ist das ausschließliche Recht des Urhebers verankert, die
Verbreitung des Originals oder von Vervielfältigungsstücken seines Werks an die Öffentlichkeit in
beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise zu erlauben oder zu verbieten.
20 Artikel 4 Absatz 2 regelt die Erschöpfung dieses Rechts. Danach erschöpft sich das Verbreitungsrecht
in Bezug auf das Original oder auf Vervielfältigungsstücke eines Werks nur, wenn der Erstverkauf
dieses Gegenstands oder eine andere erstmalige Eigentumsübertragung in der Gemeinschaft durch
den Rechtsinhaber oder mit dessen Zustimmung erfolgt.
21 Daraus ergibt sich, dass die Erschöpfung des fraglichen Rechts von zwei Voraussetzungen abhängt,
nämlich zum einen davon, dass das Original oder ein Vervielfältigungsstück eines Werks vom
Rechtsinhaber oder mit dessen Zustimmung in den Verkehr gebracht worden ist, und zum anderen
davon, dass dieses Inverkehrbringen in der Gemeinschaft stattgefunden hat.
22 Laserdisken und die polnische Regierung machen insoweit im Wesentlichen geltend, Artikel 4 Absatz 2
der Richtlinie lasse den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, in ihrem jeweiligen nationalen Recht eine
Erschöpfungsregel nicht nur für in der Gemeinschaft in den Verkehr gebrachte, sondern auch für in
Drittstaaten in den Verkehr gebrachte Werke aufzustellen oder beizubehalten.
23 Einer solchen Auslegung kann nicht gefolgt werden. Denn nach der 28. Begründungserwägung der
Richtlinie 2001/29 schließt der unter diese Richtlinie fallende Urheberrechtsschutz auch das
ausschließliche Recht ein, die Verbreitung eines in einem Gegenstand verkörperten Werks zu
kontrollieren. Mit dem Erstverkauf des Originals oder dem Erstverkauf von Vervielfältigungsstücken des
Originals in der Gemeinschaft durch den Rechtsinhaber oder mit dessen Zustimmung erschöpft sich
das Recht, den Wiederverkauf dieses Gegenstands innerhalb der Gemeinschaft zu kontrollieren. Dies
gilt
jedoch
nach
derselben
Begründungserwägung
nicht,
wenn
das
Original
oder
Vervielfältigungsstücke des Originals durch den Rechtsinhaber oder mit dessen Zustimmung
außerhalb der Gemeinschaft verkauft werden.
24 Aus dem klaren Wortlaut von Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 2001/29 ergibt sich in Verbindung mit der
28. Begründungserwägung dieser Richtlinie, dass die betreffende Bestimmung den Mitgliedstaaten
nicht die Möglichkeit lässt, eine andere Erschöpfungsregel als die der Gemeinschaftserschöpfung
vorzusehen.
25 Diese Schlussfolgerung wird durch Artikel 5 der Richtlinie 2001/29 bekräftigt, der den Mitgliedstaaten
gestattet, Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht, das Recht der
öffentlichen Wiedergabe von Werken, das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung sonstiger
Schutzgegenstände und das Verbreitungsrecht vorzusehen. Aus keiner Bestimmung dieses Artikels
geht nämlich hervor, dass die zulässigen Ausnahmen oder Beschränkungen die Erschöpfungsregel
des Artikels 4 Absatz 2 der Richtlinie 2001/29 betreffen könnten und den Mitgliedstaaten damit
erlaubten, von dieser Regel abzuweichen.
26 Die vorstehende Auslegung ist außerdem die einzige, die voll und ganz mit der Zielsetzung der
Richtlinie 2001/29 in Einklang steht, die nach deren erster Begründungserwägung darin besteht, das
Funktionieren des Binnenmarktes sicherzustellen. Eine Situation, in der einige Mitgliedstaaten die
internationale Erschöpfung des Verbreitungsrechts vorsehen können, während in anderen nur die
Gemeinschaftserschöpfung dieses Rechts gilt, führt nämlich zu unausweichlichen Behinderungen des
freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs.
27 Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 2001/29
dahin auszulegen ist, dass er nationalen Vorschriften entgegensteht, die die Erschöpfung des
Verbreitungsrechts in Bezug auf das Original oder auf Vervielfältigungsstücke eines Werks vorsehen,
das vom Rechtsinhaber oder mit dessen Zustimmung außerhalb der Gemeinschaft in den Verkehr
gebracht wird.
28 Laserdisken und die polnische Regierung schlagen als Antwort vor, dass die Richtlinie 2001/29 und
insbesondere ihr Artikel 4 Absatz 2 gemeinschaftsrechtswidrig seien. Das Europäische Parlament, der
Rat der Europäischen Union und die Kommission sind dagegen der Ansicht, dass keiner der geltend
gemachten Ungültigkeitsgründe durchgreife.
Zur Rechtsgrundlage der Richtlinie 2001/29
29 Laserdisken macht geltend, die Richtlinie 2001/29 sei zu Unrecht auf der Grundlage der Artikel 47
Absatz 2 EG, 55 EG und 95 EG erlassen worden, da diese die Regel der Gemeinschaftserschöpfung in
Artikel 4 Absatz 2 dieser Richtlinie nicht rechtfertigen könnten.
30 Nach ständiger Rechtsprechung muss sich im Rahmen des Zuständigkeitssystems der Gemeinschaft
die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände
gründen. Zu diesen Umständen gehören insbesondere das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts (Urteil
vom 6. Dezember 2005 in den Rechtssachen C‑453/03, C‑11/04, C‑12/04 und C‑194/04, ABNA u. a., Slg.
2005, I‑10423, Randnr. 54 und die dort zitierte Rechtsprechung).
31 Die Bestimmungen der Artikel 47 Absatz 2 EG, 55 EG und 95 EG, auf deren Grundlage die Richtlinie
2001/29 erlassen wurde, gestatten es, im Wege einer Harmonisierung der nationalen
Rechtsvorschriften über den Inhalt und die Wahrnehmung des Urheberrechts und verwandter
Schutzrechte die Maßnahmen zu treffen, die für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes in
Bezug auf die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit erforderlich sind.
32 Mit der Richtlinie 2001/29 werden offenkundig die Ziele verfolgt, die in den vorstehend angeführten
Bestimmungen des EG-Vertrags genannt werden.
33 In ihrer ersten Begründungserwägung wird nämlich darauf verwiesen, dass der EG-Vertrag die
Schaffung eines Binnenmarktes und die Einführung einer Regelung vorsieht, die den Wettbewerb
innerhalb des Binnenmarktes vor Verzerrungen schützt, und dass die Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte zur
Erreichung dieser Ziele beiträgt.
34 Dazu wird in der dritten Begründungserwägung der Richtlinie 2001/29 ausgeführt, dass die
vorgeschlagene Harmonisierung zur Verwirklichung der vier Freiheiten des Binnenmarktes beiträgt. In
der sechsten Begründungserwägung der Richtlinie heißt es, dass dagegen ohne Harmonisierung auf
Gemeinschaftsebene Gesetzgebungsinitiativen auf einzelstaatlicher Ebene erhebliche Unterschiede im
Rechtsschutz und dadurch Beschränkungen des freien Verkehrs von Dienstleistungen und Produkten
mit urheberrechtlichem Gehalt zur Folge haben könnten.
35 Aus dem Vorstehenden folgt, dass die hier von Laserdisken erhobenen Einwände in Bezug auf die
Rechtsgrundlage der Richtlinie nicht begründet sind.
Zu Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 2001/29
– Zur Verletzung der von der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Urheberrechts und der verwandten
Schutzrechte geschlossenen völkerrechtlichen Verträge
36 Das vorlegende Gericht nennt nicht die Verträge, an die die Gemeinschaft gebunden sei und deren
Bestimmungen durch die in Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 2001/29 festgeschriebene Regel der
gemeinschaftsweiten Erschöpfung des Verbreitungsrechts verletzt werden könnten.
37 Im Rahmen ihrer Erklärungen macht Laserdisken – allerdings ohne nähere Erläuterungen – geltend,
das Verbreitungsrecht und die Erschöpfungsregel des Artikels 4 Absatz 2 der Richtlinie 2001/29
verstießen gegen die Artikel 1 Buchstabe c und 2 Buchstabe a des am 14. Dezember 1960 in Paris
unterzeichneten Übereinkommens über die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (OECD). Nach diesen Bestimmungen ist es „Ziel der [OECD] …, eine Politik zu fördern, die
darauf gerichtet ist, … auf multilateraler und nichtdiskriminierender Grundlage zur Ausweitung des
Welthandels beizutragen“, und zur Verfolgung u. a. dieses Zieles „kommen die [Mitgliedstaaten]
überein, … den zweckmäßigen Einsatz ihrer wirtschaftlichen Mittel zu fördern“.
38 Abgesehen davon, dass dieses Vorbringen unklar ist, genügt der Hinweis, dass die von Laserdisken
geltend gemachten Bestimmungen – ihre Bindungswirkung für die Gemeinschaft einmal unterstellt –
nicht die Regelung der Frage der Erschöpfung des Verbreitungsrechts zum Gegenstand haben.
39 Im Übrigen sind mit der Richtlinie 2001/29 laut ihrer 15. Begründungserwägung die internationalen
Verpflichtungen erfüllt worden, die sich aus der unter der Schirmherrschaft der Weltorganisation für
geistiges Eigentum (WIPO) am 20. Dezember 1996 erfolgten Annahme des WIPO-Urheberrechtsvertrags
und des WIPO-Vertrags über Darbietungen und Tonträger ergeben, die beide im Namen der
Gemeinschaft mit dem Beschluss 2000/278/EG des Rates vom 16. März 2000 (ABl. L 89, S. 6)
genehmigt wurden.
40 Weder Artikel 6 Absatz 2 des WIPO-Urheberrechtsvertrags noch die Artikel 8 Absatz 2 und 12 Absatz 2
des WIPO-Vertrags über Darbietungen und Tonträger verpflichten die Gemeinschaft als Vertragspartei,
eine spezifische Regel in Bezug auf die Erschöpfung des Verbreitungsrechts vorzusehen.
41 Ziel dieser Verträge, wie es u. a. in deren jeweils erster Begründungserwägung in der Präambel zum
Ausdruck gebracht wird, ist nämlich eine Harmonisierung der Vorschriften über das Urheberrecht und
die verwandten Schutzrechte.
42 Was insbesondere das Verbreitungsrecht angeht, so wird das Ziel der Harmonisierung im WIPO-
Urheberrechtsvertrag dadurch verwirklicht, dass er den Urhebern das ausschließliche Recht
zuerkennt, zu erlauben, dass das Original oder Vervielfältigungsstücke ihrer Werke durch Verkauf oder
sonstige Eigentumsübertragung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Was dagegen die
Erschöpfung dieses ausschließlichen Rechts betrifft, so berührt dieser Vertrag nicht die Freiheit der
Vertragsparteien, gegebenenfalls zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen diese Erschöpfung
nach dem ersten Verkauf eintritt. Damit gestattet er der Gemeinschaft eine eingehendere
Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften auch in Bezug auf die Erschöpfungsregel. Die
vorstehend genannten Bestimmungen des WIPO-Urheberrechtsvertrags und diejenigen der Richtlinie
2001/29 ergänzen sich somit im Hinblick auf die angestrebte Harmonisierung.
43 Nach alledem kann die Auffassung, dass Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 2001/29 völkerrechtliche
Verträge verletze, die von der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Urheberrechts und der verwandten
Schutzrechte geschlossen worden sind, keine Zustimmung finden.
– Zu den Vorschriften des EG-Vertrags über die Durchführung einer Wettbewerbspolitik
44 Laserdisken macht geltend, die Erschöpfungsregel des Artikels 4 Absatz 2 der Richtlinie 2001/29
verstärke die Kontrolle der Vertriebskanäle durch die Lieferanten und beeinträchtige somit den freien
Wettbewerb. Als Hauptargument führt sie an, dass der Wettbewerb durch diese Erschöpfungsregel in
Verbindung mit dem System der regionalen Kodierung von DVDs generell neutralisiert werde. Manche
außerhalb der Gemeinschaft in den Verkehr gebrachten Werke seien nämlich in Anbetracht dieser
Regel in der Gemeinschaft nicht zugänglich.
45 Die polnische Regierung fügt hinzu, dass diese Erschöpfungsregel der Förderung eines stärkeren
Wettbewerbs entgegenstehe und den Inhabern von Urheberrechten oder verwandten Schutzrechten
einen Schutz ihrer Interessen gewähre, der über den Gegenstand solcher Rechte hinausgehe.
46 Alles in allem machen Laserdisken und die polnische Regierung im Wesentlichen geltend, dass die
Erschöpfungsregel des Artikels 4 Absatz 2 der Richtlinie 2001/29 einen weltweiten freien Wettbewerb
verhindere.
47 Es ist daran zu erinnern, dass die Tätigkeit der Gemeinschaft nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe g EG
nach Maßgabe des EG-Vertrags und der darin vorgesehenen Zeitfolge ein System umfasst, das den
Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt. In diesem Rahmen enthält Titel
VI des EG-Vertrags ein erstes Kapitel mit den den Wettbewerbsregeln gewidmeten Artikeln 81 EG bis
89 EG.
48 Was den vorliegenden Fall betrifft, so heißt es in der ersten Begründungserwägung der Richtlinie
2001/29, dass die Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über das Urheberrecht
und die verwandten Schutzrechte zur Schaffung eines Binnenmarktes und zur Einführung einer
Regelung, die den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verzerrungen schützt, beiträgt.
49 Daraus ergibt sich, dass die Harmonisierung durch diese Richtlinie auch auf die Sicherstellung eines
unverfälschten Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarktes gemäß Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe g EG
abzielt.
50 Die von Laserdisken und der polnischen Regierung vorgebrachte Auffassung bedeutet, dass der
Gemeinschaftsgesetzgeber bei Erlass der Richtlinie 2001/29 einen Grundsatz weltweiten freien
Wettbewerbs hätte berücksichtigen müssen; eine solche Verpflichtung folgt jedoch weder aus Artikel 3
Absatz 1 Buchstabe g EG noch aus sonstigen Bestimmungen des EG-Vertrags.
51 Demnach ist der Ungültigkeitsgrund einer Verletzung der Vorschriften des EG-Vertrags über die
Durchführung einer Wettbewerbspolitik zurückzuweisen.
– Zur Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
52 Nach Ansicht von Laserdisken und der polnischen Regierung ist die Erschöpfungsregel des Artikels 4
Absatz 2 der Richtlinie 2001/29 nicht erforderlich, um das Ziel eines Binnenmarktes ohne
Beeinträchtigungen zu erreichen, und erlegt den Bürgern der Europäischen Union unnötige
Belastungen auf. Außerdem erweise sich diese Bestimmung als unwirksam, wenn es darum gehe, die
Verbreitung von Werken zu verhindern, die in der Gemeinschaft ohne Zustimmung der Inhaber von
Urheberrechten oder verwandten Schutzrechten in Umlauf gebracht worden seien.
53 Nach ständiger Rechtsprechung verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zu den
allgemeinen
Grundsätzen
des
Gemeinschaftsrechts
gehört,
dass
die
von
einer
Gemeinschaftsbestimmung eingesetzten Mittel zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet sind
und nicht über das dazu Erforderliche hinausgehen (Urteil vom 10. Dezember 2002 in der Rechtssache
C‑491/01, British American Tobacco [Investments] und Imperial Tobacco, Slg. 2002, I‑11453, Randnr.
122).
54 Laserdisken beanstandet im Wesentlichen die Entscheidung der Gemeinschaftsorgane für die Regel
der Erschöpfung des Verbreitungsrechts in der Gemeinschaft.
55 Deshalb ist zu prüfen, ob der Erlass dieser Regel eine Maßnahme darstellt, die gemessen an den von
diesen Organen verfolgten Zielen unverhältnismäßig ist.
56 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich unterschiedliche nationale Rechtsvorschriften über die
Erschöpfung des Verbreitungsrechts unmittelbar auf das reibungslose Funktionieren des
Binnenmarktes auswirken können. Die Harmonisierung in diesem Bereich soll somit die
Beeinträchtigungen des freien Verkehrs beseitigen.
57 Im Übrigen trägt nach der neunten Begründungserwägung der Richtlinie 2001/29 der Schutz des
Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte dazu bei, die Erhaltung und Entwicklung kreativer
Tätigkeit im Interesse u. a. der Urheber, ausübenden Künstler, Hersteller und Verbraucher
sicherzustellen. In der zehnten Begründungserwägung dieser Richtlinie heißt es, dass nur dann, wenn
die Rechte des geistigen Eigentums geschützt werden, eine angemessene Vergütung für die Nutzung
von Werken gewährleistet und ein zufrieden stellender Ertrag der Investitionen sichergestellt werden
kann. Ebenfalls in diesem Sinne wird in der elften Begründungserwägung ausgeführt, dass eine
wirksame und rigorose Schutzregelung es gestattet, die notwendigen Mittel für das kulturelle Schaffen
in Europa zu garantieren und die Unabhängigkeit und Würde der Urheber und ausübenden Künstler zu
wahren.
58 In Anbetracht der vorstehend genannten Ziele ist die Entscheidung des Gemeinschaftsgesetzgebers
in Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 2001/29 für die Regel der Gemeinschaftserschöpfung ersichtlich
keine unverhältnismäßige Maßnahme, die die Gültigkeit dieser Bestimmung beeinträchtigen könnte.
59 Nach alledem ist die Ansicht, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt worden sei,
unbegründet.
– Zur Verletzung der Freiheit der Meinungsäußerung
60 Nach Ansicht von Laserdisken nimmt Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 2001/29 den Unionsbürgern ihr
Recht, Informationen zu empfangen, und verstößt damit gegen Artikel 10 der am 4. November 1950 in
Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
(EMRK). Ferner macht Laserdisken eine Missachtung der Freiheit der Urheberrechtsinhaber, ihre Ideen
weiterzugeben, geltend.
61 Zunächst ist daran zu erinnern, dass die Grundrechte nach ständiger Rechtsprechung zu den
allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat; dabei lässt
er sich von den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sowie von den Hinweisen
leiten, die die völkerrechtlichen Verträge über den Schutz der Menschenrechte geben, an deren
Abschluss die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind. Hierbei kommt der
EMRK besondere Bedeutung zu (Urteil vom 12. Juni 2003 in der Rechtssache C‑112/00, Schmidberger,
Slg. 2003, I‑5659, Randnr. 71 und die dort zitierte Rechtsprechung).
62 Die in Artikel 10 EMRK verankerte Freiheit der Meinungsäußerung ist ein Grundrecht, für dessen
Wahrung der Gemeinschaftsrichter zu sorgen hat (Urteil vom 18. Juni 1991 in der Rechtssache
C‑260/89, ERT, Slg. 1991, I-2925, Randnr. 44). Gleiches gilt für das Recht auf Eigentum, das durch
Artikel 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK verbürgt ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Mai 2005 in
der Rechtssache C‑347/03, Regione autonoma Friuli-Venezia Giulia und ERSA, Slg. 2005, I‑3785,
Randnr. 119, und vom 12. Juli 2005 in den Rechtssachen C‑154/04 und C‑155/04, Alliance for Natural
Health u. a., Slg. 2005, I‑6451, Randnr. 126).
63 Zunächst ist die Auffassung zurückzuweisen, dass die durch Artikel 10 EMRK verbürgte Freiheit der
Meinungsäußerung dadurch verletzt werde, dass der Urheberrechtsinhaber an der Weitergabe seiner
Ideen gehindert sei. Nach Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 2001/29 ist das Verbreitungsrecht nämlich
erschöpft, wenn der Urheberrechtsinhaber dem Erstverkauf oder einer anderen erstmaligen
Eigentumsübertragung zugestimmt hat. Er ist damit in der Lage, das erstmalige Inverkehrbringen des
Gegenstands, auf den sich dieses Recht bezieht, zu kontrollieren. In diesem Zusammenhang kann die
Freiheit der Meinungsäußerung offenkundig nicht als Grund für die Ungültigkeit der Erschöpfungsregel
angeführt werden.
64 Was sodann die Freiheit, Informationen zu empfangen, anbelangt, folgt – die Möglichkeit einer
Beschränkung dieser Freiheit durch die Erschöpfungsregel des Artikels 4 Absatz 2 der Richtlinie
2001/29 einmal unterstellt – doch aus Artikel 10 Absatz 2 EMRK, dass die durch Artikel 10 Absatz 1
verbürgten Freiheiten bestimmten durch Ziele des Allgemeininteresses gerechtfertigten
Beschränkungen unterworfen werden können, sofern diese gesetzlich vorgesehen sind, einem oder
mehreren nach Artikel 10 legitimen Zielen entsprechen und in einer demokratischen Gesellschaft
notwendig sind, d. h. durch ein dringendes gesellschaftliches Bedürfnis gerechtfertigt sind und
insbesondere in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Ziel stehen (vgl. in
diesem Sinne Urteil vom 25. März 2004 in der Rechtssache C‑71/02, Karner, Slg. 2004, I‑3025,
Randnr. 50).
65 Im vorliegenden Fall ist die angebliche Beschränkung der Freiheit, Informationen zu empfangen, durch
die Notwendigkeit gerechtfertigt, die Rechte des geistigen Eigentums wie das Urheberrecht zu
schützen, die unter das Eigentumsrecht fallen.
66 Somit ist die Auffassung, dass die Freiheit der Meinungsäußerung verletzt werde, zurückzuweisen.
– Zur Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes
67 Laserdisken macht geltend, die Erschöpfungsregel des Artikels 4 Absatz 2 der Richtlinie 2001/29
könne den Gleichheitsgrundsatz verletzen. Als Beispiel dafür trägt sie vor, dass ein Hersteller und ein
Lizenzinhaber, die in einem Drittstaat ansässig seien, nicht einem Hersteller und einem Lizenzinhaber
gleichgestellt seien, die in der Gemeinschaft ansässig seien.
68 Nach ständiger Rechtsprechung verlangt der Grundsatz der Gleichbehandlung, dass vergleichbare
Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden,
sofern eine solche Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt ist (Urteil ABNA u. a., Randnr. 63 und die
dort zitierte Rechtsprechung).
69 Selbst wenn die Auffassung von Laserdisken als im vorliegenden Zusammenhang vertretbar
angesehen würde, ist nicht dargetan, dass die Anwendung von Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie zu einer
unterschiedlichen Behandlung zweier vergleichbarer Sachverhalte führt. Denn der Hersteller und der
Lizenzinhaber, die in einem Drittstaat ansässig sind, befinden sich zweifellos nicht in einer gleichen
oder vergleichbaren Lage wie der Hersteller und der Lizenzinhaber mit Sitz in der Gemeinschaft. In
Wirklichkeit macht Laserdisken geltend, dass offenkundig nicht vergleichbare Sachverhalte gleich
behandelt werden müssten.
70 Somit ist die Auffassung, dass der Gleichheitsgrundsatz verletzt werde, zurückzuweisen.
– Zur Verletzung der Artikel 151 EG und 153 EG
71 Nach Artikel 151 Absatz 1 EG leistet die Gemeinschaft einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der
Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie gleichzeitiger
Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes.
72 Artikel 153 Absatz 1 EG sieht u. a. vor, dass die Gemeinschaft zur Förderung der Interessen der
Verbraucher und zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus einen Beitrag zur
Förderung des Rechts der Verbraucher auf Information und Erziehung leistet.
73 Laserdisken macht, unterstützt von der polnischen Regierung, geltend, dass die Gemeinschaft mit
dem Erlass von Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 2001/29 diese Bestimmungen missachtet habe.
74 An erster Stelle ist festzustellen, dass mehrere Begründungserwägungen dieser Richtlinie entweder
ausdrücklich oder inhaltlich auf die genannten Bestimmungen Bezug nehmen.
75 So heißt es in der neunten und der elften Begründungserwägung der Richtlinie 2001/29, dass jede
Harmonisierung des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte von einem hohen Schutzniveau
ausgehen muss, da diese Rechte für das geistige Schaffen wesentlich sind, und eine rigorose und
wirksame Regelung zu ihrem Schutz eines der wichtigsten Instrumente ist, um die notwendigen Mittel
für das kulturelle Schaffen in Europa zu garantieren und die Unabhängigkeit und Würde der Urheber
und ausübenden Künstler zu wahren.
76 In der zwölften Begründungserwägung der Richtlinie 2001/29 wird festgestellt, dass ein
angemessener Schutz von urheberrechtlich geschützten Werken und sonstigen Schutzgegenständen
auch kulturell gesehen von großer Bedeutung ist und die Gemeinschaft nach Artikel 151 EG bei ihrer
Tätigkeit den kulturellen Aspekten Rechnung zu tragen hat.
77 Schließlich ist es nach der 14. Begründungserwägung der Richtlinie 2001/29 auch deren Ziel, Lernen
und kulturelle Aktivitäten durch den Schutz von Werken und sonstigen Schutzgegenständen zu
fördern, wobei allerdings Ausnahmen oder Beschränkungen im öffentlichen Interesse für den Bereich
Ausbildung und Unterricht vorgesehen werden müssen.
78 An zweiter Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2001/29 in ihrem Artikel 5 ein System von
Ausnahmen und Beschränkungen in Bezug auf die einzelnen in den Artikeln 2 bis 4 festgelegten
Rechte vorsieht, um den Mitgliedstaaten die Wahrnehmung ihrer Zuständigkeiten u. a. im Bereich
Ausbildung und Unterricht zu ermöglichen.
79 Im Übrigen sind für dieses System durch Artikel 5 Absatz 5 enge Grenzen festgesetzt worden, der
vorsieht, dass die genannten Ausnahmen und Beschränkungen nur in bestimmten Sonderfällen
angewandt werden dürfen, in denen die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen
Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers
nicht ungebührlich verletzt werden.
80 Nach alledem sind die den Mitgliedstaaten eigenen kulturellen Aspekte, auf die sich Laserdisken im
Wesentlichen beruft, und das Recht auf Bildung, dem der Gemeinschaftsgesetzgeber Rechnung zu
tragen hat, wenn er tätig wird, von den Gemeinschaftsorganen beim Entwurf und Erlass der Richtlinie
2001/29 voll und ganz berücksichtigt worden.
81 Das Vorbringen einer angeblichen Verletzung der Artikel 151 EG und 153 EG ist deshalb
zurückzuweisen.
82 Somit ist dem vorlegenden Gericht zu antworten, dass die Prüfung der ersten Frage nichts ergeben
hat, was die Gültigkeit von Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 2001/29 beeinträchtigen könnte.
Kosten
83 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem
vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses
Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind
nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:
1. Die Prüfung der ersten Vorlagefrage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von
Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts
und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft beeinträchtigen
könnte.
2. Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 2001/29 ist dahin auszulegen, dass er nationalen
Vorschriften entgegensteht, die die Erschöpfung des Verbreitungsrechts in Bezug
auf das Original oder auf Vervielfältigungsstücke eines Werks vorsehen, das vom
Rechtsinhaber oder mit dessen Zustimmung außerhalb der Europäischen
Gemeinschaft in den Verkehr gebracht wird.
Unterschriften
Verfahrenssprache: Dänisch.