Urteil des EuGH vom 17.11.1998
EuGH: gemeinschaftsrecht, regierung, kommission, verjährungsfrist, mitgliedstaat, innerstaatliches recht, auswärtige angelegenheiten, abgabe, nichtschuld, generalanwalt
WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES
17. November 1998
„Abgaben gleicher Wirkung — Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge — Nationale Verfahrensfristen“
In der Rechtssache C-228/96
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Giudice conciliatore Mailand (Italien) in dem
bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Aprile Srl in liquidazione
gegen
Amministrazione delle Finanze dello Stato
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Gemeinschaftsrechts im Bereich der
Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten P. J. G. Kapteyn und J.-P.
Puissochet (Berichterstatter) sowie
der Richter G. F. Mancini, J. C. Moitinho de Almeida, C. Gulmann, J. L. Murray, L. Sevón, M. Wathelet, R.
Schintgen und K. M. Ioannou,
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer
Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
— der Aprile Srl, vertreten durch die Rechtsanwälte Ernesto Beretta und Aldo Bozzi, Mailand,
— der italienischen Regierung, vertreten durch Professor Umberto Leanza, Leiter des Servizio del
contenzioso diplomatico des Außenministeriums, als Bevollmächtigten, Beistand: Avvocato dello Stato Ivo M.
Braguglia,
— der französischen Regierung, vertreten durch Catherine de Salins, Abteilungsleiterin in der Direktion für
Rechtsfragen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, und durch Gautier Mignot, Sekretär in
derselben Direktion, als Bevollmächtigte,
— der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch Assistant Treasury Solicitor John E. Collins
als Bevollmächtigten, Beistand: Barrister Nicholas Paines,
— der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Enrico Traversa, Juristischer Dienst,
als Bevollmächtigten,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Aprile Srl in liquidazione, vertreten durch Rechtsanwalt
Aldo Bozzi, der italienischen Regierung, vertreten durch Ivo M. Braguglia, der französischen Regierung,
vertreten durch Gautier Mignot, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch Stephanie
Ridley, Treasury Solicitor's Department, als Bevollmächtigte, und Nicholas Paines, sowie der Kommission,
vertreten durch Enrico Traversa, in der Sitzung vom 17. Februar 1998,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. April 1998,
folgendes
Urteil
1.
Der Giudice conciliatore Mailand hat mit Beschluß vom 25. Juni 1996, beim Gerichtshof eingegangen
am 28. Juni 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag vier Fragen nach der Auslegung des
Gemeinschaftsrechts im Bereich der Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge zur
Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Aprile Srl in liqidazione (im folgenden:
Klägerin) und der Amministrazione delle Finanze dello Stato (staatliche Finanzverwaltung; im
folgenden: Beklagte) wegen deren Weigerung, der Klägerin Abgaben zu erstatten, die sie anläßlich
von Zollhandlungen unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhoben hatte.
3.
Der Gerichtshof hat in den Urteilen vom 30. Mai 1989 in der Rechtssache 340/87
(Kommission/Italien, Slg. 1989, 1483) und vom 21. März 1991 in der Rechtssache C-209/89
(Kommission/Italien, Slg. 1991, I-1575) festgestellt, daß die Italienische Republik gegen die
Vertragsvorschriften über das Verbot von Abgaben gleicher Wirkung verstoßen hat, indem sie den
Wirtschaftsteilnehmern im innergemeinschaftlichen Handel die Kosten der Kontrollen und
Verwaltungsformalitäten während eines Teils der üblichen Öffnungszeiten der Zollstellen an den
Grenzübergängen, wie sie durch die Richtlinie 83/643/EWG des Rates vom 1. Dezember 1983 zur
Erleichterung der Kontrollen und Verwaltungsformalitäten im Güterverkehr zwischen den
Mitgliedstaaten (ABl. L 359, S. 8) in der Fassung der Richtlinie 87/53/EWG des Rates vom 15. Dezember
1986 (ABl. 1987, L 24, S. 33) festgelegt worden sind, auferlegt hat und indem sie für Dienstleistungen,
die mehreren Unternehmen bei der Erfüllung der Zollformalitäten im innergemeinschaftlichen
Handelsverkehr gleichzeitig erbracht worden sind, von jedem Unternehmen einzeln die Zahlung eines
Entgelts verlangt hat, das zu den Kosten der erbrachten Dienstleistungen außer Verhältnis steht.
4.
Die Italienische Republik kam diesen Urteilen dadurch nach, daß sie ihre Regelung mit Wirkung vom
13. Juni 1991 und 1. November 1992 anpaßte. Diese Maßnahmen betrafen jedoch nicht Sachverhalte
vor deren Inkrafttreten und insbesondere auch nicht den Fall, daß die Verwaltung die Beträge, die die
Zollstellen unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhoben hatten, den betroffenen
Wirtschaftsteilnehmern zu erstatten hat.
5.
In diesem Zusammenhang kam es zu dem beim Giudice conciliatore Mailand anhängigen
Rechtsstreit; dieser legte dem Gerichtshof mit einem früheren Vorabentscheidungsersuchen
insbesondere die Frage vor, ob die vorgenannte Richtlinie 83/643 in der durch die Richtlinie 87/53
geänderten Fassung sowie die Bestimmungen des Vertrages über das Verbot von Abgaben gleicher
Wirkung auf den Handel mit Drittländern anwendbar sind.
6.
Mit Urteil vom 5. Oktober 1995 in der Rechtssache C-125/94 (Aprile, Slg. 1995, I-2919; im folgenden:
Urteil Aprile I) entschied der Gerichtshof, daß die Richtlinie 83/643 in der Fassung der Richtlinie 87/53
nicht auf Zollhandlungen in bezug auf
Waren aus Drittländern anwendbar ist und daß die Mitgliedstaaten nicht einseitig Abgaben gleicher
Wirkung im Handel mit Drittländern erheben dürfen.
7.
Im Anschluß an das Urteil Aprile I hatte das vorlegende Gericht eine von der Beklagten erhobene
Einrede zu prüfen, mit der sie sich darauf berief, daß der von der Klägerin geltend gemachte
Erstattungsanspruch nach Artikel 29 des italienischen Gesetzes Nr. 428/1990 vom 29. Dezember 1990
(Gemeinschaftsgesetz für 1990, GURI Nr. 10 vom 12. Januar 1991) über die „Erstattung von Abgaben,
die mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sind“, verjährt sei. Artikel 29 Absatz 1 lautet:
„Die in Artikel 91 des Testo unico über das Zollrecht vorgesehene fünfjährige Ausschlußfrist ... gilt für
alle Anträge und Klagen, mit denen die Erstattung von Beträgen begehrt wird, die im Zusammenhang
mit Zollhandlungen gezahlt wurden. Ab dem 90. Tag nach Inkrafttreten dieses Gesetzes verkürzen sich
diese Frist und die in Artikel 84 des Testo unico vorgesehene Verjährungsfrist auf drei Jahre.“
8.
Hierzu führt der Giudice conciliatore Mailand insbesondere aus, daß diese Vorschriften zwar wie
Vorschriften zur Auslegung der bestehenden Rechtsvorschriften gefaßt seien, jedoch in Wirklichkeit
diese Rechtsvorschriften, wie sie von der Corte suprema di cassazione ausgelegt worden seien,
hätten ändern sollen. Nach deren Rechtsprechung gelte nämlich die fünfjährige Ausschlußfrist des
Zollrechts nur für Fälle „von Rechenfehlern bei der Feststellung der Abgabe oder der Erhebung einer
anderen als der im Tarif festgesetzten Abgabe“, während für Klagen auf Erstattung von unter Verstoß
gegen das Gemeinschaftsrecht erhobenen und deshalb nicht geschuldeten Beträgen, die eine
„objektive Nichtschuld“ im Sinne von Artikel 2033 des Codice Civile darstellten, der allgemeinen
zehnjährigen Verjährungsfrist des Artikels 2946 des Codice Civile unterlägen.
9.
Da der Giudice conciliatore Mailand Zweifel an der Vereinbarkeit der streitigen Vorschriften mit
mehreren Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts hat, hat er dem Gerichtshof folgende neuen Fragen
zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Stehen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des effektiven Schutzes der aus dem
Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte sowie der Grundsatz, daß diese Rechte hinsichtlich des
Rechtsschutzes nicht diskriminiert werden dürfen (wonach das innerstaatliche Verfahren nicht
ungünstiger gestaltet sein darf und die Ausübung dieser Rechte jedenfalls nicht übermäßig
erschweren darf), die der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung entwickelt hat, der Einführung
nationaler Vorschriften wie Artikel 29 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 428 vom 29. Dezember 1990
entgegen, der scheinbar als Auslegungsnorm formuliert ist und daher rückwirkende Kraft hat, der
aber in Wirklichkeit die bisher geltende allgemeine (zehnjährige) Verjährungsfrist durch eine
(fünfjährige) Ausschlußfrist ersetzt hat und diese Fristen im Rahmen der weiteren Verkürzung der
Ausschlußfrist auf drei Jahre als im Zeitpunkt seines Inkrafttretens bereits laufende Fristen behandelt
und der
dadurch ohne erkennbaren Grund auch von dem in Artikel 252 der Durchführungs- und
Übergangsvorschriften zum Codice Civile genannten allgemeinen Grundsatz abweicht, wonach immer
dann, wenn die Ausübung eines Rechtes einer kürzeren Frist unterworfen wird, als sie in den älteren
Gesetzen vorgesehen war, die neue, auch auf die Ausübung bereits bestehender Rechte anwendbare
Frist erst ab Inkrafttreten der neuen Vorschrift zu laufen beginnt?
2. Steht der Grundsatz, wonach das Verfahren für den Schutz der aus dem Gemeinschaftsrecht
erwachsenden Rechte durch die innerstaatlichen Vorschriften nicht ungünstiger gestaltet werden darf
als das Verfahren für gleichartige Klagen, die das innerstaatliche Recht betreffen (Urteile vom 16.
Dezember 1976 in der Rechtssache 33/76, Rewe, Slg. 1976, 1989, und in der Rechtssache 45/76,
Comet, Slg. 1976, 2043, auch in weiteren späteren Urteilen bekräftigt), der Einführung einer
nationalen Vorschrift entgegen, die wie Artikel 29 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 428 vom 29. Dezember
1990 scheinbar die Fristen für die Erstattung von im Zusammenhang mit Zollhandlungen gezahlten
Beträgen vereinheitlichen soll, die aber in Wirklichkeit (wie aus der Überschrift und dem Wortlaut der
Vorschrift selbst klar hervorgeht) bewirkt, daß die zuvor in Artikel 91 des Zollgesetzes vorgesehenen
Ausschlußfristen (die nur für Berechnungsfehler oder die Erhebung einer anderen als der tariflich
festgesetzten Abgabe galten) auf die auf einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht
zurückführbare objektive Nichtschuld ausgedehnt werden, während für gleichartige Klagen auf
Erstattung der objektiven Nichtschuld des allgemeinen innerstaatlichen Rechts (Artikel 2033 Codice
Civile) die zehnjährige Verjährungsfrist gilt?
3. Ist der vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-208/90 (Emmott,
Slg. 1991, I-4269) aufgestellte Grundsatz, daß sich der säumige Mitgliedstaat bis zum Zeitpunkt der
ordnungsgemäßen Umsetzung einer EWG-Richtlinie nicht auf die Verspätung einer Klage berufen
kann, die ein einzelner zum Schutz der ihm durch die Bestimmungen dieser Richtlinie verliehenen
Rechte gegen ihn erhoben hat, und daß eine Klagefrist des nationalen Rechts erst zu diesem
Zeitpunkt beginnen kann, als Ausgestaltung des Grundsatzes der Rechtssicherheit für das nationale
Gericht ebenso verbindlich wie das geschriebene Gemeinschaftsrecht?
4. Falls die dritte Frage bejaht wird: Hat dieser im Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-
208/90 aufgestellte Grundsatz als konkrete Ausgestaltung eines der tragenden Grundsätze des
Gemeinschaftsrechts unmittelbare und allgemeine Wirkung, d. h. ist er unmittelbar anwendbar und
kann sich ein einzelner vor den nationalen Gerichten auch in allen anderen Fällen der nicht
ordnungsgemäßen Umsetzung einer Richtlinie — wie z. B. in dem Fall, der Gegenstand des Urteils vom
30. Mai 1989 in der Rechtssache 340/87
(Kommission/Italien, Slg. 1989, 1483) war und die Richtlinie 83/643/EWG betraf — und jedenfalls immer
dann darauf berufen, wenn nationale Rechtsvorschriften beibehalten oder eingeführt werden, die eine
Regelung vorsehen, die von den unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsvorschriften abweicht — wie
z. B. von den Vorschriften des Vertrages über das Verbot von Abgaben gleicher Wirkung und über den
Gemeinsamen Zolltarif, die Gegenstand der Urteile des Gerichtshofes vom 21. März 1991 in der
Rechtssache C-209/89 (Kommission/Italien, Slg. 1991, I-1575) und vom 5. Oktober 1995 in der
Rechtssache C-125/94 (Aprile, Slg. 1995, I-2919) waren und nationale Vorschriften betrafen, die unter
Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht dem Wirtschaftsteilnehmer die Zahlung nicht geschuldeter
Abgaben in Situationen (wie z. B. bei der Zollabfertigung von Waren) auferlegten, in denen er sich
dieser Zahlung nicht widersetzen konnte? Kann sich also der Mitgliedstaat, der seiner Verpflichtung
zur Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften, die unmittelbare Geltung besitzen, nicht
nachgekommen ist, für die Zeit, in der die unvereinbaren nationalen Vorschriften beibehalten wurden,
auf den Ablauf von Ausschluß- oder Verjährungsfristen berufen?
Zur Zulässigkeit der Vorabentscheidungsfragen
10.
Die französische Regierung bezweifelt die Zulässigkeit der Vorabentscheidungsfragen. Ihrer Ansicht
nach steht die Tragweite der streitigen Bestimmungen nicht fest; lege man sie dahin aus, daß die
Erstattungsklage der Klägerin fristgerecht erhoben worden sei, so sei die Beantwortung der
vorgelegten Fragen für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht erforderlich.
11.
Hierzu ist lediglich festzustellen, daß es dem vorlegenden Gericht obliegt, die Tragweite der
nationalen Bestimmungen und die Art und Weise ihrer Anwendung zu beurteilen (vgl. u. a. Urteil vom
7. Dezember 1995 in der Rechtssache C-45/94, Ayuntamiento de Ceuta, Slg. 1995, I-4385, Randnr.
26). Da das vorlegende Gericht am besten in der Lage ist, im Hinblick auf die Besonderheiten
derRechtsstreitigkeiten die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlaß seines Urteils
einzuschätzen, können die Vorlagefragen nicht deshalb als unzulässig angesehen werden, weil die
streitigen Bestimmungen in einer bestimmten Weise ausgelegt werden könnten (vgl. entsprechend
Urteil vom 30. April 1996 in der Rechtssache C-194/94 (CIA Security International, Slg. 1996, I-2201,
Randnr. 20).
12.
Daher sind die Fragen des vorlegenden Gerichts zu prüfen.
Zur ersten und zur zweiten Frage
13.
Mit seinen ersten beiden Fragen möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob das
Gemeinschaftsrecht der Anwendung einer nationalen Bestimmung entgegensteht, die bei allen
zollrechtlichen Erstattungsklagen die für Klagen auf Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge
vorgesehene allgemeine zehnjährige
Verjährungsfrist durch eine besondere — zunächst fünfjährige und später dreijährige — Ausschlußfrist
ersetzt.
14.
Nach Ansicht der Klägerin sind diese Fragen zu bejahen, da die rückwirkend geltende streitige
Bestimmung den früheren Bestimmungen des Codice Civile und des Zollrechts, wie sie von der Corte
suprema di cassazione ausgelegt worden seien, grundlegend widerspreche. Diese habe nämlich
entschieden, daß eine Klage auf Erstattung von Beträgen, die aus gemeinschaftsrechtlichen, auf dem
Fehlen einer Besteuerungsgewalt beruhenden Gründen rechtsgrundlos gezahlt worden seien, den
allgemeinen Verjährungsvorschriften des Codice Civile und nicht der besonderen Ausschlußfrist des
Steuer- oder Zollrechts unterliege, die nur für Klagen auf Erstattung von Beträgen gelte, die wegen
Rechenfehlern oder einer fehlerhaften Anwendung des Tarifs zuviel gezahlt worden seien.
15.
Die italienische und die französische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs
machen hingegen geltend, daß die Ausschlußfrist, die die streitige Bestimmung vorschreibe, bei
weitem ausreiche, um die Ausübung der aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte nicht
praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren, und daß diese Frist gleichermaßen für
alle zollrechtlichen Erstattungsklagen unabhängig davon gelte, ob sie auf das nationale Recht oder
auf das Gemeinschaftsrecht gestützt seien. Die italienische Regierung führt aus, daß dieselbe
Dreijahresfrist nach nationalem Recht für verschiedene Abgaben gelte und daß das
Gemeinschaftsrecht für die Erstattung oder den Erlaß von Zöllen die gleiche Frist vorsehe. Sie beruft
sich außerdem auf die jüngste Rechtsprechung der Corte suprema di cassazione, die bei Klagen auf
Erstattung von aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen rechtsgrundlos gezahlten Beträgen die
besondere Ausschlußfrist des nationalen Steuerrechts und nicht die allgemein für Klagen auf
Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge geltende Verjährungsfrist angewandt habe.
16.
Die Kommission verweist auf ihre Erklärungen in der Rechtssache C-231/96 (Urteil vom 15.
September 1998, Edis, Slg. 1998, I-0000) und schlägt vor, die vorgelegten Fragen neu zu formulieren.
Diese gingen dahin, ob das Gemeinschaftsrecht nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehe, die für
Klagen auf Erstattung von Abgaben, die anläßlich von Zollhandlungen gezahlt und als mit dem
Gemeinschaftsrecht unvereinbar anerkannt worden seien, eine Ausschlußfrist vorsähen, die die
Existenz einer Besteuerungsgewalt und einer Steuerforderung des Staates voraussetze, nicht aber
eine Verjährungsfrist, die nach demselben Recht auf den Fall der objektiven Nichtschuld anwendbar
sei, die sich daraus ergebe, daß es an einer solchen Gewalt und einer solchen Forderung gerade
fehle. Zur Beantwortung dieser Frage weist die Kommission insbesondere darauf hin, daß der
nationale Gesetzgeber nach dem Urteil vom 29. Juni 1988 in der Rechtssache 240/87 (Deville, Slg.
1988, 3513) nicht nach Verkündung eines Urteils des Gerichtshofes, durch das bestimmte
Rechtsvorschriften für mit dem Vertrag unvereinbar erklärt würden, eine Verfahrensregel erlassen
könne, die speziell die
Möglichkeiten einschränke, auf Erstattung der Abgaben zu klagen, die aufgrund dieser
Rechtsvorschriften zu Unrecht erhoben worden seien.
17.
Wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, zeigt ein Vergleich der einzelstaatlichen
Regelungen, daß die Anfechtung rechtswidriger Abgabenerhebungen oder die Erstattung
rechtsgrundlos gezahlter Abgaben in den einzelnen Mitgliedstaaten und sogar innerhalb desselben
Mitgliedstaats je nach der Art der Steuern und Abgaben unterschiedlich geregelt ist. In einigen Fällen
gibt es für derartige Anfechtungen oder Ansprüche gesetzliche Form- und Fristvorschriften sowohl für
bei der Steuerverwaltung einzulegende Rechtsbehelfe als auch für Klagen. In anderen Fällen sind
Klagen auf Erstattung von rechtsgrundlos gezahlten Abgaben vor den ordentlichen Gerichten
insbesondere als Klagen auf Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung zu erheben, wobei
die Ausschlußfristen für diese Klagen unterschiedlich lang sind und in manchen Fällen der
allgemeinem Verjährungsfrist entsprechen (vgl. Urteile vom 27. Februar 1980 in der Rechtssache
68/79, Just, Slg. 1980, 501, Randnrn. 22 und 23, vom 27. März 1980 in der Rechtssache 61/79,
Denkavit italiana, Slg. 1980, 1205, Randnrn. 23 und 24, vom 10. Juli 1980 in der Rechtssache 811/79,
Ariete, Slg. 1980, 2545, Randnrn. 10 und 11, und in der Rechtssache 826/79, Mireco, Slg. 1980, 2559,
Randnrn. 11 und 12).
18.
Diese Unterschiedlichkeit der nationalen Regelungen beruht insbesondere darauf, daß es keine
Gemeinschaftsregelung über die Erstattung rechtsgrundlos erhobener nationaler Abgaben gibt. Die
Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung von Verfahren, die den Schutz der dem
Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, ist daher Sache der
innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, wobei diese Verfahren nicht weniger
günstig gestaltet sein dürfen als bei entsprechenden Klagen, die nur innerstaatliches Recht betreffen
(Äquivalenzgrundsatz), und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen
Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (Effektivitätsgrundsatz)
(vgl. zuletzt Urteile Edis, a. a. O., Randnrn. 19 und 34, und vom 15. September 1998 in der
Rechtssache C-260/96, Spac, Slg. 1998, I-0000, Randnr. 18).
19.
Zum Effektivitätsgrundsatz hat der Gerichtshof entschieden, daß die Festsetzung angemessener
Ausschlußfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit, die zugleich den
Abgabepflichtigen und die Behörde schützt, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist (Urteile vom 16.
Dezember 1976 in der Rechtssache 33/76, Rewe, Slg. 1976, 1989, Randnr. 5, und in der Rechtssache
45/76, Comet, Slg. 1976, 2043, Randnrn. 17 und 18, Denkavit italiana, a. a. O., Randnr. 23; vgl. auch
Urteile vom 10. Juli 1997 in der Rechtssache C-261/95, Palmisani, Slg. 1997, I-4025, Randnr. 28, und
vom 17. Juli 1997 in der Rechtssache C-90/94, Haahr Petroleum, Slg. 1997, I-4085, Randnr. 48). Solche
Fristen sind nämlich nicht geeignet, die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung
verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren. Unter diesem
Gesichtspunkt erscheint eine nationale Ausschlußfrist von drei Jahren, die
mit dem Zeitpunkt der fraglichen Zahlung beginnt, angemessen (vgl. Urteile Edis, Randnr. 35, und
Spac, Randnr. 19).
20.
Die Wahrung des Äquivalenzgrundsatzes setzt voraus, daß die streitige Ausgestaltung in gleicher
Weise für auf die Verletzung des Gemeinschaftsrechts wie auf die Verletzung des innerstaatlichen
Rechts gestützte Klagen gilt, sofern es sich um dieselbe Art von Abgaben oder Gebühren handelt.
Dieser Grundsatz kann jedoch nicht so verstanden werden, daß er die Mitgliedstaaten verpflichtet, die
günstigste interne Erstattungsregelung auf alle Klagen auf Erstattung von Abgaben und Gebühren zu
erstrecken, die unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhoben worden sind (Urteile Edis,
Randnr. 36, und Spac, Randnr. 20).
21.
Somit steht das Gemeinschaftsrecht Vorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegen, die neben
einer allgemeinen Verjährungsfrist, die für Klagen gegen Private auf Erstattung rechtsgrundlos
gezahlter Beträge gilt, bei Steuern und sonstigen Abgaben besondere, weniger günstige Beschwerde-
und Klagemodalitäten vorsehen. Dies wäre nur dann anders, wenn diese Modalitäten nur für Klagen
auf Erstattung solcher Steuern oder Abgaben gelten würden, die auf das Gemeinschaftsrecht
gestützt werden (Urteile Edis, Randnr. 37, und Spac, Randnr. 21).
22.
Im vorliegenden Fall gilt die Ausschlußfrist ausdrücklich für alle Anträge und Klagen auf Erstattung
von im Zusammenhang mit Zollhandlungen gezahlten Beträgen. Darüber hinaus gilt eine
vergleichbare Frist nach den unbestrittenen Angaben der italienischen Regierung auch für Klagen auf
Erstattung einer bestimmten Anzahl indirekter Abgaben. Wie der Generalanwalt in Nummer 31 seiner
Schlußanträge ausgeführt hat, gilt diese Frist somit unterschiedslos für alle — gleich, auf welcher
Grundlage erhobenen — Klagen auf Erstattung derartiger Abgaben und kann daher nicht als Verstoß
gegen den Äquivalenzgrundsatz angesehen werden.
23.
Die Kommission hat allerdings unter Bezugnahme auf ihre Erklärungen in der Rechtssache, in der
das Urteil Edis ergangen ist, geltend gemacht, daß die streitige Bestimmung die Corte suprema di
cassazione zu einer Änderung ihrer Rechtsprechung veranlaßt habe, da sie bisher die Anwendung von
Ausschlußfristen wie der streitigen auf die Fälle irriger Berechnung von Abgaben beschränkt habe.
Indem diese Bestimmung, so wie sie von der italienischen Corte suprema di cassazione ausgelegt
worden sei, für die Erstattung gezahlter Beträge die in Artikel 29 des Gesetzes Nr. 428/1990 genannte
dreijährige Ausschlußfrist und nicht die zehnjährige allgemeine Verjährungsfrist vorsehe, habe sie
spezifisch die Möglichkeit der Betroffenen eingeschränkt, auf Erstattung einer Abgabe zu klagen, die
unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhoben worden sei. Das verstoße gegen die Urteile
vom 2. Februar 1988 in der Rechtssache 309/85 (Barra, Slg. 1988, 355) und Deville.
24.
Im Urteil Barra (Randnr. 19) hat der Gerichtshof entschieden, daß das Gemeinschaftsrecht einer
nationalen Vorschrift entgegensteht, nach der nur diejenigen Antragsteller die Erstattung einer vom
Gerichtshof für vertragswidrig erklärten Abgabe verlangen können, die vor Erlaß des betreffenden
Urteils eine Erstattungsklage eingereicht haben. Eine solche Bestimmung nimmt nämlich den
natürlichen oder juristischen Personen, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, ohne weiteres das
Recht auf Erstattung der rechtsgrundlos gezahlten Beträge und hindert sie damit, die ihnen vom
Gemeinschaftsrecht eingeräumten Rechte geltend zu machen.
25.
Desgleichen hat der Gerichtshof im Urteil Deville für Recht erkannt, daß der nationale Gesetzgeber
nicht nach Verkündung eines Urteils des Gerichtshofes, durch das bestimmte Rechtsvorschriften für
mit dem Vertrag unvereinbar erklärt werden, eine Verfahrensregel erlassen kann, die speziell die
Möglichkeiten einschränkt, auf Erstattung der Abgaben zu klagen, die aufgrund dieser
Rechtsvorschriften zu Unrecht erhoben worden sind.
26.
Aus diesen Urteilen ergibt sich, daß ein Mitgliedstaat keine Bestimmungen erlassen darf, die die
Erstattung einer Abgabe, die durch ein Urteil des Gerichtshofes für gemeinschaftsrechtswidrig erklärt
worden ist oder deren Unvereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht sich aus einem solchen Urteil
ergibt, Voraussetzungen unterwerfen, die speziell diese Abgabe betreffen und die ungünstiger sind
als diejenigen, die auf die Erstattung der fraglichen Steuer anwendbar gewesen wären, wenn diese
Bestimmung nicht erlassen worden wäre.
27.
Wie der Generalanwalt in Nummer 45 seiner Schlußanträge ausgeführt hat, unterscheidet sich der
Sachverhalt in der vorliegenden Rechtssache ganz erheblich von den Fällen, die den vorgenannten
Urteilen zugrunde lagen.
28.
Zunächst wird die Frist, innerhalb deren die Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge verlangt
werden kann, durch die streitige Bestimmung zwar erheblich verkürzt, doch reicht sie aus, um die
Effektivität des Erstattungsanspruchs zu gewährleisten. Insoweit ergibt sich aus den vor dem
Gerichtshof abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen, daß die italienischen Gerichte,
darunter auch die Corte suprema di cassazione, diese Bestimmung dahin ausgelegt haben, daß die
Erstattung innerhalb von drei Jahren nach ihrem Inkrafttreten verlangt werden kann. Daher kann
dieser Bestimmung keine tatsächliche Rückwirkung beigemessen werden.
29.
Schließlich gilt diese Frist nicht nur für eine bestimmte Art von Abgaben, deren Unvereinbarkeit mit
dem Gemeinschaftsrecht bereits festgestellt worden wäre, sondern für eine ganze Reihe
innerstaatlicher Abgaben und Steuern, für die die Verjährungs- und Ausschlußfristen einheitlich
geregelt wurden.
30.
Schließlich wurde das streitige Gesetz zwar nach dem Urteil vom 30. Mai 1989 (Kommission/Italien),
jedoch vor dem Urteil vom 21. März 1991 (Kommission/Italien) und vor dem Urteil Aprile I erlassen.
31.
Daher kann diese Regelung nicht als Maßnahme betrachtet werden, die speziell die Auswirkungen
der Feststellungen begrenzen soll, die der Gerichtshof in diesen Urteilen getroffen hat. Wie bereits in
Randnummer 22 festgestellt, gilt die streitige Bestimmung für alle Anträge und Klagen auf Erstattung
von im Zusammenhangmit Zollhandlungen gezahlten Beträgen, und zwar unabhängig davon, aus
welchem Grund die Erstattung verlangt wird, und sie setzt eine vergleichbare Ausschlußfrist fest, wie
sie bereits zuvor für verschiedene Abgaben vorgesehen war.
32.
Im übrigen bezogen sich die Feststellungen in dem einzigen vor Erlaß dieser Bestimmung
ergangenen Urteil vom 30. Mai 1989 (Kommission/Italien) ganz konkret darauf, daß den
Wirtschaftsteilnehmern im innergemeinschaftlichen Handel die Kosten der Kontrollen und
Verwaltungsformalitäten während eines Teils der üblichen Öffnungszeiten der Zollstellen an den
Grenzübergängen auferlegt worden waren. Wie sich jedoch aus Randnummer 19 des Urteils Aprile I
ergibt, steht fest, daß ein Teil der von der Klägerin eingeführten Waren, auf die die Abgaben erhoben
worden sind, deren Erstattung sie beantragt, aus Drittländern stammten. Außerdem wurde, wie der
Generalanwalt in Nummer 19 seiner Schlußanträge in dieser Rechtssache ausgeführt hat, im
Ausgangsverfahren klar hervorgehoben, daß es gerade um Gebühren als Gegenleistung für
Zolldienste außerhalb der allgemeinen Dienstzeit ging.
33.
Daraus folgt, daß die Urteile Barra und Deville auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar sind.
34.
Auf die ersten beiden Fragen ist somit zu antworten, daß das Gemeinschaftsrecht der Anwendung
einer nationalen Bestimmung nicht entgegensteht, nach der die allgemein für Klagen auf Erstattung
rechtsgrundlos gezahlter Beträge vorgesehene zehnjährige Verjährungsfrist bei allen zollrechtlichen
Erstattungsklagen durch eine besondere — zunächst fünfjährige und später dreijährige —
Ausschlußfrist ersetzt wird, sofern diese mit der bereits für verschiedene Abgaben geltenden
Ausschlußfrist vergleichbare Frist gleichermaßen für alle Klagen auf Erstattung von Abgaben
unabhängig davon gilt, ob sie auf das Gemeinschaftsrecht oder auf das innerstaatliche Recht gestützt
werden.
Zur dritten und zur vierten Frage
35.
Mit seiner dritten und seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht unter Bezugnahme auf
das Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-208/90 (Emmott, Slg. 1991, I-4269) im wesentlichen
wissen, ob das Gemeinschaftsrecht es einem Mitgliedstaat verwehrt, Klagen auf Erstattung von
Abgaben, die unter Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen erhoben wurden, eine
nationale Ausschlußfrist entgegenzuhalten, solange dieser Mitgliedstaat seine nationalen
Rechtsvorschriften noch nicht dahin geändert hat, daß sie mit diesen Bestimmungen vereinbar sind.
36.
Nach Ansicht der Klägerin sind diese Fragen zu bejahen, da der im Urteil Emmott entwickelte
Grundsatz sehr weit auszulegen sei und auf alle ähnlichen Fälle übertragbar sei, in denen
gemeinschaftsrechtswidrige nationale Bestimmungen den Bürger daran hinderten, von seinen
Rechten Kenntnis zu erlangen.
37.
Die italienische und die französische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs
machen hingegen geltend, daß dieser Grundsatz auf einen Fall wie den des Ausgangsverfahrens nicht
anwendbar sei, in dem die geltend gemachten Rechte nicht auf den Vorschriften einer Richtlinie,
sondern auf den Bestimmungen des Vertrages, auf völkerrechtlichen Verträgen oder auf
Verordnungen der Gemeinschaft beruhten. Ihrer Ansicht nach geht aus den Urteilen vom 27. Oktober
1993 in der Rechtssache C-338/91 (Steenhorst-Neerings, Slg. 1993, I-5475) und vom 6. Dezember
1994 in der Rechtssache C-410/92 (Johnson, Slg. 1994, I-5483) eindeutig hervor, daß die
Entscheidung im Urteil Emmott durch die besonderen Umstände jenes Falles gerechtfertigt gewesen
sei und daß sie keinesfalls Ausdruck eines tragenden Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts sei.
38.
Die Kommission hat zunächst geltend gemacht, daß sich die Urteile Steenhorst-Neerings und
Johnson auf Beschwerden bezögen, in denen es um zu Unrecht verweigerte Sozialleistungen
gegangen sei; folglich seien sie im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Deshalb müsse das Urteil
Emmott auf Klagen auf Erstattung von unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhobenen
Abgaben angewandt werden, da andernfalls der säumige Mitgliedstaat einen Vorteil aus der von ihm
begangenen Vertragsverletzung ziehen würde. In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission
diese Auffassung jedoch nicht mehr vertreten; ihr stehe das Urteil vom 2. Dezember 1997 in der
Rechtssache C-188/95 (Fantask u. a., Slg. 1997, I-6783) entgegen.
39.
Nach der auf die ersten beiden Fragen gegebenen Antwort verwehrt das Gemeinschaftsrecht es
einem Mitgliedstaat grundsätzlich nicht, sich gegenüber Klagen auf Erstattung von Abgaben, die unter
Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhoben worden sind, auf eine dreijährige nationale
Ausschlußfrist zu berufen.
40.
Zwar hat der Gerichtshof im Urteil Emmott (Randnr. 23) entschieden, daß sich der säumige
Mitgliedstaat bis zum Zeitpunkt der ordnungsgemäßen Umsetzung der Richtlinie nicht auf die
Verspätung einer Klage berufen kann, die ein einzelner zur Wahrung der ihm durch die Bestimmungen
einer Richtlinie verliehenen Rechte gegen ihn erhoben hat, und daß eine Klagefrist des nationalen
Rechts erst von diesem Zeitpunkt an läuft.
41.
Doch ergibt sich, wie im Urteil Johnson (Randnr. 26) bestätigt worden ist, aus dem Urteil
Steenhorst-Neerings, daß die Entscheidung in der Rechtssache Emmott durch die besonderen
Umstände jenes Falles gerechtfertigt war, in dem der Klägerin des Ausgangsverfahrens durch den
Ablauf der Klagefrist jede Möglichkeit genommen war, ihren auf die Richtlinie gestützten Anspruch auf
Gleichbehandlung geltend zu machen (vgl. auch Urteile Haahr Petroleum, Randnr. 52, und vom 17. Juli
1997 in den Rechtssachen C-114/95 und C-115/95, Texaco und Olieselskabet Danmark, Slg. 1997, I-
4263, Randnr. 48).
42.
So hat der Gerichtshof im Urteil Fantask u. a. entschieden, daß das Gemeinschaftsrecht es einem
Mitgliedstaat, der die Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten
Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat, nicht
verwehrt, sich gegenüber Klagen auf Erstattung von Abgaben, die unter Verstoß gegen diese
Richtlinie erhoben worden sind, auf eine fünfjährige nationale Verjährungsfrist, die vom Zeitpunkt der
Fälligkeit der betreffenden Forderungen an läuft, zu berufen.
43.
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Akten und der mündlichen Verhandlung nicht, daß das
Verhalten der italienischen Behörden zusammen mit der streitigen Frist wie in der Rechtssache
Emmott dazu geführt hätte, daß der Klägerin jede Möglichkeit genommen worden wäre, ihre Rechte
vor den nationalen Gerichten geltend zu machen.
44.
Darüber hinaus geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteile Haahr Petroleum, Randnr.
53, und Texaco und Olieselskabet Danmark, Randnr. 49) hervor, daß die Entscheidung im Urteil
Emmott nicht auf Erstattungsansprüche anwendbar ist, die nicht auf die unmittelbare Wirkung einer
Richtlinie gestützt werden. Wenngleich sich der Gerichtshof im Urteil Aprile I zum Geltungsbereich der
Richtlinie 87/53 geäußert hat, ergibt sich doch aus den Akten, daß die Unvereinbarkeit der streitigen
Abgaben mit dem Gemeinschaftsrecht nicht auf einer Nichtdurchführung oder fehlerhaften Umsetzung
dieser Richtlinie, sondern auf der Verletzung von Vertragsbestimmungen oder anderer unmittelbar
anwendbarer Gemeinschaftshandlungen beruht.
45.
Daher ist auf die dritte und die vierte Frage zu antworten, daß das Gemeinschaftsrecht es einem
Mitgliedstaat unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht verwehrt, sich gegenüber
Klagen auf Erstattung von Abgaben, die unter Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen
erhoben wurden, auf eine nationale Ausschlußfrist zu berufen, auch wenn dieser Mitgliedstaat seine
nationalen Rechtsvorschriften noch nicht dahin geändert hat, daß sie mit diesen Bestimmungen
vereinbar sind.
Kosten
46.
Die Auslagen der italienischen und der französischen Regierung, der Regierung des Vereinigten
Königreichs sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht
erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in
dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache
dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Giudice Conciliatore Mailand mit Beschluß vom 25. Juni 1996 vorgelegten Fragen für
Recht erkannt:
1. Das Gemeinschaftsrecht steht der Anwendung einer nationalen Bestimmung nicht
entgegen, nach der die allgemein für Klagen auf Erstattung rechtsgrundlos gezahlter
Beträge vorgesehene zehnjährige Verjährungsfrist bei allen zollrechtlichen
Erstattungsklagen durch eine besondere — zunächst fünfjährige und später dreijährige —
Ausschlußfrist ersetzt wird, sofern diese mit der bereits für verschiedene Abgaben
vorgesehenen Ausschlußfrist vergleichbare Frist gleichermaßen für alle Klagen auf
Erstattung von Abgaben unabhängig davon gilt, ob sie auf das Gemeinschaftsrecht oder
auf das innerstaatliche Recht gestützt werden.
2. Das Gemeinschaftsrecht verwehrt es einem Mitgliedstaat unter Umständen wie denen
des Ausgangsverfahrens nicht, sich gegenüber Klagen auf Erstattung von Abgaben, die
unter Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen erhoben wurden, auf eine
nationale Ausschlußfrist zu berufen, auch wenn dieser Mitgliedstaat seine nationalen
Rechtsvorschriften noch nicht dahin geändert hat, daß sie mit diesen Bestimmungen
vereinbar sind.
Rodríguez Iglesias
Kapteyn
Puissochet
Mancini
Moitinho de Almeida
Gulmann
Murray
Sevón
Wathelet
Schintgen
Ioannou
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. November 1998.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias
Verfahrenssprache: Italienisch.