Urteil des EuG vom 24.09.1998

EuG: verordnung, kommission, rat der europäischen union, gericht erster instanz, klagerücknahme, auszahlung, quittung, verzicht, verfahrensordnung, unterzeichnung

URTEIL DES GERICHTS (Erste Kammer)
24. September 1998
„Schadensersatzklage — Außervertragliche Haftung — Milch — Zusatzabgabe — Erzeuger, die
Nichtvermarktungs- oder Umstellungsverpflichtungen eingegangen sind — Entschädigung — Verordnung
(EWG) Nr. 2187/93 — Zinsen“
In der Rechtssache T-112/95
Peter Dethlefs und 38 andere Landwirte,
Mechtild Düsing, Dietrich Manstetten, Frank Schulze und Winfried Haneklaus, Münster, Zustellungsanschrift:
Kanzlei Dupong et Dupong, 4-6, rue de la Boucherie, Luxemburg,
Kläger,
gegen
Rat der Europäischen Union
Zustellungsbevollmächtigter: Alessandro Morbilli, Generaldirektor der Direktion für Rechtsfragen der
Europäischen Investitionsbank, 100, boulevard Konrad Adenauer, Luxemburg,
und
Kommission der Europäischen Gemeinschaften,
Bevollmächtigten, Beistände: Rechtsanwälte Hans-Jürgen Rabe und
Georg M. Berrisch, Hamburg und Brüssel, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer
Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
Beklagte,
wegen Verurteilung der Beklagten gemäß Artikel 178 und 215 Absatz 2 EG-Vertrag zur Zahlung von Zinsen in
Höhe von 8 % des den Klägern nach der Verordnung (EWG) Nr. 2187/93 des Rates vom 22. Juli 1993 über
das Angebot einer Entschädigung an bestimmte Erzeuger von Milch oder Milcherzeugnissen, die
vorübergehend an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert waren (ABl. L 196, S. 6), gezahlten
Entschädigungsbetrags zuzüglich Verzugszinsen auf die so berechneten Beträge
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten B. Vesterdorf sowie der Richter R. M. Moura Ramos und P. Mengozzi,
Kanzler: J. Palacio González, Verwaltungsrat, später B. Pastor, Hauptverwaltungsrätin
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Januar 1998 und vom 2.
April 1998,
folgendes
Urteil
Rechtlicher Rahmen
1.
Mit Urteil vom 19. Mai 1992 in den verbundenen Rechtssachen C-104/89 und C-37/90 (Mulder u.
a./Rat und Kommission, Slg. 1992, I-3061; im folgenden: Urteil Mulder) entschied der Gerichtshof, daß
die Gemeinschaft für die Schäden haftet, die bestimmte Milcherzeuger, die durch die Anwendung der
Verordnung Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984 über Grundregeln für die Anwendung der
Abgabe gemäß Artikel 5c der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 im Sektor Milch und Milcherzeugnisse (ABl.
L 90, S. 13) an der Vermarktung von Milch gehindert waren, erlitten hatten, weil sie Verpflichtungen
gemäß der Verordnung Nr. 1078/77 des Rates vom 17. Mai 1977 zur Einführung einer
Prämienregelung für die
Nichtvermarktung von Milch und Milcherzeugnissen und die Umstellung der Milchkuhbestände (ABl. L
131, S. 1) eingegangen waren.
2.
Angesichts der großen Zahl der vom Urteil Mulder betroffenen Erzeuger und um dessen volle
Wirksamkeit zu gewährleisten, erließ der Rat die Verordnung (EWG) Nr. 2187/93 vom 22. Juli 1993 über
das Angebot einer Entschädigung an bestimmte Erzeuger von Milch oder Milcherzeugnissen, die
vorübergehend an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert waren (ABl. L 196, S. 6). Diese Verordnung
sieht vor, daß den Erzeugern, die unter bestimmten Voraussetzungen durch die Regelung, auf die sich
das Urteil Mulder bezog, geschädigt worden waren, eine pauschale Entschädigung angeboten wird.
3.
Die fragliche Verordnung sieht insbesondere vor, daß die nationalen Behörden den Erzeugern im
Namen und für Rechnung des Rates und der Kommission ein Entschädigungsangebot übermitteln.
Nach Artikel 14 Absatz 4 wird dieses Angebot durch Rücksendung der als richtig anerkannten und
unterzeichneten Quittung innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Angebots angenommen;
damit wird gegenüber den Gemeinschaftsorganen auf die Geltendmachung, ganz gleich in welcher
Form, des in Artikel 1 der Verordnung genannten Schadens verzichtet. Wird das Angebot nicht
innerhalb von zwei Monaten angenommen, so sind die betreffenden Gemeinschaftsorgane künftig
nicht mehr daran gebunden (Artikel 14 Absatz 3).
4.
Artikel 12 der Verordnung sieht vor, daß der Entschädigungsbetrag bis zur Auszahlung der
jeweiligen Entschädigung um 8 % Verzugszinsen jährlich zu erhöhen ist.
5.
Das Muster für die Quittung über den Ausgleich aller Ansprüche, auf die sich Artikel 14 bezieht,
wurde durch die Verordnung (EWG) Nr. 2648/93 der Kommission mit Durchführungsbestimmungen zur
Verordnung Nr. 2187/93 (ABl. L 243, S. 1) festgelegt.
6.
Diese Quittung lautet wie folgt:
„Der Unterzeichnete ... erklärt hiermit, daß er das Entschädigungsangebot ... als Ausgleich für
jeglichen gegenüber den Gemeinschaftsorganen geltend gemachten Schaden aufgrund seiner
Teilnahme an der mit der Verordnung (EWG) Nr. 1078/77 des Rates ... eingeführten
Nichtvermarktungs-/Umstellungsregelung annimmt und daß er jetzt und künftighin ausdrücklich auf
weitere diesbezügliche Ansprüche seinerseits oder seitens seiner etwaigen Rechtsnachfolger oder
Anspruchsberechtigten verzichtet.“
Sachverhalt
7.
Die Kläger sind deutsche Milcherzeuger, die im Rahmen der Verordnung Nr. 1078/77
Verpflichtungen eingegangen waren und die infolge der Anwendung der Verordnung Nr. 857/84 die
Vermarktung von Milch nicht wiederaufnehmen konnten.
8.
Mit zwischen dem 30. März und dem 12. Dezember 1990 bei der Kanzlei des Gerichtshofes
eingegangenen Klageschriften erhoben sie Schadensersatzklagen gegen den Rat und die
Kommission. Aufgrund der Erweiterung der Zuständigkeiten des Gerichts erster Instanz durch die
Entscheidung 93/350/Euratom, EGKS, EWG des Rates vom 8. Juni 1993 zur Änderung des Beschlusses
88/591/EGKS, EWG, Euratom zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen
Gemeinschaften (ABl. L 144, S. 21) wurden diese Rechtssachen mit Beschluß des Gerichtshofes vom
27. September 1993 an das Gericht verwiesen.
9.
Nach Inkrafttreten der Verordnung Nr. 2187/93 erhielten die Kläger in der Zeit vom 22. November
1993 bis zum 6. Februar 1994 Entschädigungsangebote von den zuständigen nationalen Stellen.
10.
Der angebotene Entschädigungsbetrag umfaßte 8 % Zinsen jährlich für den Zeitraum vom 19. Mai
1992 (dem Tag des Erlasses des Urteils Mulder) bis zum 30. September 1993; außerdem sollten für
den Zeitraum vom 1. Oktober 1993 bis zur Auszahlung der Entschädigung Zinsen in gleicher Höhe
hinzukommen. Alle Kläger nahmen das Angebot innerhalb der ihnen gesetzten Frist an.
11.
Nach Unterzeichnung der den Angeboten beigefügten Quittungen, die den in der deutschen
Fassung der Verordnung Nr. 2648/93 vorgesehenen Wortlaut hatten, nahmen die Kläger ihre Klagen
mit am 20. April 1994 eingegangenen Schriftsätzen zurück; der Schriftsatz des Klägers in der
Rechtssache T-62/93, Paul Gövert, ging am 9. Mai 1994 ein. Im Rahmen dieser
Klagerücknahmeschriftsätze stellten sie auch einen Antrag auf Erstattung der Kosten durch die
Beklagten gemäß Artikel 87 § 5 der Verfahrensordnung des Gerichts.
12.
Da die Kommission der Ansicht war, daß auch die Verfolgung eines Kostenerstattungsantrags nach
Artikel 87 § 5 Absatz 1 Satz 2 der Verfahrensordnung einen Verstoß gegen den gemäß Artikel 14
Absatz 4 der Verordnung Nr. 2187/93 vorgeschriebenen pauschalen Verzicht auf die Verfolgung
weitergehender Ansprüche darstelle, wies sie die deutschen Stellen an, keine
Entschädigungszahlungen zu leisten.
13.
Drei der Kläger in der vorliegenden Rechtssache (die Kläger Backhaus, Lorentz und Mittwede, die
die Klagen in den Rechtssachen T-66/93, T-115/93 und T-69/93 erhoben hatten) nahmen daraufhin am
14. und 15. Juni 1994 ihre Kostenerstattungsanträge zurück. Die Entschädigungen wurden ihnen im
Juli 1994 ausgezahlt.
14.
In der Zwischenzeit hatte die Kommission beschlossen, die Auszahlung der Entschädigungen nur
noch von der Rücknahme der Schadensersatzklagen, jedoch nicht mehr von der Rücknahme der
Kostenerstattungsanträge abhängig zu machen.
15.
Am 27. Juli 1994 teilte die deutsche Stelle den Klägern mit, daß die Kommission die Auszahlung der
Entschädigung nicht mehr von einem Verzicht auf die Kostenerstattung, sondern nur noch von der
Klagerücknahme abhängig mache.
16.
Am 2. August 1994 teilten die Kläger der deutschen Stelle mit, daß sie ihre Klagen
zurückgenommen hätten. Daraufhin wurden die Entschädigungen ausgezahlt.
17.
Gemäß Artikel 12 der Verordnung Nr. 2187/93 umfaßten die Entschädigungen die Zahlung von
Zinsen für den Zeitraum vom 19. Mai 1992 (dem Tag des Erlasses des Urteils Mulder) bis zum Ablauf
der den einzelnen Klägern gesetzten Annahmefrist und für den Zeitraum vom 4. August 1994 bzw. im
Fall der Kläger Backhaus, Lorentz und Mittwede vom 29. Juni 1994 bis zum Zeitpunkt der Auszahlung
des Entschädigungsbetrags; am 29. Juni und am 4. August 1994 war die nationale Stelle von den
Klagerücknahmen informiert worden.
18.
Mit Schreiben vom 13. Januar 1995 verlangten die Kläger von der Kommission die Zahlung von
Zinsen für den Zeitraum, für den im Rahmen der Entschädigung noch keine Zinsen gezahlt worden
waren. Mit Schreiben vom 6. März 1995 lehnte die Kommission diesen Antrag ab.
Verfahren und Anträge der Parteien
19.
Die Klageschrift ist am 8. Mai 1995 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen.
20.
Mit am 21. Juni 1995 eingegangenem Schriftsatz hat der Rat die Einrede der Unzulässigkeit erhoben
und die Ansicht vertreten, er könne für den behaupteten Schaden nicht haftbar gemacht werden. Am
16. Oktober 1995 haben die Kläger zu dieser Einrede Stellung genommen.
21.
Mit Beschluß vom 13. Mai 1996 hat das Gericht die Entscheidung über die Einrede dem Endurteil
vorbehalten.
22.
Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne
vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen. Es hat die Parteien jedoch aufgefordert, dem Gericht einige
Unterlagen vorzulegen.
23.
Die Parteien haben in der Sitzung, die am 14. Januar 1998 stattfand, mündlich verhandelt.
24.
Infolge der Verhinderung eines der Kammermitglieder hat der Präsident des Gerichts gemäß Artikel
32 § 3 der Verfahrensordnung zur Ergänzung der Kammer einen anderen Richter bestimmt.
25.
Aufgrund von Artikel 33 Absatz 2 der Verfahrensordnung hat das Gericht (Erste Kammer) in seiner
neuen Zusammensetzung mit Beschluß vom 13. März 1998 gemäß Artikel 62 der Verfahrensordnung
die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung angeordnet. Die Parteien sind zu dieser erneuten
mündlichen Verhandlung am 2. April 1998 nicht erschienen.
26.
Die Kläger beantragen,
— die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie auch für den Zeitraum zwischen dem
Ablauf der zweimonatigen Annahmefrist des Artikels 14 der Verordnung Nr. 2187/93 und dem 3.
August 1994 (bzw. für die Kläger Backhaus, Lorentz und Mittwede dem 29. Juni 1994) Zinsen in Höhe
von 8 % des ihnen gewährten Entschädigungsbetrags nebst 8 % hiervon ab Verkündung des Urteils
zu zahlen;
— den Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
27.
Der Rat beantragt,
— die Klage als unzulässig zurückzuweisen, sofern sie gegen den Rat gerichtet ist, und hilfsweise als
unbegründet abzuweisen;
— den Klägern die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
28.
Die Kommission beantragt,
— die Klage als unbegründet abzuweisen;
— den Klägern die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Zur Zulässigkeit
29.
Der Rat trägt vor, er habe keine Befugnisse gegenüber den nationalen Behörden, die für die
Anwendung des Gemeinschaftsrechts zuständig seien. Da der den Klägern angeblich entstandene
Schaden auf die Anwendung der Verordnung Nr. 2187/93 durch die nationalen Stellen zurückzuführen
sei, sei er zwangsläufig von diesen verursacht worden, falls sie selbständig und in eigener
Verantwortunggehandelt hätten, oder von der Kommission, falls diese der nationalen Stelle
rechtswidrige Weisungen erteilt habe.
30.
Wie sich aus der Rechtsprechung ergebe, könne der Rat die Gemeinschaft daher nicht vor dem
Gericht vertreten, da er den angeblichen Schaden nicht verursacht habe (Urteil des Gerichtshofes
vom 13. November 1973 in den verbundenen Rechtssachen 63/72 bis 69/72, Werhahn u. a./Rat, Slg.
1973, 1229).
31.
Die Kläger tragen vor, die Einrede sei nicht begründet. Die Klageforderung sei Teil des
Schadensersatzes, der ihnen aufgrund der vom Rat erlassenen Verordnung Nr. 2187/93 zustehe.
Außerdem seien die Entschädigungsangebote im Namen und für Rechnung des Rates und der
Kommission gemacht worden; die deutsche Stelle habe stellvertretend für diese Organe gehandelt.
Der Rat könne sich nicht darauf berufen, davon nichts zu wissen, so daß die gegen ihn erhobene
Klage zulässig sei.
32.
Die Parteien streiten im wesentlichen um die Frage, ob die Unterzeichnung der Quittung, von der
die Auszahlung der Entschädigung zum Ersatz des in Artikel 1 der Verordnung Nr. 2187/93 genannten
Schadens abhängt, allein ausreicht, um einen Anspruch auf Zahlung von Zinsen zu begründen, oder
ob hierzu auch noch die anhängigen Klagen zurückgenommen werden müssen. Die Klage bezieht sich
also auf die Auslegung der Verordnung Nr. 2187/93 und deren Auswirkungen.
33.
Diese Verordnung wurde vom Rat erlassen. Wie es in der zweiten und vierten
Begründungserwägung heißt, sollen damit gemäß dem Urteil Mulder die Erzeuger entschädigt werden,
die dadurch einen Schaden erlitten haben, daß sie nach Übernahme einer Verpflichtung aufgrund der
Verordnung Nr. 1078/77 an der Milcherzeugung gehindert waren. Da Kommission und Rat mit diesem
Urteil zur Entschädigung der betroffenen Erzeuger verurteilt worden sind, bezieht sich die Klage also
auf die Auslegung einer Rechtsvorschrift, mit der die volle Wirksamkeit eines Urteils gewährleistet
werden sollte, mit dem der Rat zum Ersatz des auch von ihm verursachten Schadens verurteilt worden
war.
34.
Das Vorbringen, die nationale Stelle habe einen Fehler begangen, ist unbegründet. Aus der
Verordnung Nr. 2187/93 ergibt sich, daß diese Stelle im Namen und für Rechnung des Rates und der
Kommission handelt, wobei sie sich auf die verwaltungstechnischen Aspekte wie die Entgegennahme
und die Prüfung der Anträge sowie die Abgabe des Angebots beschränkt. Die Kläger werfen dieser
Stelle keinen Fehler vor. Sie beanstanden vielmehr unmittelbar die Auslegung des Umfangs der
Verpflichtungen, die sich für die Beklagten aus der Verordnung Nr. 2187/93 ergeben. Daß der Rat
aufgrund der aus der Verordnung folgenden Zuständigkeitsverteilung nicht an der Formulierung des
diese Verpflichtungen konkretisierenden Angebots beteiligt war, berechtigt ihn nicht, sich auf die
Unzulässigkeit einer Klage zu berufen, die sich auf die Auslegung und die Auswirkungen einer von ihm
erlassenen Verordnung bezieht, die ihm Pflichten auferlegt, die er verletzt haben soll.
35.
Daher ist die vom Rat erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen.
Zur Begründetheit
36.
Die Kläger stützen ihre Klage nur auf einen Klagegrund, nämlich eine Verletzung des Artikels 12 der
Verordnung Nr. 2187/93. Dieser Klagegrund besteht aus zwei Teilen.
Zum ersten Teil des Klagegrundes: unmittelbar aus Artikel 12 der Verordnung Nr. 2187/93 folgender
Anspruch auf Zahlung von Zinsen
37.
Die Kläger tragen vor, daß nach Artikel 12 der Verordnung Nr. 2187/93 der Entschädigungsbetrag
für die Zeit vom 19. Mai 1992 bis zur Auszahlung der Entschädigung um 8 % Zinsen zu erhöhen sei;
einzige Voraussetzung hierfür sei die fristgemäße Annahme des Angebots.
38.
Auch in den Angeboten, die sie erhalten hätten, sei keine Rede von einer Voraussetzung der
Klagerücknahme gewesen, die somit erst nach Absendung der Angebote von der Kommission
aufgestellt worden sei. Erst am 27. Juli 1994 hätten sie von dem Erfordernis der Klagerücknahme
erfahren.
39.
Die Kläger sind der Ansicht, daß mit der Unterzeichung der Quittung ein Verzicht auf alle materiell-
rechtlichen Ansprüche gegen die Gemeinschaft verbunden sei. Die Rücknahme selbst habe nur
formelle Wirkungen. Im übrigen ergebe sich aus Artikel 98 der Verfahrensordnung, daß die
Kommission durch Einreichung der jeweiligen Verzichtserklärung bei der Kanzlei des Gerichts eine
Streichung der Rechtssachen hätte erreichen können.
40.
Die Kläger räumen ein, daß sich ihre Klagen durch die Annahme des Angebots erledigt hätten. Mit
dieser Annahme hätten sie sich jedoch weder zur sofortigen Rücknahme ihrer Klagen noch zu einem
Verzicht auf die Kostenerstattung verpflichtet.
41.
Jedenfalls habe die Kommission von dem Zeitpunkt an von den Klagerücknahmen Kenntnis gehabt,
als die Kanzlei des Gerichts sie aufgefordert habe, zu diesen Klagerücknahmen Stellung zu nehmen,
was sie am 9. Juni 1994 getan habe. Die Wahl des 4. Augusts als Zeitpunkt der Wiederaufnahme der
Verzinsung sei somit willkürlich, da die Kläger zu diesem Zeitpunkt lediglich die nationale Behörde von
der Klagerücknahme in Kenntnis gesetzt hätten. Die Verordnung Nr. 2187/93 sehe im übrigen keine
Benachrichtigung dieser Behörde vor.
42.
Selbst wenn die Ansicht der Kommission zuträfe, wäre maßgeblicher Zeitpunkt derjenige der
Klagerücknahme gewesen, die eine bedingungsfeindliche,
unwiderrufliche und unanfechtbare Handlung darstelle und spätestens am 9. Mai 1995 erfolgt sei.
43.
Entgegen der Ansicht der Kommission könne man daraus, daß es sich bei den streitigen Zinsen um
Verzugszinsen handele, nicht schließen, daß ein Verzug solange nicht gegeben sei, wie die Kläger ihre
Klagen nicht zurückgenommen hätten. Nach ständiger Rechtsprechung (Urteil Mulder, Randnr. 35)
handele es sich um Verzugszinsen, wenn durch ein Urteil die Verpflichtung zum Schadensersatz
festgestellt werde. Artikel 12 der Verordnung Nr. 2187/93 beziehe sich im übrigen auf dieses Urteil;
aus diesem Grund seien Zinsen ab dem 19. Mai 1992 berechnet worden.
44.
Die Beklagten tragen vor, daß die Klage unbegründet sei, weil die Kläger auf ihre Rechte verzichtet
hätten und die Verzögerung ausschließlich von ihnen selbst zu vertreten sei.
45.
Aus Artikel 14 der Verordnung Nr. 2187/93 ergebe sich, daß die Kläger mit der Annahme des
Angebots auf Zahlung einer Pauschalentschädigung eine Generalquittung erteilt und auf die
Geltendmachung weiterer Ansprüche und somit auch von Zinsansprüchen unwiderruflich verzichtet
hätten. Sie könnten also keine Schadensersatzansprüche mehr geltend machen, die über die von
ihnen angenommenen Angebote hinausgingen. Daher sei die Klage unbegründet.
46.
Außerdem sehe Artikel 12 der Verordnung Nr. 2187/93 Verzugszinsen vor. Im vorliegenden Fall
machten die Kläger aber Zinsen für eine Verzögerung geltend, die nur sie selbst zu vertreten hätten.
47.
Die Kläger hätten nämlich zeitgleich mit dem Verzicht auf jede gerichtliche Geltendmachung ihrer
Ansprüche auch ihre anhängigen Schadensersatzklagen zurücknehmen müssen. Die
Aufrechterhaltung dieser Klagen stelle einen Verstoß gegen die sich unmittelbar aus Artikel 14 der
Verordnung ergebende Verpflichtung zur Klagerücknahme dar. Entgegen ihrem Vorbringen hätten die
Kläger daher nicht erst durch das Schreiben der nationalen Stelle vom 27. Juli 1994 von dem
Erfordernis einer Klagerücknahme erfahren. Aufgrund dieses Verstoßes sei die deutsche Stelle
berechtigt gewesen, die Auszahlung des Entschädigungsbetrags bis zur Mitteilung der
Klagerücknahme zu verweigern.
48.
Nach Ansicht der Kommission hatte ihre Weigerung, die Entschädigungen auszuzahlen, nichts mit
den Kostenerstattungsanträgen der Kläger zu tun. Ab Juli 1994 habe sie davon abgesehen, die
Rücknahme der Kostenerstattungsanträge zur Voraussetzung der Auszahlung zu machen. Die Kläger,
die ihre Kostenerstattungsanträge nicht zurückgenommen hätten, hätten wie alle anderen
Zinszahlungen erhalten. Bei allen Klägern sei die Verzinsung ab dem Datum der Mitteilung der
Klagerücknahme wiederaufgenommen worden. Keinem Kläger sei
daher ein Schaden daraus entstanden, daß die Kommission zunächst den Verzicht auf die
Kostenerstattung verlangt habe.
49.
Jedenfalls hätten mehrere Kläger die geforderten Zinsen falsch berechnet.
Zum zweiten Teil des Klagegrundes: vertraglicher Anspruch auf Zahlung der Zinsen
50.
Die Kläger tragen vor, daß die von ihnen geltend gemachten Ansprüche auf den
Entschädigungsangeboten beruhten, die sie erhalten hätten. Der Verzicht auf die Geltendmachung
weiterer Ansprüche, von dem in den von ihnen unterzeichneten Quittungen die Rede sei, habe sich
nur auf die Geltendmachung weiterer, nicht vom Vergleich erfaßter Ansprüche bezogen. Die geltend
gemachten Ansprüche beruhten aber auf diesem Vergleich.
51.
Die von ihnen angenommenen Entschädigungsangebote hätten eine Erhöhung des
Entschädigungsbetrags um 8 % Zinsen für den Zeitraum vom 1. Oktober 1993 bis zur Auszahlung
vorgesehen. Da sie dieses Angebot angenommen hätten, stehe ihnen ein Anspruch auf die
geforderten Zinsen aus diesem Vertrag zu.
52.
Die Kläger sind mit den Berichtigungen einverstanden, die die Kommission in einigen Fällen an der
Berechnung der Zinsen vorgenommen hat.
53.
Die Beklagten tragen vor, daß die Zuständigkeit des Gerichts nur auf der außervertraglichen
Haftung der Gemeinschaft beruhen könne, da die Klage nach den Artikeln 178 und 215 Absatz 2 des
Vertrages erhoben worden sei. Dem Vorbringen der Kläger, daß die Organe den durch die Annahme
des Pauschalangebots zustande gekommenen Vertrag verletzt hätten, sei somit nicht zu folgen.
Vielmehr hätten die Kläger selbst gegen die ihnen obliegende vertragliche Verpflichtung verstoßen,
auf weitergehende Ansprüche zu verzichten.
54.
Die Verordnung Nr. 2187/93 sieht sowohl die Voraussetzungen für die Entschädigungsangebote,
wie sie die Kläger erhalten haben, als auch alle Kriterien vor, die eine Berechnung der anzubietenden
Beträge erlauben. Diese Angebote, die sich unmittelbar aus der Verordnung ergeben, sind somit nicht
von dieser unabhängig.
55.
Daher setzt auch die Frage einer vertraglichen Haftung, wie sie von den Klägern im Rahmen des
zweiten Teils des Klagegrundes geltend gemacht wird, eine Auslegung der Vorschriften dieser
Verordnung über die Entschädigung der Milcherzeuger voraus. Soweit diese Verordnung aber eine
Entschädigungsregelung vorsieht, mit der die Gemeinschaftsorgane den Verpflichtungen
nachkommen wollten, die sich für sie aus ihrer Verurteilung im Urteil Mulder ergaben, fällt ihre
Anwendung in den Bereich der außervertraglichen Haftung der Gemeinschaft. Daher sind die beiden
Teile des Klagegrundes zusammen zu prüfen.
56.
Dieser Klagegrund betrifft die Frage, welche Verpflichtungen sich für den Empfänger eines
Entschädigungsangebots nach der Verordnung Nr. 2187/93 aus der Annahme dieses Angebots und
der Unterzeichnung der Quittung ergeben, deren Muster mit der Verordnung Nr. 2648/93 festgelegt
worden ist, und insbesondere die Frage, ob eine Verpflichtung zur Rücknahme anhängiger Klagen
besteht.
57.
Zur Bestimmung des Umfangs dieser Verpflichtungen sind die von den Organen verfolgten Ziele
und der Zusammenhang, in dem die Verordnung Nr. 2187/93 erlassen wurde, heranzuziehen (Urteile
des Gerichtshofes vom 17. November 1983 in der Rechtssache 292/82, Merck, Slg. 1983, 3781,
Randnr. 12, und vom 1. April 1993 in der Rechtssache C-136/91, Findling Wälzlager, Slg. 1993, I-1793,
Randnr. 11).
58.
Aus den Begründungserwägungen dieser Verordnung ergibt sich, daß die Organe in der Erkenntnis,
daß nach dem Urteil Mulder viele Erzeuger Anspruch auf Entschädigung hatten, feststellten, daß sie
nicht jeden Einzelfall in Betracht ziehen konnten. Sie beschlossen somit, im Verordnungswege ein
Entschädigungsangebot vorzusehen, mit dessen Annahme gemäß Artikel 14 letzter Absatz der
Verordnung gegenüber den Gemeinschaftsorganen auf die Geltendmachung des Schadens, ganz
gleich in welcher Form, verzichtet wird (vgl. Urteil des Gerichts vom 16. April 1997 in der Rechtssache
T-541/93, Connaughton u. a./Rat, Slg. 1997, II-549, Randnr. 31).
59.
Entgegen der Ansicht der Beklagten kann sich der Verzicht der Erzeuger auf die Geltendmachung
des Schadens nicht auch auf die etwaigen Folgen einer Verletzung der Verpflichtungen beziehen, die
die streitige Verordnung den Organen auferlegt.
60.
Wie das Gericht bereits entschieden hat, stellte die Verordnung Nr. 2187/93 für die Erzeuger keine
bindende Handlung dar, da sie ihnen zusätzlich zu ihrem Recht,Klage auf Ersatz des entstandenen
Schadens zu erheben, die Möglichkeit eines Vergleichs eröffnete, den sie nach ihrem freien Entschluß
annehmen konnten (Urteil Connaughton u. a./Rat, Randnr. 35). Der Verzicht auf die Geltendmachung
des Schadens war daher die Voraussetzung, von der die Organe die Inanspruchnahme der den
Erzeugern eingeräumten Möglichkeit abhängig machten, sofort eine Entschädigung zu erhalten, ohne
eine Gerichtsentscheidung abwarten zu müssen.
61.
Insoweit ist unstreitig, daß zahlreiche Erzeuger, darunter die Kläger, bereits Schadensersatzklagen
gegen den Rat und die Kommission erhoben hatten, als die Verordnung Nr. 2187/93 erlassen wurde.
62.
Aus der Gesamtheit der Vorschriften über das Entschädigungsangebot ergibt sich somit, daß sie
die Zahl der Rechtsstreitigkeiten auf diesem Gebiet begrenzen sollten.
63.
Im Licht dieses Ergebnisses ist zu prüfen, welche Verpflichtungen sich für die Parteien aus der
Verordnung Nr. 2187/93 und dem Wortlaut der Quittung ergeben.
64.
Zum einen verpflichteten sich nach dem Wortlaut der Quittung die Erzeuger, die das Angebot
angenommen, jedoch das Gemeinschaftsgericht noch nicht angerufen hatten, dazu, auf die Erhebung
von Schadensersatzklagen zu verzichten.
65.
Zum anderen konnte das angestrebte Ziel bei denjenigen, die im Zeitpunkt der Durchführung der
Verordnung Nr. 2187/93 bereits Klage erhoben hatten, nur durch eine Klagerücknahme erreicht
werden.
66.
Hierfür spricht der Wortlaut der Quittung, in der es heißt, daß der Unterzeichnete mit der Annahme
des Angebots „jetzt ... ausdrücklich auf weitere diesbezügliche Ansprüche“ verzichtet, wobei aus der
Verwendung des Adverbs „jetzt“ zu schließen ist, daß anhängige Klagen zurückzunehmen sind.
67.
Daraus folgt, daß sich die Kläger mit der Annahme einer nach der Verordnung Nr. 2187/93
angebotenen Entschädigung durch Unterzeichnung der entsprechenden Quittung verpflichteten, die
anhängigen Klagen zurückzunehmen, was sie im übrigen nicht bestreiten.
68.
Die beklagten Organe waren daher berechtigt, die Auszahlung der Entschädigungen von einer
Rücknahme der Klagen abhängig zu machen.
69.
Daher durften sie die Zahlung der Zinsen nach Artikel 12 der Verordnung Nr. 2187/93 aussetzen,
solange die Kläger ihrer Rücknahmeverpflichtung nicht nachgekommen waren.
70.
Somit ist zu bestimmen, wann die Kläger dieser Verpflichtung nachgekommen sind. Entgegen der
Auffassung der Kommission war diese nicht erst erfüllt, als die deutsche Stelle von den
Klagerücknahmen informiert wurde, also am 4. August 1994 bzw. im Fall der Kläger Backhaus, Lorentz
und Mittwede am 29. Juni 1994. Eine Klage wird zu dem Zeitpunkt zurückgenommen, zu dem der in
Artikel 99 der Verfahrensordnung vorgesehene Schriftsatz über die Klagerücknahme bei der Kanzlei
des Gerichts eingeht. Die Mitteilung an die nationale Behörde, die im übrigen in der Verordnung Nr.
2187/93 nicht vorgesehen ist, spielt insoweit keine Rolle.
71.
Die Klagerücknahme wurde den Beklagten von der Kanzlei des Gerichts mitgeteilt; diese nahmen mit
Schreiben vom 6. und 9. Juni 1994 dazu Stellung. Die Beklagten wurden durch diese Mitteilung also
über die Erfüllung der Voraussetzung, von der
die Auszahlung der Entschädigung abhing, und über das Datum, an dem sie erfüllt worden war,
informiert.
72.
Für die meisten Kläger war diese Voraussetzung somit am 20. April 1994 mit der Eintragung ihrer
Klagerücknahmeschriftsätze in das Register des Gerichts erfüllt. Für den Kläger Gövert war sie am 9.
Mai 1994 erfüllt (vgl. oben, Randnr. 11).
73.
Demnach sind die Klagen auf Zahlung von Zinsen teilweise begründet. Die Beklagten haben ihnen
für die Zeit vom 20. April bis zum 3. August 1994, dem Vortag des Tages, von dem an bereits Zinsen
gezahlt wurden, Zinsen in Höhe von 8 % jährlich auf die gezahlten Entschädigungen zu zahlen. Die
Kläger Backhaus, Lorentz und Mittwede haben Anspruch auf Zinsen für die Zeit vom 20. April bis zum
28. Juni 1994 (vgl. oben, Randnr. 17). An den Kläger Gövert, der seine Klage am 9. Mai 1994
zurückgenommen hat (vgl. oben, Randnr. 11), sind Zinsen für den Zeitraum vom 9. Mai bis zum 3.
August 1994 zu zahlen.
74.
Die Kläger beantragen außerdem, die Beklagten zur Zahlung von Zinsen in Höhe von 8 % jährlich
auf die verlangten Beträge zu verurteilen. Das Gericht entscheidet, daß auf die von den Beklagten
geschuldeten Zinsen vom Tag des Erlasses des vorliegenden Urteils an Verzugszinsen in Höhe von 6
% jährlich zu zahlen sind. Diesen Zinssatz haben die Beklagten im übrigen selbst vorgeschlagen.
Kosten
75.
Gemäß Artikel 87 § 3 der Verfahrensordnung kann das Gericht beschließen, daß jede Partei ihre
eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt und teils unterliegt. Da die Kläger und die
Beklagten mit ihrem Vorbringen teilweise unterlegen sind, ist diese Vorschrift im vorliegenden Fall
anzuwenden.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Erste Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1.
Die Beklagten zahlen den Klägern Günter Backhaus, Uwe Lorentz und Manfred
Mittwede für die Zeit vom 20. April bis zum 28. Juni 1994 Zinsen in Höhe von 8 % jährlich auf
die ihnen im Rahmen der Verordnung (EWG) Nr. 2187/93 des Rates vom 22. Juli 1993 über
das Angebot einer Entschädigung an bestimmte Erzeuger von Milch oder
Milcherzeugnissen,
die vorübergehend an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert waren, gezahlten
Entschädigungen.
2.
Die Beklagten zahlen dem Kläger Paul Gövert für die Zeit vom 9. Mai bis zum 3. August
1994 Zinsen in Höhe von 8 % jährlich auf die ihm im Rahmen dieser Verordnung gezahlte
Entschädigung.
3.
Die Beklagten zahlen allen anderen Klägern für die Zeit vom 20. April bis zum 3. August
1994 Zinsen in Höhe von 8 % jährlich auf die ihnen im Rahmen dieser Verordnung
gezahlten Entschädigungen.
4.
Auf diese Beträge sind 6 % Zinsen jährlich ab dem Tag des Erlasses des vorliegenden
Urteils zu zahlen.
5.
Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.
Vesterdorf
Moura Ramos
Mengozzi
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 24. September 1998.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
B. Vesterdorf
Verfahrenssprache: Deutsch.