Urteil des BVerwG vom 02.04.2017

BVerwG (stand der technik, luft, beschwerde, betrieb, gegenstand, zulassung, anlage, errichtung, bundesverwaltungsgericht, beurteilung)

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 7 B 47.08
OVG 8 D 103/07.AK
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Januar 2009
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann, Guttenberger
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. Juni 2008 wird
verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigela-
denen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Der Kläger wendet sich als Drittbetroffener gegen den immissionsschutzrechtli-
chen Vorbescheid der Beklagten zur Erweiterung des steinkohlegefeuerten
Heizkraftwerkes Walsum. Gegenstand der Genehmigung sind die Errichtung
und der Betrieb des Blockes 10, der einen Dampferzeuger (1 750 MW Feue-
rungswärmeleistung), eine Rauchgasreinigungsanlage, einen 181 m hohen Na-
turzug-Kühlturm, zwei Kohlelager und Wasseraufbereitungsanlagen mit um-
fasst. Das Rauchgas wird über den Kühlturm und über den 300 m hohen Kamin
des Blockes 9 abgeführt. Der Kläger hatte hiergegen Einwendungen erhoben.
Nach erfolglosem Widerspruch hat das Oberverwaltungsgericht die Klage ab-
gewiesen, weil das Genehmigungsverfahren ohne den Kläger in seinen Rech-
ten zu verletzen durchgeführt worden sei. Die Zusatzbelastungen durch Schad-
stoffe aus dem Betrieb der Anlage seien nach den Vorgaben der TA Luft irrele-
vant. Soweit die TA Luft für Schadstoffe keine Immissionswerte festlege, verur-
sache die geplante Anlage ebenfalls keine beachtliche Zusatzbelastung; unter-
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halb der für diese Stoffe von Sachverständigen zur Risikoabschätzung be-
stimmten Beurteilungsmaßstäbe gebe es Bagatellgrenzen, die vorliegend nicht
überschritten würden. Eine Verletzung der Vorsorgepflicht könne der Kläger
nicht geltend machen.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelas-
sen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
II
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Die Beschwerde ist bereits zu verwerfen, weil sie dem Darlegungsgebot des
§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht entspricht.
Im Hinblick auf den Zulassungsgrund der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung
- § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO - setzt dies die Formulierung einer bestimmten,
höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erhebli-
chen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus,
worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen
soll (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310
§ 133 (n.F.) VwGO Nr. 26 m.w.N.). Zudem muss die Beschwerde gewissen
Mindestanforderungen hinsichtlich ihrer Klarheit, Verständlichkeit und Über-
schaubarkeit genügen. Diesen Anforderungen entspricht eine Beschwerdebe-
gründung nicht, die keine Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstof-
fes im Hinblick auf die Grundsatzrüge erkennen lässt (Beschluss vom 19. Au-
gust 1993 - BVerwG 6 B 42.93 - Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 81). All dem ge-
nügt das vorliegende Beschwerdevorbringen nicht, wenn es auf die Formulie-
rung ausreichend verständlicher und rechtsgrundsätzlich bedeutsamer Rechts-
fragen verzichtet, in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts in erster Linie ei-
nen Verstoß gegen Bundesrecht erkennt und im weiteren diese Entscheidung
mit einer abweichenden Rechtsauffassung als rechtsfehlerhaft angreift. Damit
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verkennt die Beschwerde den Unterschied zwischen einer Nichtzulassungsbe-
schwerde und der Begründung einer Revision.
Ein Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nur dann aus-
reichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden
Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird
(Beschluss vom 10. November 1992 - BVerwG 3 B 52.92 - Buchholz 303 § 314
ZPO Nr. 5). Bezüglich des von der Beschwerde behaupteten Verstoßes gegen
den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) muss dementsprechend
ausreichend dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen, vom Rechts-
standpunkt des Oberverwaltungsgerichts aus betrachtet entscheidungserhebli-
chen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und er-
forderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen
und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen
Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin
muss entweder dargetan werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsa-
chengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme
der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hinge-
wirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen
auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (Be-
schluss vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1
VwGO Nr. 265). Auch hieran fehlt es. Die Beschwerde rügt allein eine unzurei-
chende Sachverhaltswürdigung und konzidiert in diesem Zusammenhang dem
Oberverwaltungsgericht in Hinblick auf dessen Abstellen auf den Jahresmittel-
wert emittierter Schadstoffe, dass es von seinem Standpunkt aus zutreffend
zum Stundenmittelwert keine Feststellungen getroffen habe. Damit verdeutlicht
bereits die Beschwerde, dass es nach der materiell-rechtlichen Rechtsauffas-
sung des Oberverwaltungsgerichts auf die von ihr geforderte Abschichtung
nicht ankam. Mit dieser Rüge einer fehlerhaften Sachverhaltswürdigung wird
kein Verfahrensfehler bezeichnet, sondern die Anwendung materiellen Rechts
in Frage gestellt. Dies kann aber nicht zur Zulassung der Revision im Wege
einer Verfahrensrüge führen.
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2. Die Beschwerde wäre auch unbegründet, wollte man die gerügten Rechts-
verstöße als noch ordnungsgemäß dargelegte Rechtsfragen verstehen. Doch
ist auch deren sinngemäße Ausformulierung an Hand des Vorbringens der Be-
schwerde kaum möglich und zudem nicht Aufgabe des Revisionsgerichts.
2.1 Entgegen der Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht im Hinblick auf
die Immissionszusatzbelastung des Grundstücks des Klägers durch das Vor-
haben der Beigeladenen zur Gewichtung derjenigen Schadstoffe, für die in der
TA Luft keine Immissionswerte festgelegt sind, nicht auf die Regelung in
Nr. 4.6.1.1 TA Luft abgestellt, um dann von deren Vorgaben - nämlich Mittelung
über die Betriebsstunden einer Kalenderwoche - bei Prüfung der auf einer Jah-
resmittelung beruhenden sachverständigen Beurteilung durch das Landesamt
für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV NRW)
wieder abzurücken. Das Oberverwaltungsgericht hat lediglich auf den generel-
len Rechtsgedanken der Nr. 4.6.1.1 TA Luft und der Regelungen betreffend die
Irrelevanz von Zusatzbelastungen mit Schadstoffen abgehoben, deren Immis-
sionswerte in Nr. 4.2 bis 4.5 TA Luft festgelegt sind, und hieraus hergeleitet,
dass es auch für von der TA Luft nicht erfasste Schadstoffe eine Bagatellgren-
ze geben muss. Diese Annahme steht in Übereinstimmung mit der Rechtspre-
chung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 11. Dezember 2003
- BVerwG 7 C 19.02 - BVerwGE 119, 329 <333 f.>). In einem Revisionsverfah-
ren würde sich die Frage nach Tagesmittelwerten aber nicht stellen, da das
Oberverwaltungsgericht deren Betrachtung ersichtlich nicht zum Gegenstand
seiner Entscheidung gemacht hat. Eine Zulassung der Revision insoweit schei-
det aus.
2.2 Das Oberverwaltungsgericht hält die dem Kläger durch den Betrieb des
Blocks 10 zugemuteten Gesundheitsrisiken für denkbar gering und bezieht sich
hierfür auf die von der Beigeladenen vorgelegte Ausbreitungsberechnung, die
vom LANUV NRW auf ihre Plausibilität hin geprüft und nicht beanstandet wor-
den ist. Soweit die TA Luft in Nr. 4.2 bis 4.5 Immissionswerte für Schadstoffe
festgelegt hat, kann bei nach Unterziffern der genannten Bestimmungen erfolg-
ten Berechnungen irrelevanter Zusatzbelastungen von keinen schädlichen,
durch den Betrieb der Anlage hervorgerufenen Umwelteinwirkungen ausgegan-
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gen werden, Nr. 4.1 Abs. 4 Satz 1 Buchst. c und Satz 2 TA Luft. Auf dieses Ir-
relevanzkriterium für Zusatzbelastungen hebt das Oberverwaltungsgericht auch
für die Beurteilung von der Anlage emittierter Stoffe ab, für die die TA Luft keine
Immissionswerte festlegt. Wenn aber in der TA Luft festgesetzte Irrelevanz-
schwellen sich jeweils nach den Mittelwerten für das Jahr ausrichten (vgl. die in
Nr. 4.1 Abs. 4 Satz 1 Buchst. c TA Luft benannten Berechnungsverfahren) und
in Anlehnung hierzu für die Ermittlung von Bagatellgrenzen für Stoffe, die von
der TA Luft durch Immissionswerte nicht erfasst werden, die sachverständige
Risikoabschätzung ebenso auf den Mittelungszeitraum von einem Jahr ab-
stellt, so kann dem durch die Beschwerde nicht mit der Notwendigkeit gemittel-
ter Tages- oder Stundenwerte entgegen getreten werden. Denn das Oberver-
waltungsgericht hat nicht auf das Fehlen schädlicher Umwelteinwirkungen we-
gen geringer Emissionsmassenströme abgestellt (Nr. 4.1 Abs. 4 Satz 1
Buchst. a und Satz 2 TA Luft) und damit auch nicht Nr. 4.6.1.1 TA Luft zur An-
wendung gebracht. Dass aber zur Ermittlung von Bagatellmassenströmen, von
denen bei einem Heizkraftwerk ersichtlich nicht ausgegangen werden kann, auf
kurze Mittelungszeiträume abzustellen ist, versteht sich von selbst, da sich nur
so repräsentative Ergebnisse ermitteln lassen. Auch die Rechtsproblematik der
Relevanz von Bagatellmassenströmen wäre somit nicht Gegenstand eines Re-
visionsverfahrens. Eine Zulassung der Revision scheidet auch insoweit aus.
2.3 Die Frage nach der Auslegung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG ist in
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seit langem geklärt. Dem-
nach entfaltet die immissionsschutzrechtliche Vorsorgepflicht (§ 5 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 BImSchG) grundsätzlich keine Schutzwirkung zu Gunsten Drittbetroffener
(Urteil vom 18. Mai 1982 - BVerwG 7 C 42.80 - BVerwGE 65, 313 <320>), weil
sie nicht der Begünstigung eines individualisierbaren Personenkreises, sondern
dem Interesse der Allgemeinheit daran dient, potentiell schädlichen Umwelt-
einwirkungen auch dort vorzubeugen, wo sie keinem bestimmten Emittenten
zuzuordnen sind (Urteil vom 17. Februar 1984 - BVerwG 7 C 8.82 - BVerwGE
69, 37 <42 ff.>). Wenn der Kläger die Errichtung und den Betrieb eines her-
kömmlichen Steinkohlekraftwerkes in Form des Blockes 10 mit nachgelagerter
Abgasreinigung (gegenüber einem Gas-und-Dampf-Kombi-Kraftwerk mit vorge-
schalteter Kohlevergasung und Gasreinigung) entgegen der Vorgabe des § 5
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Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG nicht mehr im Einklang mit dem Stand der Tech-
nik sieht, kann er sich hierauf mangels Rechtsbetroffenheit nicht berufen. Das
Oberverwaltungsgericht hat zudem nicht festgestellt, dass die Errichtung des
Blockes 10 mit der dort vorgesehenen Betriebsweise nicht mehr dem Stand der
Technik entspricht. Selbst wenn sich die Anlagentechnik aber neuen Verfah-
rensweisen zuneigen würde, steht es dem Betreiber im Hinblick auf § 5 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 BImSchG frei, welche Stromerzeugungstechnik er zum Einsatz
bringt, wenn er durch fortschrittliche Abgasreinigungstechnik dafür Sorge trägt,
dass die vorgegebenen Emissionsgrenzwerte eingehalten werden. Mit der Rü-
ge des Bundesrechtsverstoßes in Bezug auf die zum Einsatz kommende Ver-
fahrenstechnik macht der Kläger sich ersichtlich Belange zu eigen, die nicht zu
einer Verletzung eigener Rechte führen können. Wegen der insoweit bereits
geklärten Rechtsfrage scheidet eine Zulassung der Revision aus.
2.4 Wann eine Sonderfallprüfung nach Nr. 4.8 TA Luft erforderlich wird, richtet
sich nach dem jeweiligen Einzelfall, was eine Grundsatzrüge bereits hindern
würde. Die Beschwerde lässt zudem auch offen, hinsichtlich welcher Stoffe ei-
ne derartige Prüfung vorgenommen werden sollte. Die von der TA Luft für eine
Sonderfallprüfung geforderten hinreichenden Anhaltspunkte liegen aber bei
Immissionszusatzbelastungen unter 1% anerkannter Wirkungsschwellen nicht
vor (vgl. den Bericht des Länderausschusses für Immissionsschutz vom
21. September 2004, „Bewertung von Schadstoffen.. - Orientierungswerte für
die Sonderfallprüfung.. " S. 25 f.). Nach den vom LANUV NRW gefertigten und
auf den Bericht des Länderausschusses abhebenden Ausbreitungsberechnun-
gen für von der TA Luft nicht erfasste Stoffe liegen die Jahreszusatzimmissio-
nen aus dem Betrieb des Blockes 10 weit unter der genannten 1%-Schwelle
und sind damit unbeachtlich (vgl. Urteil vom 11. Dezember 2003 a.a.O.). Diese
Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hat der Kläger nicht zum
Gegenstand von Verfahrensrügen gemacht, so dass sie einem Revisionsver-
fahren zu Grunde zu legen wären.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die
Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52
Abs. 1 GKG.
Neumann
Guttenberger
Schipper
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