Urteil des BVerfG vom 10.10.2001
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Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1620/01 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn J...
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Dr. Ulrich Busch,
Sohlstättenstraße 121, 40880 Ratingen-Tiefenbroich -
gegen den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 15. August 2001 - 3 StR 187/01 -
und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Präsidentin Limbach
und die Richter Hassemer,
Mellinghoff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S.
1473) am 10. Oktober 2001 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2
BVerfGG nicht vorliegt. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind entschieden (§ 93a Abs. 2 Buchstabe
a BVerfGG). Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs.
2 Buchstabe b BVerfGG); denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22
<24 ff.>).
2
1. Die Beanstandung der Beschlussbegründung zu den Revisionsrügen Nrn. 1 und 2 (Verstoß gegen § 247 Satz 4
StPO) geht fehl, da Anhaltspunkte für eine im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG objektiv willkürliche Verfahrensweise des
Revisionsgerichts nicht sichtbar sind. Das Bundesverfassungsgericht, das kein Rechtsmittelgericht ist, hat die
"Beruhensprüfung" nicht in den Einzelheiten zu kontrollieren (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 1987 - 2 BvR 677/86, NStZ 1987, S. 334 f.). Selbst in einer zweifelsfrei
fehlerhaften Gesetzesanwendung läge noch kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Hinzukommen muss vielmehr,
dass die fehlerhafte Rechtsanwendung unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht
mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl.
BVerfGE 75, 329 <347>). Diesem verfassungsrechtlichen Maßstab hält die angefochtene Entscheidung stand.
3
Die Einordnung der Verstöße gegen § 247 StPO als relative Revisionsgründe entspricht der herrschenden Meinung
in Rechtsprechung und Literatur, wonach § 338 Nr. 5 StPO (i.V.m. § 230 StPO) beispielsweise eingreift, wenn ein
förmlicher Gerichtsbeschluss nach § 247 Satz 1 StPO fehlt (vgl. Gollwitzer in: Löwe-Rosenberg, StPO, 24. Auflage,
§ 247 Rn. 46; Diemer in: Karlsruher Kommentar, 4. Auflage, § 247 Rn. 16), nicht aber dann, wenn lediglich gegen die
Unterrichtungspflicht nach § 247 Satz 4 StPO verstoßen worden ist (vgl. Gollwitzer a.a.O., Rn. 49; Diemer a.a.O.;
jeweils m.w.N.). Diese Unterscheidung rechtfertigt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 338 Nr. 5 StPO
jeweils m.w.N.). Diese Unterscheidung rechtfertigt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 338 Nr. 5 StPO
und ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
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Auch die Auffassung des Strafsenats, die verspätete Unterrichtung des Beschwerdeführers sei durch die
Nachvernehmung der Zeugin geheilt worden, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Dass es dem
Beschwerdeführer hier faktisch nicht möglich gewesen sein soll, sich etwa aus der früheren Vernehmung noch
ergebende Fragen drei Monate später zu stellen, überzeugt schon deshalb nicht, weil es ihm nach derselben Zeit
möglich war, einen Beweisantrag gerade zu einem Thema zu stellen, das offensichtlich in der ersten Vernehmung
noch nicht erschöpfend behandelt worden war. Unabhängig davon wäre es dem Beschwerdeführer unbenommen
gewesen, eine Unterbrechung der Hauptverhandlung zu fordern, um sich auf die Nachvernehmung vorzubereiten und
dem Verteidiger oder dem Gericht gegebenenfalls noch offene Fragen zu unterbreiten.
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2. Soweit der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG auch hinsichtlich der Zurückweisung der
Revisionsrüge Nr. 3 der Revisionsbegründung (Verstoß gegen § 169 GVG) behauptet, liegt Willkür im Sinne des Art. 3
Abs. 1 GG gleichfalls nicht vor.
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Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung gebietet es nicht, dass jedermann weiß, wann und wo ein
erkennendes Gericht eine Hauptverhandlung abhält. Es genügt vielmehr, dass jedermann die Möglichkeit hat, sich
ohne besondere Schwierigkeiten davon Kenntnis zu verschaffen, und dass der Zutritt im Rahmen der tatsächlichen
Gegebenheiten eröffnet ist (vgl. Kuckein in: Karlsruher Kommentar, 4. Auflage, § 338 Rn. 86 m.w.N.). Beides war hier
der Fall. Denn am Gerichtsgebäude selbst waren Hinweise auf Zeit und Ort des Termins angebracht, und die
Mitarbeiter des Autohauses hätten interessierten Zuschauern auf Nachfrage mitteilen können, dass entgegen der
ursprünglichen Absicht das betreffende Fahrzeug nunmehr zum Gericht verbracht worden ist, um es dort in
Augenschein zu nehmen. Es ist von Verfassungs wegen zudem nicht zu beanstanden, dass der Bundesgerichtshof
das Vertrauen in konkrete Terminsankündigungen (Zeit und Ort betreffend) nicht von § 169 GVG erfasst sieht. Denn
Sinn und Zweck der Prozessmaxime (vgl. BVerfGE 15, 303 <307>) ist in erster Linie die Kontrolle des
Verfahrensgangs durch die Allgemeinheit (vgl. Schoreit/Diemer in: Karlsruher Kommentar, StPO, 4. Auflage, § 169
GVG Rn. 2 m.w.N.). Diese Kontrolle war hier nicht beeinträchtigt. Dass tatsächlich konkreten Personen die Teilnahme
auf Grund der Verlegung des Augenscheinsortes nicht mehr möglich war, hat der Beschwerdeführer zudem nicht
dargelegt.
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3. Hinsichtlich der Rüge, der Bundesgerichtshof habe die Revision in Verkennung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG
verworfen, genügt die Verfassungsbeschwerde den Substantiierungserfordernissen nicht; sie ist mithin unzulässig.
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Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 3, 359 <364>; 7, 327 <329>; 9, 223
<230>) kann jemand durch Maßnahmen, Unterlassungen oder Entscheidungen des Gerichts seinem gesetzlichen
Richter entzogen werden, wenn sie willkürlich, nicht aber schon, wenn sie nur rechtsirrtümlich sind. Der
Bundesgerichtshof hätte auf die vom Beschwerdeführer hin erhobene Verfahrensrüge daher nur dann in die
Sachprüfung einsteigen können und müssen, wenn mit der Revision die für eine Willkür-Prüfung erforderlichen
Tatsachen vorgetragen worden wären. Allein aus dem Umstand, dass benannter und tatsächlich anwesender Schöffe
nicht überein stimmten, kann jedenfalls nicht auf willkürliches Verhalten geschlossen werden. Die Tatsache, dass der
Vorsitzende in der Hauptverhandlung aus nicht näher bekannten Gründen fehlerhaft erklärt hat, die Besetzung
entspreche der zuvor nach § 222 a StPO mitgeteilten, kann für sich allein einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2
GG nicht begründen. Vielmehr wird durch eine Verletzung der Mitteilungsvorschriften lediglich die Rügepräklusion des
§ 338 Nr. 1 Halbsatz 2 StPO aufgehoben (vgl. Vorprüfungsausschuss des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts vom 14. März 1984 - 2 BvR 249/84 -, NStZ 1984, 370 <371>; Kleinknecht/Meyer-Goßner,
StPO, 45. Auflage, § 338 Rn. 17).
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4. Die Rüge, der Bundesgerichtshof hätte die Revision nicht ohne mündliche Verhandlung nach § 349 Abs. 2 StPO
verwerfen dürfen, geht fehl.
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Prüfungsmaßstab ist Art. 19 Abs. 4 GG, der verletzt wäre, wenn die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne eines
Anspruchs auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle auch in der Revisionsinstanz beeinträchtigt wäre (vgl. BVerfGE
40, 272 <274>; 74, 228 <234>; 77, 275 <284> stRspr). Es kann dahinstehen, ob dieser Grundsatz durch eine zu
extensive Auslegung des Begriffes "offensichtlich unbegründet" im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO verletzt wäre, denn
die Auslegung durch den Strafsenat ist verfassungsrechtlich jedenfalls nicht zu beanstanden.
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Nach allgemeiner Ansicht ist eine Revision "offensichtlich" unbegründet, wenn für jeden Sachkundigen ohne längere
Prüfung erkennbar ist, dass das Urteil in sachlich-rechtlicher Hinsicht keine Fehler aufweist und die Revisionsrügen
des Beschwerdeführers dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg verhelfen können (vgl. Beschluss des
Vorprüfungsausschusses des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Juni 1984 - 2 BvR 692/84 -,
EuGRZ 1984, S. 442 f.; Kuckein in: Karlsruher Kommentar, StPO, 4. Auflage, § 349, Rn. 23; Temming in:
Heidelberger Kommentar, StPO, 2. Auflage, § 349, Rn. 5). Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn das Gericht die
Revision deshalb verwirft, weil sie ohne Anführung neuer Gesichtspunkte Rechtsfragen aufwirft, die bereits durch die
höchstrichterliche Rechtsprechung hinreichend geklärt sind (vgl. Kuckein in: Karlsruher Kommentar, a.a.O., Rn. 23).
Die Beschlussverwerfung ist auch hinsichtlich der Rügen vertretbar, bei denen die Revision zwar mit Recht auf
prozessuale Fehler der ersten Instanz hinweist (zu § 247 StPO), der Bundesgerichtshof jedoch ein Beruhen des
Urteils auf diesen Fehlern zweifelsfrei ausgeschlossen hat (vgl. Kuckein in: Karlsruher Kommentar, a.a.O.). Das
Revisionsgericht muss sich schließlich dem Verwerfungsantrag der Staatsanwaltschaft nur im Ergebnis, nicht aber in
allen Teilen der Begründung anschließen (vgl. Beschluss des Vorprüfungsausschusses des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts vom 28. Oktober 1976 - 2 BvR 765/76 -). In diesen Fällen ist es allerdings - wie hier
geschehen - sinnvoll, der üblichen allgemeinen Bezugnahme auf § 349 Abs. 2 StPO Zusätze der Begründung der
eigenen Rechtsauffassung beizufügen.
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Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Limbach
Hassemer
Mellinghoff