Urteil des BVerfG vom 06.08.2009

BVerfG: untersuchungshaft, abgabe, verfassungsbeschwerde, disziplinarverfahren, urinprobe, kontrolle, zwang, strafverfahren, bekanntmachung, bibliothek

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2280/07 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn Z...
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Tim Burkert,
Neuer Pferdemarkt 13, 20359 Hamburg -
gegen
a)
den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 19. September 2007 - 3
Vollz (Ws) 47/07 -,
b)
den Widerspruchsbescheid der Freien und Hansestadt Hamburg, Justizvollzugsanstalt
Fuhlsbüttel, vom 20. Dezember 2006 - B - IV -,
c)
die Entscheidung der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel vom 17. August 2006,
d)
die Verfügung der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel vom 15. Juni 2006 zur Abgabe von
Urinproben am 11. August, 30. August, 14. und 29. September 2006
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Voßkuhle,
den Richter Mellinghoff
und die Richterin Lübbe-Wolff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S.
1473) am 6. August 2009 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die Voraussetzungen, unter denen eine Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen ist (§ 93a Abs. 2
BVerfGG), liegen nicht vor. Die angegriffenen Entscheidungen sind nach den geltenden Maßstäben für die
Überprüfung fachgerichtlicher Entscheidungen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f., 96>; 106, 28 <45>) in
verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.
2
1. Das Oberlandesgericht ist davon ausgegangen, dass das Strafvollzugsgesetz bei konkretem Anlass - wozu auch
eine einschlägige Vorbelastung des betroffenen Strafgefangenen zähle - die Anordnung der Abgabe von Urinproben
zum Nachweis eines eventuell vorausgegangenen Drogenkonsums zulässt und die Weigerung, einer solchen
Anordnung Folge zu leisten, gemäß § 102 Abs. 1 in Verbindung mit § 82 Abs. 1 StVollzG disziplinarisch geahndet
werden kann.
3
Diese Rechtsauffassung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. für die Untersuchungshaft BVerfG,
Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 6. November 2007 - 2 BvR 1136/07 -, NStZ 2008, S. 292 f.). Sie
entspricht der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte (vgl., neben oder anstelle von § 56 Abs. 2 StVollzG, auf
den die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts abstellt, § 101 Abs. 2 StVollzG heranziehend, OLG
Koblenz, Beschluss vom 16. August 1989 - 2 Vollz (Ws) 28/89 -, ZfStrVo 1990, S. 51 <52 f.>; OLG Rostock,
Beschluss vom 2. Mai 2004 - VAs 1/04 -, StV 2004, S. 611; KG, Beschluss vom 26. Januar 2006 - 5 Ws 16/06 Vollz,
5 Ws 630/05 Vollz -, juris; für die Untersuchungshaft OLG Oldenburg, Beschluss vom 14. Juni 2005 - 1 Ws 304/05 -,
StV 2007, S. 88; vgl. auch Thür. OLG, Beschluss vom 31. Januar 2005 - 1 Ws 409/04 - ZfStrVo 2006, S. 118 f.; aus
der Literatur zustimmend Arloth, StVollzG, 2. Aufl. 2008, § 56 Rn. 9; a.A.: Riekenbrauk, in: Schwind/Böhm/Jehle,
StVollzG, 4. Aufl. 2005, § 56 Rn. 8, sowie - einen über die Anlasstat hinaus konkreter begründeten Konsumverdacht
fordernd - Boetticher/Stöver, in: Feest, AK-StVollzG, 5. Aufl. 2006, § 56 Rn. 3; ebenso wohl OLG Dresden, Beschluss
vom 12. Mai 2004 - 2 Ws 660/03 -, NStZ 2005, S. 588; für das Erfordernis eines konkreten Verdachts ohne
Erläuterung, ob einschlägige Vorbelastung hierfür ausreichen soll, Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Aufl. 2008, § 56
Rn. 5). Insbesondere führt das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG abzuleitende Verbot eines
Zwangs zur Selbstbezichtigung (vgl. BVerfGE 55, 144 <150>; 56, 37 <41 f.>) nicht zu einem anderen Ergebnis (vgl.
BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 6. November 2007, a.a.O., S. 293; OLG Oldenburg,
Beschluss vom 14. Juni 2005 - 1 Ws 304/05 -, StV 2007, S. 88 für die Untersuchungshaft; KG, Beschluss vom 26.
Januar 2006 - 5 Ws 16/06 Vollz, 5 Ws 630/05 Vollz -, juris für den Strafvollzug). In diesem Zusammenhang kommt es
nicht darauf an, ob sich die Ausführungen des Oberlandesgerichts zur Frage der Verwertbarkeit des Ergebnisses der
Urinprobe für ein sich anschließendes Disziplinarverfahren wegen eines aufgrund der Urinkontrolle festgestellten
Drogenkonsums ebenfalls noch in den Grenzen des verfassungsrechtlich Vertretbaren halten, oder ob dem Umstand,
dass es sich um eine unter Zwang gewonnene Probe handelt, durch die Annahme eines Verwertungsverbotes sowohl
in einem eventuellen späteren Strafverfahren (vgl. OLG Oldenburg, a.a.O., S. 88) als auch in dem aus Anlass eines
positiven Testergebnisses durchgeführten vollzuglichen Disziplinarverfahren Rechnung zu tragen wäre (befürwortend
insoweit Gericke, StV 2003, S. 305 <307>; Pollähne, StV 2007, S. 89 <91>). Die Ausführungen des
Oberlandesgerichts hierzu haben keine entscheidungstragende Bedeutung, da im vorliegenden Fall nicht die
Rechtmäßigkeit disziplinarischer Ahndung eines durch Urinkontrolle nachgewiesenen Drogenkonsums zu beurteilen
war. Zur Prüfung gestellt war allein die disziplinarische Ahndung der Weigerung des Beschwerdeführers, an einer
solchen Kontrolle durch Abgabe einer Urinprobe mitzuwirken.
4
2. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
5
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Voßkuhle
Mellinghoff
Lübbe-Wolff