Urteil des BVerfG vom 24.11.2004
BVerfG: verfassungsbeschwerde, absolutes recht, internet adresse, nutzungsrecht, inhaber, eigentumsschutz, kennzeichenrecht, eigentumsgarantie, verwechslungsgefahr, papier
Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1306/02 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Firma P... GmbH,
vertreten durch den Geschäftsführer P...,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Boris Höller,
Meckenheimer Allee 82, 53115 Bonn -
gegen a) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 13. Juni 2002 – I ZR 279/01 -,
b)
das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 29. Oktober 2001 – 27 U 19/01 -,
c)
das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 8. November 2000 – 2 a O 192/00 -
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Papier,
den Richter Steiner
und die Richterin Hohmann-Dennhardt
gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I
S. 1473) am 24. November 2004 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft einen Rechtsstreit um die Verwendung einer Internet-Domain-Adresse.
I.
2
Die Beschwerdeführerin betätigte sich auf dem Gebiet der EDV- und Online-Dienstleistungen. Sie ließ für sich bei
der Vergabestelle für Internetadressen DENIC e.G. mehrere Tausend Domain-Namen registrieren, darunter seit April
1997 auch "ad-acta.de". Eine eigene Homepage unter dieser Adresse hatte die Beschwerdeführerin bis zum Beginn
des Ausgangsverfahrens im Jahr 2000 nicht geschaltet. Nach ihrer Darstellung sollten sämtliche Domains in einen –
jedenfalls damals noch im Aufbau befindlichen - "Internet-Führer" einfließen.
3
Klägerin des Ausgangsverfahrens war die "ad-acta Datenschutz und Recycling GmbH", die sich mit der Akten- und
Datenträgervernichtung beschäftigte und sich durch das Verhalten der Beschwerdeführerin unter anderem in ihrem
Kennzeichenrecht verletzt sah. Sie nahm daher die Beschwerdeführerin in Anspruch, es zu unterlassen, "ad-acta.de"
als Domain-Namen im Internet für eine Homepage zu reservieren oder zu benutzen. Außerdem verlangte sie
Einwilligung in die Löschung des Domain-Namens. Das Landgericht gab der Klage statt, Berufung und Revision der
Beschwerdeführerin blieben erfolglos.
4
Mit ihrer fristgerecht eingelegten Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin unter anderem die Verletzung
ihrer Rechte aus Art. 14 Abs. 1 GG.
II.
5
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht
vorliegen (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>).
6
1. Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinn des § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG ist nicht
gegeben. Die mit dem grundrechtlichen Eigentumsschutz für Domain-Inhaber zusammenhängenden Fragen lassen
sich (wie nachfolgend unter 2 a ausgeführt) anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 14
GG beantworten.
7
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG
genannten Rechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine
Erfolgsaussicht, weil die angegriffenen Entscheidungen die Beschwerdeführerin nicht in ihren verfassungsmäßigen
Rechten verletzen.
8
a) Die Beschwerdeführerin kann zwar geltend machen, in ihrem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG betroffen
zu sein, weil ihr aus dem Vertragsschluss mit der DENIC e.G. folgendes Nutzungsrecht an der Domain eine
eigentumsfähige Position in diesem Sinne darstellt. Nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts gehören zum Eigentum nach Art. 14 GG auch die auf dem Abschluss von Verträgen
beruhenden, obligatorischen Forderungen. Schuldrechtliche Ansprüche sind zwar nur gegen den jeweiligen
Vertragspartner gerichtet, jedoch dem Forderungsinhaber ebenso ausschließlich zugewiesen wie Eigentum an einer
Sache (vgl. zum Beispiel BVerfGE 45, 142 <179>).
9
Entgegen vereinzelten Literaturstimmen (Koos, MMR 2004, S. 359 <360 ff.>; wohl auch Fezer, Markenrecht, 3. Aufl.
2001, § 3 Rn. 301) erwirbt der Inhaber hingegen weder das Eigentum an der Internet-Adresse selbst noch ein
sonstiges absolutes Recht an der Domain, welches ähnlich der Inhaberschaft an einem Immaterialgüterrecht
verdinglicht wäre. Vielmehr erhält er als Gegenleistung für die an die DENIC e.G. zu zahlende Vergütung das Recht,
für seine IP-Adresse eine bestimmte Domain zu verwenden – und damit ein relativ wirkendes, vertragliches
Nutzungsrecht, wobei die unbestimmte Vertragsdauer verbunden mit den vorgesehenen Kündigungsmöglichkeiten auf
den Charakter des Rechtsverhältnisses als Dauerschuldverhältnis hinweisen (vgl. Viefhus, MMR 2000, S. 286 <287>;
Kort, DB 2001, S. 249 <254>; Kazemi/Leopold, MMR 2004, S. 287 <290>; Nowrot, Verfassungsrechtlicher
Eigentumsschutz von Internet-Domains, 2002, S. 9). Dieses Nutzungsrecht stellt einen rechtlich geschützten
Vermögenswert dar (vgl. Plaß, WRP 2000, S. 1077 <1079>; Viefhus, aaO; Kazemi/Leopold, aaO; Nowrot, aaO S. 14).
Es ist dem Inhaber der Domain ebenso ausschließlich zugewiesen wie Eigentum an einer Sache. Die Berechtigung
der DENIC e.G., den Vertrag aus wichtigem Grund zu kündigen, steht der Qualifizierung des vertraglichen
Nutzungsanspruchs als verfassungsrechtlich geschütztes Eigentum nicht entgegen (vgl. BVerfGE 89, 1 <7> zum
Besitzrecht des Mieters), sondern begrenzt lediglich den Umfang des Rechts (vgl. BGHZ 123, 166 <169>).
10
Unabhängig von diesem dem verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz zugänglichen Nutzungsrecht kann dem
Inhaber einer Internet-Domain an der die Second Level Domain bildenden Zeichenfolge eine marken- oder
kennzeichenrechtlich
begründete
Rechtsstellung
zukommen,
die
nach
der
Rechtsprechung
des
Bundesverfassungsgerichts ihrerseits grundsätzlich gleichfalls vom Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG
erfasst sein kann (vgl. BVerfGE 51, 193 <216 ff.>; 78, 58 <71 ff.>; vgl. weiter Kazemi/Leopold, aaO <289 f.>; Nowrot,
aaO S. 11 ff.). Im Ausgangsfall macht die Beschwerdeführerin ein derartiges Marken- oder Kennzeichenrecht an der
Zeichenfolge "ad-acta" allerdings nicht substantiiert geltend.
11
b) Inhalt und Schranken des Eigentums werden aber gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG durch die Gesetze bestimmt.
Unter einer Inhalts- und Schrankenbestimmung versteht das Grundgesetz die generelle und abstrakte Festlegung von
Rechten und Pflichten durch den Gesetzgeber für solche Rechtsgüter, die als Eigentum im Sinne der Verfassung zu
verstehen sind (vgl. BVerfGE 58, 300 <330>; 72, 66 <76>). Die im Ausgangsverfahren entscheidungserheblichen
Vorschriften der § 5 Abs. 1 und 2, § 15 Abs. 2 und Abs. 4 MarkenG, die einem Marken- bzw. Kennzeicheninhaber
Unterlassungsansprüche gegen denjenigen einräumen, der durch Marken- beziehungsweise Kennzeichengebrauch
seine Interessen verletzt, stellen eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Inhalts- und Schrankenbestimmung dar.
12
c) Dem entsprechend greift die Beschwerdeführerin mit ihrer Verfassungsbeschwerde auch nicht die gesetzlichen
Bestimmungen, sondern ausschließlich die in den Entscheidungen der Fachgerichte vorgenommene (nach ihrer
Ansicht zu weit reichende) Auslegung und Anwendung der Normen an. Auslegung und Anwendung des einfachen
Rechts sind allein Sache der dafür zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht
grundsätzlich entzogen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92>). Die Schwelle eines Verstoßes gegen Verfassungsrecht, den das
Bundesverfassungsgericht zu korrigieren hat, ist erst erreicht, wenn die Auslegung Fehler erkennen lässt, die auf
einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Eigentumsgarantie, insbesondere vom Umfang
ihres Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Einzelfall von einigem
Gewicht sind (vgl. BVerfGE 89, 1 <9 f.> m.w.N.).
13
Bei Anlegung dieser Maßstäbe sind die angegriffenen Entscheidungen nicht zu beanstanden. Das Oberlandesgericht
hat sich ausführlich mit der für § 15 Abs. 2 MarkenG entscheidenden Frage der Verwechslungsgefahr befasst und ihr
Vorliegen mit nachvollziehbaren Erwägungen bejaht. Irgendwelche – auch nur einfachrechtlichen - Fehler werden
insoweit weder von der Verfassungsbeschwerde behauptet noch sind sie anderweitig ersichtlich.
14
Auf keine verfassungsrechtlichen Bedenken trifft, dass die Fachgerichte der Beschwerdeführerin als Maßnahme zur
Beseitigung der aktuellen Störung aufgegeben haben, in die Löschung der Domain gegenüber der DENIC e.G.
einzuwilligen. Fehler, die auf eine grundsätzliche Verkennung des für das obligatorische Nutzungsrecht der
Beschwerdeführerin bestehenden Eigentumsschutzes schließen lassen, sind auch in diesem Punkt nicht
festzustellen. Die Löschung war zur Beseitigung der markenrechtlichen Störung geeignet – was die
Beschwerdeführerin nicht in Frage stellt. Weniger einschneidende Maßnahmen, die dem berechtigten Interesse der
Klägerin des Ausgangsverfahrens als Rechtsinhaberin vollständig gerecht werden könnten, sind nicht gegeben.
Insbesondere ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, dass zum Beispiel durch Hinweise auf einer von der
Beschwerdeführerin betriebenen Internet-Seite die Verwechslungsgefahr in ausreichendem Umfang ausgeräumt
werden könnte. Die von der Verfassungsbeschwerde in diesem Zusammenhang angeführte Entscheidung "Vossius"
des Bundesgerichtshofs (NJW 2002, S. 2096 ff.) betraf das Recht der Gleichnamigen. Die Besonderheiten des
zwischen diesen bestehenden Rücksichtnahmegebots sind aber auf das hier zu beurteilende Verhältnis zwischen der
Kennzeicheninhaberin einerseits und der Inhaberin des obligatorischen Rechts zur Domainnutzung andererseits nicht
übertragbar.
15
d) Auch unter dem Gesichtspunkt des von der Beschwerdeführerin angeführten Schutzes des eingerichteten und
ausgeübten Gewerbebetriebs durch Art. 14 Abs. 1 GG ergibt sich nichts anderes. Es kann dabei dahinstehen, ob und
inwieweit die Eigentumsgarantie den Gewerbebetrieb als tatsächliche Zusammenfassung der zum Vermögen eines
Unternehmens gehörenden Sachen und Rechte erfasst (vgl. zu dieser bislang in der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts offen gelassenen Frage zum Beispiel BVerfGE 51, 193 <221 f.>). Denn die
Beschwerdeführerin legt schon nicht dar, inwiefern der Verlust dieser einen Domain angesichts der Anzahl der für sie
registrierten Internetadressen tatsächlich die Substanz ihres Betriebes berührt. Im Übrigen hält sie derzeit im Internet
unter der Adresse "adacta.de" im Rahmen ihres Internetführers Informationen bereit. Dass sie die Variante mit
Bindestrich ("ad-acta.de") nicht mehr nutzen kann, erscheint darum als eine für die Aufrechterhaltung ihres
funktionierenden Geschäftsbetriebes nicht erhebliche Beeinträchtigung.
16
3. Von einer Begründung der fehlenden Erfolgsaussicht hinsichtlich der weiteren mit der Verfassungsbeschwerde
erhobenen Rügen wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
17
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Papier
Steiner
Hohmann-Dennhardt