Urteil des BVerfG vom 15.12.2008

BVerfG: generalversammlung der vereinten nationen, verbrechen gegen die menschlichkeit, verfassungsbeschwerde, restitution, unterlassen, völkerrecht, rechtsschutz, eigentümer, republik, gesellschaft

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2462/07 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
1. des Herrn P...,
2. der Frau von M...,
3. der Frau von M...,
4. der von M... GbR,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Dr. Thomas Gertner
in Sozietät Rechtsanwälte Dr. Gertner, Keuenhof, von Maltzahn,
Römerstraße 21, 56130 Bad Ems -
I. unmittelbar gegen
1.
a)
den Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock vom 25. September 2007 - 12 U 15/06 -,
b) das Urteil des Amtsgerichts Neubrandenburg vom 24. Oktober 2006 - LW 12/06 -,
2.
a)
den Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock vom 25. September 2007 - 12 U 13/06 -,
b) das Urteil des Amtsgerichts Neubrandenburg vom 24. Oktober 2006 - LW 34/05 -
II. mittelbar gegen
das Unterlassen des Gesetzgebers, ein Gesetz zu erlassen, welches die Restitution im
Sinne einer Rehabilitierung wegen der immateriellen Aspekte einer politischen Verfolgung
und einer Rückgabe der im Zusammenhang damit eingezogenen Vermögenswerte zum
Gegenstand hat,
und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Broß,
Di Fabio
und Landau
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S.
1473) am 15. Dezember 2008 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Enteignungen der sogenannten Bodenreform in der sowjetischen
Besatzungszone zwischen 1945 und 1949.
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1. Die Beschwerdeführer zu 1. bis 3. sind Erben eines Betroffenen der Bodenreform, die Beschwerdeführerin zu 4.
ist eine zwischen den Beschwerdeführern zu 1. bis 3. bestehende Gesellschaft des bürgerlichen Rechts.
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a) Die Verfassungsbeschwerde richtet sich erstens gegen jeweils zwei Gerichtsentscheidungen des Amtsgerichts
Neubrandenburg und des Oberlandesgerichts Rostock zum Grundstücksrecht. Der Beschwerdeführer zu 1. und die
Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerinnen zu 2. und 3. sowie eine aus beiden bestehende Gesellschaft des
bürgerlichen Rechts wurden in zwei Verfahren vor dem Amtsgericht Neubrandenburg auf Grundstücksherausgabe
verklagt. Die Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) hatte den Beklagten die nach Ansicht der
Beschwerdeführer restitutionsbelasteten Grundstücke befristet bis September 2005 verpachtet und im Anschluss an
die Kläger der Ausgangsverfahren veräußert. Diese wurden daraufhin im Januar beziehungsweise im März 2006 als
Eigentümer der streitgegenständlichen Grundstücke im Grundbuch eingetragen. Die Beklagten weigerten sich, die
streitgegenständlichen Grundstücke herauszugeben. Weil die Grundstücke restitutionsbelastet seien, sei das
dingliche Verfügungsgeschäft der BVVG nichtig; die Kläger seien daher nicht Eigentümer.
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Das Amtsgericht Neubrandenburg verurteilte die Beklagten jeweils zur Herausgabe des Grundstücks. Die
Berufungen hiergegen wies das Oberlandesgericht Rostock mit zwei Beschlüssen nach § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Die
Eigentumsvermutung des § 891 BGB sei nicht widerlegt worden. Es finde in der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts keine Stütze, eine Pflicht der Bundesrepublik Deutschland anzunehmen,
verfügungsbefugte juristische Personen von der Übereignung restitutionsbelasteter Grundstücke abzuhalten. Eine
vom Beklagten zu 1. jeweils erhobene Eventual-Zwischenfeststellungswiderklage werde mit dem Beschluss nach
§ 522 Abs. 2 ZPO wirkungslos. Wenn die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO vorlägen, könne das
Berufungsgericht nicht durch eine mit der Berufung erhobene Klageerweiterung oder Widerklage gezwungen werden,
mündlich zu verhandeln.
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b) Zweitens wenden sich die Beschwerdeführerinnen zu 2. und 3. gegen das Unterlassen des Gesetzgebers, „die
Restitution im Sinne einer Rehabilitierung wegen der immateriellen Aspekte einer politischen Verfolgung und einer
Rückgabe der im Zusammenhang damit eingezogenen Vermögenswerte“ geregelt zu haben.
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c) Schließlich beantragen die Beschwerdeführerinnen zu 2. und 3., der Bundesrepublik Deutschland, dem Land
Mecklenburg-Vorpommern, dem Landkreis D. und der Gemeinde I. im Wege der einstweiligen Anordnung zu
untersagen, über die Grundstücke zu verfügen, die ehemals zu den näher bezeichneten Gütern gehörten.
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2. a) Im Hinblick auf die Gerichtsentscheidungen rügen die Beschwerdeführer zunächst eine Verletzung ihrer Rechte
aus Art. 1 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 25 GG und Art. 35 der Artikel der Völkerrechtskommission der
Vereinten Nationen zum Recht der Staatenverantwortlichkeit (Anlage zur Resolution Nr. 56/83 der
Generalversammlung der Vereinten Nationen) sowie Art. 26 des Paktes über die bürgerlichen und politischen Rechte
vom 19. Dezember 1966 (BGBl 1973 II S. 1534). Sowohl die schuldrechtlichen als auch die dinglichen
Rechtsgeschäfte im Zusammenhang mit den Grundstücksveräußerungen seien wegen Verletzung von zwingendem
Völkerrecht gemäß § 134 BGB nichtig. Die Gerichtsentscheidungen versagten den Beschwerdeführern den ihnen
zustehenden völkerrechtlichen Restitutionsanspruch. Ferner würden die Beschwerdeführer im Vergleich mit den
Opfern nationalsozialistischer Verfolgung oder der „Waldheimer Prozesse“ benachteiligt.
8
Der Beschwerdeführer zu 1. macht darüber hinaus eine Verletzung seines Rechts auf effektiven Rechtsschutz nach
Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip geltend. Das Oberlandesgericht Rostock habe ihm im
Verfahren 12 U 15/06 durch einen Übertragungsfehler bei der Höhe des Streitwerts unmöglich gemacht, den
Bundesgerichtshof anzurufen. Ferner habe das Oberlandesgericht fehlerhaft die mündliche Verhandlung über die
Eventual-Zwischenfeststellungswiderklage abgelehnt und die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO bejaht.
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b) Durch das gesetzgeberische Unterlassen sehen sich die Beschwerdeführerinnen zu 2. und 3. ebenfalls in ihren
Rechten aus Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 1 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 25 GG und Art. 35 der Artikel der
Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen zum Recht der Staatenverantwortlichkeit sowie Art. 26 des Paktes
über die bürgerlichen und politischen Rechte vom 19. Dezember 1966 und Art. 3 Abs. 3 GG verletzt. Der Gesetzgeber
habe kein Gesetz erlassen, welches die völkerrechtlich begründeten Restitutionsansprüche für die Opfer politischer
Verfolgung zum Gegenstand habe.
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1. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Weder kommt ihr grundsätzliche
verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten
Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.
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a) Sofern die Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 25 GG durch die
angegriffenen Gerichtsentscheidungen rügen, ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet. Das
Bundesverfassungsgericht hat bereits festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland keiner aus dem Völkerrecht
abgeleiteten Pflicht zur Restitution der von der Boden- oder Industriereform Betroffenen unterliegt (vgl. BVerfGE 112,
1 <32>). Sofern die Beschwerdeführer geltend machen, der Restitutionsausschluss erschöpfe sich für die Opfer der
Boden- und Industriereform nicht in einem reinen Vermögensunrecht, sondern perpetuiere eine Kollektivstrafe und ein
Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gibt dies keinen Anlass zu einer anderen Bewertung. Denn die
Beschwerdeführer
tragen
keine
neuen
Tatsachen
vor,
die
der
genannten
Entscheidung
des
Bundesverfassungsgerichts nicht ebenfalls schon zugrunde gelegen hätten. Der Restitutionsausschluss verstößt
auch nicht gegen Gleichheitsrechte. Die verfassungsrechtliche Pflicht, das Völkerrecht zu respektieren, beinhaltet
keine höheren Anforderungen als Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 112, 1 <38>). Außerdem ist es
verfassungskonform, dass den Opfern rassischer, politischer, religiöser oder weltanschaulicher Verfolgung während
der nationalsozialistischen Herrschaft - anders als den Opfern der Boden- und Industriereform - ein
Restitutionsanspruch nach dem Vermögensgesetz (Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen, als fortgeltendes
Recht der Deutschen Demokratischen Republik übergeleitet zum 3. Oktober 1990, neu gefasst am 9. Februar 2005,
BGBl I S. 205) zusteht (vgl. BVerfGE 94, 12 <45>). In gleicher Weise verstößt es auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG,
wenn den Opfern der „Waldheimer Prozesse“ gemäß § 1 Abs. 2 des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes
(Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im
Beitrittsgebiet, neu gefasst am 17. Dezember 1999, BGBI I S. 2664) die strafrechtliche Rehabilitierung ermöglicht
wird, grundsätzlich aber nicht den Opfern der Boden- und Industriereform. Die „Waldheimer Prozesse“ waren politisch
motivierte Strafverfahren ohne rechtsstaatliche Garantien, in denen hohe Freiheits- und Todesstrafen verhängt wurden
(vgl. dazu z.B. Fricke, Politik und Justiz in der DDR, 1979, S. 205 ff.; Werkentin, Politische Strafjustiz in der Ära
Ulbricht, 1995, S. 174 ff.). Es ist dem Gesetzgeber nicht verwehrt, diese Prozesse generell als rehabilitierungswürdige
Maßnahmen politischer Verfolgung zu werten, nicht aber die nur vordergründig als politische Reinigungsaktion
getarnte Verstaatlichung der Wirtschaft in der Boden- und Industriereform (dazu von der Beck, Die Konfiskationen in
der Sowjetischen Besatzungszone von 1945 bis 1949, 1996, S. 91 f.).
12
Gleiches gilt auch im Hinblick auf die gerügte Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz. Der mögliche
Übertragungsfehler bei der Höhe des Streitwerts beeinträchtigt die Rechtsschutzmöglichkeiten des Beschwerdeführers
zu 1. schon deswegen nicht, weil die Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO gemäß § 522
Abs. 3 ZPO generell unanfechtbar ist. Sofern der Beschwerdeführer zu 1. die unrichtige Anwendung des § 522 Abs. 2
Satz 1 ZPO rügt, stellt er keinen Bezug zu verfassungsrechtlich verbürgten Rechtspositionen her. Eine willkürliche
Rechtsanwendung ist nicht zu erkennen. Die Entscheidung, nicht mündlich zu verhandeln, ist rechtlich
nachvollziehbar (vgl. Gummer/Heßler, in: Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 522 Rn. 37). Gleiches gilt für die Annahme
des Oberlandesgerichts, dass die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen in der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts geklärt seien.
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b) Die Rüge des gesetzgeberischen Unterlassens durch die Beschwerdeführerinnen zu 2. und 3. ist bereits
unzulässig. Gesetzgeberisches Unterlassen kann nur bei völliger Untätigkeit des Gesetzgebers gerügt werden. Hat
der Gesetzgeber eine Regelung getroffen, die nach Ansicht des Beschwerdeführers verfassungswidrig ist, weil sie
beispielsweise nur bestimmte Personenkreise begünstigt, so ist die Verfassungsbeschwerde allein gegen diese
gesetzliche Vorschrift zulässig (vgl. BVerfGE 29, 268 <273>; 56, 54 <71>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des
Ersten Senats vom 23. August 1999 - 1 BvR 2164/98 -, NJW 1999, S. 3478 <3479>). Vorliegend hat der Gesetzgeber
Restitution und Rehabilitierung von Betroffenen der Boden- und Industriereform jedoch umfänglich in Art. 143 Abs. 3
GG, im Einigungsvertragsgesetz (Gesetz zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 23.
September 1990, BGBl II S. 885), im Ausgleichsleistungsgesetz (Gesetz über staatliche Ausgleichsleistungen für
Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage, die nicht mehr rückgängig gemacht
werden können vom 27. September 1994, neu gefasst am 13. Juli 2004, BGBl I S. 1665) sowie im Strafrechtlichen
Rehabilitierungsgesetz und im Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (vom 23. Juni 1994, neu gefasst am 1.
Juli 1997, BGBl I S. 1620 - VwRehaG) geregelt.
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2. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung.
15
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Broß
Di Fabio
Landau