Urteil des BVerfG vom 16.08.2010

BVerfG: verfassungsbeschwerde, erlass, freiheit, sicherungsverwahrung, wahrscheinlichkeit, freilassung, vollzug, bekanntmachung, presse, bibliothek

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1762/10 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn M…
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Georg M. Seidenschwand,
Schwindweg 3, 93051 Regensburg -
I. unmittelbar gegen
a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 7. Juli 2010 - 1 Ws 342/10 -,
b) den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg
mit dem Sitz in Straubing vom 4. Juni 2010 - StVK 209/1994 -,
II. mittelbar gegen
§ 67d Abs. 3 StGB
hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Voßkuhle,
die Richter Mellinghoff
und Gerhardt
gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August
1993 (BGBl I S. 1473) am 16. August 2010 einstimmig beschlossen:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Gründe:
1
1. Nach § 32 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung
vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen
Wohl dringend geboten ist. Auch in einem Verfahren über eine Verfassungsbeschwerde kann eine einstweilige
Anordnung erlassen werden (vgl. BVerfGE 66, 39 <56>; stRspr). Dabei haben die Gründe, die für die
Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben.
Etwas anderes gilt nur, wenn sich die Verfassungsbeschwerde von vornherein als unzulässig oder offensichtlich
unbegründet
erweist.
Bei
offenem
Ausgang
des
Verfassungsbeschwerdeverfahrens
muss
das
Bundesverfassungsgericht hingegen die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge,
die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte
einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE
87, 334 <338>; 89, 109 <110>; stRspr).
2
2. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Die
aufgeworfenen Rechtsfragen werden im Hauptsacheverfahren zu klären sein.
3
3. Die danach gebotene Folgenabwägung führt zur Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Erginge die einstweilige Anordnung nicht, hätte aber die Verfassungsbeschwerde später Erfolg, so entstünde dem
Beschwerdeführer in der Zwischenzeit durch den Vollzug der Sicherungsverwahrung ein schwerer, nicht wieder
gutzumachender Verlust an persönlicher Freiheit. Wenn die einstweilige Anordnung erginge und der
Verfassungsbeschwerde später der Erfolg zu versagen wäre, entstünden ebenfalls schwerwiegende Nachteile. Das
Oberlandesgericht Nürnberg hat auf der Grundlage eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens
nachvollziehbar dargelegt, dass der Beschwerdeführer einen Hang zu schweren Sexualstraftaten (Vergewaltigungen)
habe und deshalb im Falle seiner Freilassung mit hoher Wahrscheinlichkeit entsprechende Delikte verüben werde,
durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schweren Schaden nehmen würden. Angesichts der besonderen
Schwere der drohenden Straftaten überwiegt das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit das Interesse des
Beschwerdeführers an der Wiedererlangung seiner persönlichen Freiheit.
4
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Voßkuhle
Mellinghoff
Gerhardt