Urteil des BSG vom 13.03.2017

BSG (behandlung, behandlung im ausland, versorgung, genehmigung, voraussetzung des leistungsanspruchs, wirtschaftlichkeit der behandlung, prüfung, ausland, gesetz, eugh)

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 30.6.2009, B 1 KR 19/08 R
Krankenversicherung - Kostenerstattungsanspruch für im EG-Ausland beschafften
Zahnersatz - Genehmigung durch Krankenkasse - Genehmigungsvorbehalt verstößt
nicht gegen Gemeinschaftsrecht
Leitsätze
1. Der Anspruch auf Kostenerstattung für einen im EG-Ausland beschafften Zahnersatz setzt
die Genehmigung der Versorgung nach Prüfung einer einem Heil- und Kostenplan
vergleichbaren Unterlage durch die Krankenkasse vor der Behandlung voraus.
2. Das Erfordernis der vorherigen Genehmigung der zahnprothetischen Versorgung verstößt
nicht gegen Europarecht.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten einer in der Tschechischen Republik
durchgeführten zahnprothetischen Versorgung.
2 Die beklagte Krankenkasse (KK) genehmigte der 1963 geborenen, bei ihr versicherten
Klägerin am 15.7.2004 eine zahnprothetische Versorgung gemäß Heil- und Kostenplan (HKP)
des Zahnarztes I. (Ö.). Diese Versorgung ließ die Klägerin in der Folgezeit jedoch nicht
durchführen, sondern beschaffte sich am 25.3.2006 Zahnersatz von dem Zahnarzt Dr. H. F. in
C. (Tschechische Republik) gegen eine Vergütung von 1.810 Euro. Am 6.4.2006 erhielt die
Beklagte die mit "Kostenvoranschlag/Rechnung" überschriebene Rechnung des Dr. H. F. vom
11.3.2006 in Höhe von 1.810 Euro. Die Beklagte lehnte eine Kostenerstattung ab, weil die
Behandlung nicht zuvor genehmigt worden sei (Bescheid vom 31.5.2006;
Widerspruchsbescheid vom 21.7.2006).
3 Mit ihrer Klage hat die Klägerin ua vorgebracht, entsprechend einer ihr telefonisch erteilten
Auskunft der Beklagten habe sie dieser den Kostenvoranschlag vor der Behandlung
vorgelegt, sei aber von der Beklagten nicht darauf hingewiesen worden, dass auch die
Genehmigung vor der Behandlung erteilt werden müsse. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage
abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 11.10.2007). Die Berufung der Klägerin hat das
Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen: Ihr stehe kein Erstattungsanspruch nach § 13
Abs 4 SGB V in Höhe der Festzuschüsse nach § 55 SGB V zu. Wie sich aus § 55, § 87 Abs
1a SGB V und den Bestimmungen des Bundesmantelvertrages-Zahnärzte (BMV-Z)
entnehmen lasse, sei eine auf dem HKP basierende vorherige Genehmigung der KK
zwingende Voraussetzung für einen Anspruch auf Festzuschüsse für eine zahnprothetische
Versorgung. Dies gelte auch bei einer Auslandsbehandlung. Eine diskriminierende
Beeinträchtigung der europäischen Dienstleistungsfreiheit ergebe sich daraus nicht. Der HKP
müsse nicht auf den hierfür vorgesehenen inländischen Formularen, die einem ausländischen
Arzt ggf nicht zur Verfügung stünden, erstellt werden; es genüge ein "Kostenvoranschlag", aus
dem sich die Befunde und die beabsichtigte zahnprothetische Versorgung ergäben. Es könne
nicht festgestellt werden, dass die Klägerin der Beklagten den Kostenvoranschlag des
tschechischen Zahnarztes vor der Behandlung am 25.3.2006 zugeleitet habe; zumindest habe
die Klägerin nicht den Ausgang des Genehmigungsverfahrens abgewartet. Der von der
Klägerin behauptete Beratungsfehler könne einen Erstattungsanspruch nach § 13 Abs 4 SGB
V ebenfalls nicht begründen (Urteil vom 17.9.2008).
4 Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verletzung des materiellen Bundesrechts und des
europäischen Rechts. Der BMV-Z gelte nur für inländische Vertragsärzte. Der
Genehmigungsvorbehalt betreffe daher nicht ausländische Ärzte und dürfe einem
Versicherten nicht entgegengehalten werden. Zudem stelle das Genehmigungsverfahren eine
nicht gerechtfertigte Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs dar, da es dem
ausländischen Arzt unbekannt sei, von ihm nicht beeinflusst werden könne und ihn von der
Behandlung der Versicherten deutscher KKn abhalte. Auch wenn das
Genehmigungserfordernis den inländischen Arzt ebenso betreffe wie den ausländischen Arzt,
diskriminiere es doch den Zahnarzt im Ausland zumindest mittelbar.
5 Die Klägerin beantragt ,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. September 2008 und den
Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11. Oktober 2007 aufzuheben sowie die
Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 31. Mai 2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 2006 zu verurteilen, ihr 1.810 Euro zu erstatten.
6 Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
7 Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
8 Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG ihre Berufung
gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid des SG zurückgewiesen, denn sie hat
gegen die beklagte KK keinen Anspruch auf Kostenerstattung für die im Jahr 2006 in
Tschechien durchgeführte Versorgung mit Zahnersatz.
9 Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus der allein in Betracht kommenden
Rechtsgrundlage des § 13 Abs 4 Satz 1 SGB V (in der ab 1.1.2004 bis 31.12.2006 geltenden
Fassung des Art 1 Nr 4 Buchst b Gesetz vom 14.11.2003, BGBl I 2190). Nach dieser
Vorschrift sind Versicherte berechtigt, auch Leistungserbringer in anderen Staaten, in denen
die Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14.6.1971 zur Anwendung der Systeme
der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der
Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl L 149, 2; hier anzuwenden in der konsolidierten
Fassung vom 30.1.1997, ABl L 28, 1 zum hier maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert
durch die Verordnung Nr 647/2005 vom 13.4.2005, ABl L 117, 1) , in ihrer jeweils
geltenden Fassung anzuwenden ist, anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der
Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen
Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten
oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Die
Voraussetzungen dieser Vorschrift sind schon deshalb nicht erfüllt, weil die Klägerin keinen
Primärleistungsanspruch auf die entsprechende Naturalleistung in Deutschland hat. Der
Primärleistungsanspruch setzt die Einhaltung eines bestimmten Verfahrens voraus: die
Prüfung des HKP und Genehmigung des Festzuschusses nach § 55, § 87 Abs 1a Satz 2 ff
SGB V durch die KK vor einer zahnprothetischen Behandlung (dazu 1.). Dieses Verfahren
hat die Klägerin nicht eingehalten (dazu 2.). Das Erfordernis, vor der Behandlung der KK
einen HKP vorzulegen, verstößt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht gegen
Europarecht (dazu 3.).
10 1. Wie sich aus der Formulierung "anstelle der Sach- oder Dienstleistung" in § 13 Abs 4 Satz
1 SGB V ergibt, setzt die Vorschrift einen Anspruch auf die entsprechende Naturalleistung
nach dem SGB V voraus. Dies gilt nicht nur für den Regelfall eines Sach- und
Dienstleistungsanspruchs, sondern auch für den Fall, dass nach dem Recht des SGB V an
dessen Stelle eine Geldleistung getreten ist. In beiden Fällen hängt ein Anspruch aus § 13
Abs 4 Satz 1 SGB V grundsätzlich davon ab, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs
nach dem SGB V vorliegen. Dahingestellt bleiben kann demnach, ob der Anspruch auf
befundbezogene Festzuschüsse bei einer Versorgung mit Zahnersatz nach § 55 SGB V eine
Sachleistung darstellt (so für die Zeit bis 1998: Bundessozialgericht - BSG - <1.Senat> SozR
4-2500 § 28 Nr 2 RdNr 4; ferner: Engelhard in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand Juni 2009, K § 55
RdNr 35; Wagner in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, Stand
November 2008, § 55 SGB V RdNr 5) oder eine Geldleistung (so etwa Höfler in: Kassler
Komm, Stand April 2009, § 55 SGB V RdNr 64; Zuck in: Quaas/Zuck, Medizinrecht, 2. Aufl
2008, § 30 RdNr 14 ). Jedenfalls sind die betreffenden Leistungen bei einer Versorgung im
Inland nach wie vor dem öffentlich-rechtlich ausgestalteten Leistungssystem des SGB V und
der vertragszahnärztlichen Versorgung zuzuordnen (vgl schon BSG SozR 3-5555 § 12 Nr 3
S 15 ff; BSG SozR 4-5555 § 12 Nr 1 S 2 ff) . Danach hat ein Anspruch auf die Festzuschüsse
nach §§ 55, 87 Abs 1a Satz 2 ff SGB V (§ 55 in der ab 1.1.2005 geltenden Fassung des Art 1
Nr 36 Gesetz vom 14.11.2003, BGBl I 2190, dieser in der Fassung des Art 1 Nr 1 Buchst a
Gesetz vom 15.12.2004, BGBl I 3445 und des Art 4a Gesetz vom 30.7.2004, BGBl I 2014; §
87 in der ab 1.10.2005 geltenden Fassung des Art 6 Nr 9 Gesetz vom 9.12.2004, BGBl I
3242) ua auch die Prüfung der beabsichtigten Versorgung und deren vorherige
Genehmigung durch die KK zur Voraussetzung.
11 Nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 2a SGB V umfasst die Krankenbehandlung die Versorgung mit
Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen. (Hier nicht bedeutsame)
Einzelheiten zum Anspruch auf zahnärztliche Behandlung sind in § 28 Abs 2 SGB V
geregelt. Nach § 55 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte nach den Vorgaben in den
Sätzen 2 bis 7 Anspruch auf befundbezogene Festzuschüsse bei einer medizinisch
notwendigen Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und
Suprakonstruktionen (zahnärztliche und zahntechnische Leistungen) in den Fällen, in denen
eine zahnprothetische Versorgung notwendig ist und die geplante Versorgung einer
Methode entspricht, die gemäß § 135 Abs 1 SGB V anerkannt ist. § 87 Abs 1a Satz 2 ff SGB
V in der hier maßgeblichen, ab 1.1.2005 (bis 30.6.2008) geltenden Fassung ( Abs 1a
eingefügt durch Art 1 Nr 66 Buchst b Gesetz vom 14.11.2003, BGBl I 2190) bestimmt, dass
im BMV-Z folgende Regelungen zu treffen sind: Der Vertragszahnarzt hat vor Beginn der
Behandlung einen kostenfreien HKP zu erstellen, der den Befund, die Regelversorgung und
die tatsächlich geplante Versorgung auch in den Fällen des § 55 Abs 4 und 5 SGB V nach
Art, Umfang und Kosten beinhaltet (Satz 2). Im HKP sind Angaben zum Herstellungsort des
Zahnersatzes zu machen (Satz 3). Der HKP ist von der KK vor Beginn der Behandlung zu
prüfen (Satz 4). Die KK kann den Befund, die Versorgungsnotwendigkeit und die geplante
Versorgung begutachten lassen (Satz 5). Bei bestehender Versorgungsnotwendigkeit
bewilligt die KK die Festzuschüsse gemäß § 55 Abs 1 oder 2 SGB V entsprechend dem im
HKP ausgewiesenen Befund (Satz 6). Nach Abschluss der Behandlung rechnet der
Vertragszahnarzt die von der KK bewilligten Festzuschüsse mit Ausnahme der Fälle des §
55 Abs 5 SGB V mit der Kassenzahnärztlichen Vereinigung ab (Satz 7). Die Umsetzung
dieser Vorgaben findet sich in der Anlage 3 zum BMV-Z (in der Fassung vom 13.11.1985,
geändert durch Vereinbarung vom 18.8.1993, derzeitiger Stand: 1.2.2008) .
12 Nach dem dargestellten Regelungskomplex ist die Genehmigung der zahnprothetischen
Versorgung vor ihrer Durchführung und nach Prüfung des entsprechenden HKP (dazu aa)
Voraussetzung des Leistungsanspruchs nach § 55 Abs 1 SGB V (dazu bb).
13 aa) Zwar fordert § 87 Abs 1a Satz 6 SGB V nicht ausdrücklich, dass die Bewilligung des
Festzuschusses vor der Behandlung zu erfolgen hat. Jedoch ergibt sich dies aus der
Entstehungsgeschichte, dem Sinn und Zweck sowie dem systematischen Zusammenhang
der Regelung (vgl in diesem Sinne: Engelhard, aaO, K § 55 RdNr 162; Höfler, aaO, § 55
SGB V RdNr 53, 57) .
14 § 55 SGB V ersetzte mit Wirkung vom 1.1.2005 § 30 SGB V in der bis zum 31.12.2004
geltenden Fassung (Art 1 Nr 3 Gesetz vom 19.12.1998, BGBl I 3853) . § 30 Abs 4 Satz 3
SGB V regelte in der ab dem 1.1.1999 geltenden Fassung, dass die im HKP vorgesehene
Versorgung mit Zahnersatz vor Beginn der Behandlung der Genehmigung bedurfte. Mit der
Einführung der befundbezogenen Festzuschüsse in § 55 SGB V (durch Art 1 Nr 36 Gesetz
vom 14.11.2003, BGBl I 2190) wurden die Regelungen zum HKP in den neu geschaffenen
Abs 1a des § 87 SGB V aufgenommen. Eine Änderung der Rechtslage sollte damit aber
nicht verbunden sein. Vielmehr enthält die Gesetzesbegründung neben den Erläuterungen
zu den Neuregelungen den Hinweis, die Regelungen übernähmen ansonsten im
Wesentlichen das geltende Recht (Gesetzentwurf der Fraktionen SPD; CDU/CSU und
Bündnis 90/DIE GRÜNEN zum GKV-Modernisierungsgesetz, BT-Drucks 15/1525 S 104, zu
Nr 66 Buchst b des Entwurfs; vgl auch Engelhard, aaO, K § 87 RdNr 526 ).
15 Zu § 30 Abs 4 Satz 3 SGB V (in der ab 1.1.1999 bis 31.12.2004 geltenden Fassung) hatte
der 1. Senat des BSG ausgeführt, das abweichend vom Regelfall der Krankenbehandlung
bestehende Genehmigungserfordernis rechtfertige sich daraus, dass einerseits die
Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Zahnersatzversorgung anhand von
Röntgenaufnahmen und Voruntersuchungen (Vitalitätsprüfung, Parodontosezustand usw)
gut vorab beurteilt werden könne, andererseits eine nachträgliche Prüfung nach
Eingliederung des fertigen Zahnersatzes auf besondere Schwierigkeiten stoße. Der mit der
Vorlage des Behandlungsplans und dem Genehmigungserfordernis verfolgte Zweck entfalle,
wenn die Zahnersatzversorgung bereits durchgeführt worden sei. Eine nachträgliche
Genehmigung durch die KK ergäbe dann keinen Sinn mehr (vgl BSG SozR 4-1500 § 55 Nr 1
RdNr 10 f) . Diese Aussagen gelten gleichermaßen für die hier maßgebliche Rechtslage.
16 Wie sich aus dem Regelungszusammenhang des § 87 Abs 1a Satz 2 bis 7 SGB V ableiten
lässt, unterscheidet der Gesetzgeber zwischen Maßnahmen, die vor und die nach der
Behandlung erfolgen müssen. Nach Satz 4 der Bestimmung erfolgt die Prüfung des HKP vor
der Behandlung, während nach Satz 7 die Abrechnung der Festzuschüsse nach der
Behandlung zu geschehen hat. Systematisch stellt sich die Bewilligung des Festzuschusses
als Endpunkt und damit als Teil der Prüfung des HKP dar. Sie hat daher in Anknüpfung an §
87 Abs 1a Satz 4 SGB V vor der Behandlung zu erfolgen. Wie der Senat schon zu der
Vorgängerregelung ausgeführt hat, kann auch nur auf diese Art und Weise der mit dem HKP
verfolgte Zweck erreicht werden.
17 bb) Die im 4. Kapitel des SGB V angesiedelten Vorschriften zum Genehmigungserfordernis
regeln nicht nur die Beziehungen zwischen KKn und Leistungserbringern, sondern gestalten
auch das Leistungsrecht. Dies folgt zunächst aus der Entstehungsgeschichte der Normen.
Mit der Einführung der befundbezogenen Festzuschüsse in § 55 SGB V (durch Art 1 Nr 36
Gesetz vom 14.11.2003, BGBl I 2190) wurden die Regelungen zum HKP nicht mehr - wie
zuvor in § 30 SGB V - in die Vorschrift über den Leistungsanspruch, sondern in den neu
geschaffenen Abs 1a des § 87 SGB V aufgenommen. Die Rechtslage sollte damit - wie
bereits dargelegt - insoweit aber nicht geändert werden, der Gesetzgeber wollte vielmehr im
Wesentlichen das geltende Recht übernehmen (Gesetzesbegründung, aaO, BT-Drucks
15/1525 zu Nr 66 Buchst b; vgl auch Engelhard, aaO, K § 87 RdNr 526 ).
18 Auch Sinn und Zweck der Regelung sprechen für ihre Auswirkung auf das Leistungsrecht.
Zweck der Aufstellung des HKP und des Genehmigungserfordernisses ist die Einhaltung der
Grundsätze der Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit bei der in der Regel
kostenaufwändigen zahnprothetischen Behandlung. Der KK soll - anders als bei der
ärztlichen Behandlung im Übrigen - Gelegenheit gegeben werden, die vorgesehene
Versorgung mit Zahnersatz vorab zu überprüfen und gegebenenfalls begutachten zu lassen,
um auf diesem Wege die Inanspruchnahme der in aller Regel mit hohen Kosten
verbundenen Zahnersatzleistungen - auch im Interesse des Versicherten - steuern zu
können (vgl zur Rechtslage vor dem 1.1.2005: BSG SozR 4-1500 § 55 Nr 1 RdNr 10). Dieser
Zweck würde unterlaufen, wenn nicht auch der Leistungsanspruch des Versicherten von der
Genehmigung der Behandlung abhängig wäre.
19 2. Die Klägerin hat für die am 25.3.2006 in Tschechien durchgeführte Behandlung nicht das
vorgeschriebene Genehmigungsverfahren durchgeführt.
20 Der Kostenvoranschlag des tschechischen Zahnarztes ging nach den nicht mit der Revision
angegriffenen und daher für den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG erst
am 6.4.2006 bei der Beklagten ein. Eine Prüfung und Genehmigung dieses HKP war
demnach vor der Behandlung unmöglich. Da also schon der HKP der Beklagten zu spät
vorgelegt worden ist, ist unerheblich, ob die Beklagte die Klägerin - wie diese vorträgt - im
Rahmen eines Telefonats nicht darauf hingewiesen hat, dass auch die Genehmigung vor der
Behandlung hätte erteilt werden müssen.
21 Anzuknüpfen ist nicht etwa an den am 15.7.2004 von der Beklagten genehmigten HKP des
Zahnarztes I. (Ö.) vom 13.7.2004. Dahingestellt bleiben kann, ob überhaupt und ggf unter
welchen Bedingungen die Genehmigung des HKP eines anderen als die Behandlung
durchführenden Zahnarztes herangezogen werden kann. Denn die Genehmigung des HKP
vom 15.7.2004 verlor jedenfalls durch Zeitablauf ihre rechtliche Wirkung. Eine enge zeitliche
Anbindung der Behandlung an die Prüfung und Genehmigung des HKP ergibt sich aus der
Sache selbst: Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Behandlung lassen
sich nur bezogen auf einen konkreten Gesundheitszustand, der sich schon durch bloßen
Zeitablauf oder wegen inzwischen durchgeführter Maßnahmen geändert haben kann,
bestimmen. Dementsprechend ist nach der Anlage 3 zum BMV-Z in der damals geltenden
Fassung (vgl unter "III. Zuschussfestsetzung" der Anlage 3 des BMV-Z in der Fassung vom
13.11.1985, geändert durch Vereinbarung vom 18.8.1993, Stand: 7.4.2004) für die
Wirksamkeit der Genehmigung des Festzuschusses erforderlich, dass die Behandlung
innerhalb von sechs Monaten nach Genehmigung erfolgt. Dies war hier nicht der Fall;
zwischen der Genehmigung im Juli 2004 und der Durchführung der Behandlung im März
2006 liegen mehr als 1 ½ Jahre.
22 3. Das für eine inländische Behandlung zwingend zu durchlaufende
Genehmigungsverfahren ist auch bei einer Behandlung in einem anderen EG-Mitgliedstaat
grundsätzlich einzuhalten (dazu a). Eine europarechtliche Diskriminierung geht damit bei
europarechtskonformer Anpassung des Verfahrens nicht einher (dazu b).
23 a) Die Regelung des zum 1.1.2004 durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen
Krankenversicherung vom 14.11.2003 (BGBl I 2190) eingefügten § 13 Abs 4 SGB V setzt die
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur (passiven) Dienstleistungs- und
Warenfreiheit im Bereich des Gesundheitswesens um und passt damit das deutsche
Krankenversicherungsrecht an die europarechtlichen Vorgaben an (vgl dazu BSGE 93, 94 =
SozR 4-2500 § 13 Nr 4, jeweils RdNr 8 ff) . Da die Leistungserbringer im Ausland
typischerweise nicht in das deutsche Leistungserbringungssystem eingegliedert sind, wird
Kostenerstattung gewährt. Wie sich schon aus der Formulierung "anstelle der Sach- oder
Dienstleistung" in § 13 Abs 4 Satz 1 SGB V ergibt, setzt dieser Umstand jedoch - ähnlich wie
in den weiteren Fällen der Kostenerstattung nach § 13 Abs 2 und 3 SGB V (stRspr zu § 13
Abs 3 SGB V, vgl zuletzt BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KR 11/08 R, SozR 4-2500 § 13
Nr 19 RdNr 12 ff) - nicht das SGB V im Übrigen außer Kraft, sondern belässt es bei seinem
Leistungsrahmen.
24 Das aufgezeigte Regelungskonzept des § 13 Abs 4 SGB V entspricht europäischem Recht:
Es nimmt hin, dass Leistungsvoraussetzungen und Begrenzungen des Leistungsumfangs,
die im nationalen Recht angelegt sind, uneingeschränkt gelten, wenn und solange sie für die
Betroffenen nicht in europarechtswidriger Weise diskriminierend wirken (vgl EuGHE I 2003,
4509, RdNr 97 ff, 106 ff = SozR 4-6030 Art 59 Nr 1 RdNr 127 ff, 137 ff - Müller-Fauré/van
Riet; EuGHE I 2004, 2641 RdNr 48 ff - Leichtle; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 3 RdNr 11; BSGE
93, 94 = SozR 4-2500 § 13 Nr 4, jeweils RdNr 10) . Daher kann die Übernahme von Kosten
für eine Krankenbehandlung im Ausland innerhalb der EU von dem in Betracht kommenden
inländischen Leistungsträger - hier der beklagten KK - nur insoweit verlangt werden, als das
Krankenversicherungssystem des Staates der Versicherungszugehörigkeit eine Deckung
garantiert (stRspr, vgl EuGHE I 2003, 4509, RdNr 106 = SozR 4-6030 Art 59 Nr 1 RdNr 137 -
Müller-Fauré/van Riet) . So hat der EuGH etwa auch das Erfordernis, vor dem Facharzt
zunächst einen Allgemeinarzt zu konsultieren, ausdrücklich als zulässig angesehen (vgl
EuGHE I 2003, 4509, RdNr 106 = SozR 4-6030 Art 59 Nr 1 RdNr 137 - Müller-Fauré/van
Riet) . Dementsprechend gilt der Arztvorbehalt des § 15 SGB V für den Anspruch auf
Versorgung mit Arzneimitteln und Laboruntersuchungen als Teil der Krankenbehandlung
auch bei einer Behandlung im Ausland innerhalb der EU (vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 3
RdNr 13 ff) .
25 b) Das Erfordernis der Vorlage eines HKP zur Genehmigung auch bei einer Behandlung im
Ausland innerhalb der EU steht nicht im Widerspruch zu der durch Art 49 EG
gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit. Denn es bewirkt nicht, dass die in Deutschland
zugelassenen Leistungserbringer gegenüber Anbietern von medizinischen Sach- und
Dienstleistungen, die in anderen Mitgliedstaaten der EU ansässig sind, ungerechtfertigt
privilegiert werden.
26 Das dargestellte Verfahren der Vorlage und Prüfung des HKP durch die KK vor der
zahnprothetischen Behandlung gilt unterschiedslos für den Fall der Versorgung mit
Zahnersatz im Inland wie im Ausland. Nach der Rechtsprechung des EuGH geht mit
Anforderungen, die sowohl für Leistungen im Inland als auch im Ausland Geltung
beanspruchen, grundsätzlich keine Beeinträchtigung der europarechtlichen (passiven)
Dienstleistungsfreiheit einher; dies gilt insbesondere auch für die Durchführung eines
Anerkennungs- bzw Genehmigungsverfahrens (vgl EuGHE I 2004, 2641, RdNr 37, 40 mwN -
Leichtle; vgl zB auch Becker/Walser, NZS 2005, 449, 455 f).
27 Eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit kann sich entgegen der Ansicht der
Klägerin nicht daraus ergeben, dass dem in einem anderen EG-Mitgliedstaat ansässigen
Arzt das Erfordernis eines solchen Verfahrens für die Bewilligung des Festzuschusses
möglicherweise unbekannt ist und von ihm daher nicht beeinflusst werden kann. Würde man
- worauf die Argumentation der Klägerin hinaus läuft - nur solche Voraussetzungen und
Anforderungen des inländischen Rechtes im Falle einer Auslandsbehandlung für
anwendbar erklären, von denen der nicht in Deutschland niedergelassene Arzt Kenntnis hat,
so würde dies zu einer willkürlichen und unvorhersehbaren Nichtanwendung inländischen
Rechts führen, welche die Leistungsgrenzen des nationalen Rechts obsolet werden ließe,
obwohl das europäische Recht hierzu keine Handhabe bietet: Nach ständiger
Rechtsprechung des EuGH lässt das Gemeinschaftsrecht die Zuständigkeit der
Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt (EuGHE
1984, 523, juris RdNr 16 - Duphar ua; EuGHE I 1997, 3395, juris RdNr 27- Sodemare ua;
EuGHE I 1998, 1831, juris RdNr 21 = SozR 3-6030 Art 30 Nr 1 S 5 - Decker; EuGHE I 1998,
1931, juris RdNr 17 = SozR 3-6030 Art 59 Nr 5 S 8 - Kohll; EuGH, Urteil vom 10.3.2009, C-
169/09, zur Veröffentlichung vorgesehen in EuGHE, juris RdNr 29 - Hartlauer). In
Ermangelung einer Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene bestimmt deshalb das Recht
eines jeden Mitgliedstaats, unter welchen Voraussetzungen ua ein Anspruch auf Leistung
besteht (EuGHE I 1997, 511, juris RdNr 36 - Stöber und Piosa Pereira; EuGHE I 1998, 1831,
juris RdNr 22 = SozR 3-6030 Art 30 Nr 1 S 5 - Decker; EuGHE I 1998, 1931, juris RdNr 18 =
SozR 3-6030 Art 59 Nr 5 S 8 - Kohll).
28 Anhaltspunkte für eine derartige, die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten missachtende
Handhabung der inländischen Anspruchsvoraussetzungen lassen sich auch der
Rechtsprechung des EuGH nicht entnehmen. Vielmehr begründet - wie dargelegt - die
europäische Dienstleistungsfreiheit für den ausländischen Leistungserbringer gerade kein
Recht, ausländische Patienten nur zu den ihm bekannten, ausländischen Bedingungen zu
behandeln (vgl ferner zB Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen
Verfassungsverbund, 2003, 540) .
29 Soweit die Regelungen des § 87 Abs 1a SGB V und des BMV-Z auf im Inland zugelassene
Vertragszahnärzte zugeschnitten sind, ist der Anwendungsbereich des § 87 Abs 1a SGB V
und des BMV-Z allerdings in europarechtskonformer Auslegung auf Behandlungen im
Ausland innerhalb der EU zu erweitern. Diese europarechtskonforme Auslegung kann
bewirken, dass - wie auch das LSG zutreffend ausgeführt hat - der Arzt im Ausland den HKP
nicht zwingend auf den hierfür im Inland zur Verfügung stehenden Formularen erstellen
muss, sondern die für die Prüfung der KK notwendigen Informationen in formloser Art und
Weise zusammenstellen kann. Unklarheiten oder Zweifel können dabei unproblematisch
durch Nachfragen der KK oder des Arztes behoben werden. Wie gerade der vorliegende Fall
zeigt, sind diesbezüglich keine durchgreifenden Bedenken gerechtfertigt; denn die Beklagte
hat der Klägerin das Fehlen der inländischen Formulare zum HKP nicht entgegengehalten.
30 4. Nach den vorstehenden Ausführungen scheidet die Einleitung eines Vorlageverfahrens
an den EuGH nach Art 234 EG aus. Durch die unter 3 a) dargestellte EuGH-Rechtsprechung
ist bereits geklärt, dass Leistungsvoraussetzungen des nationalen Rechts auch bei der
grenzüberschreitenden Inanspruchnahme von Krankenbehandlung uneingeschränkt gelten,
solange sie - wie hier - in gleicher Weise für eine Behandlung im Inland gelten. Es bestehen
daher keine vernünftigen Zweifel an der Auslegung von Europarecht im hier betroffenen
Bereich mehr (vgl hierzu allgemein zB EuGHE 1982, 3415, 3430 - C.I.L.F.I.T.).
31 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.