Urteil des BSG vom 15.12.2010
BSG: familie, deckung, arbeitsmarkt, ausschluss, fahrkosten, ausländer, eltern, duldung, aufenthaltserlaubnis, haushalt
Bundessozialgericht
Urteil vom 15.12.2010
Sozialgericht Münster S 3 KG 10/08
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 19 AS 52/08
Bundessozialgericht B 14 KG 1/09 R
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 2. Februar 2009 wird
zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I
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Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung eines Kinderzuschlags nach § 6a Bundeskindergeldgesetz
(BKGG) für Juli 2007.
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Der 1978 geborene Kläger besaß die Staatsangehörigkeit Serbien-Montenegros. Er ist verheiratet und Vater von vier
Kindern (geboren 1998, 2000, 2002, 2005), für die er Kindergeld erhält. Im streitigen Zeitraum - wie auch zuvor -
hielten er und seine Familie sich auf Grundlage einer Duldung nach § 60a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in
Deutschland auf. Seit dem 11.9.2008 haben er und seine Familie eine Aufenthaltserlaubnis. Er ist
sozialversicherungspflichtig beschäftigt und erzielte im Juli 2007 ein Bruttoeinkommen von 1712,18 Euro, auf das
Steuern und Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 340,95 Euro zu entrichten waren. Er war Eigentümer eines Kfz,
für das er eine Kfz-Versicherung in Höhe von 23,75 Euro monatlich zahlte. Für die Fahrten zur Arbeitsstätte (35 km
einfacher Weg) wechselte er sich bei der Nutzung des Fahrzeugs wochenweise in Fahrgemeinschaft mit seinem
Bruder ab.
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Bis zum Juni 2007 hat der Kläger regelmäßig von der Beklagten einen Kinderzuschlag nach § 6a BKGG erhalten bzw
nur deshalb nicht erhalten, weil sein Einkommen die Mindesteinkommensgrenze nicht erreichte.
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Auf seinen Folgeantrag hin lehnte die Beklagte die Gewährung eines Kinderzuschlags für Juli 2007 mit der
Begründung ab, das bereinigte Erwerbseinkommen erreiche die Mindesteinkommensgrenze von 978,35 Euro nicht
(Bescheid vom 20.7.2007; Widerspruchsbescheid vom 26.2.2008).
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Die Klage zum Sozialgericht (SG) Münster und die Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen
hiergegen blieben ohne Erfolg. Das LSG hat - wie bereits das SG - zur Begründung ausgeführt, der Kläger erfülle die
Voraussetzungen des § 6a BKGG nicht, auch wenn er im streitigen Zeitraum Anspruch auf Kindergeld als
Erwerbstätiger nach dem X. Abschnitt Einkommensteuergesetz (EStG) gehabt habe, weil er nicht zu den
grundsätzlich Leistungsberechtigten nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zähle. Er habe sich im Juli
2007 aufgrund einer Duldung nach § 60a AufenthG in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten und damit zu den
Berechtigten des § 1 Abs 1 Nr 4 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) gehört. Damit habe er nach § 7 Abs 1 Satz 2
SGB II Leistungen nach dem SGB II nicht beanspruchen können und § 6a BKGG finde keine Anwendung. Ohnehin
werde die Mindesteinkommensgrenze vom Kläger nicht erreicht, denn ua die Fahrkosten seien nach der § 3 Abs 1 Nr
3 Buchst b Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung zu bestimmen und abzusetzen. Es seien nicht nur die Kosten
anzusetzen, die in den Wochen entstünden, in denen die Fahrgemeinschaft das Kfz des Klägers genutzt habe.
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Hiergegen richtet sich der Kläger mit seiner Revision und macht geltend, unerheblich für die Gewährung eines
Kinderzuschlages sei, dass er nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II von Leistungen des SGB II dem Grunde nach
ausgeschlossen sei. Entscheidend für die Auslegung von § 6a BKGG müsse sein, dass sein Einkommen die
Mindesteinkommensgrenze erreiche, aber zur Deckung der Bedarfe der gesamten Familie nicht ausreiche. Eine
andere Auslegung führe zu verfassungswidrigen Ergebnissen, denn der Gesetzgeber habe mit der Einführung des
Kinderzuschlages die Armut von Kindern bekämpfen und einen Arbeitsanreiz im Niedriglohnbereich erreichen wollen.
Der Kinderzuschlag habe damit den Charakter einer allgemeinen Sozialleistung. Eine Differenzierung nach Inländern
und Ausländern habe der Gesetzgeber nicht vornehmen wollen. Eine Ungleichbehandlung verstoße gegen Art 3 Abs 1
Grundgesetz, denn eine Differenzierung danach, ob die Eltern eine Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis
haben, finde keine sachliche Rechtfertigung. Sie würde solche Ausländer benachteiligen, die legal in Deutschland
leben und bereits in den deutschen Arbeitsmarkt integriert sind. Die Mindesteinkommensgrenze erreiche der Kläger.
Wegen der Fahrkosten seien nämlich nur diejenigen Kosten abzusetzen, die für Fahrten mit dem eigenen Kfz anfielen.
In den anderen Wochen habe der Kläger entsprechende Kosten nicht, sodass weitergehende Absetzungen nicht
vorzunehmen seien.
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Der Kläger beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 2. Februar 2009 und das Urteil
des Sozialgerichts Münster vom 16. Juli 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für Juli 2007 einen
Kinderzuschlag zu gewähren.
8
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
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Sie hält die angefochtenen Entscheidungen in allen Punkten für zutreffend.
II
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Die zulässige Revision ist nicht begründet. Zutreffend hat das LSG entschieden, dass dem Kläger ein Zuschlag nach
§ 6a BKGG nicht zusteht.
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Kinderzuschlag erhalten nach § 6a Abs 1 BKGG in der insoweit hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur
Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24.3.2006 (BGBl I 2006, 558), die bis
zum 30.9.2008 gegolten hat (aF), Personen für in ihrem Haushalt lebende Kinder, die noch nicht das 25. Lebensjahr
vollendet haben, wenn 1. sie für diese Kinder nach dem BKGG oder dem X. Abschnitt des EStG Anspruch auf
Kindergeld oder Anspruch auf andere Leistungen iS von § 4 BKGG haben, 2. sie mit Ausnahme des Wohngeldes über
Einkommen oder Vermögen iS der §§ 11, 12 SGB II mindestens in Höhe des nach Abs 4 Satz 1 für sie maßgebenden
Betrags und höchstens in Höhe der Summe aus diesem Betrag und dem Gesamtkinderzuschlag nach Abs 2 verfügen
und 3. durch den Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II vermieden wird.
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Der Kläger hat einen Anspruch auf einen Kinderzuschlag nicht, weil durch den Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit nach
§ 9 SGB II nicht vermieden wird. Der Kläger und seine Familie sind nach dem Gesamtzusammenhang der
Feststellungen des LSG vom Bezug nach dem SGB II ausgeschlossen, weil die beiden erwerbsfähigen
hilfebedürftigen Mitglieder der Familie Berechtige nach § 1 Abs 1 Nr 4 AsylbLG sind. Damit können weder sie noch
ihre nicht erwerbsfähigen Kinder Leistungsberechtigte nach dem SGB II sein (vgl § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II in der
Fassung des Gesetzes zur Änderung des SGB II und anderer Gesetze vom 24.3.2006, BGBl I 558).
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Entgegen der Auffassung des Klägers ist anspruchsberechtigt nicht schon derjenige, der ein Einkommen erzielt, das
nach Berücksichtigung entsprechend den Regelungen in §§ 9 ff SGB II zwar zur Deckung des eigenen Bedarfs nach §
19 Satz 1 Nr 1 SGB II einschließlich der Kosten der Unterkunft iS des § 6a Abs 4 Satz 2 BKGG ausreicht, nicht aber
zur Deckung der Bedarfe der in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Kinder (zur Berechnung im Einzelnen vgl BSG
SozR 4-5870 § 6a Nr 1). Der Sinn und Zweck der Vorschrift liegt vielmehr darin, dass Eltern nicht nur wegen der
Unterhaltsbelastung für ihre Kinder auf Arbeitslosengeld II und Sozialgeld angewiesen sein sollen (vgl BT-Drucks
15/1516 S 83). Es soll Hilfebedürftigkeit als Anspruchsvoraussetzung nach dem SGB II und mithin der Bezug von
Leistungen nach dem SGB II vermieden werden. Soweit wegen der Ausschlussregelung in § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II
keines der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II erhalten kann, scheidet damit auch ein
Anspruch nach § 6a BKGG aus.
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Dieser (mittelbare) Ausschluss vom Kinderzuschlag nach § 6a BKGG für Berechtigte nach dem AsylbLG ist ebenso
wie der Ausschluss des betroffenen Personenkreises unmittelbar von Leistungen nach dem SGB II
verfassungsgemäß. Es lassen sich die Überlegungen übertragen, die den Entscheidungen des Senats vom
13.11.2008 (BSGE 102, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 10, jeweils RdNr 19 ff) und vom 21.12.2009 (SozR 4-4200 § 7 Nr 14
RdNr 18) sowie des 4. Senats des Bundessozialgerichts (vom 16.12.2008 - B 4 AS 40/07 R - RdNr 16) zugrunde
liegen. Die Intention des SGB II einerseits, die Eingliederung erwerbsfähiger Hilfebedürftiger in den Arbeitsmarkt, und
der Zweck des AsylbLG andererseits, keine leistungsrechtlichen Anreize zur Einreise und zum Verbleib von
Ausländern zu bieten, rechtfertigt die Differenzierung der Leistungsberechtigung im SGB II danach, ob ein Ausländer
dem AsylbLG unterfällt. Es ergibt sich kein Unterschied daraus, dass der Personenkreis, der die
Mindesteinkommensgrenze des § 6a BKGG erreicht, regelmäßig tatsächlich in den Arbeitsmarkt integriert sein wird.
Wegen der Deckung der Bedarfe zum Lebensunterhalt wird in diesen Fällen regelmäßig § 2 Abs 1 AsylbLG zur
Anwendung kommen und also das Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) entsprechend anzuwenden sein. In
ihrer materiellen Absicherung ist dieser Personenkreis durch die entsprechende Anwendung des SGB XII damit nicht
schlechter gestellt als nach dem SGB II leistungsberechtigte erwerbsfähige Hilfebedürftige. Von den Leistungen der
Arbeitsförderung ist der Kläger schon deshalb nicht ausgeschlossen, weil er als Beschäftigter iS des § 25
Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) Zugang zu den Leistungen des SGB III hat.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.