Urteil des BSG vom 25.09.2000
BSG: krankenkasse, körperliche unversehrtheit, wirtschaftlichkeitsgebot, abschlag, satzung, versorgung, krankenversicherung, abrechnung, zahl, gsg
Bundessozialgericht
Urteil vom 25.09.2000
Sozialgericht Trier
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz
Bundessozialgericht B 1 KR 24/99 R
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. Juli 1999
aufgehoben, soweit es die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 27. Januar 1998
zurückgewiesen hat. In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das
Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe:
I
Die Klägerin, die als Musiktherapeutin in einer Fachklinik für Suchtkranke arbeitet, ist bei der beklagten Ersatzkasse
freiwillig krankenversichert. Sie hat im Oktober 1993 von ihrem Wahlrecht nach § 13 Abs 2 Fünftes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB V) Gebrauch gemacht und anstelle der Inanspruchnahme von Sach- oder Dienstleistungen
die Möglichkeit der Kostenerstattung gewählt. In der Folgezeit wurde sie wegen allgemeiner psycho-vegetativer
Erschöpfung sowie zahlreicher unspezifischer körperlicher Beschwerden von dem als Vertragsarzt zugelassenen
praktischen Arzt Dr. H. behandelt. Dieser bescheinigte, er habe eine immunologische Systemanalyse durchgeführt
und aufgrund der Untersuchungsergebnisse ein chronisches Erschöpfungssyndrom (Chronic Fatigue Syndrome) auf
dem Boden einer chronischen Immundysfunktion diagnostiziert, die mit intravenösen Immunglobulinen behandelt
werde. Im Zusammenhang mit den von Dr. H. durchgeführten und veranlaßten Leistungen reichte die Klägerin
Rechnungen verschiedener Ärzte und Apotheken über einen Gesamtbetrag von ca 11.500 DM zur Erstattung ein.
Die Beklagte lehnte nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung die Erstattung der
Kosten für Labordiagnostik ab, weil Untersuchungen dieses Umfangs weder notwendig noch wirtschaftlich gewesen
seien. Ebenso seien die verordneten Medikamente medizinisch nicht indiziert, so daß eine Kostenerstattung nicht
möglich sei (Bescheid vom 19. Januar 1994; Widerspruchsbescheid vom 13. Juni 1994). Das dagegen angerufene
Sozialgericht (SG) Trier hat, gestützt auf ein Gutachten des Neurologen Prof. Dr. M. vom 28. Februar 1997, die
Beklagte verurteilt, die Aufwendungen für Laboruntersuchungen und Arzneimittel mit Ausnahme einzelner vom
Sachverständigen als nicht notwendig bezeichneter Leistungen zu erstatten. Auf die Berufung der Beklagten hat das
Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz dieses Urteil geändert und die Klage abgewiesen, soweit die zur
Erstattung eingereichten Rechnungen und Rezepte von nicht zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung
berechtigten Ärzten ausgestellt sind. Im übrigen hat es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die
Krankenkasse könne die Kostenerstattung nur ablehnen, soweit die in Anspruch genommenen Leistungen nicht
Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung seien, also ihrer Art nach als vertragsärztliche Leistungen nicht
abgerechnet werden könnten. Aufwendungen für Arzneimittel seien nur dann von der Erstattung ausgeschlossen,
wenn die notwendige arzneimittelrechtliche Zulassung des Medikaments fehle oder die Verordnungsfähigkeit durch
Gesetz oder gesetzesnachrangige Rechtsvorschriften ausgeschlossen sei. Darüber hinaus finde eine Prüfung der
medizinischen Notwendigkeit und der Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Maßnahmen nicht statt. Es sei nicht Sache der
Verwaltung und der Gerichte, in jedem Einzelfall über die Richtigkeit der gestellten Diagnose und die Indikation für die
eingeleitete Behandlung zu urteilen und dabei in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen Position zu beziehen. Um
etwaige Unwirtschaftlichkeiten in der Behandlung aufzufangen, habe der Gesetzgeber in § 13 Abs 2 Satz 4 SGB V
pauschale, in der Satzung der Krankenkasse festzulegende Abschläge vom Erstattungsbetrag vorgesehen; daneben
finde eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht statt. Extrem unwirtschaftlich handelnden Ärzten müsse gegebenenfalls mit
Mitteln des Disziplinarrechts begegnet werden.
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 13 Abs 2 SGB V. Der Anspruch auf Kostenerstattung
unterliege denselben gesetzlichen Beschränkungen wie der Sachleistungsanspruch, an dessen Stelle er trete. Auch
für ihn gelte deshalb das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs 1 SGB V. Daraus, daß § 13 Abs 2 Satz 4 SGB V als
pauschalen Ausgleich für etwaige Unwirtschaftlichkeiten einen Abschlag vom Erstattungsbetrag vorschreibe, könne
nicht geschlossen werden, daß eine Wirtschaftlichkeitsprüfung in begründeten Einzelfällen ausgeschlossen sein solle.
Dies sei schon aus Gründen einer notwendigen Mißbrauchskontrolle unerläßlich.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. Juli 1999 abzuändern, das Urteil des Sozialgerichts Trier
vom 27. Januar 1998 auch bezüglich der noch verbliebenen Verurteilung aufzuheben und die Klage insgesamt
abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.
Das angefochtene Urteil unterliegt der revisionsgerichtlichen Prüfung nur insoweit, als es die Berufung der Beklagten
zurückgewiesen, dh ihre Verurteilung zur Kostenerstattung durch das SG aufrechterhalten hat. Soweit die Klage
abgewiesen wurde, ist das Urteil rechtskräftig, da die Klägerin ihrerseits kein Rechtsmittel eingelegt hat. Über die
Erstattung der durch Nichtvertragsärzte verursachten Behandlungskosten ist deshalb nicht mehr zu befinden.
Der mit der Revision angegriffene Teil der Entscheidung beruht auf einer Verletzung des § 13 Abs 2 SGB V und muß
aufgehoben werden. Ob und in welchem Umfang der Klägerin wegen der Behandlung durch die Ärzte Dr. H. , Dr. L. ,
Dr. Dr. L. , Dr. L. , Dr. K. und Dr. W. Kosten zu erstatten sind, läßt sich nicht abschließend entscheiden, weil dazu
weitere Feststellungen erforderlich sind.
Durch die in § 13 Abs 2 Satz 1 SGB V für freiwillige Mitglieder und ihre mitversicherten Familienangehörigen
vorgesehene Möglichkeit, anstelle von Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung zu wählen, wird der sachliche
Umfang der Leistungspflicht der Krankenkasse nicht verändert. Versicherte, die wie die Klägerin von diesem
Wahlrecht Gebrauch machen, erhalten Krankenbehandlung in demselben Umfang und in denselben Grenzen, als wenn
sie im Sachleistungssystem verblieben wären. In beiden Fällen müssen die Leistungen sowohl den Anforderungen
des § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V entsprechen als auch dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs 1 SGB V genügen.
Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte auch im Wege der Kostenerstattung
nicht beanspruchen. Das LSG hat dies nicht verkannt; es hat jedoch gemeint, der Einwand der Unwirtschaftlichkeit
sei der Krankenkasse abgeschnitten, weil § 13 Abs 2 Satz 4 SGB V in der hier maßgebenden Fassung des
Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 2266) verbindlich einen in der Satzung der
Kasse festzulegenden Abschlag vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten und fehlende
Wirtschaftlichkeitsprüfungen vorschreibe. Da durch diesen Abschlag (laut Satzung der Beklagten 7,5 %, jedoch
mindestens 5 DM und höchstens 80 DM) etwaige Unwirtschaftlichkeiten in Kostenerstattungsfällen pauschal
abgegolten würden, sei daneben für eine gesonderte Wirtschaftlichkeitsprüfung im Einzelfall kein Raum. Dieser
Auffassung vermag der Senat nicht zu folgen.
Der Regelung in § 13 Abs 2 Satz 4 SGB V läßt sich nicht entnehmen, daß der vorgesehene Abschlag generell an die
Stelle einer Wirtschaftlichkeitsprüfung treten und diese ersetzen soll; durch seine Erhebung wird deshalb die
Überprüfung der Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise und gegebenenfalls eine dem
Prüfungsergebnis entsprechende Kürzung des Rechnungsbetrages im konkreten Erstattungsfall weder ausdrücklich
noch sinngemäß ausgeschlossen. Mit der Formulierung, die Satzung habe ausreichende Abschläge vom
Erstattungsbetrag "für fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfungen" vorzusehen, knüpft die Bestimmung daran an, daß
Kostenerstattungsfälle nach § 13 Abs 2 SGB V nicht in die vertragsärztliche Wirtschaftlichkeitsprüfung einbezogen
sind. Die in § 106 SGB V den Krankenkassen und den Kassenärztlichen Vereinigungen auferlegte Verpflichtung,
durch gemeinsame Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung zu
überwachen, bezieht sich auf die nach den Regeln des Sachleistungssystems erbrachten und gegenüber der
Kassenärztlichen Vereinigung abgerechneten Leistungen. Zwar soll die Wirtschaftlichkeitsprüfung, wie sich aus § 106
Abs 3 Satz 5 SGB V idF des GSG ergibt, durch entsprechende Regelungen in den zwischen den Landesverbänden
der Krankenkassen, den Verbänden der Ersatzkassen und den Kassenärztlichen Vereinigungen abzuschließenden
Prüfvereinbarungen auf Fälle erstreckt werden, in denen die Krankenkasse den Versicherten nach den §§ 29, 30 und
64 SGB V Kosten erstattet. Erstattungsfälle nach § 13 Abs 2 SGB V sind davon jedoch nicht erfaßt, so daß sie
keiner Kontrolle durch die Prüfungseinrichtungen unterliegen. Dies soll durch pauschale Abzüge vom
Erstattungsbetrag kompensiert werden.
Die Abschläge gleichen indes nicht jede tatsächliche Unwirtschaftlichkeit, sondern nur diejenigen Mehrkosten aus, die
sich daraus ergeben, daß die spezifischen Möglichkeiten der vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht
genutzt werden können. Diese Möglichkeiten bestehen vor allem darin, daß gröbere Unwirtschaftlichkeiten mit Hilfe
einer statistischen Vergleichsprüfung auch dann erkannt werden können, wenn wegen der hohen Zahl der
abgerechneten Behandlungsscheine eine Überprüfung aller Einzelfälle auf unüberwindbare technische Schwierigkeiten
stößt. Die Vorgaben in § 106 Abs 2 und 3 SGB V lassen erkennen, daß von den Prüfgremien nicht etwa jede einzelne
stößt. Die Vorgaben in § 106 Abs 2 und 3 SGB V lassen erkennen, daß von den Prüfgremien nicht etwa jede einzelne
Abrechnung oder gar jeder einzelne Behandlungsfall auf die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der erbrachten
Leistungen überprüft wird. Es handelt sich vielmehr primär um eine Auffälligkeitsprüfung, bei der sämtliche
eingereichten Honorarabrechnungen und Verordnungen auf der Grundlage eines statistischen Kostenvergleichs
routinemäßig daraufhin untersucht werden, ob signifikante Abweichungen von den Durchschnittswerten der jeweiligen
Arztgruppe bestehen, die auf eine Unwirtschaftlichkeit hindeuten könnten, oder ob vereinbarte Richtgrößen
überschritten wurden (§ 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V). Daneben finden bei einer bestimmten Zahl zufällig
ausgewählter Ärzte Prüfungen auf der Basis arztbezogener oder versichertenbezogener Stichproben statt (§ 106 Abs
2 Satz 1 Nr 2 SGB V). Erst wenn sich dabei anhand der von den Vertragspartnern vereinbarten Aufgreifkriterien
Anhaltspunkte für eine unwirtschaftliche Behandlungs- oder Verordnungsweise ergeben und daraufhin von der
Krankenkasse oder der Kassenärztlichen Vereinigung ein Prüfantrag gestellt wird, werden die Abrechnung und/oder
die Verordnungsbelege des betreffenden Arztes einer genaueren Analyse unterzogen.
Der nach § 13 Abs 2 Satz 4 SGB V vorgeschriebene Abschlag vom Erstattungsbetrag wegen fehlender
Wirtschaftlichkeitsprüfungen soll ersichtlich einen Ausgleich dafür schaffen, daß in Kostenerstattungsfällen die
geschilderte routinemäßige statistische Kontrolle der Abrechnungswerte einschließlich der Erhebung von Stichproben
unterbleibt und deshalb Unwirtschaftlichkeiten nicht erkannt werden. Hingegen spricht nichts dafür, daß der
Gesetzgeber den Krankenkassen in diesen Fällen die Überprüfung zweifelhafter oder unschlüssiger Abrechnungen
oder die Geltendmachung dabei zutage getretener Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verbieten und in Kauf
nehmen wollte, daß gegebenenfalls auch nachweisbar das Maß des Notwendigen überschreitende oder sogar
insgesamt unnötige Behandlungen bezahlt werden müssen. Die begrenzte Funktion des Pauschalabzugs kommt
bereits im Text des § 13 Abs 2 Satz 4 SGB V zum Ausdruck; denn dort werden nicht Kürzungen wegen
Unwirtschaftlichkeit ausgeschlossen, sondern lediglich Konsequenzen aus der Tatsache gezogen, daß eine
institutionalisierte Prüfung in der Art des § 106 Abs 2 SGB V in diesen Fällen "fehlt". Mit der diesbezüglichen
Formulierung ist das den Krankenkassen durch § 12 Abs 1 Satz 2 SGB V auferlegte Verbot, unwirtschaftliche und
insbesondere medizinisch nicht notwendige Leistungen zu gewähren, nicht angesprochen und bleibt deshalb davon
unberührt. Die Rechtsentwicklung seit Einführung der Wahlmöglichkeit zwischen Sachleistung und Kostenerstattung
zum 1. Januar 1993 stützt die Interpretation, daß der Gesetzgeber mit der Forderung nach Abschlägen für fehlende
Wirtschaftlichkeitsprüfungen die Durchführung solcher Prüfungen im Einzelfall nicht ausschließen wollte. Die
einschlägige Regelung in § 13 Abs 2 Satz 4 SGB V, die neben den Abschlägen für fehlende
Wirtschaftlichkeitsprüfungen auch Abschläge für Verwaltungskosten vorsah, wurde später durch das Zweite GKV-
Neuordnungsgesetz vom 23. Juni 1997 (BGBl I 1520) mit Wirkung vom 30. Juni 1997 ersatzlos gestrichen und
sodann durch das GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz vom 19. Dezember 1998 (BGBl I 3853) mit Wirkung ab 1. Januar
1999 als § 13 Abs 2 Satz 6 SGB V erneut eingeführt. In dem Zeitraum vom 1. Juli 1997 bis zum 31. Dezember 1998
bestand danach keine gesetzliche Grundlage für pauschale Abschläge, obwohl Kostenerstattungsfälle auch weiterhin
nicht in die Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach § 106 SGB V einbezogen waren. Im Ergebnis bedeutet das, daß der
Gesetzgeber bei Kostenerstattungen zeitweilig auf eine systematische Erfassung von Unwirtschaftlichkeiten
verzichtet hat. Die Bindung an das Wirtschaftlichkeitsgebot und die Verpflichtung der Krankenkasse, unwirtschaftliche
Leistungen zu verweigern, haben dagegen unabhängig von den Änderungen des § 13 Abs 2 SGB V durchgehend
bestanden, so daß sich der Pauschalabzug hierauf nicht beziehen kann.
Die Beklagte war nach alledem entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts berechtigt, die zur Erstattung
eingereichten Rechnungen auf die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der Behandlungs- und Verordnungsweise hin
zu überprüfen und im Falle der Unwirtschaftlichkeit entsprechend zu kürzen. Dem kann nicht mit Erfolg
entgegengehalten werden, durch eine Kürzung werde die Klägerin unangemessen benachteiligt, weil sie die
Rechnungen bereits bezahlt habe und möglicherweise endgültig mit den Kosten belastet bleibe. Denn das ist gerade
ein für die Behandlung auf Privatrechnung typisches Risiko. Durch die Entscheidung für die Kostenerstattung löst sich
der Versicherte, soweit die Rechtsbeziehungen zum Leistungserbringer betroffen sind, aus den öffentlich-rechtlichen
Bezügen des Sachleistungssystems. Er verschafft sich die erforderliche Behandlung als Privatpatient durch Abschluß
eines Dienstvertrags, der nicht nur hinsichtlich der Leistungserbringung, sondern auch hinsichtlich der Vergütung der
Leistungen rein privatrechtlicher Natur ist. Die mit dem Sachleistungsgrundsatz verbundenen Vorteile, insbesondere
das Privileg, sich um die wirtschaftliche Seite der Behandlung nicht kümmern zu müssen, gibt er mit der Wahl der
Kostenerstattung auf. Zugleich übernimmt er das Risiko, daß die in Anspruch genommenen Leistungen nicht oder
nicht in vollem Umfang den Erfordernissen des SGB V entsprechen und die entstandenen Kosten deshalb ganz oder
teilweise nicht erstattet werden.
Da das LSG - von seinem Standpunkt zu Recht - zur Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der umstrittenen
Laborleistungen und Arzneiverordnungen keine Feststellungen getroffen hat, kann der Senat über den Klageanspruch
nicht selbst entscheiden, sondern muß die Sache an das Tatsachengericht zurückverweisen. Was den Umfang der
gerichtlichen Prüfung und damit den Inhalt der noch anzustellenden Ermittlungen angeht, geben die Ausführungen im
angefochtenen Urteil Anlaß zu folgender Klarstellung:
Die Erforderlichkeit der in Rede stehenden diagnostischen und therapeutischen Leistungen kann nicht deshalb ohne
nähere Prüfung unterstellt werden, weil Behandlungsentscheidungen in den Verantwortungsbereich des Arztes fallen
und wegen dessen "Therapiefreiheit" grundsätzlich hinzunehmen wären. Eine Therapiefreiheit in dem Sinne, daß
Untersuchungs- oder Behandlungsmaßnahmen beliebig eingesetzt werden könnten, kennt weder das einfache Recht
noch das Verfassungsrecht. Soweit § 1 Abs 2 der Bundesärzteordnung dem Arzt für die Ausübung seiner fachlich-
ärztlichen Tätigkeit einen Freiraum zubilligt, ist dieser schon berufsrechtlich durch die Bindung an den medizinischen
Standard und die Regeln der ärztlichen Kunst sowie durch die Rechte des Patienten auf Leben und körperliche
Unversehrtheit und auf Information und Selbstbestimmung über Art und Umfang der medizinischen Versorgung
begrenzt (ausführlich dazu: Francke, Ärztliche Berufsfreiheit und Patientenrechte, Stuttgart 1994, S 57, 62 ff). Für die
vertragsärztliche Tätigkeit gelten zusätzliche Schranken. Wie jeder Arzt hat zwar auch der Vertragsarzt bei der Wahl
der ihm geeignet erscheinenden Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden einen Ermessensspielraum, so daß ihm
die Krankenkasse in Fällen einer medizinisch vertretbaren Therapieentscheidung regelmäßig nicht entgegenhalten
kann, daß eine andere Vorgehensweise zweckmäßiger gewesen wäre. Seine Entscheidungsfreiheit erfährt jedoch
Einschränkungen, die sich aus den Erfordernissen einer beitragsfinanzierten, solidarischen Krankenversicherung und
in Sonderheit aus dem sie beherrschenden Wirtschaftlichkeitsgebot ergeben. Das ist verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden, denn es handelt sich um zulässige Regelungen der Berufsausübung zur Sicherung der finanziellen
Stabilität des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung (ständige Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts; vgl zuletzt: NZS 2000, 454 = ArztR 2000, 168 mwN; ferner SozR 2200 § 368e Nr 3;
SozR 2200 § 368n Nr 16). Bestrebungen, das Wirtschaftlichkeitsgebot in einen Gegensatz zur Therapiefreiheit zu
bringen, ist die Rechtsprechung deshalb stets entgegengetreten (stellvertretend: BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 15 S 90;
vgl auch BSGE 73, 66, 70 ff = SozR 3-2500 § 2 Nr 2 S 6 ff mwN; BSGE 63, 163, 165 = SozR 2200 § 368p Nr 2 S 7
f). Auch in Kostenerstattungsfällen erstreckt sich demnach die Prüfung darauf, ob sich die gewählte Behandlung auf
das Maß des Notwendigen beschränkt hat oder ob etwa aufwendigere Leistungen als nötig erbracht wurden, deren
Kosten vom Versicherten selbst zu tragen sind.
Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil das mit dem Begriff Chronic Fatigue Syndrome umschriebene
Krankheitsbild offenbar wissenschaftlich umstritten ist und kontrollierte medizinische Studien zu seiner Behandlung
noch nicht vorliegen. Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, daß es nicht Aufgabe der Gerichte sein kann, in
wissenschaftlichen Auseinandersetzungen über die diagnostische Einordnung eines bestimmten Krankheitsbildes und
die daraus resultierenden therapeutischen Folgerungen Stellung zu beziehen. Das kann aber nicht davon entbinden,
zu untersuchen, ob zumindest die von den Befürwortern der betreffenden medizinischen Auffassung selbst
aufgestellten Diagnosestandards eingehalten sind, ferner, ob allgemein anerkannte Grundsätze einer sinnvollen
Stufendiagnostik zum Ausschluß anderer Erkrankungen befolgt wurden und ob die angewandte Therapie in Ansehung
der festgestellten Regelwidrigkeiten medizinisch vertretbar war. Zum Umfang der erforderlichen Ermittlungen bei
schwer objektivierbaren Krankheitserscheinungen hat der Senat im Urteil vom 6. Oktober 1999 Stellung genommen
(BSGE 85, 56, 58 = SozR 3-2500 § 28 Nr 4 S 16). Dort hat er auch aufgezeigt, daß es von der Fallgestaltung
abhängen kann, mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit ein Therapieerfolg zu erwarten sein muß, um die
Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung auszulösen (BSGE 85, 56, 61 f = SozR 3-2500 § 28 Nr 4 S 19
f).
Das Berufungsgericht wird die angesprochenen Punkte zu prüfen und in seiner erneuten Entscheidung auch über die
Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.