Urteil des BPatG vom 13.09.2000
BPatG: stand der technik, stroh, gebrauchsmuster, konservierung, erstellung, neuheit, zement, begriff, abhängigkeit, billigkeit
BUNDESPATENTGERICHT
5 W (pat) 440/99
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(Aktenzeichen)
Verkündet am
13. September 2000
…
B E S C H L U S S
In Sachen
…
BPatG 154
6.70
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betreffend das Gebrauchsmuster 295 10 380 Lö I 59/98
(hier: Löschungsantrag)
hat der 5. Senat (Gebrauchsmuster-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 13. September 2000 durch den Vorsitzenden
Richter Goebel sowie der Richter Dipl.-Ing. Dehne und Dr. agr. Huber
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des
Deutschen Patent- und Markenamtes - Gebrauchsmusterabtei-
lung II - vom 9. März 1999 aufgehoben.
Das Gebrauchsmuster 295 10 380 wird gelöscht.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Antrags-
gegner.
G r ü n d e
I
Der Antragsgegner ist Inhaber des am 27. Juni 1995 angemeldeten und am
31. Oktober 1996 mit 20 Schutzansprüchen in die Rolle eingetragenen Ge-
brauchsmusters 295 10 380 betreffend „Leichtbauteile mit Faserarmierung“, des-
sen Schutzdauer verlängert ist.
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Der Schutzanspruch 1 lautet:
Leichtbauteile für Wände, Decken, Stützen und für aus Leicht-
bauteilen erstellbare Elemente, bestehend aus zur Armierung der
Bauteile geeignete Naturfasern, wie Stroh oder Gräserhalmen, die
durch Bindemittel verbunden sind,
dadurch gekennzeichnet,
daß die Fasern mit modifiziertem Bindemittel und Katalysatoren
umhüllt und konserviert sind.
Der Lehre der angefochtenen Schutzansprüche liegt die Aufgabe zugrunde (vgl
S 3, Abs 1), einen biologisch unbedenklichen und sehr preiswerten Rohstoff,
nämlich Stroh- und/oder Grasfasern so aufzubereiten, daß sie die optimale Armie-
rungswirkung haben, wobei letztlich die Gefahren von Allergiekrankheiten zu
berücksichtigen sind.
Die Antragstellerin hat am 7. Mai 1998 die Löschung des Gebrauchsmusters
beantragt.
Zur Begründung hat die Antragstellerin im wesentlichen geltend gemacht, daß der
Gegenstand des Schutzanspruchs 1 des Gebrauchsmusters im Hinblick auf den
Stand der Technik nicht schutzfähig sei. Sie verweist hierzu ua auf folgende
Druckschriften:
EP 0 436 842 A1
Fachbuch: Lehm-Fachwerk, Alte Technik - neu entdeckt (Tamara
Leszner, Ingolf Stein), Verlagsgesellschaft R. Müller GmbH, Köln,
1987, S 45.
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Der Antragsgegner hat dem Löschungsantrag innerhalb der gesetzlichen Frist
widersprochen und das Gebrauchsmuster mit einer in der mündlichen Verhand-
lung vor der Gebrauchsmusterabteilung II vom 9. März 1999 vorgelegten be-
schränkten Fassung der Schutzansprüche 1 bis 6 verteidigt.
Dieser Schutzanspruch 1 lautet:
Leichtbauteil für Wände, Decken, Stützen und für aus Leicht-
bauteilen erstellbare Elemente bestehend aus zur Armierung der
Bauteile geeigneter Naturstoffe, wie Stroh oder Gräserhalmen, die
durch Bindemittel verbunden sind,
dadurch gekennzeichnet,
daß die Naturstoffe feinste, 1 - 3 mm lange aus Stroh und/oder
Gräserhalmen gewonnene Fasern sind,
daß die Bindemittel aus Lehm und/oder Ton und/oder Kalk und/
oder Gips vermischt mit Si0
2
, Al
2
3
, Fe
2
3,
Ca0 und Mg0 gebildet
sind,
daß die Bindemittel durch Beimengung organischer Katalysatoren
zur Konservierung und Wasserbeständigkeit modifiziert sind und
daß alle Komponenten schadstoffunbelastet sind.
Hieran schließen sich auf diesen Hauptanspruch bezogene Unteransprüche 2
bis 6 an.
Die Gebrauchsmusterabteilung hat durch Beschluß vom 9. März 1999 das Ge-
brauchsmuster gelöscht, soweit es über die verteidigten Schutzansprüche hinaus-
geht. Im verteidigten Umfang hat sie das Gebrauchsmuster als schutzfähig ange-
sehen.
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Dagegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin. Sie vertritt die Auffas-
sung, der Gegenstand des verteidigten Schutzanspruchs 1 erfülle nicht das sich
aus § 1 GebrMG ergebende Schutzerfordernis der Nacharbeitbarkeit, da es an
einer klaren und vollständigen Lehre zum technischen Handeln mangle.
Ferner mangle es dem Schutzgegenstand an der Neuheit, mindestens aber an
dem erforderlichen erfinderischen Schritt.
Die Antragstellerin beantragt,
den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Gebrauchsmu-
ster zu löschen.
Der Antragsgegner beantragt
die Zurückweisung der Beschwerde.
Er verteidigt das Gebrauchsmuster in dem durch den angefochtenen Beschluß
beschränkten Umfang. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei durch den entge-
gengehaltenen Stand der Technik nicht nahegelegt, weil im Stand der Technik die
Faserlänge in dem nunmehr beanspruchten Bereich nicht erwähnt sei. Auch sei
die Lehre des Streitgebrauchsmusters aufgrund der Angaben in der Gesamtoffen-
barung für einen Fachmann nacharbeitbar.
II
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Denn der Lö-
schungsantrag ist begründet. Der geltend gemachte Löschungsanspruch aus
§ 15 Abs 1 Nr 1 GebrMG ist gegeben.
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1. Gegenstand des Schutzanspruchs 1 sind Leichtbauteile für Wände, Decken,
Stützen und für als Leichtbauteile erstellbare Elemente.
Der Schutzanspruch 1 läßt sich in die folgenden Merkmale gliedern:
Leichtbauteile für Wände, Decken, Stützen und für als
Leichtbauteile erstellbare Elemente
1.
Leichtbauteile bestehen aus zur Armierung der Bauteile
geeigneten Naturstoffen wie Stroh oder Gräserhalmen
1.1
Naturstoffe sind feinste, 1 - 3 mm lange aus Stroh und/oder
Gräserhalmen gewonnene Fasern
1.2
Naturstoffe sind durch Bindemittel verbunden
1.2.1 Bindemittel sind gebildet aus Lehm und/oder Ton und/oder
Kalk und/oder Gips, vermischt mit Si0
2
, Al
2
3
, Fe
2
3
, Ca0
und Mg0
1.2.2 Bindemittel sind durch Beimengung organischer Katalysa-
toren zur Konservierung und Wasserbeständigkeit modifi-
ziert
1.2.3 Alle Komponenten (des Bindemittels) sind schadstoffunbe-
lastet.
Der Schutzanspruch 1 kann unbeschadet gewisser Bedenken als zulässig er-
achtet werden. Sein Gegenstand beruht im wesentlichen auf den Ansprüchen 1
bis 6, 13 und 14 in der eingetragenen Fassung des Streit-Gebrauchsmusters.
2. Ungeachtet der nicht im streng fachtechnischen Sinne verwendeten Begriffe
„Katalysator“ und „modifizieren“ im Schutzanspruch 1 in der verteidigten Fassung
erkennt der Fachmann das für die Nacharbeitbarkeit Erforderliche und bringt das
hierfür gebotene Wissen zum Verständnis der beanspruchten Lehre mit. Nach der
Aufgabenstellung, nämlich der Aufbereitung des biologisch unbedenklichen und
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preiswerten Rohstoffes Stroh- und/oder Grasfasern derart, daß sie optimale Ar-
mierungswirkung für Leichtbauteile aufweisen (vgl Streitgebrauchsmuster S 3,
1. Abs), ist als zuständiger Durchschnittsfachmann ein Baustoffchemiker anzuse-
hen, der im Bedarfsfalle einen Bauingenieur zu Rate zieht. Einem derartigen
Fachmann ist es möglich, anhand der Beschreibung der Wirkung des sog. Kata-
lysators in der Gesamtoffenbarung des Streitgebrauchsmusters hierfür geeignete
Substanzklassen herauszufinden. Beispiele für Substanzklassen, die unter den
Begriff „organische Katalysatoren“ im Zusammenhang mit der Lehre des Streitge-
brauchsmusters fallen, sind dort zwar nicht angegeben. Aufgrund seiner allgemei-
nen Kenntnisse vermag der Fachmann jedoch zu erkennen, daß es sich hierbei
überwiegend um organisch-chemische Abbinde- und Konservierungszusätze han-
delt, die der Erhöhung der Wasserbeständigkeit des Bindemittels sowie einer wei-
teren oder zusätzlichen Konservierung der Fasern dienen. Der Begriff „modifizie-
ren“ wird vom Fachmann dabei im Sinne von „beimengen“ verstanden, dh die
„Modifizierung“ tritt ein durch den Kontakt mit den beigegebenen organischen
Katalysatoren und bedarf der ständigen Gegenwart dieser Substanzen.
Für den Fachmann ist ferner unschwer erkennbar, daß es sich bei dem als
Leichtbauteil bezeichneten Gegenstand nach Schutzanspruch 1 eher um ein
Halbzeug bzw eine stoffliche Vorbereitung für die Erstellung von Leichtbauteilen
handelt.
3. Der Schutzgegenstand in der verteidigten Fassung ist nicht schutzfähig. Seine
Neuheit kann dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls beruht er nicht auf einem
erfinderischen Schritt (§ 1 GebrMG). Es war dem Fachmann möglich, zur Lösung
des zugrundeliegenden Problems die verteidigte Lehre aufzufinden, ohne dabei
über seine fachliche Routine hinausgehen zu müssen.
Der Gegenstand der EP-Patentanmeldung 0 436 842 bezieht sich auf Leichtbau-
teile, bei denen zur Armierung der Bauteile Naturstoffe wie Stroh bzw Gras Ver-
wendung finden, so daß die Merkmale 0 und 1 des Schutzanspruchs 1 gemäß
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Merkmalsauflistung (vgl Punkt II 1.) dem Fachmann bereits vorgezeichnet werden
(zB Sp 2, Z 3 - 5). Die Verbindung der Naturstoffe mit Bindemitteln gemäß Merk-
mal 1.2 sowie die Art der Bindemittel nach Merkmal 1.2.1 ergibt sich für den Fach-
mann aus Sp 2, Z 6, 7 (ausgenommen Lehm), wobei die in diesem Merkmal ange-
gebenen Oxide wie Si0
2
, Al
2
3
, Fe
2
3
, Ca0 und Mg0 vom Fachmann ohne
weiteres als wesentliche Zement-Bestandteile erkannt werden, so daß diese
bereits durch die Angabe „Zement als Bindemittel“ vom entgegengehaltenen
Stand der Technik mit erfaßt sind. Die Vorgabe, daß alle Komponenten (des
Bindemittels) schadstoffunbelastet sein sollen (Merkmal 1.2.3), ist dem Fachmann
bereits durch Sp 1, Z 38 - 41 der EP 0 436 842 A1 vermittelt, weil das Bestreben
beim Gegenstand dieser Entgegenhaltung ua darin besteht, Leichtbauteile aus
umweltfreundlichen, also organischen und mineralischen Baustoffen
bereitzustellen.
Von der genannten Entgegenhaltung EP 0 436 842 A1 erhält der Fachmann indes
keinen Hinweis, daß es sich bei den verwendeten Naturstoffen um aus Stroh-
und/oder Gräserhalmen gewonnene Fasern handelt, welche eine Länge von
1 - 3 mm aufweisen (Merkmal 1.1). Auch zur Verwendung von Lehm als Bindemit-
tel sowie zur Modifizierung der Bindemittel durch Beimengung organischer Kataly-
satoren zur Konservierung und Wasserbeständigkeit vermittelt diese Entgegen-
haltung keinerlei Anregungen.
Hinweise auf derartige Vorgehensweisen erhält ein Baustoffchemiker, der sich mit
der Verbesserung bekannter Leichtbauteile bzw der Stoffgemische hierfür be-
schäftigt, jedoch aus dem Fachbuch: Lehm-Fachwerk, Alte Technik - neu entdeckt
((1987), Seite 45). Dort finden Faserstoffe wie zB Stroh Verwendung, die mit Lehm
als Bindemittel verbunden sind (Z 1 ff; 3. Abs neben „Aufbereitung des Lehms“).
In dem mittleren Absatz neben dem Stichwort „Kuhdung“ wird ausgeführt, daß
Kuhdung Kaseine enthält, die der Erhöhung der Wasserfestigkeit dienen, und daß
es ferner Ammoniak als natürliches Pestizid bereitstellt, welches seinerseits kon-
servierende Eigenschaften vermittelt. Damit wird dem Fachmann bereits ein Bei-
spiel gegeben, wie er Bindemittel durch Beimengung organischer Katalysatoren
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im Sinne des Streitgebrauchsmusters, also durch Beigabe von Stoffen zur Erhö-
hung der Wasserbeständigkeit und mit konservierender Wirkung, modifizieren
kann. Im letzten Satz dieses Absatzes wird ferner noch darauf hingewiesen, daß
Ammoniak und Kasein auch nicht in Form von Kuhdung, sondern sinngemäß auch
als Einzelkomponenten beigegeben werden können. Somit wird der Fachmann
auch zu Merkmal 1.2.2 durch diese Entgegenhaltung angeregt.
Ferner ergibt sich für den fachkundigen Leser dieser Textstelle ohne größere
Schwierigkeiten auch die Verwendung von Faserstoffen aus Pflanzenmaterial, die
als kleine, kaum sichtbare Faserstoffe im Kuhdung vorkommen und als Armierung
dienen. Auf Seite 45 dieses Fachbuchs wird im ersten Absatz zunächst von
Faserstoffen wie Stroh an sich gesprochen, um dann im zweiten Absatz auf kleine
Faserstoffe bis hin zu Feinstfasern überzugehen. Somit wird dem Fachmann ein
breites Spektrum an Möglichkeiten zur Verwendung natürlicher Faserstoffe für
Armierungszwecke, beginnend mit (grobem) Stroh bis hin zu feinen und feinsten
Fasern daraus, angeboten. Die besonders gute Armierungswirkung von feinen
Fasern wird dabei in den Vordergrund gestellt. Somit wird dem Fachmann auch
bereits das Merkmal 1.1 hinsichtlich der Verwendung feinster Fasern vorgezeich-
net, wobei lediglich ein Hinweis auf die dort vorgenommene Bemessungsangabe
(Faserlänge 1 - 3 mm) fehlt.
Diese Bemessungsangabe vermag jedoch nicht den für einen Schutz erforderli-
chen erfinderischen Schritt des Streitgebrauchsmusters zu begründen. Denn eine
besondere Wirkung der Fasern gerade in diesem Längenbereich im Sinne einer
Auswahlerfindung ist aus der Gesamtoffenbarung des Streitgebrauchsmusters
nicht ersichtlich. Hierzu hätte es der Dokumentation zB von Festigkeits-Versuchen
in Abhängigkeit von unterschiedlichen Faserlängen, auch an den, den be-
vorzugten Bereich (1 - 3 mm) flankierenden Längenbereichen bedurft, um eine
etwa gegebene besondere und überraschende Wirkung eines bestimmten Län-
genbereichs geltend machen zu können. Nachdem dies jedoch nicht geschehen
ist, kann der Bereich, der von der Bemessungsangabe umschrieben wird, bereits
durch den Hinweis „kleine, kaum sichtbare Fasern“ erfaßt betrachtet werden.
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Denn Fasern von dem erwähnten Längenmaß (1 - 3 mm) liegen bereits an der
Grenze des sichtbaren Bereichs, zumal der Durchmesser von Pflanzenfasern im
Mikrometerbereich liegt. Da sich beide Entgegenhaltungen ferner mit der Bereit-
stellung von Materialien natürlicher, naturnaher und/oder mineralischer Herkunft
zur Erstellung von Bauteilen befassen, war der Fachmann auch veranlaßt, diese in
einer Zusammenschau zu betrachten.
4. Die dem Anspruch 1 nachgeordneten Ansprüche 2 bis 6 teilen als echte
Unteransprüche das Schicksal des Hauptanspruchs. Eigene erfinderische Bedeu-
tung dieser Ansprüche ist nicht geltend gemacht worden und auch für den Senat
nicht erkennbar.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 18 Abs 3 Satz 2 GebrMG iVm § 84
Abs 2 Satz 1 und 2 PatG, § 91 Abs 1 ZPO.
Die Billigkeit erfordert keine andere Entscheidung.
Goebel Dehne
Dr.
Huber
Pr/Fa