Urteil des BPatG vom 20.06.2006

BPatG: gerät, stand der technik, stift, anzeiger, aufnehmen, fig, schalter, patentfähigkeit, chirurgie, maschine

BPatG 253
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
4 Ni 6/05 (EU)
hinzuverbunden
4 Ni 13/05 (EU)
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
20. Juni 2006
In der Patentnichtigkeitssache
- 2 -
betreffend das europäische Patent 0 189 807
(DE 36 89 730)
hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche
Verhandlung vom 20. Juni 2006 durch …
für Recht erkannt:
I.
Das europäische Patent 0 189 807 wird für das Hoheitsge-
biet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Ansprü-
che 1, 8 und 16 der in der mündlichen Verhandlung überge-
benen Fassung für nichtig erklärt.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 %
des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für das Hoheitsge-
biet der Bundesrepublik Deutschland am 20. Januar 1986 unter Inanspruchnahme
der Priorität der amerikanischen Patentanmeldung 693779 vom 23. Januar 1985
angemeldeten europäischen Patents 0 189 807 (Streitpatent). Das in der Verfah-
renssprache Englisch veröffentlichte und inzwischen durch Zeitablauf erloschene
Streitpatent wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nr. 36 89 730
geführt und betrifft ein „surgical system for powered instruments“. Es war bereits
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Gegenstand des Nichtigkeitsverfahrens 2 Ni 54/96, das durch Klagerücknahme im
Berufungsrechtszug beendet wurde. Das Streitpatent umfasst nach einer mit Be-
schluss vom 14. April 2005, bestandskräftig seit dem 24. Mai 2005, erfolgten Be-
schränkung nunmehr 21 Ansprüche, von denen nur die Ansprüche 1, 8 und 16
angegriffen sind. Anspruch 1 lautet in der deutschen Übersetzung:
„Chirurgisches System, welches einen für den Betrieb eines aus
einem oder mehreren verschiedenen chirurgischen Gerä-
ten (12, 14, 16, 25-31) bestehenden Satzes ausgeführten einzel-
nen Motor (21) umfasst; wobei die chirurgischen Geräte chirurgi-
sche Instrumente umfassen, welche so ausgeführt sind, dass sie
durch den Motor (21) betätigt werden und verschiedene Betriebs-
grenzen, zumindest eine für jedes chirurgische Ge-
rät (12, 14, 16, 25-31) aufweisen, und das System des weiteren
ein den Motor (21) enthaltendes Handstück (1) umfasst, welches
so ausgeführt ist, dass es wahlweise einen proximalen Abschnitt
jedes der chirurgischen Geräte (12, 14, 16, 25-31) aufnehmen
kann, dadurch gekennzeichnet, dass jedes der chirurgischen Ge-
räte (12, 14, 16, 25-31) an seinem proximalen Abschnitt mit einem
Anzeiger bzw. Geber (36, 36’) ausgeführt ist, welcher seinen Be-
triebsgrenzwert anzeigt, der einem Betriebsbereich des chirurgi-
schen Geräts entspricht, und das Handstück (10) eine automati-
sche Sensoreinrichtung (34, 34’) zum Abtasten bzw. Abfragen des
bei im Handstück eingesetzten Gerät der Sensoreinrichtung
gegenüberliegenden Gebers (36, 36’) enthält eine Keilschlitz (60)
und das Gerät (12, 14, 16, 25-31) einen in den Keilschlitz (60)
einführbaren Keil (62) enthält und eine Einrichtung (18) aufweist,
welche auf die Sensoreinrichtung (34, 34’) anspricht, um den Be-
triebsgrenzwert automatisch dem jeweiligen im Handstück aufge-
nommenen chirurgischen Gerät (12, 14, 16) festzulegen, wobei
der Motor einen Betriebsbereich hat, der ein Paar Endpunkte auf-
weist, und die Festlegungs-Einrichtung (18) den Betrieb des Mo-
- 4 -
tors (21) durch Ansprechen auf (abhängig von) die Sensorein-
richtung (34, 34’) dadurch steuert, dass sie mindestens einen die-
ser Endpunkte entsprechend dem Betriebsgrenzwert des jeweili-
gen im Handstück (10) aufgenommene chirurgischen Gerätes so
ändert, dass der Betriebsbereich des Motors dem Betriebsbereich
des chirurgischen Gerätes entspricht, und dass eine Anwahl für
den Betrieb dieses Motors (21) außerhalb, jedoch nicht zwischen
den Endpunkten ausgeschlossen ist.“
Wegen der weiteren angegriffenen Patentansprüche 8 und 16 wird auf die Anlage
B1 zu den Schriftsätzen der Beklagten vom 17. und vom 18. März 2005 Bezug
genommen.
In der mündlichen Verhandlung reichte die Beklagte neue Ansprüche 1, 8 und 16
ein.
Die Klägerinnen behaupten, der Gegenstand der Ansprüche 1, 8 und 16 des
Streitpatents sei in der Fassung des Beschränkungsbeschlusses weder neu noch
erfinderisch; zudem sei das Streitpatent in der beschränkten Fassung unzulässig
erweitert worden. Das chirurgische System sei bereits vor dem Prioritätszeitpunkt
beworben worden, wozu sie einen nicht benannten Zeugen benennen wollten. Im
Übrigen berufen sie sich auf folgende Druckschriften:
TN7
Prospekt der Dyonics Inc.: „Beyond all others - Advanced Athroscopic
Surgical Systems from Dyonics“ mit dem Vermerk „1/15/85 © Copyright
1985 Dyonics Inc.“
TN8
Kopien aus Webster´s Dictonary zum Stichwort „key“, Seite 627
TN9
DE 28 44 348 B1
TN10
DE-OS 1 766 056
TN11
DE-OS 2 253 904
TN12
DE-OS 2 106 023
TN13
US 4 292 571
- 5 -
TN14
Internetauszug von http://dict.leo.org/ zum Suchwort „key“ vom
28. April 2006
TN15
Kopien aus Ernst, Wörterbuch der industriellen Technik, Band II, 6. Aufl.
2000, zum Stichwort „key“
TN16
US 4 520 550
TN17
Photographien des Handgeräts der Beklagten
TN18
DE-PS 938 577
TN19
US 4 289 131
Zusätzlich verweisen sie auf die im Verfahren 2 Ni 54/96 weiter vorgelegte Druck-
schrift:
-
D3
Die Klägerinnen beantragen,
das europäische Patent 0 189 807 in der in der mündlichen Ver-
handlung übergebenen Fassung mit Wirkung für das Hoheitsge-
biet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Ansprü-
che 1, 8 und 16 für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klagen mit der Maßgabe abzuweisen, dass die Patentansprü-
che 1, 8 und 16 folgende Fassung erhalten:
„1. Chirurgisches System, welches einen für den Betrieb eines
aus einem oder mehreren verschiedenen chirurgischen Ge-
räten (12, 14, 16, 25-31) bestehenden Satzes ausgeführten
einzelnen Motor (21) umfasst; wobei die chirurgischen Ge-
räte chirurgische Instrumente umfassen, welche so ausge-
führt sind, dass sie durch den Motor (21) betätigt werden und
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verschiedene Betriebsgrenzen, zumindest eine für jedes chi-
rurgische Gerät (12, 14, 16, 25-31) aufweisen, und das Sys-
tem des weiteren ein den Motor (21) enthaltendes Hand-
stück (1) umfasst, welches so ausgeführt ist, dass es wahl-
weise einen proximalen Abschnitt jedes der chirurgischen
dadurch ge-
kennzeichnet,
dass jedes der chirurgischen Ge-
räte (12, 14, 16, 25-31) an seinem proximalen Abschnitt mit
einem Anzeiger bzw. Geber (36, 36’) ausgeführt ist, welcher
seinen Betriebsgrenzwert anzeigt, der einem Betriebsbereich
des chirurgischen Geräts entspricht, und das Handstück (10)
eine automatische Sensoreinrichtung (34, 34’) zum Abtasten
bzw. Abfragen des bei im Handstück eingesetzten Gerät der
Sensoreinrichtung gegenüberliegenden Gebers (36, 36’) ent-
hält eine Schlitz (60) und das Gerät (12, 14, 16, 25-31) einen
in den Schlitz (60) einführbare Stift (62) enthält und eine Ein-
richtung
(18) aufweist, welche auf die Sensoreinrich-
tung (34, 34’) anspricht, um den Betriebsgrenzwert automa-
tisch dem jeweiligen im Handstück aufgenommenen chirurgi-
schen Gerät (12, 14, 16) festzulegen, wobei der Motor einen
Betriebsbereich hat, der ein Paar Endpunkte aufweist, und
die Festlegungs-Einrichtung (18) den Betrieb des Motors (21)
durch Ansprechen auf (abhängig von) die Sensoreinrich-
tung (34, 34’) dadurch steuert, dass sie mindestens einen
dieser Endpunkte entsprechend dem Betriebsgrenzwert des
jeweiligen im Handstück (10) aufgenommene chirurgischen
Gerätes so ändert, dass der Betriebsbereich des Motors dem
Betriebsbereich des chirurgischen Gerätes entspricht, und
dass eine Anwahl für den Betrieb dieses Motors (21) außer-
halb, jedoch nicht zwischen den Endpunkten ausgeschlossen
ist.
- 7 -
8.
Chirurgisches Gerät (12, 14, 16, 25-31) zur Verwendung in
dem chirurgischen System gemäß einem der vorstehenden
dadurch gekennzeichnet
sche Gerät ein chirurgisches Instrument (25-31) aufnimmt,
welches so ausgeführt ist, dass es durch den Motor (21) be-
tätigt wird, wobei das chirurgische Gerät (12, 14, 16, 25-31)
einen definierten Betriebsgrenzwert hat, jedes chirurgische
Gerät (12, 14, 16, 25-31) einen an einem proximalen Ab-
schnitt vorgesehenen Anzeiger bzw. Geber (36, 36’) zur Mel-
dung seines Betriebsgrenzwertes aufweist und der proximale
Abschnitt jedes chirurgischen Gerätes so ausgeführt ist, dass
er im Handstück (10) des Systems aufgenommen werden
kann, welches mit einem Schlitz (60) versehen ist, in die eine
am Gerät (12, 14, 16, 25-31) angebrachter Stift (62) einführ-
bar ist, so dass der Anzeiger/Geber (36, 36’) gegenüber der
Sensoreinrichtung (34, 34’) des Handstücks (10) liegt.
16. Handstück (10) zur Verwendung im chirurgischen System ge-
mäß einem der Ansprüche 1-7, welches einen Motor (21)
enthält und so ausgeführt ist, dass es einen proximalen Ab-
schnitt eines chirurgischen Gerätes (12, 14, 16, 25-31) auf-
dadurch gekennzeich-
net
ist, dass es eine automatische Sensoreinrichtung mit
mindestens einem Schalter (34, 34’) enthält, welcher so an-
geordnet ist, dass er durch den Anzeiger bzw. Ge-
ber (36, 36’) am proximalen Abschnitt des chirurgischen Ge-
rätes betätigt werden kann, wenn dieses im Handstück auf-
genommen ist, und wobei die Festlegungs-Einrichtung (18)
auf die Betätigung dieses mindestens einen Schalters an-
spricht, um mindestens einen der Endpunkte des Motors (21)
entsprechend den im Handstück aufgenommenen chirurgi-
schen Gerät zu ändern und um die Anwahl zum Betrieb die-
- 8 -
ses Motors außerhalb, jedoch nicht zwischen diesen End-
punkten auszuschließen, wobei das Handstück mit einem
Schlitz
(60) versehen ist, in den eine am Ge-
rät (12, 14, 16, 25-31) angebrachter Stift (62) einführbar ist,
so dass die Sensoreinrichtung (34, 34’) gegenüber dem Ge-
ber (36, 36’) liegt.“
Sie ist der Auffassung, durch das durchgeführte Beschränkungsverfahren seien
sämtliche Bedenken bezüglich der Patentfähigkeit beseitigt worden; zudem sei im
Verfahren 2 Ni 54/96 der Fachmann unzutreffend bestimmt worden. Eine unzuläs-
sige Erweiterung liege nicht vor. Schließlich bestreitet sie das Veröffentlichungs-
datum der Anlage TN7 und die Bedeutung des Begriffes „key“ in der Übersetzung
der Klägerinnen.
Entscheidungsgründe
Die in zulässiger Weise erhobenen Klagen, mit der die Nichtigkeitsgründe der
fehlenden Patentfähigkeit und der unzulässigen Erweiterung geltend gemacht
werden (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit. a, c EPÜ), sind
begründet, da die Gegenstände der Patentansprüche 1, 8 und 16 nicht auf einer
erfinderischen Tätigkeit beruhen.
I.
Die Klagen sind zulässig. Zwar ist nach Erlöschen des Streitpatents ein besonde-
res Rechtsschutzinteresse für eine Nichtigkeitsklage erforderlich. Dieses besteht
hier deshalb, weil Verletzungsrechtsstreite zwischen den Parteien vor dem Land-
gericht Düsseldorf mit den Aktenzeichen 4b O 417/04 und 4a O 351/04 schweben
(vgl. Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl. § 81 Rdnr. 49 m. w. N.).
- 9 -
II.
Das Streitpatent betrifft ein chirurgisches System, bei dem ein Handstück mit Mo-
tor mit verschiedenen chirurgischen Geräten bestückt werden kann. Operations-
spitzen zum Schneiden und Abschleifen von Gewebe sind in verschiedenen Grö-
ßen und Ausführungsformen verfügbar, die z. B. hinsichtlich Drehzahl oder Dreh-
moment unterschiedliche Betriebskennwerte besitzen. Falls bei einem chirurgi-
schen Eingriff bei einem Patienten diese unterschiedlichen Geräte zum Einsatz
kommen, müssen dem Chirurgen entweder getrennte, motorgetriebene Einheiten
für jedes Gerät zur Verfügung stehen oder eine zentrale Einheit muss bei jedem
Gerätewechsel neu eingestellt werden, was nicht nur zeitraubend ist, sondern
auch ein gewisses Fehlerrisiko und somit eine mögliche Beschädigung des
Instruments oder eine Verletzung des Patienten mit sich bringt (siehe T2-Schrift,
Seite 1, Zeilen 9 bis 24).
Vor diesem Hintergrund besteht das technische Problem der Erfindung gemäß
den Angaben in der Streitpatentschrift darin, ein chirurgisches System mit unter-
schiedlichen Betriebsgrenzwerten, welches mit einer einzigen Antriebseinheit hö-
here Sicherheit, Drehzahl und größeren Bedienungskomfort ermöglicht, ein chi-
rurgisches Gerät, welches zur Verwendung in dem chirurgischen System ausge-
führt ist, und ein zur Verwendung in dem chirurgischen System ausgeführtes
Handstück bereitzustellen (siehe T2-Schrift, Seite 2, Zeilen 4 bis 11). Bei dem
System sollen verschiedene Aufsätze (chirurgische Geräte) auf einem Handstück
mit Motor automatisch erkannt werden, um z. B. die maximale Drehzahl und das
maximale Drehmoment des Motors automatisch passend zum verwendeten Auf-
satz einzustellen.
Zur Lösung dieses Problems weist der in der mündlichen Verhandlung einge-
reichte Patentanspruch 1 folgende Merkmale auf:
- 10 -
M1 Chirurgisches
System,
M2
welches einen für den Betrieb eines aus einem oder mehreren verschiede-
nen chirurgischen Geräten (12, 14, 16, 25-31) bestehenden Satzes aus-
geführten einzelnen Motor (21) umfasst;
M3
wobei die chirurgischen Geräte chirurgische Instrumente umfassen, wel-
che so ausgeführt sind, dass sie durch den Motor (21) betätigt werden und
verschiedene Betriebsgrenzen, zumindest eine für jedes chirurgische Ge-
rät (12, 14, 16, 25-31), aufweisen, und
M4
das System des weiteren ein den Motor (21) enthaltendes Handstück (1)
umfasst, welches so ausgeführt ist, dass es wahlweise einen proximalen
Abschnitt jedes der chirurgischen Geräte (12, 14, 16, 25-31) aufnehmen
kann, dadurch gekennzeichnet, dass
M5
jedes der chirurgischen Geräte (12, 14, 16, 25-31) an seinem proximalen
Abschnitt mit einem Anzeiger bzw. Geber (36, 36') ausgeführt ist, welcher
seinen Betriebsgrenzwert anzeigt, der einem Betriebsbereich des chirurgi-
schen Geräts entspricht, und
M6
das Handstück (10) eine automatische Sensoreinrichtung (34, 34') zum
Abtasten bzw. Abfragen des bei im Handstück eingesetzten Gerät der
Sensoreinrichtung gegenüberliegenden Gebers (36, 36´) enthält
M7
eine Schlitz (60) und das Gerät (12, 14, 16, 25-31) einen in die Schlitz (60)
einführbare Stift (62) enthält und
M8
eine Einrichtung (18) aufweist, welche auf die Sensoreinrichtung (34, 34')
anspricht, um den Betriebsgrenzwert automatisch entsprechend dem je-
weiligen im Handstück aufgenommenen chirurgischen Gerät (12, 14, 16)
festzulegen, wobei
M9
der Motor einen Betriebsbereich hat, der ein Paar Endpunkte aufweist,
und die Festlegungs- Einrichtung (18) den Betrieb des Motors (21) durch
Ansprechen auf (abhängig von) die Sensoreinrichtung (34, 34') dadurch
steuert, dass sie mindestens einen dieser Endpunkte entsprechend dem
Betriebsgrenzwert des jeweiligen im Handstück (10) aufgenommenen chi-
rurgischen Geräts so ändert, dass der Betriebsbereich des Motors dem
Betriebsbereich des chirurgischen Geräts entspricht, und dass eine An-
- 11 -
wahl für den Betrieb dieses Motors (21) außerhalb, jedoch nicht zwischen
den Endpunkten ausgeschlossen ist.
III.
Ob der Gegenstand des Anspruchs
1 über den Inhalt der ursprünglichen Anmel-
dung hinausgeht und damit unzulässig erweitert ist (Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ)
kann dahinstehen, da der Gegenstand des Anspruchs
1 auf jeden Fall nicht pa-
tentfähig ist (siehe BGH
GRUR
1991, 120, 121 Absatz
II.1. - Elastische Bandage).
IV.
Fachmann auf dem Gebiet der chirurgischen Geräte ist ein Dipl.-Ing. der Fach-
richtung Medizintechnik oder von in der Medizintechnik angewandten Fachgebie-
ten wie der Feinwerktechnik oder des Maschinenbaus mit entsprechender Berufs-
erfahrung. Medizintechnik ist eine Ingenieurwissenschaft, die in der Regel nicht
originär ist, sondern technische Entwicklungen aus Technologiefeldern wie der
Elektronik, der Optik, der Feinwerktechnik und der Werkstoffkunde übernimmt. Bei
den hier in Rede stehenden Geräten mit Motor, Getriebe, Kupplungen etc. gehö-
ren zum Fachwissen des Durchschnittsfachmannes auf jeden Fall auch Kennt-
nisse aus dem Bereich des Maschinenbaus. Die chirurgischen Geräte betreffen
insbesondere auch „Bohrmaschinen“ zum Schneiden und Abschleifen von ver-
schieden Geweben, so dass sich der Fachmann auch mit entsprechenden Ma-
schinen befasst, die in anderen Anwendungsbereichen verwendet werden, da dort
vergleichbare Probleme und Fragestellungen auftreten. Unabhängig von der ge-
nauen Festlegung der Fachrichtung des Fachmannes hat ein Fachmann, der sich
mit „Bohrmaschinen“ im medizinischen Bereich beschäftigt, somit auch entspre-
chende Kenntnisse bei „Bohrmaschinen“ aus anderen Anwendungsbereichen. Die
Druckschrift TN18 gehört daher zum einschlägigen Stand der Technik.
- 12 -
V.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht gegenüber dem Stand der Tech-
nik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Aus der Druckschrift TN9 (siehe insbesondere die Fig. 1 mit zugehöriger Be-
schreibung) ist ein
M1= Chirurgisches System (zahnärztlicher Behandlungsplatz) bekannt,
M2= welches einen für den Betrieb eines aus mehreren verschiedenen
chirurgischen Geräten (Werkzeuge 112 oder Getriebe 122) beste-
henden Satzes ausgeführten einzelnen Motor (siehe Bohrma-
schine 104 und Seite 9, Zeilen 15 bis 19) umfasst,
M3= wobei die chirurgischen Geräte chirurgische Instrumente 112 umfas-
sen, welche so ausgeführt sind, dass sie durch den Motor betätigt
werden und verschiedene Betriebsgrenzen für jedes chirurgische
Gerät aufweisen (siehe Spalte 12, Zeilen 3 bis 7), und
M4= das System des weiteren ein den Motor enthaltendes Handstück
(siehe Bohrmaschine 104 in Fig. 1) umfasst, welches so ausgeführt
ist, dass es wahlweise einen proximalen Abschnitt jedes der chirurgi-
schen Geräte aufnehmen kann.
Dass das Handstück und die austauschbaren chirurgischen Geräte über eine ge-
eignete Verbindung wie z. B. eine Stift-Schlitz-Verbindung gemäß Merkmals-
gruppe M7 miteinander verbunden sind, ist bei entsprechenden chirurgischen
Systemen allgemein üblich und für den Fachmann somit selbstverständlich (siehe
z. B. TN10, Zapfen + Ringnut (siehe Seite 5, Absatz 1); TN11, Stift + Ausnehmung
(siehe Anspruch 1); TN19, pin + slot (siehe Spalte 4, Zeilen 9 bis 17).
Das bekannte System weist ebenfalls eine Einrichtung 100 gemäß Merkmals-
gruppe M8 auf, die jedoch den Betriebsgrenzwert auf eine Sensoranordnung
(siehe Fig. 4, 5) reagierend automatisch entsprechend dem jeweils entnommenen
- 13 -
chirurgischen Gerätes und nicht entsprechend dem im Handstück aufgenom-
menen chirurgischen Gerätes festlegt (siehe Anspruch 1).
Gemäß der Druckschrift TN9 werden die detektierten Werkzeuge mit ihren zuge-
hörigen gespeicherten Betriebswerten betrieben (siehe Spalte 10, Zeilen 59
bis 63), wozu der Motor mit einer entsprechenden Motor-Solldrehzahl angesteuert
wird (siehe Spalte 12, Zeilen 4 bis 8 und Zeilen 15 bis 20). Da der Motor im aus-
geschalteten Zustand auch einen zweiten Endpunkt mit Drehzahl „0“ besitzt, wird
der Motor des Bohrers gemäß der Druckschrift TN9 ebenfalls gemäß der Merk-
malsgruppe M9 zwischen zwei Endpunkten betrieben, wobei der eine Endpunkt
(Solldrehzahl) von der Steuereinrichtung 100 durch Ansprechen auf die Sensor-
einrichtung eingestellt wird.
Im Unterschied zum Gegenstand des Anspruchs 1 ist die Geber/Sensoreinrich-
tung nicht im chirurgischen Gerät und im Handstück gemäß Merkmalsgruppe M5
und M6 eingebaut und entsprechend wird das Gerät nicht beim Einsetzen in das
Handstück gemäß M8 detektiert. Bei dem System gemäß der Druckschrift TN9
wird das verwendete Gerät bei der Entnahme aus entsprechenden Halterun-
gen 111, 121 durch in diesen eingebaute Kontakte oder Spulen detektiert (siehe
Spalte 16, Zeilen 47 bis 56).
Aus der Druckschrift TN18 (siehe insbesondere die Fig. 1 und 2 mit zugehöriger
Beschreibung) ist ein
M1≈ chirurgisches System (Werkzeugmaschine) bekannt,
M2≈ welches einen für den Betrieb eines aus mehreren verschiedenen
chirurgischen Geräten 5, 6 bestehenden Satzes ausgeführten ein-
zelnen Motor (siehe Fig. 1, oberhalb Hauptgetriebe 3) umfasst;
M3≈ wobei die chirurgischen Geräte chirurgische Instrumente 5 umfas-
sen, welche so ausgeführt sind, dass sie durch den Motor betätigt
werden und verschiedene Betriebsgrenzen für jedes chirurgische
Gerät aufweisen (siehe Seite 2, Zeilen 43 bis 52), und
- 14 -
M4≈ das System des weiteren ein den Motor enthaltendes Gehäuse
Handstück 1 umfasst, welches so ausgeführt ist, dass es wahlweise
einen proximalen Abschnitt jedes der chirurgischen Geräte aufneh-
men kann, (siehe Schnellwechselfutter 7), wobei
M5≈ jedes der chirurgischen Geräte an seinem proximalen Abschnitt mit
einem Geber 8, 9 ausgeführt ist, welcher seinen Betriebsgrenzwert
anzeigt, der einem Betriebsbereich des chirurgischen Geräts ent-
spricht (siehe Seite 2, Zeilen 113 bis 116), und
M6≈ das Gehäuse Handstück eine automatische Sensoreinrich-
tung 10, 11, zum Abtasten des bei im Gehäuse Handstück einge-
setzten Gerät der Sensoreinrichtung gegenüberliegenden Gebers
enthält
M8≈ eine Einrichtung 12, 13, 14, 15 aufweist, welche auf die Sensorein-
richtung anspricht, um den Betriebsgrenzwert automatisch entspre-
chend dem jeweiligen im Gehäuse Handstück aufgenommenen
chirurgischen Gerät festzulegen, wobei
M9≈ der Motor einen Betriebsbereich hat, der ein Paar Endpunkte auf-
weist (Motor aus = Drehzahl 0 und die gewünschte Drehzahl), und
die Festlegungs-Einrichtung den Betrieb des Motors durch Anspre-
chen auf die Sensoreinrichtung dadurch steuert, dass sie mindestens
einen dieser Endpunkte entsprechend dem Betriebsgrenzwert des
jeweiligen im Gehäuse Handstück aufgenommenen chirurgischen
Geräts so ändert, dass der Betriebsbereich des Motors dem Be-
triebsbereich des chirurgischen Geräts entspricht, und dass eine
Anwahl für den Betrieb dieses Motors (21) außerhalb, jedoch nicht
zwischen den Endpunkten ausgeschlossen ist (siehe Seite
3,
Zeilen 7 bis 23).
Die Streichungen zeigen die Abweichungen in den Merkmalsgruppen gegenüber
dem Anspruch 1. Aus der Druckschrift TN18 sind somit die Merkmale M1 bis M6,
M8 und M9 für eine stationäre Werkzeugmaschine anstatt für eine in der Chirurgie
verwendete handgeführte Maschine bekannt. Anstelle der Stift-Schlitz-Verbindung
- 15 -
gemäß Merkmalsgruppe M7 wird in der Druckschrift TN18 ein Schnellwechselfut-
ter 7 beschrieben.
Ausgehend von dem in der Streitpatentschrift genannten Problem der verschiede-
nen Betriebswerte (z. B. Drehzahlen) von verschiedenen wechselbaren Werkzeu-
gen bei einem motorbetriebenen chirurgischem Behandlungsinstrument ist dem
Fachmann zur Lösung dieses Problems aus der Druckschrift TN9 bekannt (siehe
Spalte 5, Zeilen 25 bis 35), bei einer Bohrmaschine für einen Zahnarzt die ver-
schiedenen wechselbaren Getriebe 122 und Werkzeuge 112 bei der Entnahme
aus einer Halterung 111, 121 zu detektieren und so den Betriebsbereich über eine
Steuereinrichtung 100 automatisch einzustellen. Der Fachmann erkennt allerdings
auch, dass das System gemäß der Druckschrift TN9 einige Nachteile aufweist: Die
Lösung gemäß der Druckschrift TN9 bedingt einen großen apparativen Aufwand
und ist darüber hinaus stör- und fehleranfällig, da niemals ausgeschlossen werden
kann, dass ein in einer Werkzeugaufnahme fehlendes Werkzeug nicht in dem Be-
handlungsinstrument eingesetzt ist.
Der Fachmann erkennt diese Nachteile insbesondere deshalb, weil ihm aus der
Druckschrift TN18 zur Lösung desselben Problems (siehe Seite 2, Zeilen 9 bis 22)
bei einer Bohrmaschine bekannt ist, die auswechselbaren Werkzeuge direkt mit
einem Geber 8, 9 zu versehen, der von in der Maschine angeordneten Senso-
ren 10, 11 abgetastet wird, um so den Betriebsbereich automatisch einzustellen.
Diese apparativ einfachere Lösung stellt sicher, dass ein Werkzeug auch wirklich
nur dann detektiert wird, wenn es in dem Behandlungsinstrument eingesetzt ist.
Dem Fachmann ist damit bekannt, dass das mit dem Streitpatent gelöste Problem
sowohl bei herkömmlichen Bohrmaschinen als auch bei im medizinischen oder
chirurgischen Bereich verwendeten Bohrmaschinen auftritt und er kennt die bei-
den Lösungsansätze gemäß den Druckschriften TN9 und TN18. Er wird daher die
apparativ einfachere und sichere Lösung gemäß der Druckschrift TN18 auch bei
einer zahnmedizinischen Bohrmaschine gemäß der Druckschrift TN9 anwenden.
Wie der Merkmalsvergleich der Bohrmaschine gemäß der Druckschrift TN18 mit
- 16 -
dem chirurgischen System gemäß dem Anspruch 1 des Streitpatents in Ab-
schnitt IV. bereits gezeigt hat, weist das beanspruchte System lediglich die auch
bei nicht im medizinischen Bereich eingesetzten Bohrmaschinen vorhandenen
Merkmale und keine weiteren für die Medizin oder die Chirurgie spezifischen
Merkmale auf.
Für den Fachmann ist es daher nahe liegend, die aus der Druckschrift TN18 bei
Werkzeugmaschinen allgemein bekannte direkte Codierung (siehe Seite 2, Zei-
len 86 bis 91) der verwendeten Werkzeuge gemäß den Merkmalsgruppen M1
bis M6, M7 und M8 auch bei entsprechenden Maschinen im chirurgischen Bereich
wie z. B. einer zahnmedizinischen Bohrmaschine gemäß der Druckschrift TN9 und
damit bei einem chirurgischem System gemäß dem Anspruch 1 der Streitpatent-
schrift anzuwenden.
Das in dem nebengeordneten Anspruch 8 beanspruchte Handstück „zur Verwen-
dung im chirurgischen System u. a. nach Anspruch 1“ und das im nebengeordne-
ten Anspruch 16 beanspruchte chirurgische Gerät „zur Verwendung im chirurgi-
schen System u. a. nach Anspruch 1“, gehen bis auf die Präzisierung der Sensor-
einrichtung im Anspruch 16 auf einen Schalter nicht über die Merkmale im An-
spruch 1 hinaus. Ein Schalter als Sensoreinrichtung ist ebenfalls aus der TN9 be-
kannt (siehe Anspruch 2). Die Gegenstände der Ansprüche 8 und 16 beruhen da-
her ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
- 17 -
VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m.
§ 709 ZPO.
gez.
Unterschriften