Urteil des BGH vom 04.12.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 215/12
Verkündet am:
4. Dezember 2013
Heinekamp
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
VVG §§ 127 Abs. 1, 129; BRAO § 3 Abs. 3
Die durch §§ 127, 129 VVG, § 3 Abs. 3 BRAO gewährleistete freie Anwaltswahl
steht finanziellen Anreizen eines Versicherers in Bezug auf eine Anwaltsempfeh-
lung (hier: Schadenfreiheitssystem mit variabler Selbstbeteiligung) nicht entge-
gen, wenn die Entscheidung über die Auswahl des Rechtsanwalts beim Versi-
cherungsnehmer liegt und die Grenze unzulässigen psychischen Drucks nicht
überschritten wird.
BGH, Urteil vom 4. Dezember 2013 - IV ZR 215/12 - OLG Bamberg
LG Bamberg
- 2 -
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin Mayen, die Richter Wendt, Felsch, Lehmann und die Richterin
Dr. Brockmöller auf die mündliche Verhandlung vom 4. Dezember 2013
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Obe r-
landesgerichts Bamberg - 3. Zivilsenat - vom 20. Juni 2012
aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landge-
richts Bamberg vom 8. November 2011 wird zurückgewi e-
sen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren hat die Klägerin zu
tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin - die Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesge-
richtsbezirk
… - verlangt von dem beklagten Rechtsschutzversi-
cherer unter anderem, die Verwendung von Bestimmungen in seinen All-
gemeinen Versicherungsbedingungen für die Rechtsschutzversicherung
(ARB 2009) zu unterlassen, die ein Schadenfreiheitssystem mit variabler
Selbstbeteiligung im Zusammenhang mit einer Anwaltsempfehlung be-
treffen.
1
- 3 -
Gemäß § 5a Abs. 6 a) ARB 2009 richten sich Einstufung und
Selbstbeteiligung nach folgender Tabelle:
Dauer des schadenfreien
ununterbrochenen Verlaufs
Versicherungsjahre
SF-Klasse
Selbstbeteiligung €
6 und mehr
6
5
5
50
4
4
50
3
3
100
2
2
100
1
1
150
150
M0
150
M1
200
M2
200
M3
250
M4
250
M5
300
M6
300
Wird ein Schadenfreiheitssystem mit variabler Selbstbeteili gung
erstmals vereinbart, erfolgt nach § 5a Abs. 2 a) ARB 2009 die Einstufung
des Versicherungsvertrages in die Schadenfreiheitsklasse SF 0. Ist der
Vertrag während eines Versicherungsjahres schadenfrei verlaufen und
hat der Versicherungsschutz während dieser Zeit ununterbrochen be-
standen, wird gemäß § 5a Abs. 3 a) ARB 2009 der Vertrag nach Maßg a-
be obiger Tabelle in die nächstbessere SF-Klasse eingestuft.
§ 5a Abs. 4 a) ARB 2009 bestimmt für laufende Verträge bei einer
Schadenbelastung eine Rückstufung nach folgender Tabelle:
2
3
4
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aus SF-Klasse
nach SF-Klasse
6
M0
5
M0
4
M0
3
M0
2
M0
1
M0
M0
M0
M4
M1
M6
M2
M6
M3
M6
M4
M6
M5
M6
M6
M6
Die variable Selbstbeteiligung beträgt mithin zwischen 0 und
300
€.
Die Parteien streiten um die Rechtmäßigkeit der Regelung des
schadenfreien und des schadenbelasteten Verlaufs im Sinne der ARB
2009. § 5a Abs. 5 ARB 2009 bestimmt dazu:
"(5) Schadenfreier oder schadenbelasteter Verlauf im Sinne
des Schadenfreiheitssystems
a) Schadenfreier Verlauf
aa) Ein schadenfreier Verlauf des Vertrags liegt vor, wenn
der Versicherungsschutz von Anfang bis Ende eines Vers i-
cherungsjahrs bestanden hat und der Versicherer in dieser
Zeit für keinen Rechtsschutzfall eine Deckungszusage e r-
teilt hat und keine Maßnahmen eingeleitet sind, die ein
Kostenrisiko gemäß § 5 auslösen (z.B. Beauftragung eines
Rechtsanwalts, Einreichung einer Klage).
bb) Der Vertrag gilt auch als schadenfrei, wenn der Recht s-
schutzfall durch eine Erstberatung abgeschlossen ist oder
5
6
- 5 -
wenn ein Rechtsanwalt aus dem Kreis der aktuell vom Ver-
sicherer empfohlenen Rechtsanwälte beauftragt wird.
b) Schadenbelasteter Verlauf
aa) Ein schadenbelasteter Verlauf des Vertrags liegt vor,
wenn der Versicherer während eines Versicherungsjahrs
für einen Rechtsschutzfall eine Deckungszusage erteilt und
Maßnahmen eingeleitet sind, die ein Kostenrisiko gemäß
§ 5 auslösen (z.B. Beauftragung eines Rechtsanwalts, Ei n-
reichung einer Klage).
bb) Ein schadenbelasteter Verlauf des Vertrages liegt nicht
vor, wenn der Rechtsschutzfall durch eine Erstberatung ab-
geschlossen ist oder wenn ein Rechtsanwalt aus dem Kreis
der aktuell vom Versicherer empfohlenen Rechtsanwälte
beauftragt wird."
Deckungsanfragen beantwortet die Beklagte wie folgt:
"Es steht Ihnen frei, zur Wahrnehmung der rechtlichen Inte-
ressen in dieser Angelegenheit einen Rechtsanwalt Ihrer
Wahl zu beauftragen. Wir möchten Ihnen hierfür die Kanzlei
(Name der Kanzlei, Anschrift, Telefonnummer, E-Mail-
Adresse) empfehlen. Folgen Sie unserer Anwaltsempfe h-
lung und beauftragen Sie die genannte Kanzlei, entfällt die
Rückstufung Ihrer Schadenfreiheitsklasse. Dadurch ve r-
meiden Sie eine höhere Selbstbeteiligung im nächsten
Rechtsschutzfall."
Die Klägerin sieht in der Verknüpfung zwischen der Wahl eines
vom Versicherer vorgeschlagenen Rechtsanwalts und dem Verzicht auf
eine Rückstufung eine Einschränkung des durch § 127 VVG, § 3 Abs. 3
BRAO garantierten Rechts auf freie Anwaltswahl. Die finanziellen Nac h-
teile in einer Größenordnung von 150 € bis 300 € seien nicht unerhe b-
lich. Die Wahl des Anwalts erfolge deshalb mit Blick auf die Auswirku n-
gen auf die Selbstbeteiligung und sei daher nicht mehr frei. Die von der
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- 6 -
Beklagten empfohlenen Anwälte seien ihr weitgehend über Gebühren-
vereinbarungen verbunden, die der Beklagten finanzielle Vorteile bei der
Honorarabrechnung einräumten. Dies berge die Gefahr, dass bei der
Anwaltsempfehlung nicht die Interessen des Versicherungsnehmers,
sondern wirtschaftliche Erwägungen der Beklagten im Vordergrund stü n-
den.
Dem hält die Beklagte entgegen, dass das Recht auf freie An-
waltswahl nicht verletzt sei. Dem Versicherungsnehmer stehe es frei, ei-
nen Rechtsanwalt selbst auszuwählen. Dies habe keine negativen Au s-
wirkungen auf den Versicherungsschutz, vielmehr könnten auch in die-
sem Fall die Versicherungsleistungen in vollem Umfang in Anspruch ge-
nommen werden. Der finanzielle Anreiz durch Verzicht auf eine Rückstu-
fung sei so gering, dass hierdurch kein Druck entstehe, der die Ent-
scheidungsfreiheit des Versicherungsnehmers einschränkte. Bei der
Auswahl der Partneranwälte achte man im Sinne der Versicherungsneh-
mer auf Qualität; Vergütungsvereinbarungen, die das Rechtsanwaltsver-
gütungsgesetz (RVG) verletzten, würden nicht abgeschlossen.
Das Landgericht (LG Bamberg, VersR 2011, 1515) hat die auf Un-
terlassung und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten gerichtete Kl a-
ge abgewiesen, da die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB)
der Beklagten das Recht des Versicherungsnehmers auf freie Anwalts-
wahl nicht einschränkten und keine gravierende Einflussnahme auf seine
Auswahlentscheidung vorliege.
Die Berufung der Klägerin hat Erfolg gehabt. Das Oberlandesge-
richt (OLG Bamberg, VersR 2012, 1167) hat die Beklagte neben der Er-
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stattung vorgerichtlicher Abmahnkosten unter Androhung näher bezeich-
neter Ordnungsmittel dazu verurteilt, es zu unterlassen,
1. in Rechtsschutzversicherungen mit einer vom Schade n-
verlauf abhängigen, variablen Selbstbeteiligung nachfo l-
gende oder diesen inhaltsgleiche Bestimmungen einzub e-
ziehen oder sich auf diese zu berufen:
"Besserstellung bei schadenfreiem Verlauf
a) Schadenfreier Verlauf
bb) Der Vertrag gilt auch dann als schadenfrei, … wenn ein
Rechtsanwalt aus dem Kreis der aktuell vom Versicherer
empfohlenen Rechtsanwälte beauftragt wird.
Rückstufung bei schadenbelastetem Verlauf
b) Schadenbelasteter Verlauf
bb) Ein schadenbelasteter Verlauf des Vertrages liegt nicht
vor, … wenn ein Rechtsanwalt aus dem Kreis der aktuell
vom Versicherer empfohlenen Rechtsanwälte beauftragt
wird."
2. gegenüber Rechtsschutzversicherten, die im Versiche-
rungsfall einen nicht von der Beklagten empfohlenen
Rechtsanwalt mit der Vertretung ihrer Interessen mandati e-
ren wollen oder mandatiert haben, für nachfolgende Vers i-
cherungsfälle eine Selbstbeteiligung anzukündigen, die h ö-
her ist als jene, die der Versicherte bei Mandatierung eines
von der Beklagten empfohlenen Anwalts zu leisten hätte,
und/oder eine solche höhere Selbstbeteiligung einzufo r-
dern.
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Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte Wiederherstellung des
landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts soll das Recht auf freie
Anwaltswahl jegliche Interessenkollision von vornherein vermeiden. Die
Einschränkung in § 127 Abs. 1 Satz 1 VVG, wonach sich di e freie An-
waltswahl auf den Kreis der Rechtsanwälte beschränkt, deren Vergütung
der Versicherer nach dem Versicherungsvertrag trägt, berechtige den
Versicherer lediglich zu objektiven Leistungsbeschränkungen. Eine so l-
che liege nicht vor. Durch die Vertragsgestaltung der Beklagten entgehe
dem Versicherten, der sich gegen die Wahl eines von der Beklagten
empfohlenen Rechtsanwalts entscheide, die hierfür in Aussicht gestellte
Belohnung, was von diesem als nachteilig empfunden werde. Dies führe
beim Versicherten zu einer unzulässigen mittelbaren Beeinträchtigung
des Rechts auf freie Anwaltswahl, da § 127 VVG jede direkte oder indi-
rekte Einschränkung der freien Anwaltswahl verbiete.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Allerdings hat das Berufungsgericht die Anträge der Klägerin
entgegen der Ansicht der Revision zu Recht für zulässig erachtet.
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a) Der Unterlassungsantrag zu 1 ist hinreichend bestimmt. Nach
§ 8 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG muss der Antrag die beanstandete Klausel im
Wortlaut enthalten. Eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen
kann daher nur in der vom Anspruchsgegner verwendeten Fassung G e-
genstand einer Unterlassungsklage sein (vgl. BGH, Urteil vom 15. Fe b-
ruar 1995 - VIII ZR 93/94, BB 1995, 742 unter III 2). Eine teilbar e Klausel
ist zum besseren Verständnis zwar ebenfalls im vollen Wortlaut wiede r-
zugeben, jedoch ist der Antrag auf den unwirksamen Teil zu beschrä n-
ken, da andernfalls die Klage teilweise unbegründet ist (Köhler in Köhler/
Bornkamm, UWG 31. Aufl. § 8 UKlaG Rn. 2). Hier wendet sich die Kläge-
rin nicht gegen das Schadenfreiheitssystem mit variabler Selbstbeteil i-
gung als Ganzes, sondern nur gegen darin enthaltene Regelungen mit
Bezug zur Anwaltsempfehlung. Es ist deshalb unschädlich, dass sich der
Antrag nicht dazu verhält, wie sich ein schadenfreier oder schadenbela s-
teter Verlauf auf die vom Versicherungsnehmer zu tragende Selbstbete i-
ligung auswirkt.
b) Der Klageantrag zu 2 ist - anders als die Revision meint - auch
hinreichend bestimmt. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO darf ein Verbotsan-
trag nicht derart undeutlich gefasst sein, dass Gegenstand und Umfang
der Entscheidungsbefugnis des Gerichts (§ 308 Abs. 1 ZPO) nicht e r-
kennbar abgegrenzt sind, sich die Beklagte deshalb nicht erschöpfend
verteidigen kann und letztlich die Entscheidung darüber, was der Beklag-
ten verboten ist, dem Vollstreckungsgericht überlassen bleibt (BGH, U r-
teil vom 22. Juli 2010 - I ZR 139/08, GRUR 2011, 152 Rn. 22 m.w.N.).
Bei der Fassung eines Unterlassungsantrags sind im Interesse eines hi n-
reichenden Rechtsschutzes gewisse Verallgemeinerungen zulässig, s o-
fern auch in dieser Form das Charakteristische der konkreten Verle t-
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zungsform zum Ausdruck kommt (BGH, Urteil vom 30. April 2008 - I ZR
73/05, GRUR 2008, 702 Rn. 55 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind
hier gewahrt. Unter Berücksichtigung des Klagevorbringens (BGH, Urteil
vom 9. Februar 2012 - I ZR 178/10, GRUR 2012, 943 Rn. 18 m.w.N.)
wendet sich die Klägerin mit diesem Antrag dagegen, dass für den Fall
der Befolgung des Anwaltsvorschlags die Verringerung oder das Entfal-
len einer Selbstbeteiligung bei künftigen Versicherungsfällen durch die
Beklagte angekündigt wird.
c) Zu Unrecht hält die Revision ferner die Kombination beider Kla-
geanträge für unzulässig. Beide Unterlassungsbegehren umfass en nicht
dasselbe. Mit dem Klageantrag zu 1 erstrebt die Klägerin, der Beklagten
die Verwendung bestimmter Klauseln ihrer ARB 2009 zu untersagen. Ei-
ne Verwendung liegt bereits dann vor, wenn gegenüber Dritten erklärt
wird, dass für bestimmte Verträge bestimmte Allgemeine Geschäftsbe-
dingungen gelten sollen (vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG 31. Aufl.
§ 1 UKlaG Rn. 8). Der Klageantrag zu 2 geht darüber hinaus. Dieser be-
trifft die konkrete Umsetzung der streitgegenständli chen Allgemeinen
Versicherungsbedingungen während der Regulierung eines Versiche-
rungsfalles, indem die Beklagte eine individuelle Anwaltsempfehlung
ausspricht und durch Hinweis auf die unterbleibende Rückstufung bei
Befolgung dieser Empfehlung das Verhalten des Versicherungsnehmers
zu beeinflussen versucht.
2. Das Berufungsgericht hat jedoch rechtsfehlerhaft angenommen,
dass der Klägerin die von ihr geltend gemachten Ansprüche zustehen.
Mangels Verletzung des Rechts auf freie Anwaltswahl kann die Klägerin
weder aus §§ 1, 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UKlaG, § 307 Abs. 1 Satz 1,
Abs. 2 Nr. 1 BGB, §§ 127 Abs. 1, 129 VVG (hierzu unten a) noch aus § 8
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Abs. 1, 3 Nr. 2, §§ 3, 4 Nr. 11 UWG, §§ 127, 129 VVG und §§ 1, 3 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 UKlaG, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 3 Abs. 3 BRAO (hierzu
unten b) Unterlassung verlangen.
a) Zwar ist die Klägerin anspruchsberechtigte Stelle i.S. des § 3
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UKlaG (vgl. BGH, Urteil vom 2. April 1998 - I ZR
4/96, GRUR 1998, 835 unter I). Ebenso folgt aus einer Abweichung von
halbzwingenden Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG)
zum Nachteil des Versicherungsnehmers die für einen Anspruch aus § 1
UKlaG erforderliche Unwirksamkeit nach § 307 BGB (Senatsurteil vom
12. Oktober 2011 - IV ZR 199/10, BGHZ 191, 159 Rn. 19). Die gemäß
§ 129 VVG halbzwingende Norm des § 127 VVG ist aber nicht verletzt.
Die angegriffenen Bestimmungen in § 5a Abs. 5 ARB 2009 verstoßen
nicht gegen das Recht des Versicherungsnehmers auf freie Anwaltswahl.
aa) Die zunächst vorzunehmende Auslegung der streitgegenst änd-
lichen Klauseln ergibt, dass die Beklagte entgegen der Ansicht der Kl ä-
gerin die Liste ihrer Partneranwälte nicht offenbaren muss und folglich
dem Versicherungsnehmer hieraus auch keine Auswahl zu ermöglichen
braucht.
Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach gefestigter
Rechtsprechung des Senats so auszulegen, wie ein durchschnittlicher
Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer
Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs
verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines
Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse
und damit auch auf seine Interessen an (Senatsurteile vom 19. Deze m-
ber 2012 - IV ZR 21/11, VersR 2013, 354 Rn. 11; vom 11. Dezember
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2002 - IV ZR 226/01, BGHZ 153, 182, 185 f.; vom 23. Juni 1993 - IV ZR
135/92, BGHZ 123, 83, 85 f.).
§ 5a Abs. 5 a) bb) und b) bb) ARB 2009 knüpfen die Fiktion der
Schadenfreiheit und eines nicht schadenbelasteten Verlaufs daran, dass
"ein Rechtsanwalt aus dem Kreis der aktuell vom Versicherer empfohle-
nen Rechtsanwälte beauftragt wird". Dem durchschnittlichen Versiche-
rungsnehmer erschließt sich aus den Bestimmungen über die Kostener-
stattung in der Rechtsschutzversicherung (vgl. § 5 Abs. 1 ARB 2009) zu-
nächst, dass der Versicherer primär keine Sachleistung erbringt, sondern
lediglich Kosten erstattet. Daher weiß der durchschnittliche Versiche-
rungsnehmer, dass er selbst den Anwalt zu beauftragen hat. Dies bestä-
tigen ihm die streitgegenständlichen Klauseln ausdrücklich. Ihr weiterge-
hender Regelungsgehalt erschöpft sich darin - für den Fall, dass der
Versicherungsnehmer einen Rechtsanwalt wählt, der aus dem Kreis der
vom Versicherer empfohlenen Anwälte stammt - eine Schadenfreiheit
und einen nicht schadenbelasteten Verlauf zu fingieren. Auf welche Art
und Weise der Versicherungsnehmer informiert wird, damit dieser einen
empfohlenen Anwalt beauftragen kann, regeln die Klauseln dagegen für
ihn erkennbar nicht. Sie besagen nicht, dass der Versicherer dem Versi-
cherungsnehmer den Kreis aller Partneranwälte offenzulegen und dem
Versicherungsnehmer die Auswahl hieraus zu überlassen hätte. Die von
den Klauseln allein eröffnete Möglichkeit des V ersicherungsnehmers zur
Beeinflussung des Schadenfreiheitssystems durch Mandatierung eines
empfohlenen Anwalts besteht bereits, wenn der Versicherer dem Versi-
cherungsnehmer lediglich einen Rechtsanwalt nennt. Mit dieser Informa-
tion kann der Versicherungsnehmer entscheiden, ob er den ihm benann-
ten Anwalt beauftragen will oder sich stattdessen einen anderen Anwalt
suchen möchte. Umgekehrt greift die Klausel auch ein, wenn der Versi-
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cherungsnehmer - etwa auf Grund eines vorherigen Mandatsverhältnis-
ses - einen auf der aktuellen Empfehlungsliste des Versicherers befindli-
chen Rechtsanwalt mandatiert, selbst wenn in der Deckungszusage des
Versicherers ein anderer Anwalt genannt worden sein sollte. Daher wird
der durchschnittliche Versicherungsnehmer den angegriffenen Klauseln
auch keine weitergehenden Rechte wie etwa Ansprüche auf Offenlegung
aller Partneranwälte des Versicherers entnehmen.
bb) Die Freiheit der Anwaltswahl schließt nicht jegliche Anreizsy s-
teme des Versicherers hinsichtlich der vom Versicherungsnehmer zu
treffenden Entscheidung aus, welchen Rechtsanwalt er mandatiert.
(1) Gemäß § 127 Abs. 1 Satz 1 VVG ist der Versicherungsnehmer
berechtigt, zu seiner Vertretung in Gerichts- und Verwaltungsverfahren
den Rechtsanwalt, der seine Interessen wahrnehmen soll , aus dem Kreis
der Rechtsanwälte, deren Vergütung der Versicherer nach dem Versi-
cherungsvertrag trägt, frei zu wählen. Dies bedeutet kein gesetzliches
Recht des Versicherers, den Rechtsanwalt auszuwählen, sondern eröff-
net ihm lediglich die Möglichkeit, allgemeine Kriterien des Deckungsu m-
fangs herauszuarbeiten. Im Rahmen des so festgelegten Leistungsum-
fangs steht dem Versicherungsnehmer die Auswahl des Rechtsanwalts
frei (Hillmer-Möbius, in Schwintowksi/Brömmelmeyer, VVG 2. Aufl. § 127
Rn. 3). Nach § 127 Abs. 1 Satz 2 VVG gilt dies auch, wenn der Versiche-
rungsnehmer Rechtsschutz für die sonstige Wahrnehmung rechtlicher In-
teressen in Anspruch nehmen kann.
(2) Nach richtlinienkonformer Auslegung des § 127 VVG ist die
Freiheit der Anwaltswahl nicht mit einem Verbot sämtlicher Anreizsyst e-
me seitens des Versicherers gleichzusetzen. Liegt die Entscheidung über
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die Auswahl des Rechtsanwalts beim Versicherungsnehmer, ist nach der
maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH)
eine unvollständige Deckung der Kosten zulässig, sofern die freie A n-
waltswahl nicht ausgehöhlt wird, d.h. die Beschränkung der Kostenüber-
nahme eine angemessene Wahl des Vertreters durch den Versich e-
rungsnehmer nicht faktisch unmöglich macht. Durch somit grundsätzlich
zulässige finanzielle Anreize wird die Anwaltswahl des Versicherungs-
nehmers erst unfrei, wenn die Verbindung zwischen Anwaltswahl und f i-
nanziellem Anreiz die Grenze des unzulässigen psychischen Drucks
überschreitet.
(a) Die in § 127 VVG inhaltsgleich übernommene (BR-Drucks.
707/06 S. 229) Vorschrift des § 158m VVG a.F. ist im Zuge der Umset-
zung der Richtlinie des Rates vom 22. Juni 1987 zur Koordinierung der
Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Rechtsschutzversicherung
(87/344/EWG - im Folgenden Rechtsschutzversicherungsrichtlinie) in das
VVG aufgenommen worden (Schilasky, Einschränkungen der freien
Rechtsanwaltswahl in der Rechtsschutzversicherung 1998 S. 176). Die
Rechtsschutzversicherung gehört damit zu den wenigen Bereichen des
Versicherungsvertragsrechts, die gemeinschaftsweit harmonisiert sind
(Schauer, RdW 2009, 702). Nationale Umsetzungsnormen wie § 127
VVG sind bei ihrer Anwendung richtlinienkonform auszulegen (EuGH
NJW 1994, 2473 Rn. 26).
(b) Zur Vermeidung von Interessenkollisionen nach Aufhebung der
bis zum Inkrafttreten der Rechtsschutzversicherungsrichtlinie in Deut sch-
land üblichen Spartentrennung muss neben organisatorischen Vorgaben
(vgl. hierzu Art. 3 der Rechtsschutzversicherungsrichtlinie) nach Art. 4
der Rechtsschutzversicherungsrichtlinie die freie Anwaltswahl in jedem
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Rechtsschutzversicherungsvertrag für die Vertretung in Gerichts- und
Verwaltungsverfahren sowie bei der Entstehung konkreter Interessenkol-
lisionen vorgesehen sein. § 158m VVG a.F. diente der Umsetzung dieser
Vorgaben. Wegen der in Deutschland - anders als in anderen EU-Staa-
ten - nicht möglichen Eigenwahrnehmung der Interessen des Versiche-
rungsnehmers durch den Versicherer wurde dabei festgelegt, dass dem
Versicherungsnehmer das Recht auf freie Anwaltswahl nicht nur bei Ge-
richts- und Verwaltungsverfahren zusteht, sondern auch im Bereich der
außergerichtlichen Wahrnehmung (vgl. BT-Drucks. 11/6341 S. 37; Schi-
lasky aaO S. 185).
Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass § 158m VVG a.F.
allein der Richtlinienumsetzung dienen sollte. Es sollten über das EG-
rechtlich seinerzeit Gebotene hinaus nur einige, in diesem Zusammen-
hang nicht interessierende Korrekturen der damaligen Gesetzeslage vo r-
genommen werden (BT-Drucks. 11/6341 S. 19). Die Gesetzesbegrün-
dung betont, das Recht der Rechtsschutzversicherung nicht umfassend
regeln zu wollen, sondern sich anlässlich der Umsetzung der Richtlinie
auf die dringendsten Regelungen zu beschränken (BT-Drucks. 11/6341
S. 34 f.). Deshalb kann dem § 158m VVG a.F. keine über die Richtl i-
nienumsetzung hinaus gehende nationale Regelung zur Gewährleistung
der freien Anwaltswahl entnommen werden.
(c) Der EuGH hat in zwei Leitentscheidungen den inhaltlichen
Rahmen dafür festgelegt, was die Rechtsschutzversicherungsrichtlinie
unter der Freiheit der Anwaltswahl versteht. Hierbei hat er klargestellt,
dass nicht jede Verbindung der Auswahl des Rechtsanwalts durch den
Versicherungsnehmer mit einer Beschränkung der Kostenübernahme
durch den Versicherer zu einer Unfreiheit der Anwaltswahl fü hrt.
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(aa) Die Entscheidung Eschig gegen Uniqa (NJW 2010, 355) betraf
eine sogenannte "Massenschadenklausel" in den Allgemeinen Versiche-
rungsbedingungen eines österreichischen Versicherers (hierzu OGH
VersR 2010, 1625; Fenyves, ÖJZ 2010, 468 und Versicherungsrun d-
schau 2006, 22), nach welcher der Versicherer in Versicherungsfällen
mit einer Schädigung einer größeren Anzahl von Versicherungsnehmern
durch dasselbe Ereignis den Rechtsvertreter des Versicherungsnehmers
selbst auswählen konnte. Das hat der EuGH als Verstoß gegen Art. 4
Abs. 1 Buchst. a der Rechtsschutzversicherungsrichtlinie angesehen:
Nach Art. 3 bis 5 der Rechtsschutzversicherungsrichtlinie stehe jedem
Versicherungsnehmer die freie Wahl des Rechtsvertreters innerhalb der
in den einzelnen Artikeln festgelegten Grenzen allgemein und eigenstä n-
dig zu (EuGH aaO Rn. 46), dieses Recht sei in Gerichts- und Verwal-
tungsverfahren nicht an die Entstehung einer konkreten Interessenkoll i-
sion geknüpft (EuGH aaO Rn. 52, 58) und der Gemeinschaftsgesetzg e-
ber habe keine Ausnahmen für Massenschäden vorgesehen (EuGH aaO
Rn. 60).
(bb) In seiner späteren Entscheidung Stark gegen D.A.S. (NJW
2011, 3077; bestätigt durch Urteil vom 7. November 2013 - C-442/12
Rn. 27) hat der EuGH deutlich gemacht, dass Einschränkungen der Kos-
tenübernahme durch den Versicherer nicht zwangsläufig mit einer B e-
schränkung der freien Anwaltswahl des Versicherungsnehmers gleichz u-
setzen sind. In den zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbe-
dingungen eines österreichischen Versicherers war geregelt, dass sich
das Recht des Versicherungsnehmers auf freie Anwaltswahl nur auf Per-
sonen bezieht, die ihren Kanzleisitz am Ort des Gerichtes oder der Ve r-
waltungsbehörde haben. Darin liegt nach Ansicht des EuGH keine Ver-
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letzung des Rechts auf freie Anwaltswahl: Der Deckungsumfang für die
mit dem Tätigwerden eines Rechtsvertreters verbundenen Kosten sei in
der Richtlinie nicht ausdrücklich geregelt (EuGH aaO Rn. 32). Die Wahl-
freiheit i.S. von Art. 4 Abs. 1 der Rechtsschutzversicherungsrichtlinie ge-
be mithin keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten vor, unter allen Um-
ständen die vollständige Deckung der im Rahmen der Vertretung eines
Versicherungsnehmers entstandenen Kosten unabhängig vom Ort des
Kanzleisitzes zu gewährleisten, sofern die freie Anwaltswahl nicht au s-
gehöhlt werde. Letzteres sei anzunehmen, wenn die Beschränkung der
Übernahme dieser Kosten eine angemessene Wahl des Vertreters durch
den Versicherungsnehmer faktisch unmöglich mache. Das zu prüfen, sei
Sache der nationalen Gerichte (EuGH aaO Rn. 33; vgl. auch Armbrüster,
VuR 2012, 167, 168; Wendenburg, NJW 2011, 3064, 3066); einer Vorla-
ge an den EuGH bedarf es daher nicht (Art. 267 Abs. 3 AEUV).
(d) Diese maßgeblichen Vorgaben des EuGH sind durch die Ge-
richte der Mitgliedstaaten zu beachten. Dabei kann zur streitgegenständ-
lichen Frage, wann die Grenze zur unzulässigen V erletzung der freien
Anwaltswahl überschritten wird, auch die einschlägige Rechtsprechung
in anderen Mitgliedstaaten, die die Rechtsschutzversicherungsrichtlinie
in ihr nationales Recht überführt haben, eine Verständnishilfe sein.
Ein überzeugender Ansatz ist insoweit dem - wenn auch zeitlich
vor den Entscheidungen des EuGH ergangenen - Urteil des Österreichi-
schen Obersten Gerichtshofs (OGH) vom 22. Mai 2002 (VersR 2003,
1330; hierzu Pichler, Österreichisches Anwaltsblatt 2008, 199, 200 f.) zu
entnehmen. Die diesem Urteil zugrunde liegenden Allgemeinen Versiche-
rungsbedingungen sahen pro Versicherungsfall eine Selbstbeteiligung
des Versicherungsnehmers von 20% der Kosten, mindestens 3.000
34
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Schilling (ca. 220
€) vor, die dann entfiel, wenn der Versicherungsneh-
mer einen vom Versicherer vorgeschlagenen Anwalt wählte. Der OGH
hat diese Klausel als Verstoß gegen das Art. 4 der Rechtsschutzversi-
cherungsrichtlinie umsetzende nationale Recht des § 158k Abs. 1
VersVG angesehen. Maßgebliches Kriterium für eine fehlende Gesetzes-
und Richtlinienkonformität sei, ob der dem Versicherungsnehmer offe-
rierte Vorteil des Wegfalls eines Selbstbehalts die sachlich gerechtferti g-
te Grenze insofern überschreite, als der Versicherungsnehmer wegen
der Größe des angebotenen Vorteils einem psychischen Zwang unterlie-
ge, von der freien Vertreterwahl jedenfalls nicht Gebrauch zu machen,
um des ihm vom Versicherer dafür angebotenen Vermögensvorteils nicht
verlustig zu gehen (OGH aaO). Diese Gefahr sei bei dem in Rede ste-
henden Selbstbehalt von 20% der Kosten - d.h. unter Einschluss nicht
nur der Kosten für den eigenen Anwalt, sondern auch aller anderen Ve r-
fahrenskosten - gegeben. Damit hat der OGH - durchaus im Sinne des
Aushöhlungsgedankens in dem späteren EuGH-Urteil in der Rechtssache
Stark (aaO) - entscheidend darauf abgestellt, ob ungeachtet der verblei-
benden Auswahl des Rechtsanwalts die Verbindung zwischen Anwalts-
wahl und Selbstbehalt auf den Versicherungsnehmer einen psychischen
Zwang ausübt.
cc) Nach richtlinienkonformer Auslegung des § 127 VVG an Hand
der Vorgaben des EuGH und unter Einbeziehung der damit übereinsti m-
menden vom OGH entwickelten Grundsätze ist die Grenze zur Verlet-
zung des Rechts auf freie Anwaltswahl erst überschritten, wenn die
streitgegenständliche Vertragsgestaltung einen unzulässigen psychi-
schen Druck zur Mandatierung des vom Versicherer vorgeschlagenen
Anwalts ausübt. Dies ist unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Um-
stände zu entscheiden. Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob
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man den Verzicht auf eine Höherstufung bei Befolgung der Anwaltsem p-
fehlung begrifflich als Vorteil oder die andernfalls erfolgende Rückstu-
fung als Nachteil betrachtet; von der Vermeidung eines Nachteils kann
die gleiche psychische Zwangswirkung wie von einem Vorteil ausgehen.
Maßgebend ist insoweit insbesondere:
(1) Bei der Wirkweise des Anreizes zur Befolgung der Anwaltsem p-
fehlung ist zu unterscheiden, ob sich dieser bereits auf den aktuell zu r e-
gulierenden Rechtsschutzfall auswirkt oder erst auf einen späteren. Mö g-
liche Auswirkungen auf den - in der Regel nicht konkret vorhersehbaren -
nächsten Versicherungsfall setzen den Versicherungsnehmer weniger
unter Druck als finanzielle Konsequenzen für den momentan zu decken-
den Rechtsschutzfall. Unter diesem Gesichtspunkt ist d ie psychische
Einflussnahme durch die streitgegenständlichen AVB eher gering, weil
sich der gebotene Anreiz nicht auf den aktuellen Rechtsschutzfall finan-
ziell auswirkt.
(2) Unter dem Aspekt der Dauerhaftigkeit der Auswirkungen ist zu
beurteilen, wie lange die Entscheidung des Versicherungsnehmers in
zeitlicher Hinsicht nachwirkt. Die psychische Beeinflussung ist umso ge-
ringer, je kürzer sich der Verzicht auf den finanziellen Anreiz auswirkt.
Aus der maßgeblichen Sicht des durchschnittlichen Versicher ungsneh-
mers erfolgt nach § 5a Abs. 3 a) ARB 2009 ("Jährliche Besserstufung")
i.V.m. der Tabelle in Absatz 6 a) ARB 2009 auch in den SF-Klassen M0
bis M6 eine bessere Einstufung, wenn der Vertrag während eines Versi-
cherungsjahres schadenfrei verlaufen ist. Dies bietet dem Versiche-
rungsnehmer die Möglichkeit, in angemessenem Zeitraum trotz seines
Verzichts auf einen vom Versicherer empfohlenen Anwalt in die gleiche
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Position wie ein Versicherungsnehmer zu kommen, der der Empfehlung
des Versicherers gefolgt ist.
(3) Zur finanziellen Bedeutung des Anreizes als weiteren bedeut-
samen Umstand gilt, dass der psychische Druck mit der Höhe des finan-
ziellen Anreizes steigt. Gleichzeitig ist jedoch zu beachten, dass auch
moderate Beträge im Zusammenspiel mit den anderen oben genannten
Faktoren zu einer psychischen Zwangswirkung führen können. Insoweit
vermag jedenfalls die hier in Rede stehende finanzielle Größenordnung
einer Rückstufung von maximal 1
50 € pro Schadenfall - unabhängig da-
von, ob man diese als gering bewertet oder nicht - für sich genommen
weder bereits eine unzulässige psychische Zwangswirkung auszuschlie-
ßen noch diese allein zu begründen.
dd) Unter Berücksichtigung der so umschriebenen richtlinienkon-
formen Auslegung hat das Berufungsgericht § 127 VVG zu Unrecht als
verletzt angesehen.
(1) Hier wird die Bedeutung des finanziellen Anreizes in der Grö-
ßenordnung einer Rückstufung von maximal
150 € durch die Wirkungs-
weise des Anreizes (keine Auswirkung auf die Regulierung des anste-
henden Rechtsschutzfalles, sondern nur auf den Selbstbehalt für den
nächsten Versicherungsfall) und die begrenzte Nachwirkung einer En t-
scheidung gegen den Anreiz (durch Zeitablauf kann sich der Selbstbehalt
auf das Niveau eines Kunden, der der Empfehlung gefolgt ist, wieder ab-
senken) so weit verringert, dass auf den durchschnittlichen V ersiche-
rungsnehmer einer Rechtsschutzversicherung kein rechtlich maßgebl i-
cher psychischer Zwang ausgeübt wird, den von der Beklagten empfoh-
lenen Anwalt zu mandatieren. Er mag der Anwaltsempfehlung des V ersi-
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cherers der Einfachheit halber oder mangels besseren Wissens um die
Qualität anderer Anwälte folgen. Eine rechtlich beachtliche übermäßige
Beeinflussung, nur wegen der Konsequenzen für den Selbstbehalt den
vorgeschlagenen Anwalt zu mandatieren, besteht jedoch nicht.
(2) Die hiergegen gerichteten Einwände überzeugen nicht.
(a) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts führt § 129 VVG
nicht dazu, jede Einwirkung auf den Versicherungsnehmer als unzulässi-
ge Verletzung des Rechts auf freie Anwaltswahl zu betrachten. Richtig
ist zwar, dass durch den halbzwingenden Charakter des § 127 VVG eine
Verletzung des Rechts auf freie Anwaltswahl - so sie denn vorliegt - nicht
durch finanzielle Vorteile wie eine vergünstigte Prämie kompensiert we r-
den kann. Das ergibt sich bereits daraus, dass nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs im Rahmen der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB
eine an sich gegebene unangemessene Benachteiligung nicht mit einem
vom Kunden zu zahlenden geringeren Preis gerechtfertigt werden kann
(BGH, Urteile vom 16. November 1992 - II ZR 184/91, BGHZ 120, 216,
226; vom 12. Mai 1980 - VII ZR 166/79, BGHZ 77, 126, 131; vgl. Klimke,
Die halbzwingenden Vorschriften des VVG 2004 S. 86). Allerdings ist
damit nicht die vorgelagerte Frage beantwortet, ob § 127 VVG verletzt
ist. Eine nachteilige Abweichung von halbzwingenden Vorschriften setzt
zumindest voraus, dass eine Vereinbarung den Versicherungsnehmer in
irgendeiner Hinsicht schlechter stellt als das Gesetz (Klimke aaO S. 28).
Dazu muss ihm eine Rechtsposition entzogen werden, die ihm durch die
halbzwingende gesetzliche Regelung eingeräumt werden soll (Klimke
aaO). Hinsichtlich des Rechts auf freie Anwaltswahl ist dies nach den
vorstehenden Ausführungen so lange nicht anzunehmen, wie der Vers i-
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cherungsnehmer den Anwalt selbst auswählen kann und seine Entsche i-
dung keinem unzulässigen psychischen Druck ausgesetzt ist.
(b) Es gibt ferner keinen Widerspruch zur Entscheidung des Bun-
desgerichtshofs vom 26. Oktober 1989 - I ZR 242/87, BGHZ 109, 153.
Dort wurde es als Verstoß gegen § 242 BGB und § 1 UWG angesehen,
dass ein Mieterverein gegenüber dem Versicherer aus einem Gruppe n-
versicherungsvertrag das Recht für sich in Anspruch nahm, für seine
Mitglieder den Rechtsanwalt zu benennen: Dadurch werde dem Versi-
cherten das Recht zur Anwaltswahl genommen. Soweit in dieser En t-
scheidung ausgeführt ist, dass das persönliche Vertrauensverhältnis des
Mandanten zu seinem Anwalt die sachliche Grundlage des Mandatsver-
hältnisses bilde und die Anwaltswahl deshalb grundsätzlich auch nur von
dem in seinen Interessen betroffenen Rechtssuchenden selbst wahrg e-
nommen werden könne, sind diese Grundsätze hier gewahrt. Da der
Versicherungsnehmer die Auswahl des Rechtsanwalts selbst trifft und
dabei keinem maßgeblichen psychischen Zwang ausgesetzt ist, bleibt
das persönliche Vertrauen des Versicherungsnehmers zu seinem Anwalt
Grundlage des Mandatsverhältnisses.
(c) Solange nach den zuvor dargestellten Grundsätzen das Recht
des Versicherungsnehmers auf freie Anwaltswahl unangetastet bleibt,
ergibt sich auch keine Verschlechterung der Situation des Versiche-
rungsnehmers im Hinblick auf einen möglichen Interessenkonflikt zw i-
schen dem Wunsch des Versicherungsnehmers nach Durchsetzung sei-
ner Rechte und dem Interesse des Versicherers an einer kostengünsti-
gen Regulierung (vgl. zum Interessenkonflikt in der Rechtsschutzvers i-
cherung BGH, Urteil vom 20. Februar 1961 - II ZR 139/59, NJW 1961,
1113 unter II 3 und BT-Drucks. 16/3655 S. 51).
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(d) Soweit die Klägerin in den Gebührenvereinbarungen zwischen
der Beklagten und deren Partneranwälten finanzielle Nachteile für die
betroffenen Anwälte erkennt, übersieht sie, dass es in der vom Senat zu
beurteilenden Vertragsbeziehung allein um das Verhältnis zwischen Ver-
sicherer und Versicherungsnehmer geht. Dessen Interessen aus dem
Versicherungsvertrag sind tangiert, wenn der Versicherer einen Partner-
anwalt empfiehlt, der dem Versicherungsnehmer eine schlechtere Leis-
tung als die durch das Mandatsverhältnis geschuldete erbringt. Zwar ist
es nicht generell auszuschließen, dass Vorgaben einer Gebührenverein-
barung zwischen Versicherer und Anwalt in eine unzureichende G e-
schäftsbesorgung des Anwalts für den Versicherungsneh mer umschla-
gen können. Nach dem Sachvortrag der Klägerin ist dies hier jedoch
nicht anzunehmen. Insbesondere lassen die von der Klägerin aufgezeig-
ten Abschläge in der Honorierung der Partneranwälte der Beklagten für
sich genommen nicht den Schluss auf eine unzureichende Geschäftsbe-
sorgung für den Versicherungsnehmer zu.
b) Da das Recht auf freie Anwaltswahl durch die in Rede stehe n-
den Klauseln nicht berührt wird, scheide n auch Unterlassungsansprüche
gemäß § 8 Abs. 1, 3 Nr. 2, §§ 3, 4 Nr. 11 UWG, §§ 127 , 129 VVG und
§§ 1, 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UKlaG, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 3 Abs. 3
BRAO aus.
aa) Nach §§ 3, 4 Nr. 11 UWG handelt unlauter, wer einer gesetzl i-
chen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse
der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Es kann dahinstehen,
ob es sich bei den Bestimmungen der §§ 127, 129 VVG um gesetzliche
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Vorschriften im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG handelt, d a jedenfalls die von
der Klägerin geltend gemachte Verletzung des § 127 VVG nicht besteht.
bb) Gemäß § 3 Abs. 3 BRAO hat jedermann im Rahmen der ge-
setzlichen Vorschriften das Recht, sich in Rechtsangelegenheiten aller
Art durch einen Rechtsanwalt seiner Wahl beraten und vor Gerichten,
Schiedsgerichten oder Behörden vertreten zu lassen. Dieses Wahlrecht
wird - ebenso wie das aus § 127 VVG - nicht durch das streitgegenständ-
liche Schadenfreiheitssystem der Beklagten in rechtlich erheblicher We i-
se berührt.
III. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich nicht aus
anderen Gründen als richtig dar.
1. Die Voraussetzungen eines Unterlassungsanspruchs aus §§ 1, 3
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UKlaG, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind nicht gegeben.
Es besteht keine unangemessene Benachteiligung entgegen dem
Gebot von Treu und Glauben. Diese setzt voraus, dass der Verwender
durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen
auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von
vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm
einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (Senatsurteil vom 10. O k-
tober 2012 - IV ZR 10/11, VersR 2013, 46 Rn. 42 m.w.N.). Die Anwe n-
dung dieses Maßstabs erfordert eine Ermittlung und Abwägung der
wechselseitigen Interessen (Senatsurteil vom 10. Oktober 2012 aaO). Da
nach den oben genannten Grundsätzen eine Verletzung des Rechts auf
freie Anwaltswahl ausscheidet, besteht unter diesem Gesichtspunkt auch
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keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers .
Ebenso führen - entgegen der Ansicht der Klägerin - die Honorarabschlä-
ge in den Gebührenvereinbarungen der Beklagten mit ihren Partneran-
wälten nicht dazu, dass der Versicherungsnehmer unangemessen be-
nachteiligt wird; wie ebenfalls zuvor dargelegt ist nach dem Vorbringen
der Klägerin hier nicht ersichtlich, dass dies zu einer unzureichenden
Geschäftsbesorgung für den Versicherungsnehmer führt.
2. Die Klägerin kann mangels Intransparenz nicht gemäß §§ 1, 3
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UKlaG, § 307 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB Unterlassung
verlangen.
Anders als die Klägerin meint, ist die Formulierung, nach der
Schadenfreiheit gilt, wenn der Versicherungsnehmer aus dem "Kreis der
aktuell vom Versicherer empfohlenen Rechtsanwälte" einen Anwalt be-
auftragt, nicht deshalb intransparent, weil offen gelassen wird, ob sich
der Begriff "aktuell" auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses oder den
des Rechtsschutzfalles bezieht. Dem um Verständnis bemühten durch-
schnittlichen Versicherungsnehmer erschließt sich, dass hierbei der Ver-
sicherungsfall maßgeblich ist, da sich für ihn die Frage der Mandatierung
eines Anwalts erst zu diesem Zeitpunkt stellt. Es entspräche auch nicht
seinen Interessen, der Anwaltsempfehlung statt der im Deckungsfall ak-
tuellen eine bei länger zurückliegendem Vertragsschluss unter Umstän-
den schon mehrere Jahre alte Liste zu Grunde zu legen. Ebenso wenig
enthält die Klausel ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht der Be-
klagten, da in den AVB die Leistungen des Versicherers im Einzelnen
vertraglich festgelegt sind. Schließlich macht das streitgegenständliche
Bedingungswerk hinreichend deutlich, welche wirtschaftliche n Vor- und
Nachteile (vgl. Senatsurteile vom 10. Oktober 2012 - IV ZR 10/11, VersR
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2013, 46 Rn. 75 ff.; vom 24. März 1999 - IV ZR 90/98, BGHZ 141, 137,
143) für den Versicherungsnehmer im Schadenfreiheitssystem der Be-
klagten mit der Anwaltsempfehlung verbunden sind.
3. Die Voraussetzungen für einen Unterlassungsanspruch aus § 8
Abs. 1, 3 Nr. 2, §§ 3, 4 Nr. 1 UWG sind nicht erfüllt.
Nach dem festgestellten Sachverhalt, der weitere Feststellungen
nicht erwarten lässt und deshalb eine Zurückverweisung an das Ber u-
fungsgericht erübrigt, führen die in Rede stehenden Regelungen jeden-
falls nicht zu einer unangemessenen unsachlichen Beeinträchtigung, die
in ihrer Intensität der Ausübung von Druck in mens chenverachtender
Weise vergleichbar ist. Der von der Beklagten in Aussicht gestellte fina n-
zielle Vor- oder Nachteil ist nicht geeignet, die Rationalität der Entschei-
dung des Versicherungsnehmers für oder gegen die Beauftragung eines
von der Beklagten empfohlenen Anwalts vollständig in den Hintergrund
treten zu lassen (vgl. BGH, Urteile vom 24. Juni 2010 - I ZR 182/08,
GRUR 2010, 850 Rn. 13; vom 29. Oktober 2009 - I ZR 180/07, GRUR
2010, 455 Rn. 17 jeweils m.w.N.). Ebenso wenig ist das Schadenfrei-
heitssystem der Beklagten ein unverhältnismäßiges Hindernis nicht ver-
traglicher Art, mit dem die Ausübung der vertraglichen Rechte des Ve r-
brauchers verhindert werden soll. Schließlich ist die von der Klägerin
herangezogene Fallgruppe der Beeinflussung von Verkaufsför derern
(vgl. hierzu BGH, Urteile vom 24. Juni 2010 - I ZR 182/08, GRUR 2010,
850 Rn. 16 ff. und vom 2. Juli 2009 - I ZR 147/06, GRUR 2009, 969
Rn. 10 ff.) nicht einschlägig, da hier der Versicherer eine Empfehlung
abgibt und es nicht um seine Beeinflussung durch Personen außerhalb
des Versicherungsvertragsverhältnisses geht.
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4. Ein Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1, 3 Nr. 2, §§ 3, 4 Nr. 4
UWG besteht nicht.
Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht die - vom Berufungsgericht
offen gelassene - Frage eines Verstoßes gegen diese Bestimmung mit
der Begründung verneint, dass es sich bei den beanstandeten Regelu n-
gen nicht um Verkaufsförderungsmaßnahmen wie Preisnachlässe, Zug a-
ben oder Geschenke handelt und zudem deren Inhalt für jeden aufmerk-
samen informierten Versicherungsnehmer klar und verständlich ist. Da
keine weiteren Feststellungen zu erwarten sind, kann der Senat die Fra-
ge selbst in Übereinstimmung mit dem Landgericht beantworten.
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5. Weitere Ansprüche im Zusammenhang mit dem Vortrag der K lä-
gerin, dass die Beklagte bei Empfehlung eines Anwalts, der eine Gebü h-
renvereinbarung mit ihr unterhält, auch finanzielle Vorteile erzielt und
den Versicherungsnehmer hierüber im Unklaren lässt, sind nicht Gege n-
stand des Verfahrens geworden.
Mayen Wendt Felsch
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Bamberg, Entscheidung vom 08.11.2011 - 1 O 336/10 -
OLG Bamberg, Entscheidung vom 20.06.2012 - 3 U 236/11 -
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