Urteil des BGH vom 04.04.2002
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
Beschluß
3 ARs 17/02
vom
4. April 2002
in der beim Oberlandesgericht Frankfurt a.M.
anhängigen Strafsache
gegen
wegen Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung u.a.
hier: Übertragung des Verfahrens an ein anderes Oberlandesgericht
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des General-
bundesanwalts am 4. April 2002 beschlossen:
Die Übertragung der Sache an das Oberlandesgericht
eines anderen Bezirks wird abgelehnt.
Gründe:
Die Richterräte des Landgerichts und des Amtsgerichts Frankfurt a.M.,
der Staatsanwaltsrat beim Landgericht Frankfurt a.M. sowie die Personalräte
des Landgerichts und des Amtsgerichts Frankfurt a.M. haben sich mit dem
“Antrag (Anregung)” an den Bundesgerichtshof gewandt, die Untersuchung und
Entscheidung in der zur Zeit beim 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts
Frankfurt a.M. anhängigen Strafsache gegen M. u.a. wegen Verdachts der
Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gemäß § 15 StPO dem
Oberlandesgericht eines anderen Bezirks zu übertragen, weil von der Ver-
handlung in Frankfurt a.M. eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu be-
sorgen sei. Zur Begründung haben sie darauf hingewiesen, daß die Angeklag-
ten des genannten Verfahrens im Verdacht stünden, der arabischen Terror-
gruppe “Al Quaida” anzugehören, und die Verhandlung der Strafsache in der
Innenstadt von Frankfurt a.M. in dem vielbesuchten Justizzentrum an der Kon-
stablerwache zu einer außerordentlichen Gefahr führe, der angesichts der ört-
lichen sowie baulichen Gegebenheiten durch polizeiliche Sicherheitsmaßnah-
men nicht ausreichend begegnet werden könne. Die Antragsteller regen an, die
Sache einem anderen Oberlandesgericht zu übertragen, dem - wie etwa dem
Oberlandesgericht Stuttgart (in Stammheim) - zur Durchführung der Hauptver-
handlung besonders geschützte Gebäude und Räumlichkeiten zur Verfügung
stünden, die den gesteigerten Sicherheitsanforderungen gerecht würden.
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Der Generalbundesanwalt ist dem Antrag entgegengetreten.
Die Voraussetzungen für eine von Amts wegen - und deshalb auch auf
Anregung verfahrensunbeteiligter Dritter - zu prüfende (Wendisch in Löwe-
Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 15 Rdn. 16; RGSt 45, 67, 69) Übertragung nach
§ 15 StPO wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit sind nicht gegeben.
Als Vorschrift, die dem “zunächst oberen Gericht” die Befugnis einräumt,
ein nach den §§ 7 ff. StPO eigentlich nicht zuständiges Gericht mit der Ver-
handlung und Entscheidung einer Sache zu beauftragen, berührt § 15 StPO
das mit Verfassungsrang ausgestattete Prinzip des gesetzlichen Richters
(Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) und ist deshalb restriktiv auszulegen (vgl. Wendisch
aaO § 15 Rdn. 8 f.; Dästner in AK-StPO § 15 Rdn. 1). Daraus folgt, daß nicht
jede Gefahr für die öffentliche Sicherheit Anlaß für eine Zuständigkeitsübertra-
gung geben kann, sondern nur eine solche, die aufgrund ihres Grades und des
Ausmaßes der drohenden Schäden eine Situation begründet, die dem Fall der
Verhinderung des zuständigen Gerichts (§ 15 1. Alt. StPO) vergleichbar ist und
eine nachteilige Rückwirkung auf die Unbefangenheit der zur Urteilsfindung be-
rufenen Personen ausüben kann (vgl. Hahn, Die gesamten Materialien zur
Strafprozeßordnung, 2. Aufl., 1. Abtheilung, S. 79). Zudem reicht, wie schon
der Wortlaut erkennen läßt, nicht aus, daß die Gefährdung der öffentlichen Si-
cherheit mit der Durchführung des Verfahrens in irgendeiner Weise im Zusam-
menhang steht. Vielmehr muß die Gefahr “von der Verhandlung vor diesem
Gericht ... zu besorgen” sein; sie muß also regelmäßig ihren Ursprung gerade
in der Durchführung der Verhandlung vor dem an sich zuständigen Gericht ha-
ben, wie dies dem Gesetzgeber etwa für Fälle vor Augen gestanden hat, in de-
nen ein Verfahren lokal oder regional besonderes Aufsehen erregt und mit Stö-
rungen der Verhandlung durch den “Druck der Straße” gerechnet werden muß
(vgl. Hahn aaO S. 558 f.).
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Der Senat kann offen lassen, welcher Anwendungsbereich der Vorschrift
heute - unter den Gegebenheiten einer “mobilen Gesellschaft” und angesichts
der Existenz eines international agierenden Terrorismus - überhaupt noch zu-
kommen kann. Es muß auch nicht entschieden werden, ob - und unter welchen
Voraussetzungen im einzelnen - § 15 StPO eine Zuständigkeitsübertragung in
Fällen rechtfertigen kann, in denen aus Anlaß eines Strafverfahrens eine Ge-
fahr terroristischer Anschläge besteht, die in ihrem Grad und Ausmaß nicht da-
von abhängt, ob die Verhandlung vor diesem oder jenem Gericht durchgeführt
wird. Eine Übertragung nach § 15 StPO komme nach den vorstehenden Maß-
stäben nur dann in Betracht, wenn sich die bestehende Gefahr nicht auf ande-
re Weise als durch einen Eingriff in das gesetzliche Zuständigkeitssystem be-
seitigen läßt. Davon kann indes hier nicht ausgegangen werden. Anhaltspunkte
dafür, daß die Justiz- und Sicherheitsbehörden des Landes Hessen nicht in der
Lage wären, den von den Antragstellern geltend gemachten Gefahren für die
öffentliche Sicherheit auch bei einer Durchführung des Verfahrens vor dem zu-
ständigen Oberlandesgericht Frankfurt a.M. durch geeignete Maßnahmen zu
begegnen, sind nicht ersichtlich und werden auch von den Antragstellern nicht
aufgezeigt. Zu diesen Maßnahmen gehört erforderlichenfalls auch die Verle-
gung der Verhandlung in ein besonders gesichertes Areal oder Gebäude. Das
zuständige Gericht ist durch die Strafprozeßordnung nicht gehindert, die
Hauptverhandlung, wenn es dies nach pflichtgemäßem Ermessen für geboten
erachtet, sogar außerhalb seines Bezirks durchzuführen (BGHSt 22, 250, 255).
Ob die Verhandlung der Strafsache gegen M. u.a. an dem dafür vorgese-
henen Verhandlungsort im Justizgebäude an der Konstablerwache mit einem
unvertretbaren Sicherheitsrisiko verbunden wäre, wie die Antragsteller meinen,
oder ob die Gefahr über das Maß eines niemals auszuschließenden Restrisi-
kos nicht hinausgeht, wie der Generalbundesanwalt in seiner Stellungnahme
näher ausführt, hat der Senat nicht zu entscheiden. Diese Entscheidung obliegt
dem zuständigen Gericht in Abstimmung mit den dazu berufenen Sicherheits-
organen.
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Das Anliegen der Antragsteller liefe in seiner Konsequenz darauf hin-
aus, einzelnen Oberlandesgerichten, denen besonders gesicherte Gebäude
und Räumlichkeiten zur Verfügung stehen, alle Verfahren mit einem gestei-
gerten Sicherheitsrisiko zu übertragen. Diese Vorstellung wäre mit § 15 StPO,
der eine Übertragung auch in der Alternative der Gefährdung der öffentlichen
Sicherheit nur für den Einzelfall vorsieht, nicht in Einklang zu bringen und wür-
de die gesetzliche Regelung des Gerichtsstands nach den §§ 7 ff. StPO für
derartige Verfahren faktisch außer Kraft setzen.
Tolksdorf Rissing-van Saan Mie-
bach
Pfister von Lienen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
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StPO § 15
Die Übertragung der Untersuchung und Entscheidung in einer Strafsache nach
§ 15 2. Alt. StPO an ein anderes als das an sich zuständige Gericht kommt nur
dann in Betracht, wenn die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ihren Ursprung
in der Durchführung der Verhandlung gerade vor dem zuständigen Gericht hat
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und nicht auf andere Weise als durch einen Eingriff in das gesetzliche Zuständig-
keitssystem beseitigt werden kann.
BGH, Beschluß vom 4. April 2002 - 3 ARs 17/02