Urteil des BGH vom 21.04.2005
BGH (staatsanwaltschaft, verurteilung, beweisantrag, strafkammer, notwehr, hauptverhandlung, sache, vernehmung, nachweis, beweiswert)
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 68/05
vom
21. April 2005
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. April
2005, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Tolksdorf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
Pfister,
Becker,
Hubert
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Land-
gerichts Verden vom 20. Oktober 2004 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Tot-
schlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung mit der Begründung
freigesprochen, der Angeklagte habe in Notwehr gehandelt. Die Revision der
Staatsanwaltschaft hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
II.
1. Das Landgericht hat in dem angefochtenen Urteil festgestellt, daß der
Angeklagte mit Verteidigungswillen bei einer Auseinandersetzung den Zeugen
B. in Notwehr in Verletzungsabsicht mit einem Messer in den Arm stechen
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wollte, sein Opfer aber möglicherweise infolge einer Bewegung des Zeugen in
die rechte Halsseite traf.
In der Hauptverhandlung hat die Staatsanwaltschaft beantragt, die Zeu-
gin Z. zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, daß der Ange-
klagte etwa vier Monate nach der Tat den Geschädigten auf der Straße getrof-
fen und ihm gedroht habe, ihm das nächste Mal das Messer in die andere Seite
zu stechen. In einer Sitzungspause diskutierten die Vorsitzende, die Berichter-
statterin und die Staatsanwältin über den Indizwert der unter Beweis gestellten
Tatsache. Gesprochen wurde darüber, daß auch bei Bestätigung der Beweis-
tatsache die Nachweisbarkeit eines Tötungsvorsatzes fraglich sei und eine
Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung in Betracht komme. Schließ-
lich teilten die Staatsanwältin und der Verteidiger dem Gericht mit, daß beide
Seiten eine Bewährungsstrafe akzeptieren würden. In der dienstlichen Äuße-
rung der Vorsitzenden heißt es: "Aufgrund meiner Äußerungen konnte Frau
S. [die Staatsanwältin] davon ausgehen, daß eine Verurteilung we-
gen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe erfolgen werde."
In der Hauptverhandlung nahm daraufhin die Staatsanwaltschaft ihren Beweis-
antrag zurück. Am nächsten Hauptverhandlungstag wurde der Angeklagte frei-
gesprochen.
2. Die Revision macht zu Recht geltend, das Landgericht hätte sich in
Erfüllung seiner Aufklärungspflicht dazu gedrängt sehen müssen, die Zeugin
Z. zu der behaupteten Drohung des Angeklagten dem Geschädigten ge-
genüber, die dieser ausweislich der Akten ebenfalls geschildert hatte, zu ver-
nehmen.
Die Vernehmung der Zeugin drängte sich auf:
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Auch wenn der fraglichen Äußerung des Angeklagten im Hinblick auf
den Nachweis eines Tötungsvorsatzes möglicherweise nur ein eingeschränkter
Beweiswert zukommt, so liegt doch ihre Bedeutung für die Frage, ob der Ange-
klagte bei der abgeurteilten Tat mit Verteidigungswillen gehandelt hat, auf der
Hand. Im Hinblick darauf und unter Berücksichtigung der Beweissituation - für
die eigentliche Tathandlung standen außer dem Angeklagten und dem Ge-
schädigten keine weiteren unmittelbaren Beweismittel zur Verfügung - hätte die
Strafkammer die Zeugin Z. vernehmen müssen.
Von dieser Verpflichtung war sie auch nicht dadurch befreit, daß die
Staatsanwaltschaft ihren dahingehenden Beweisantrag zurückgenommen hat-
te. Denn die Rücknahme erfolgte - erkennbar ausschließlich - in der vom Ge-
richt hervorgerufenen Erwartung und im Vertrauen darauf, daß der Angeklagte
verurteilt werde.
3. Da die Revision mit der Aufklärungsrüge Erfolg hat, kann offen blei-
ben, ob die Beschwerdeführerin in einer § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden
Weise eine Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht beanstandet hat. In der
Sache wäre nach dem mitgeteilten Verfahrensablauf indes auch diese Rüge
begründet gewesen. Jedenfalls nachdem die Staatsanwaltschaft im Vertrauen
auf die angekündigte Verurteilung des Angeklagten ihren Beweisantrag auf
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Vernehmung der Zeugin Z. zurückgenommen hatte, mußte die Strafkam-
mer auf eine Änderung in der Beurteilung der Notwehrfrage hinweisen und der
Beschwerdeführerin die Gelegenheit verschaffen, über ein neuerliches Anbrin-
gen des zurückgenommenen Antrags zu entscheiden.
Tolksdorf Miebach Pfister
Die Richter am Bundesgerichtshof Becker und Hubert
sind urlaubsbedingt an der Unterzeichnung gehindert.
Tolksdorf