Urteil des BGH vom 25.06.2004
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IXa ZB 267/03
vom
25. Juni 2004
in dem Zwangsversteigerungsverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZVG § 180 Abs. 2
Dauerhafte gesundheitliche Beeinträchtigungen eines Beteiligten rechtfertigen nicht
die einstweilige Einstellung der Teilungsversteigerung nach § 180 Abs. 2 ZVG.
ZPO § 765a
Zur Interessenabwägung bei einem auf gesundheitliche Gefahren für Angehörige
gestützten Antrag auf Einstellung der Teilungsversteigerung, die nach Pfändung und
Überweisung des Teilungsanspruchs von dem Gläubiger eines Miteigentümers be-
trieben wird.
BGH, Beschluß vom 25. Juni 2004 - IXa ZB 267/03 - AG Chemnitz
LG Chemnitz
- 2 -
Der IXa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter Raebel, von
Lienen, die Richterinnen Dr. Kessal-Wulf, Roggenbuck und den Richter Zoll
am 25. Juni 2004
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1) wird der Be-
schluß der 3. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz vom
29. August 2003 aufgehoben.
Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 2) und 3) gegen den
Beschluß des Amtsgerichts Chemnitz vom 30. April 2002 wird zu-
rückgewiesen.
Die Beteiligten zu 2) und 3) tragen die Kosten der Rechtsmittel-
verfahren.
Beschwerdewert: 21.400 €.
Gründe:
I.
Der Beteiligte zu 2) errichtete mit seinen Söhnen auf deren Grundstück
eine Garage, wobei sie den erforderlichen Grenzabstand zum Grundstück des
Rechtsbeschwerdeführers nicht einhielten. Der Rechtsbeschwerdeführer er-
wirkte gegen den Beteiligten zu 2) einen Titel, wonach dieser als Gesamt-
- 3 -
schuldner für den Abriß der Garage einen Kostenvorschuß in Höhe von
5.450 DM (2.786,54 €) zu zahlen hat. Auf der Grundlage dieses Titels pfändete
er den Anspruch des Beteiligten zu 2) auf Aufhebung der Gemeinschaft an dem
verfahrensgegenständlichen Hausgrundstück, welches dem Beteiligten zu 2)
und dessen Ehefrau, der Beteiligten zu 3), jeweils zur Hälfte gehört, sowie auf
Aufteilung und Auszahlung des Erlöses und ließ ihn sich zur Einziehung über-
weisen. Sodann beantragte der Rechtsbeschwerdeführer die Zwangsversteige-
rung des Grundstücks zum Zwecke der Aufhebung der Gemeinschaft, welche
das Amtsgericht mit Beschluß vom 18. Februar 2002 anordnete.
Die Beteiligten zu 2) und 3) beantragten daraufhin Vollstreckungsschutz,
weil eine Vollstreckungsabwehrklage anhängig und die Zwangsversteigerung
unverhältnismäßig sowie rechtsmißbräuchlich sei. Das Amtsgericht wies den
Antrag zurück, nachdem das Oberlandesgericht Dresden es durch Urteil vom
11. April 2002 - auch unter dem Gesichtspunkt eines vorsätzlichen schädigen-
den Sittenverstoßes im Sinne des § 826 BGB - abgelehnt hatte, die Vollstrek-
kung für unzulässig zu erklären. Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 2)
und 3) gegen den Beschluß des Amtsgerichts hatte keinen Erfolg. Auf die
Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 2) und 3) hob der Senat den Beschluß
der 12. Zivilkammer des Landgerichts auf und verwies die Sache zurück, weil
der Einzelrichter anstelle der Kammer entschieden hatte. Die geschäftsplan-
mäßig nunmehr zuständige 3. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz hat den
Beschluß des Amtsgerichts aufgehoben und das Teilungsversteigerungsver-
fahren für die Dauer von sechs Monaten einstweilen eingestellt. Dagegen rich-
tet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1).
II.
- 4 -
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Das Landgericht hat die Voraussetzungen für die einstweilige Einstel-
lung der Zwangsversteigerung sowohl nach § 765a ZPO als auch nach § 180
Abs. 2 ZVG bejaht.
Die Zwangsvollstreckung stelle hier eine sittenwidrige Härte dar, weil sie
sachfremde Ziele verfolge. Die Beteiligten zu 2) und 3) hätten vorgetragen und
durch eine eidesstattliche Versicherung des Onkels des Beteiligten zu 1) unter
Beweis gestellt, daß es dem Beteiligten zu 1) weniger um den Abriß der Gara-
ge als vielmehr um die finanzielle Schädigung der Beteiligten zu 2) und 3) ge-
he. Seine sachfremden Erwägungen würden auch daran deutlich, daß er we-
gen einer relativ geringen Forderung die Vollstreckung in das Einfamilien-
wohngrundstück betreibe, anstatt einen Gerichtsvollzieher mit der Beitreibung
der Forderung zu beauftragen. Außerdem hafteten neben dem Beteiligten zu 2)
zwei weitere Gesamtschuldner für die vollstreckbare Forderung, auf deren
Grundstück der Beteiligte zu 1) ebenso eine Zwangssicherungshypothek habe
eintragen lassen wie auf dem Grundstück des Beteiligten zu 2). Ferner befinde
sich die zum Abriß bestimmte Garage nicht auf dem Grundstück des Beteiligten
zu 2), so daß die Teilungsversteigerung nicht zur Durchsetzung des Abrisses
führen werde.
Insbesondere gefährde die beantragte Teilungsversteigerung die Ge-
sundheit der Ehefrau des Schuldners, der Beteiligten zu 3), nach den vorgeleg-
ten ärztlichen Attesten erheblich.
2. Demgegenüber vertritt die Rechtsbeschwerde die Auffassung, daß
eine sittenwidrige Härte gemäß § 765a ZPO nicht vorliege. Der Gesichtspunkt
einer sittenwidrigen Ausnutzung des Vollstreckungstitels hätte spätestens bei
der Pfändung des Anspruchs aus § 749 BGB geltend gemacht werden müssen
- 5 -
und sei jetzt präkludiert. Mit der Abweisung der Vollstreckungsgegenklage
durch das Oberlandesgericht Dresden seien alle außerhalb der Versteige-
rungsanordnung liegenden Umstände erledigt. Die Anordnung der Zwangsver-
steigerung als solche diene weder sachfremden Zielen noch gefährde sie die
Gesundheit der Beteiligten zu 3). Das Beschwerdegericht habe insoweit die
Darlegungs- und Beweislast verkannt. Die von ihm angeführten Anhaltspunkte
für eine Vollstreckung aus unlauteren Gründen reichten nicht aus. Die vorge-
legten ärztlichen Bescheinigungen ließen daran zweifeln, ob der Gesundheits-
zustand nicht Folge des gesamten langwierigen Streits um die Garage sei. Im
übrigen fehle die notwendige Interessenabwägung. Weder moralisch verwerfli-
che Motive für die Teilungsversteigerung noch die gesundheitliche Gefährdung
der Beteiligten zu 3) rechtfertigten eine Einstellung des Verfahrens nach § 180
Abs. 2 ZVG.
3. Die Rechtsbeschwerde ist nicht infolge prozessualer Überholung un-
zulässig geworden. Zwar ist die sechsmonatige Einstellungsfrist, die ab Erlaß
des Einstellungsbeschlusses (vgl. § 775 Nr. 2 ZPO; außerdem BGHZ 25, 60,
64 ff), nicht erst ab dessen Rechtskraft läuft, mittlerweile verstrichen. Dadurch
ist das laufende Verfahren hier aber nicht erledigt, denn das Beschwerdege-
richt hat angeordnet, daß das Verfahren nur auf Antrag des Gläubigers fortge-
setzt und bei nicht fristgemäßem Antrag aufgehoben wird. Die Frage der Wirk-
samkeit dieser Anordnung ist durch den Zeitablauf nicht geklärt. Im übrigen ist
auch eine Veränderung der Sach- und Rechtslage durch den Zeitablauf nicht
eingetreten, so daß die Frage, ob die von den Beteiligten zu 2) und 3) geltend
gemachten Gründe die einstweilige Einstellung des Verfahrens gerechtfertigt
haben, auch für dessen weiteren Verlauf von Bedeutung ist.
4. Das Beschwerdegericht hat das Teilungsversteigerungsverfahren zu
Unrecht einstweilen eingestellt. Die Voraussetzungen für die Gewährung von
- 6 -
Vollstreckungsschutz liegen weder nach § 180 Abs. 2 ZVG noch nach § 765a
ZPO vor.
a) Die einstweilige Einstellung des Teilungsversteigerungsverfahrens ist
nach § 180 Abs. 2 ZVG anzuordnen, wenn dies bei Abwägung der widerstrei-
tenden Interessen der mehreren Miteigentümer angemessen erscheint. Die
Einstellung kann einmal wiederholt werden, die Höchstfrist beträgt bei zwei
Einstellungen mithin ein Jahr. Sie soll nach ihrem Grundgedanken durch Ab-
wägung der widerstreitenden Interessen verhindern, daß ein wirtschaftlich
Stärkerer unter Ausnutzung vorübergehender Umstände die Versteigerung
»zur Unzeit« durchsetzt, um den wirtschaftlich Schwächeren zu ungünstigen
Bedingungen aus dem Grundstück zu drängen. Besondere Umstände müssen
einen befristeten Aufschub angemessen erscheinen lassen, weil in der Einstel-
lungszeit mit einer Veränderung dieser Umstände gerechnet werden kann. Es
muß sich um Umstände handeln, die in sechs oder zwölf Monaten
voraussichtlich behebbar sind, nicht um solche, die gegen die Teilungsverstei-
gerung als solche sprechen (vgl. BGHZ 79, 249, 255 f; Stöber, ZVG 17. Aufl.
§ 180 Rn. 12 m.w.N.).
Dies hat das Beschwerdegericht im vorliegenden Fall verkannt. Die von
ihm angeführten Gesichtspunkte sind als solche schon nicht geeignet, eine
vorübergehende Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens nach § 180
Abs. 2 ZVG zu begründen. Eine etwaige moralisch zu mißbilligende Ausnut-
zung des Vollstreckungstitels zum Zwecke der Schädigung der Rechtsbe-
schwerdegegner entfällt nicht durch Zeitablauf. Auch ist hier nicht erkennbar,
daß sich der Gesundheitszustand der Beteiligten zu 3) durch eine vorüberge-
hende Einstellung des Verfahrens dauerhaft bessern könnte. Daß er sich bei
einer Fortsetzung des Verfahrens sofort wieder verschlechtern würde, liegt an-
gesichts der chronischen Grunderkrankung vielmehr auf der Hand.
- 7 -
b) Die Rechtsbeschwerde rügt auch zu Recht, daß das Landgericht die
einstweilige Einstellung der Teilungsversteigerung auf § 765a ZPO gestützt
hat. Dabei kann für die Entscheidung offen bleiben, ob § 765a ZPO im Tei-
lungsversteigerungsverfahren anwendbar ist (vgl. etwa OLG Köln Rpfleger
1991, 197, 198 m.w.N.; KG NJW-RR 1999, 434 f). § 765a ZPO ermöglicht den
Schutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen, die wegen ganz besonderer Um-
stände eine Härte für den Schuldner bedeuten, die mit den guten Sitten nicht
zu vereinbaren ist. Diese Vorschrift ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen.
Anzuwenden ist § 765a ZPO nur dann, wenn im Einzelfall das Vorgehen des
Gläubigers nach Abwägung der beiderseitigen Belange zu einem untragbaren
Ergebnis führen würde (vgl. BGHZ 44, 138, 143; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO
22. Aufl. § 765a Rn. 5 ff; Zöller/Stöber, ZPO 24. Aufl. § 765a Rn. 5 ff; Musielak/
Lackmann, ZPO 3. Aufl. § 765a Rn. 5 ff). Dies haben die Rechtsbeschwerde-
gegner weder unter dem Aspekt der Verwerflichkeit der Vollstreckungsmaß-
nahme wegen der behaupteten allein beabsichtigten Schädigung noch hin-
sichtlich der Gesundheitsgefährdung der Beteiligten zu 3) ausreichend darge-
tan.
aa) Der Gläubiger ist grundsätzlich berechtigt, einen titulierten Anspruch
im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzen, wenn der Schuldner seine
Verpflichtung nicht freiwillig erfüllt. Unter mehreren möglichen Vollstreckungs-
handlungen hat der Gläubiger die Wahl. Daß sich der Rechtsbeschwerdeführer
hier für eine Vollstreckungsmaßnahme entschieden hat, die angesichts des
drohenden Verlusts des Familienwohnheims geeignet ist, einen erheblichen
Druck auf die Rechtsbeschwerdegegner auszuüben, läßt diese Vollstrek-
kungsmaßnahme aber nicht schon allein deshalb als sittenwidrige Härte er-
scheinen. Das Gesetz läßt die Möglichkeit der Zwangsversteigerung auch we-
gen geringer Forderungen grundsätzlich zu. In diesen Fällen ist es dem
- 8 -
Schuldner um so eher möglich, die titulierte Forderung zu erfüllen und dadurch
die Zwangsvollstreckung abzuwenden. Auch die behauptete Äußerung des
Rechtsbeschwerdeführers gegenüber seinem Onkel läßt nicht den vom Be-
schwerdegericht gezogenen Schluß zu, ihm fehle jegliches Interesse am Abriß
der Garage und der Beitreibung des Kostenvorschusses hierfür. Die Äußerung,
wie sie von den Rechtsbeschwerdegegnern vorgetragen und in der "eidesstatt-
lichen Versicherung" wiedergegeben wird, ist völlig aus dem Zusammenhang
gerissen, in dem sie gefallen ist, und läßt ihren wirklichen Bedeutungsgehalt
daher nicht erkennen. Daß die angestrebte Teilungsversteigerung des Grund-
stücks der Rechtsbeschwerdegegner nicht zu einem Erlös für den Beteiligten
zu 2) in Höhe des begehrten Kostenvorschusses führen würde, wird von den
Beteiligten zu 2) und 3) selbst nicht behauptet. Das Argument des Beschwer-
degerichts, daß sich die zum Abriß bestimmte Garage nicht auf diesem Grund-
stück befinde und daher die Teilungsversteigerung nicht zur Durchsetzung des
Abrisses führen würde, geht daher fehl.
bb) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflich-
tet das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Vollstreckungsgerichte, bei
der Prüfung der Voraussetzungen des § 765a ZPO auch die Wertentscheidun-
gen des Grundgesetzes und die dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung
gewährleisteten Grundrechte zu berücksichtigen. Ergibt die erforderliche Ab-
wägung, daß die der Zwangsvollstreckung entgegenstehenden, unmittelbar der
Erhaltung von Leben und Gesundheit dienenden Interessen des Schuldners im
konkreten Fall ersichtlich schwerer wiegen als die Belange, deren Wahrung die
Vollstreckungsmaßnahme dienen soll, so kann der trotzdem erfolgende Eingriff
das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und das Grundrecht des Schuldners aus
Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzen (vgl. BVerfGE 52, 214, 219 f; BVerfG-K NJW
1998, 295 f; NJW-RR 2001, 1523 und NJW 2004, 49). Eine Überschreitung
- 9 -
dieser verfassungsrechtlichen Vollstreckungsgrenze ist hier jedoch nicht er-
kennbar.
Zwar ist davon auszugehen, daß die Anordnung der Teilungsversteige-
rung im vorliegenden Fall zu einer Verstärkung der gesundheitlichen Beein-
trächtigungen der Beteiligten zu 3) geführt hat, die nach der ärztlichen Be-
scheinigung des Hausarztes die infolge der Grunderkrankung bestehende
Lebensgefahr um ein Vielfaches erhöht hat. Dies rechtfertigt jedoch nicht eine
einstweilige Einstellung des Teilungsversteigerungsverfahrens. Die Rechtsbe-
schwerdegegner können der Gesundheitsgefährdung selbst auf einfachem
Weg begegnen, indem der Beteiligte zu 2) die geschuldete Handlung vornimmt
oder vornehmen läßt oder den verlangten Kostenvorschuß einschließlich der
weiteren Verfahrenskosten zahlt. Daß ihm dies aus tatsächlichen Gründen
nicht möglich sei, behaupten die Rechtsbeschwerdegegner nicht; dagegen
spricht auch, daß sie dem Rechtsbeschwerdeführer im Laufe des Verfahrens
mehrfach schriftsätzlich entweder einen Abriß der rechtswidrig errichteten Ga-
rage oder eine Zahlung des Kostenvorschusses in Aussicht gestellt, dies dann
aber ohne ersichtlichen Grund nicht ausgeführt haben. Die Beteiligte zu 3) hat
keinen vollstreckungsrechtlichen Schutzanspruch darauf, daß der Rechtsbe-
schwerdeführer als Teilungsgläubiger ihren gesundheitlichen Belangen Rück-
sichten zollt, die ihr eigener Ehemann in seinem Widerstand gegen die Beitrei-
bung der Ersatzvornahmekosten zu nehmen nicht bereit ist. Eine sittenwidrige
Härte ist unter diesen Umständen nicht erkennbar.
Raebel
von Lienen
Kessal-Wulf
Roggenbuck
Zoll