Urteil des BGH vom 02.02.2010

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VI ZB 58/09
vom
2. Februar 2010
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 85 Abs. 2, 233 Fc, Fd
Der Rechtsanwalt darf das Empfangsbekenntnis nur unterzeichnen und zurückge-
ben, wenn sichergestellt ist, dass in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten
und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist.
BGH, Beschluss vom 2. Februar 2010 - VI ZB 58/09 - OLG Hamm
LG Bochum
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. Februar 2010 durch den
Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Zoll, die Richterin Diederichsen, den
Richter Pauge und die Richterin von Pentz
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 26. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Hamm vom 24. Juli 2009 wird auf Kosten
der Klägerin als unzulässig verworfen.
Beschwerdewert: 221.312,00 €
Gründe:
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen eines behaupteten ärztlichen
Behandlungsfehlers auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in An-
spruch. Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom 18. Februar 2009 teilwei-
se stattgegeben. Dieses Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin
am 13. März 2009 zugestellt worden. Eine vollstreckbare Urteilsausfertigung ist
ihm am 24. März 2009 zugestellt worden. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom
23. April 2009, der am selben Tag beim Oberlandesgericht eingegangen ist, hat
die Klägerin Berufung eingelegt. Mit Beschluss vom 19. Juni 2009, der dem
Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 26. Juni 2009 zugestellt worden ist,
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hat das Oberlandesgericht darauf hingewiesen, dass die Berufungsfrist bereits
am 14. April 2009 abgelaufen und die Berufung deshalb verspätet eingelegt
worden sei. Daraufhin hat die Klägerin mit einem am 3. Juli 2009 beim Ober-
landesgericht eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand beantragt und zur Begründung u.a. ausgeführt, im Büro ihres Prozessbe-
vollmächtigten gebe es die Anweisung, dass dann, wenn ein Urteil mit dem un-
terzeichneten Empfangsbekenntnis in das Sekretariat zurückgelange, die (Beru-
fungs-)Fristen zu berechnen und im Fristenkalender sowie auf dem Urteil zu
notieren seien. Hier liege der Fehler darin, dass nach der Unterzeichnung des
Empfangsbekenntnisses zwar dieses, nicht aber das Urteil selbst zur Akte ge-
langt sei, was sich trotz höchster Sorgfalt nicht habe vermeiden lassen.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht den Wie-
dereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzu-
lässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin müsse sich
die von ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldete Fristversäumung zurech-
nen lassen. Dieser habe den gebotenen Sorgfaltsanforderungen nicht genügt,
weil er das Empfangsbekenntnis unterzeichnet habe, ohne selbst das Datum
der Zustellung auf dem Urteil zu vermerken, eine Wiedervorlagefrist zu bestim-
men und die Fristnotierung sicherzustellen. Zudem habe er es pflichtwidrig ver-
säumt, anlässlich der Zustellung der vollstreckbaren Urteilsausfertigung zu prü-
fen, ob die (Berufungs-)Fristen richtig erfasst und festgehalten waren.
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Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbe-
schwerde.
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II.
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1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die hier
maßgeblichen Rechtsfragen durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs
geklärt sind und das Berufungsgericht hiernach im Ergebnis zutreffend ent-
schieden hat.
2. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin
mit Recht zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Klä-
gerin hat die Berufungsfrist nicht unverschuldet versäumt. Das Versäumnis be-
ruht auf einem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten, das sie sich nach
§ 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
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Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf der
Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung nur unter-
zeichnen und zurückgeben, wenn sichergestellt ist, dass in den Handakten die
Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender
notiert worden ist (Senatsbeschlüsse vom 26. März 1996 - VI ZB 1/96 und
VI ZB 2/96 - VersR 1996, 1390 und vom 12. Januar 2010 - VI ZB 64/09 - z.V.b.;
BGH, Beschluss vom 30. November 1994 - XII ZB 197/94 - BGHR ZPO § 233
- Empfangsbekenntnis 1 m.w.N.). Bescheinigt der Rechtsanwalt den Empfang
eines ohne Handakten vorgelegten Urteils, so erhöht sich damit die Gefahr,
dass die Fristnotierung unterbleibt und dies erst nach Fristablauf bemerkt wird.
Um dieses Risiko auszuschließen, muss der Anwalt, falls er nicht selbst unver-
züglich die notwendigen Eintragungen in der Handakte und im Fristenkalender
vornimmt, durch eine besondere Einzelanweisung die erforderlichen Eintragun-
gen veranlassen. Auf allgemeine Anordnungen darf er sich in einem solchen
Fall nicht verlassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. März 1992 - XII ZR 268/91 -
VersR 1992, 1536; vom 16. September 1993 - VII ZB 20/93 - VersR 1994, 371
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und vom 30. November 1994 - XII ZB 197/94 - aaO). Weist er seine Bürokraft
im Einzelfall mündlich an, die Rechtsmittelfrist einzutragen, müssen ausrei-
chende organisatorische Vorkehrungen dafür getroffen sein, dass diese Anwei-
sung nicht in Vergessenheit gerät (vgl. Senatsbeschlüsse vom 17. September
2002 - VI ZR 419/01 - VersR 2003, 792, 793 und vom 4. November 2003
- VI ZB 50/03 - VersR 2005, 94, 95; BGH, Beschlüsse vom 5. November 2002
- VI ZR 399/01 - BGHR ZPO § 233 [Empfangsbekenntnis 6] und vom 27. Sep-
tember 2007 - IX ZA 14/07 - AnwBl 2008, 71).
Durch welche allgemeinen organisatorischen Maßnahmen in der Kanzlei
des Prozessbevollmächtigten der Klägerin gewährleistet ist, dass bei Urteilszu-
stellungen nach Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses durch Rechtsan-
walt H. die Eintragung der Berufungsfrist erfolgt und nicht in Vergessenheit ge-
rät, zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf. Sie macht auch nicht geltend, dass
Rechtsanwalt H. am 13. März 2009 eine Einzelanweisung zur Fristnotierung
erteilt habe und die Ausführung einer solchen Anweisung durch allgemeine or-
ganisatorische Maßnahmen sichergestellt gewesen sei. Mithin hat Rechtsan-
walt H. die ihm obliegende Sorgfaltspflicht verletzt, als er am 13. März 2009 das
Empfangsbekenntnis unterzeichnet und zurückgegeben hat, ohne ausreichende
Vorkehrungen für die Notierung der Rechtsmittelfrist getroffen zu haben.
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Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob Rechtsanwalt H. auch im
Rahmen der Zustellung der vollstreckbaren Ausfertigung des erstinstanzlichen
Urteils eine Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen ist.
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3. Da dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattzugeben war, hat das
Berufungsgericht die Berufung der Klägerin wegen Versäumung der Berufungs-
frist zu Recht als unzulässig verworfen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Galke Zoll Diederichsen
Pauge von Pentz
Vorinstanzen:
LG Bochum, Entscheidung vom 18.02.2009 - 6 O 368/07 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 24.07.2009 - I-26 U 65/09 -