Urteil des BGH vom 12.12.2006

Tonträger aus Drittstaaten Berichtigter Leitsatz

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I ZR 80/04 Verkündet
am:
29. März 2007
Führinger
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Tonträger aus Drittstaaten
UrhG § 137f; Schutzdauerrichtlinie Art. 10 Abs. 2
Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden zur Auslegung der
Richtlinie 2006/116/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
12. Dezember 2006 über die Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter
verwandter Schutzrechte (Schutzdauerrichtlinie) folgende Fragen zur Vorabent-
scheidung vorgelegt:
1. Findet die in der Schutzdauerrichtlinie vorgesehene Schutzfrist unter den
Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie auch dann Anwendung,
wenn der betreffende Gegenstand in dem Mitgliedstaat, in dem Schutz be-
ansprucht wird, zu keiner Zeit geschützt war?
2. Falls die Frage 1 zu bejahen ist:
a) Sind nationale Bestimmungen im Sinne des Art. 10 Abs. 2 der Schutz-
dauerrichtlinie auch die Bestimmungen der Mitgliedstaaten über den
- 2 -
Schutz von Rechtsinhabern, die nicht Angehörige eines Mitgliedstaates
der Gemeinschaft sind?
b) Findet die in der Schutzdauerrichtlinie vorgesehene Schutzfrist gemäß
Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie auch auf Gegenstände Anwendung, die zu
dem in Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie genannten Zeitpunkt zwar die
Schutzkriterien der Richtlinie 92/100/EWG des Rates zum Vermietrecht
und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten
Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums vom 19. November
1992 erfüllt haben, deren Rechtsinhaber aber nicht Angehörige eines
Mitgliedstaates der Gemeinschaft sind?
BGH, Beschl. v. 29. März 2007 - I ZR 80/04 - OLG Rostock
LG
Rostock
Berichtigung des Leitsatzes
Der Leitsatz des Beschlusses vom 29. März 2007 - I ZR 80/04 - wird wie folgt
berichtigt:
In Frage 2 Buchst. b wird die Wendung "zu dem in Art. 13 Abs. 1 der
Richtlinie genannten Zeitpunkt" ersetzt durch die Wendung "am 1. Juli
1995".
Bundesgerichtshof
Geschäftsstelle des I. Zivilsenats
Karlsruhe, den 11. Juni 2007
(Führinger)
Justizangestellte
- 3 -
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 8. Februar 2007 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm
und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Pokrant, Dr. Schaffert und Dr. Kirch-
hoff
beschlossen:
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden
zur Auslegung der Richtlinie 2006/116/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über die
Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter
Schutzrechte (Schutzdauerrichtlinie) folgende Fragen zur Vor-
abentscheidung vorgelegt:
3. Findet die in der Schutzdauerrichtlinie vorgesehene Schutz-
frist unter den Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 2 der
Richtlinie auch dann Anwendung, wenn der betreffende
Gegenstand in dem Mitgliedstaat, in dem Schutz bean-
sprucht wird, zu keiner Zeit geschützt war?
4. Falls die Frage 1 zu bejahen ist:
a) Sind nationale Bestimmungen im Sinne des Art. 10
Abs. 2 der Schutzdauerrichtlinie auch die Bestimmungen
der Mitgliedstaaten über den Schutz von Rechtsinha-
- 4 -
bern, die nicht Angehörige eines Mitgliedstaates der
Gemeinschaft sind?
b) Findet die in der Schutzdauerrichtlinie vorgesehene
Schutzfrist gemäß Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie auch auf
Gegenstände Anwendung, die zu dem in Art. 13 Abs. 1
der Richtlinie genannten Zeitpunkt zwar die Schutzkrite-
rien der Richtlinie 92/100/EWG des Rates zum Vermiet-
recht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urhe-
berrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geis-
tigen Eigentums vom 19. November 1992 erfüllt haben,
deren Rechtsinhaber aber nicht Angehörige eines Mit-
gliedstaates der Gemeinschaft sind?
Gründe:
I. Die Beklagte vertreibt zwei Tonträger mit Aufnahmen von Darbietungen
des Künstlers Bob Dylan. Die erste CD trägt den Titel "Bob Dylan - Blowin in the
Wind", die zweite den Titel "Bob Dylan - Gates of Eden".
1
Auf diesen Tonträgern finden sich Musiktitel, die auf den Alben "Bob Dy-
lan - Bringing It All Back Home", "The Times They Are A-Changin' " und "High-
way 61 Revisited" erschienen sind. Diese Alben wurden vor dem 1. Januar
1966, nach dem Vorbringen der Klägerin in den Jahren 1964 und 1965, in den
USA veröffentlicht.
2
- 5 -
3
Die Klägerin trägt vor, der amerikanische Tonträgerhersteller habe an
den Bob-Dylan-Alben auch im Inland originäre Tonträgerrechte erworben. Diese
Rechte seien auf sie übertragen worden. Die Beklagte verletze die Tonträger-
rechte durch die Vervielfältigung und Verbreitung ihrer CDs.
Die Klägerin hat beantragt, der Beklagten zu untersagen, die Tonträger
"Bob Dylan - Blowin in the Wind" und "Bob Dylan - Gates of Eden" zu vervielfäl-
tigen und/oder vervielfältigen zu lassen und zu verbreiten und/oder verbreiten
zu lassen. Weiter hat sie beantragt, die Beklagte zu verurteilen, Auskunft zu
erteilen, und die Schadensersatzpflicht der Beklagten festzustellen.
4
Die Beklagte hat vorgebracht, dass an den vor dem 1. Januar 1966 auf-
genommenen Bob-Dylan-Alben im Inland keine Rechte eines Tonträgerherstel-
lers bestünden.
5
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
6
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin im Hinblick auf eine Unterlas-
sungserklärung der Beklagten beantragt, den Unterlassungsantrag für erledigt
zu erklären. Sie hat weiterhin beantragt, die Beklagte zur Auskunftserteilung zu
verurteilen und deren Schadensersatzpflicht festzustellen.
7
Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit
ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihre im Berufungsverfahren zuletzt gestellten
Anträge weiter.
8
II. Das Berufungsgericht hat die Klage als unbegründet angesehen. Dazu
hat es ausgeführt:
9
- 6 -
10
Etwaige Rechte des Tonträgerherstellers an den streitgegenständlichen
Aufnahmen seien zwar unstreitig wirksam auf die Klägerin übertragen worden.
Im Inland bestünden aber solche Rechte nicht. Aufgrund des Übereinkommens
zum Schutz der Hersteller von Tonträgern gegen die unerlaubte Vervielfältigung
ihrer Tonträger vom 29. Oktober 1971 (BGBl. 1973 II S. 1670; im Folgenden:
Genfer Tonträger-Abkommen), das für Deutschland und die USA in Kraft getre-
ten sei, hätten Tonträgerhersteller Schutzrechte aus § 85 UrhG nur an Leistun-
gen, die sie nach dem 1. Januar 1966 erbracht hätten. Ein Schutz für Tonträger,
die vor diesem Zeitpunkt hergestellt worden seien, ergebe sich auch nicht aus
§ 137f UrhG, der Übergangsvorschrift bei Umsetzung der Richtlinie 93/98/EWG
des Rates vom 29. Oktober 1993 zur Harmonisierung der Schutzdauer des Ur-
heberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte (ABl. Nr. L 290 vom
24.11.1993 S. 9; kodifizierte Fassung: Richtlinie 2006/116/EG des Europäi-
schen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über die Schutzdauer des
Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte, ABl. Nr. L 372 vom
27.12.2006 S. 12; im Folgenden wird mit Schutzdauerrichtlinie die kodifizierte
Fassung zitiert). Die Vorschrift des § 137f Abs. 2 UrhG gelte nicht für Tonträger,
die vor dem 1. Januar 1966 festgelegt worden seien, weil für diese im Inland zu
keinem Zeitpunkt ein Schutz bestanden habe. Etwas anderes ergebe sich auch
nicht bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 137f UrhG aufgrund der
Schutzdauerrichtlinie.
III. Der Erfolg der Revision, mit der die Klägerin ihre auf § 97 Abs. 1, § 85
UrhG gestützten Klageanträge weiterverfolgt, hängt von der Auslegung des
Art. 10 Abs. 2 der Schutzdauerrichtlinie ab. Im Revisionsverfahren ist von der
Behauptung der Klägerin auszugehen, dass nach dem nationalen Recht Groß-
britanniens auch Tonträger geschützt werden, die vor dem 1. Januar 1966 fest-
gelegt wurden, und dass dieser Schutz auf Tonträger amerikanischer Hersteller
11
- 7 -
ausgedehnt worden ist, die in den USA veröffentlicht worden sind (vgl. dazu
auch OLG Hamburg GRUR 2000, 707, 708 f. und GRUR-RR 2001, 73, 78).
12
Vor einer Entscheidung über das Rechtsmittel ist deshalb das Verfahren
auszusetzen und gemäß Art. 234 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 EG eine Vorabent-
scheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu den im Be-
schlusstenor gestellten Fragen einzuholen.
1. Die Klägerin kann die von ihr geltend gemachten Tonträgerrechte nicht
aus dem Genfer Tonträger-Abkommen herleiten. Unternehmen mit Sitz in den
USA können allerdings grundsätzlich gemäß § 126 Abs. 3 UrhG den Schutz
nach diesem Abkommen in Anspruch nehmen. Dies gilt jedoch nicht, wenn die
Tonträger wie hier vor dem 1. Januar 1966 in den USA festgelegt worden sind.
Die Rückwirkung des Genfer Tonträger-Abkommens reicht nicht weiter als der
Inlandsschutz, der nach § 129 Abs. 1 UrhG hinsichtlich der Rechte der Tonträ-
gerhersteller aus § 85 UrhG keine Rückwirkung über den Zeitpunkt des Inkraft-
tretens des Urheberrechtsgesetzes hinaus vorsieht und damit erst ab 1. Januar
1966 eingreift (vgl. BGHZ 123, 356 - Beatles; 125, 382, 386 - Rolling Stones;
vgl. weiter Schricker/Katzenberger, Urheberrecht, 3. Aufl., Vor §§ 120 ff. UrhG
Rdn. 95; Dreier in Dreier/Schulze, UrhG, 2. Aufl., § 126 Rdn. 9; Schack, JZ
1994, 360, 363).
13
2. Ein Schutz der streitgegenständlichen Tonträger im Inland ergibt sich
auch nicht aus einer unmittelbaren Anwendung des § 137f Abs. 2 UrhG.
14
Die Absätze 2 und 3 des § 137f UrhG lauten:
15
"UrhG § 137f Übergangsregelung bei Umsetzung der Richtlinie
93/98/EWG
- 8 -
(1) ...
(2) Die Vorschriften dieses Gesetzes in der ab dem 1. Juli 1995
geltenden Fassung sind auch auf Werke anzuwenden, deren
Schutz nach diesem Gesetz vor dem 1. Juli 1995 abgelaufen
ist, nach dem Gesetz eines anderen Mitgliedstaates der Euro-
päischen Union oder eines Vertragsstaates des Abkommens
über den Europäischen Wirtschaftsraum zu diesem Zeitpunkt
aber noch besteht. Satz 1 gilt entsprechend für die verwandten
Schutzrechte des Herausgebers nachgelassener Werke (§ 71),
der ausübenden Künstler (§ 73), der Hersteller von Tonträgern
(§ 85), der Sendeunternehmen (§ 87) und der Filmhersteller
(§§ 94 und 95).
(3) Lebt nach Absatz 2 der Schutz eines Werkes im Geltungsbe-
reich dieses Gesetzes wieder auf, so stehen die wiederaufle-
benden Rechte dem Urheber zu. Eine vor dem 1. Juli 1995 be-
gonnene Nutzungshandlung darf jedoch in dem vorgesehenen
Rahmen fortgesetzt werden. Für die Nutzung ab dem 1. Juli
1995 ist eine angemessene Vergütung zu zahlen. Die Sätze 1
bis 3 gelten für verwandte Schutzrechte entsprechend.
(4) ... "
Danach genießen Tonträgerhersteller den Schutz aus § 85 UrhG auch für
Tonträger, deren aus dem Urheberrechtsgesetz hergeleiteter Schutz vor dem
1. Juli 1995 (Art. 13 Abs. 1 der Schutzdauerrichtlinie) abgelaufen ist, die aber
nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder
eines Vertragsstaates über den Europäischen Wirtschaftsraum zu diesem Zeit-
punkt noch geschützt sind. Diese Schutzvoraussetzungen sind im vorliegenden
Fall nicht gegeben.
16
Tonträgerhersteller, die Angehörige von Drittstaaten sind, genossen für
Tonträger, die sie vor dem 1. Januar 1966 festgelegt haben, im Inland zu keiner
Zeit Schutz. Nach dem Wortlaut des § 137f Abs. 2 UrhG lebt der Schutz aber
nur dann wieder auf, wenn er vor dem 1. Juli 1995 "abgelaufen" war.
17
- 9 -
3. Die Vorschrift des § 137f UrhG ist durch Art. 1 Nr. 26 des Dritten Ge-
setzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes vom 23. Juni 1995 (BGBl. I
S. 842) zur Umsetzung der Schutzdauerrichtlinie in das Urheberrechtsgesetz
eingefügt worden. Sie ist deshalb nicht nur im Licht des Art. 10 Abs. 2 der Richt-
linie auszulegen, sondern gegebenenfalls auch entsprechend anzuwenden,
wenn dies erforderlich ist, um das nationale Recht der Richtlinie anzupassen.
18
4. Die Anwendung des Art. 10 Abs. 2 der Schutzdauerrichtlinie wirft im
vorliegenden Fall mehrere zweifelhafte Auslegungsfragen auf.
19
a) Nach dem Wortlaut des Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie ist es - anders als
nach § 137f Abs. 2 UrhG - unerheblich, ob für den Gegenstand in dem Mitglied-
staat, in dem der Schutz beansprucht wird, bereits zu irgendeinem Zeitpunkt
Schutz bestanden hat. Allein nach dem Wortlaut der Vorschrift wären die Mit-
gliedstaaten darüber hinaus sogar verpflichtet, auch Tonträger zu schützen, die
am 1. Juli 1995 in keinem Mitgliedstaat geschützt waren. Denn in Art. 10 Abs. 2
der Richtlinie heißt es, dass die in der Schutzdauerrichtlinie vorgesehene
Schutzfrist auf alle Gegenstände Anwendung findet, die zu dem in Art. 13
Abs. 1 der Richtlinie genannten Zeitpunkt die Schutzkriterien der Vermiet- und
Verleihrechtsrichtlinie erfüllen (Richtlinie 92/100/EWG des Rates vom 19. No-
vember 1992 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Ur-
heberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums,
ABl. Nr.
L
346 vom 27.11.1992 S. 61; kodifizierte Fassung: Richtlinie
2006/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember
2006 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheber-
recht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums, ABl. Nr. L
376 vom 27.12.2006 S. 28). Die Richtlinienbestimmung wird jedoch kaum dahin
ausgelegt werden können, dass über das angestrebte Ziel der Richtlinie, die
Schutzfristen zu harmonisieren, hinausgehend ein Schutz auch für Tonträger
20
- 10 -
begründet werden sollte, die am 1. Juli 1995 in der gesamten Gemeinschaft
nicht mehr geschützt waren (vgl. dazu weiter Walter in Walter [Hrsg.], Europäi-
sches Urheberrecht, 2001, Art. 10 Schutzdauer-RL Rdn. 20 f.).
21
b) Nach Art. 10 Abs. 2 der Schutzdauerrichtlinie findet die in dieser Richt-
linie vorgesehene Schutzfrist "auf alle Werke oder Gegenstände Anwendung,
die zu dem in Artikel 13 Absatz 1 genannten Zeitpunkt zumindest in einem der
Mitgliedstaaten aufgrund der Anwendung nationaler Bestimmungen im Bereich
des Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte geschützt werden". Damit
wird zweifelsfrei auf die Bestimmungen über den Schutz der Angehörigen von
Mitgliedstaaten der Gemeinschaft verwiesen. Es erscheint jedoch fraglich, ob
die Vorschrift - wie ihr Wortlaut nahelegen könnte - auch auf die nationalen Be-
stimmungen im Bereich des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte
Bezug nehmen soll, die den Schutz von Rechtsinhabern regeln, die nicht Ange-
hörige eines Mitgliedstaates der Gemeinschaft sind. Eine solche wortlautgemä-
ße Auslegung stünde jedenfalls in Widerspruch zu Sinn und Zweck der Rege-
lung des Art. 7 Abs. 2 der Schutzdauerrichtlinie.
aa) Die Schutzdauerrichtlinie überlässt gemäß ihrem Art. 7 Abs. 2 den
Mitgliedstaaten die Entscheidung, ob sie Rechtsinhabern, die nicht Angehörige
eines Mitgliedstaates sind, die verwandten Schutzrechte, die in Art. 3 der Richt-
linie genannt sind, überhaupt gewähren wollen (vgl. Walter aaO Art. 7 Schutz-
dauer-RL Rdn. 3, 19; Schricker/Katzenberger aaO § 64 UrhG Rdn. 34; Reindl in
Koppensteiner [Hrsg.], Österreichisches und europäisches Wirtschaftsprivat-
recht, Teil 2, 1996, S. 249, 400; von Lewinski in UrhQuellen, Europ. Gemein-
schaftsR/II/4, S. 14; Juranek in Dittrich [Hrsg.], Beiträge zum Urheberrecht V,
1997, S. 41, 44). Dies hat - wie der in Art. 7 Abs. 2 Satz 2 der Schutzdauerricht-
linie zwingend vorgeschriebene Schutzfristenvergleich - seinen Grund darin,
dass Drittstaaten ein erweiterter Schutz der Leistungen ihrer Angehörigen
22
- 11 -
grundsätzlich nur bei materieller Gegenseitigkeit gewährt werden soll. Die
Schutzdauerrichtlinie nimmt dabei in Kauf, dass in den Mitgliedstaaten Rechts-
unterschiede beim Schutz von Drittstaatsangehörigen bestehen, die auch den
innergemeinschaftlichen Handel beeinträchtigen und zu Wettbewerbsverzer-
rungen führen können (vgl. Schricker/Katzenberger aaO § 64 UrhG Rdn. 34;
vgl. weiter Juranek aaO S. 41, 44; von Lewinski, GRUR Int. 1992, 724, 732).
bb) Mit der dargelegten Zielsetzung des Art. 7 Abs. 2 der Schutzdauer-
richtlinie wäre es kaum vereinbar, wenn Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie so aus-
zulegen sein sollte, dass durch ihn auch ein Schutz von Rechtsinhabern, die
nicht Angehörige eines Mitgliedstaates sind, begründet werden kann. Dagegen
spricht auch, dass Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie nach der Überschrift der Be-
stimmung nur übergangsrechtliche Fragen regeln soll, die sich aus der Harmo-
nisierung der in der Richtlinie vorgesehenen Schutzfristen ergeben. Zwar würde
die Einbeziehung von Rechten, die Angehörigen von Drittstaaten zustehen, in
den Regelungsbereich des Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie dazu beitragen, Unter-
schiede zu beseitigen, die den freien Warenverkehr sowie den freien Dienstleis-
tungsverkehr behindern und die Wettbewerbsbedingungen im Gemeinsamen
Markt verfälschen können (vgl. dazu auch Erwgrd 3 der Richtlinie). Es erscheint
aber im Hinblick auf Art. 7 Abs. 2 der Schutzdauerrichtlinie fraglich, ob die damit
verbundene Besserstellung von Rechtsinhabern aus Drittstaaten gewollt ist
(anders allerdings Walter aaO Art. 10 Schutzdauer-RL Rdn. 16; vgl. auch - zu
§ 137f UrhG - OLG Hamburg GRUR-RR 2001, 73, 78). Der Senat neigt deshalb
dazu, Art. 10 Abs. 2 der Schutzdauerrichtlinie dahin einschränkend auszulegen,
dass dieser nur auf die nationalen Bestimmungen anderer Mitgliedstaaten über
den Schutz inländischer Rechtsinhaber für ihre Werke und Schutzgegenstände
verweist, nicht auch auf die (fremdenrechtlichen) Vorschriften, aus denen sich
der Schutz von Angehörigen von Drittstaaten ergibt (vgl. dazu auch Reindl aaO
S. 404 f.; Maier, RMUE 1994, 49, 77).
23
- 12 -
24
c) Nach dem Wortlaut des Art. 10 Abs. 2 der Schutzdauerrichtlinie ist ein
Tonträger unabhängig vom Bestehen eines Schutzes in einem Mitgliedstaat
bereits dann zu schützen, wenn er am 1. Juli 1995 (Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie)
die Schutzkriterien der Vermiet- und Verleihrechtsrichtlinie (Richtlinie 92/100/
EWG) erfüllt. Auch in diesem Fall käme aber der Schutz bei wortlautgemäßer
Auslegung der Richtlinienbestimmung in Widerspruch zu Sinn und Zweck des
Art. 7 Abs. 2 der Schutzdauerrichtlinie ohne weiteres auch Herstellern von Ton-
trägern aus Drittstaaten zugute.
d) Der Wortlaut der Vorschrift ist im Übrigen zumindest in anderer Hin-
sicht entgegen ihrer beschränkten Zielsetzung zu weit gefasst. Bei wortlautge-
mäßer Anwendung würde Art. 10 Abs. 2 der Schutzdauerrichtlinie die Mitglied-
staaten verpflichten, auch verwandte Schutzrechte anzuerkennen, die gemein-
schaftsweit noch nicht harmonisiert sind. Dies kann jedoch nicht Sinn der Har-
monisierung der Schutzfristen sein (vgl. dazu Walter aaO Art. 10 Schutzdauer-
RL Rdn. 22; Schricker/Katzenberger aaO § 64 UrhG Rdn. 43; von Lewinski aaO
Europ. GemeinschaftsR/II/4, S. 15 f.; Mogel, Europäisches Urheberrecht, 2001,
S. 240 f.; Dietz, GRUR Int. 1995, 670, 683).
25
- 13 -
5. Die Klage kann nicht bereits aus anderen Rechtsgründen als begrün-
det angesehen werden mit der Folge, dass von der Vorlage an den Gerichtshof
der Europäischen Gemeinschaften abgesehen werden könnte.
26
Bornkamm
v. Ungern-Sternberg
Pokrant
Schaffert
Kirchhoff
Vorinstanzen:
LG Rostock, Entscheidung vom 28.03.2003 - 3 O 316/02 -
OLG Rostock, Entscheidung vom 19.05.2004 - 2 U 38/03 -