Urteil des BGH vom 20.06.2003

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 213/03
Verkündet am:
11. März 2004
F r e i t a g
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 1357
Zur Anwendung des § 1357 BGB auf einen Telefondienstvertrag über einen
Festnetzanschluß in der Ehewohnung.
BGH, Urteil vom 11. März 2004 - III ZR 213/03 - LG Dessau
AG Dessau
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. März 2004 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter
Dr. Wurm, Dr. Kapsa, Dörr und Galke
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 1. Zivilkammer
des Landgerichts Dessau vom 20. Juni 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Ehemann der Beklagten hatte mit der Klägerin einen Telefondienst-
vertrag über einen Festnetzanschluß in seiner Ehewohnung geschlossen. Die
Klägerin stellte ihm am 3. Dezember 1998 und am 11. Januar 1999 für die
Grundgebühr im Dezember und Januar und für Verbindungen in der Zeit vom
24. Oktober bis 28. Dezember 1998 insgesamt 6.375,75 DM in Rechnung, die
von ihm nicht ausgeglichen wurden. Die Beklagte zahlte hierauf 771,13 DM.
Auf den restlichen Betrag von 5.604,61 DM nebst Zinsen nimmt die Klägerin
die Beklagte, die den Anschluß am 15. Februar 1999 anstelle ihres Ehemannes
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übernommen hat, mit ihrer Klage aus dem Gesichtspunkt des § 1357 BGB in
Anspruch. Der noch offene Rechnungsbetrag bezieht sich ausschließlich auf
Verbindungen zum Tele-Info-Service 0190 x, die nach dem Vortrag der Beklag-
ten von ihrem Ehemann angewählt worden sind.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht hat ihr auf
die Berufung der Klägerin entsprochen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zuge-
lassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1.
Nach § 1357 Abs. 1 BGB ist jeder Ehegatte berechtigt, Geschäfte zur
angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie zu besorgen. Durch
solche Geschäfte werden beide Ehegatten berechtigt und verpflichtet, es sei
denn, daß sich aus den Umständen etwas anderes ergibt. Die auf dem Ersten
Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14. Juni 1976 (BGBl. I
S. 1421) beruhende Fassung der Vorschrift knüpft nicht mehr an die nach frü-
herem Recht bestehende Pflicht der Frau an, den Haushalt in eigener Verant-
wortung zu führen (§ 1356 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F.) und ihr dementsprechend
die Berechtigung zu geben, Geschäfte innerhalb ihres häuslichen Wirkungs-
kreises mit Wirkung für den Mann zu besorgen. Vielmehr ist mit Rücksicht dar-
auf, daß die Aufgabenverteilung in der ehelichen Gemeinschaft den Partnern
selbst überlassen und das Leitbild der sogenannte Hausfrauenehe aufgegeben
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worden ist, die Rechtsmacht zur Verpflichtung auch des Partners an die "an-
gemessene Deckung des Lebensbedarfs der Familie" gebunden worden. Der
Bundesgerichtshof hat hierzu entschieden, wie weit der Lebensbedarf der Fa-
milie reiche, bestimme sich familienindividuell nach den Verhältnissen der
Ehegatten. Da die Einkommens- und Vermögensverhältnisse dem Vertrags-
partner allerdings häufig verborgen bleiben, ist entscheidend auf den Lebens-
zuschnitt der Familie abzustellen, wie er nach außen in Erscheinung tritt (vgl.
eingehend hierzu BGHZ 94, 1, 5 f). Darüber hinaus ist die Einbindung des
§ 1357 BGB in das Unterhaltsrecht zusammenlebender Ehegatten (§§ 1360,
1360a BGB) zu beachten. Zu den Umständen, die bei der Anwendung des
§ 1357 BGB von Bedeutung sein können, gehören daher auch die wirtschaftli-
chen Verhältnisse in ihrem Bezug zu den Kosten, die durch die jeweils in Rede
stehende Geschäftsbesorgung ausgelöst werden. Auch insoweit ist die Sicht
eines objektiven Beobachters nach dem Erscheinungsbild der Ehegatten, wie
es für Dritte allgemein offenliegt, entscheidend (vgl. BGHZ 116, 184, 188 f).
2.
Gemessen an diesen Maßstäben ist es nicht zu beanstanden, daß das
Berufungsgericht den Abschluß eines Telefondienstvertrages für einen in der
Familienwohnung befindlichen Festnetzanschluß im Ansatz als ein Geschäft
zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs angesehen hat.
a) Zu Recht hat das Berufungsgericht zugrunde gelegt, daß die Versor-
gung der Familie mit einem Telefonanschluß unter Berücksichtigung der heuti-
gen Lebensverhältnisse ein anerkanntes Grundbedürfnis ist, wobei es davon
ausgegangen ist, daß sich aus der jederzeitigen Verfügbarkeit eines solchen
Anschlusses für die Familienmitglieder der Bezug zur familiären Konsumge-
meinschaft ergebe. Das Berufungsgericht folgt damit im Ausgangspunkt einer
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in Rechtsprechung und Literatur verbreiteten Auffassung, nach der zur ange-
messenen Bedarfsdeckung der Familie auch Verträge zu rechnen sind, mit de-
nen die Versorgung der Ehewohnung mit Strom und Gas sichergestellt wird
(vgl. AG Wuppertal ZMR 1980, 239 f; AG Beckum FamRZ 1988, 501; LG Ko-
blenz WuM 1990, 445; Palandt/Brudermüller, BGB, 63. Aufl. 2004, § 1357
Rn. 13; Soergel/Lange, BGB, 12. Aufl. 1988, § 1357 Rn. 12; Wacke, in Münch-
Komm-BGB, 4. Aufl. 2000, § 1357 Rn. 23; Staudinger/Hübner/Voppel, BGB,
13. Bearb. Stand Juli 1999, § 1357 Rn. 45; Rauscher, Familienrecht, 2001,
Rn. 279; Erman/Heckelmann, BGB, 10. Aufl. 2000, § 1357 Rn. 13), und er-
streckt diesen Gedanken im Hinblick auf die heute üblichen Standards und die
weite Verbreitung von Telefonanschlüssen auch auf Telefondienstverträge, die
einen stationären Festnetzanschluß in der Ehewohnung betreffen (ebenso AG
Neustadt am Rübenberge ArchivPT 1997, 150; LG Bremen RTkom 2000, 240;
LG Stuttgart FamRZ 2001, 1610 und die im Verfahren von der Klägerin vorge-
legten nicht veröffentlichten Urteile des Amtsgerichts Bad Freienwalde vom
6. September 1999 - 20 C 76/99 - und des Amtsgerichts Ettlingen vom 28. Mai
2002 - 1 C 563/01 -; Palandt/Brudermüller aaO; Wacke, in: MünchKomm-BGB
aaO). Daß mit einem solchen Vertrag ein Dauerschuldverhältnis begründet
wird, steht der Einordnung als Geschäft zur angemessenen Deckung des Le-
bensbedarfs - wie auch bei einem Energielieferungsvertrag - nicht grundsätz-
lich entgegen, spiegelt diese Gestaltung doch nur wider, daß hier für die Fami-
lie ein beständiger Bedarf gedeckt wird. Die zunehmende Verbreitung von Mo-
biltelefonen, die weitgehend den Bedürfnissen des individuellen Benutzers
dienen mögen, bedeutet nicht, daß der Festnetzanschluß in der Ehewohnung
nicht mehr der angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie zuge-
rechnet werden könnte.
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b) Die Verfahrensrüge der Revision, das Berufungsgericht habe nicht die
konkreten Umstände des Einzelfalls geprüft und - ohne daß ein Erfahrungssatz
bestehe - die allgemeine Verfügbarkeit des Anschlusses für die Familie unter-
stellt, greift nicht durch. Zwar ist der Revision grundsätzlich darin zuzustimmen,
daß den Gläubiger die Darlegungs- und Beweislast trifft, soweit er sich auf die
Mitverpflichtung des Schuldners nach § 1357 BGB bezieht. Das verlangt im
hier zu entscheidenden Fall jedoch weder Erkundigungen noch - seiner Natur
nach gar nicht möglichen - Vortrag zu der Frage, in welcher Weise der An-
schluß durch die einzelnen Mitglieder der Familie genutzt wurde. Die Beklagte
hat selbst nicht in Frage gestellt, daß es sich um einen privaten, nicht etwa mit
einer geschäftlichen Tätigkeit ihres Ehemannes verbundenen Anschluß in der
gemeinsamen Ehewohnung handelte. Daß der Anschluß unter diesen Umstän-
den auch für die anderen Familienmitglieder verfügbar war, wird indiziell da-
durch bestätigt, daß die Beklagte einen Teil der Gebühren - wenn auch ohne
Anerkennung einer Rechtspflicht - gezahlt hat.
c) Das Berufungsgericht hat jedoch nicht hinreichend berücksichtigt, daß
die Regelung des § 1357 BGB in das Unterhaltsrecht zusammenlebender
Eheleute und damit in deren Lebenszuschnitt eingebunden ist. Die vorliegen-
den Rechnungen legen nach dem Vortrag der Beklagten die Annahme nahe,
daß die angemessene Bedarfsdeckung in dem abgerechneten Zeitraum weit
überschritten ist.
Üblicherweise wird die Frage, ob ein Geschäft der angemessenen Dek-
kung des Lebensbedarfs dient, im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu beant-
worten sein. Dies gilt im Grundsatz auch für Dauerschuldverhältnisse, mit de-
nen ein immer wiederkehrender Bedarf gedeckt werden soll. Dabei besteht
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zum Beispiel bei Energielieferungsverträgen von vornherein ein relativ enges
Verhältnis zwischen der Lebenssituation der Eheleute (Größe der Familie, des
Haushalts, eines etwaigen Anwesens) und der danach erforderlichen Bereit-
stellung unterschiedlicher Energien, das zwar Schwankungen des Verbrauchs
nicht ausschließt, sich aber doch in der Regel in überschaubaren Grenzen hält.
Dies rechtfertigt auch die Erwartung des Vertragspartners, im Hinblick auf die
Zwecksetzung des Vertragsverhältnisses sich auf eine Mitverpflichtung des
Ehegatten einzustellen. Beim Telefondienstvertrag läßt sich der Bedarf hinge-
gen von vornherein nur schwer abschätzen; vielfach wird er - etwa wegen Ver-
änderungen in der persönlichen Lebenssituation - auch erheblichen Änderun-
gen und Schwankungen unterliegen. Die Umstände, die hierzu führen - etwa
ein vermehrter Bedarf wegen einer doppelten Haushaltsführung; die Notwen-
digkeit, wegen Alters oder Krankheit nahestehender Angehöriger häufiger als
früher zu telefonieren - treten regelmäßig nicht nach außen, gehen den Ver-
tragspartner auch nichts an. Sichtbar wird für diesen nur das Ausmaß der tat-
sächlichen Inanspruchnahme während der Laufzeit des Vertrags, wobei sich
aus der Zahlung der Rechnungsentgelte indiziell für ihn ergibt, in welchem Um-
fang die Ehegatten Mittel für diese Bedarfsposition als angemessen ansehen.
In diesem Umfang und Rahmen, der - auch erhebliche - Änderungen des Aus-
gabeverhaltens einschließen kann, ist eine Mitverpflichtung des Ehegatten
nach § 1357 BGB für einen Festnetzanschluß in der Ehewohnung ohne weite-
res gegeben. Eine betragsmäßige Grenze hierfür läßt sich jedoch, weil sich der
Lebensbedarf familienindividuell nach den Verhältnissen der Ehegatten richtet
(vgl. BGHZ 94, 1, 6), nicht festlegen. Das rechtfertigt aber nicht, Kosten, die
diesen Rahmen exorbitant überschreiten und die finanziellen Verhältnisse der
Familie sprengen, nur deshalb der angemessenen Deckung des Lebensbe-
darfs zuzurechnen, weil das Vertragsverhältnis bei seiner Begründung auf eine
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familiäre Nutzung hinwies. Eine solche Erwartung kann auch ein Dienstean-
bieter auf der Grundlage der Haftungserweiterung des § 1357 BGB (billiger-
weise) nicht hegen, die den Gläubigerschutz nicht als Zweck, sondern nur als
Folge der eheausgestaltenden Regelung vorsieht (vgl. BVerfGE 81, 1, 7 f).
Demgegenüber kann es nicht darauf ankommen, für welche Verbindungen der
Anschluß genutzt worden ist. Das muß - auch im Prozeß über die zu zahlenden
Gebühren - ein Internum der Ehegatten bleiben, zu dem sich der Vertragspart-
ner nicht äußern muß und von dem sein Recht, den Ehegatten nach § 1357
BGB auf Zahlung in Anspruch zu nehmen, nicht abhängen darf.
3.
Da das Berufungsgericht nicht die Frage geprüft hat, ob die beiden
streitgegenständlichen Rechnungen den vorstehend gekennzeichneten Rah-
men überschritten haben, andererseits die Parteien Gelegenheit haben müs-
sen, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats ergänzend vor-
zutragen, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu den weiter
notwendigen Feststellungen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Da-
bei kann das Doppelte des Betrages, der sich als Durchschnitt der unbean-
standeten Zahlungen in dem zurückliegenden Jahr der Vertragslaufzeit ergibt,
im Regelfall als Maß für den Haftungsumfang nach § 1357 BGB herangezogen
werden.
Schlick
Wurm
Kapsa
Dörr
Galke