Urteil des BGH vom 11.12.2009
BGH (anpassung, einkommen, lebenshaltungskosten, betrag, vertrag, arbeiter, erhöhung, nachteil, verzinsung, vereinbarung)
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 110/09
Verkündet
am:
11. Dezember 2009
Langendörfer-Kunz
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
- 2 -
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. Dezember 2009 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, den
Richter Dr. Klein, die Richterin Dr. Stresemann und die Richter Dr. Czub und
Dr. Roth
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerinnen wird das Urteil der
4. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig vom 20. Mai 2009
im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als für die Zeit ab dem
1. Januar 2008 zum Nachteil der Klägerinnen erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird das Urteil des Amtsgerichts
Wolfsburg vom 15. Oktober 2008 auf die Berufung der Klägerin-
nen abgeändert.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klä-
gerinnen beginnend mit dem 1. Januar 2008 jährlich weitere
301,62 € zu bezahlen.
Von den Kosten des ersten und des zweiten Rechtszugs tragen
die Klägerinnen insgesamt 5/42. Die übrigen Kosten des Rechts-
streits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
Von Rechts wegen
- 3 -
Tatbestand:
1
Die Klägerinnen sind Eigentümerinnen eines 814 qm großen Grund-
stücks. Das Grundstück ist aufgrund Vertrages vom 10. Februar 1963 für die
Dauer von 99 Jahren mit einem Erbbaurecht belastet. Die Beklagten sind Inha-
berinnen des Erbbaurechts. Ihre Rechtsvorgänger haben auf dem Grundstück
ein Wohnhaus errichtet.
Der Erbbauzins beträgt nach dem Erbbaurechtsvertrag 366,30 DM
(0,45 DM/qm). In § 12 des Vertrags heißt es hierzu weiter:
2
"Die Grundstückseigentümerin als auch die Erbbauberechtigten
sind berechtigt, bei einer wesentlichen Änderung des Wertes des
Erbbaugrundstücks oder der allgemeinen Wirtschafts- und Wäh-
rungsverhältnisse - als wesentliche Änderungen werden nur sol-
che über 20 % angesehen - eine Anpassung des Erbbauzinses an
die veränderten Umstände zu verlangen, durch die eine billige und
angemessene Verzinsung des Grundstückswertes gewährleistet
wird. …"
Der Erbbauzins wurde zuletzt, beginnend mit dem 1. Januar 1996, ein-
verständlich auf 1.172,66 DM (1,44 DM/qm) jährlich erhöht. Im Sommer 2007
verlangten die Klägerinnen von den Beklagten im Hinblick auf die inzwischen
eingetretene Steigerung des Lebenshaltungskosten- bzw. des Verbraucher-
preisindexes und der Löhne und Gehälter, einer Erhöhung des Erbbauzinses
auf jährlich 1.070,53 € (1,32 €/qm) zuzustimmen. Das lehnten die Beklagten ab.
3
Die Klägerinnen haben beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu
verurteilen, ab August 2007 jährlich 1.070,53 € Erbbauzins an sie zu bezahlen.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerinnen ist
ohne Erfolg geblieben, soweit sie die Zahlung erhöhten Erbbauzinses für Au-
gust bis Dezember 2007 verlangt haben. Für den Zeitraum ab dem 1. Januar
2008 hat das Landgericht die Beklagten verurteilt, an die Klägerinnen einen Er-
4
- 4 -
höhungsbetrag von jährlich 169,60 € zu bezahlen. Mit der von dem Landgericht
zugelassenen Revision verfolgen die Klägerinnen ihren Zahlungsanspruch wei-
ter, soweit für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 an zu ihrem Nachteil entschie-
den worden ist.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht meint, die Klage sei für den Zeitraum ab dem
1. Januar 2008 teilweise begründet. Nach § 12 Satz 1 des Erbbaurechtsver-
trags könne nur dann eine Anpassung des Erbbauzinses verlangt werden,
wenn die Wirtschafts- und Währungsverhältnisse sich seit der letzten Anpas-
sung des Erbbauzinses um mehr als 20 % geändert hätten. Diese Vorausset-
zung sei erfüllt. Mit dem Begriff der "Wirtschafts- und Währungsverhältnisse" sei
das Mittel aus Lebenshaltungskosten und Einkommen der Arbeiter und Ange-
stellten gemeint. Dieses habe sich von 1995 bis 2006 um 28,3 % erhöht.
5
Bei der Neuberechnung des Erbbauzinses sei von dem 1963 vereinbar-
ten Betrag und der seither eingetretenen Änderung auszugehen. Diese betrage
bis 2006 78,6 % und führe damit zu dem von den Klägerinnen auf 1.070,53 €
berechneten Betrag. Trotzdem könnten die Klägerinnen nur einen um 28,3 %
gegenüber dem seit 1996 geltenden Betrag erhöhten Erbbauzins verlangen.
§ 12 des Erbbaurechtsvertrags gewähre nämlich einen Anspruch auf Änderung
des Erbbauzinses nur in dem Umfang, wie dies der Billigkeit entspreche. Das
Verlangen, den Erbbauzins im Umfang der Änderung der Lebenshaltungskos-
ten und der Einkommen der Arbeiter und Angestellten anzupassen, entspreche
zwar grundsätzlich der Billigkeit. Vorliegend sei dies jedoch deshalb anders,
6
- 5 -
weil bei den Anpassungen des Erbbauzinses in der Vergangenheit der Rahmen
der möglichen Erhöhung nicht ausgeschöpft worden sei und die Beklagten dar-
auf hätten vertrauen dürfen, dass dies weiterhin so sein solle. Hiervon nunmehr
abzuweichen, sei unbillig.
II.
7
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Den Klägerinnen steht der für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2008 ver-
langte Erhöhungsbetrag zu.
8
1. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, dass der Betrag der
Anpassung des Erbbauzinses nach dem Vertrag vom 10. Februar 1963 davon
bestimmt wird, in welchem Maße sich der Mittelwert aus den Lebenshaltungs-
kosten und den Einkommen der Arbeiter und Angestellten geändert hat. Die in
dem Erbbaurechtsvertrag benutzte Wendung einer wesentlichen Änderung der
"allgemeinen Wirtschafts- und Währungsverhältnisse" ist entsprechend der
ständigen Rechtsprechung des Senats dahin auszulegen, dass hierunter der
Mittelwert der Änderung der Einkommen der Arbeiter und Angestellten einer-
seits und der Lebenshaltungskosten der Vier-Personen-Haushalte der Arbeit-
nehmer mit mittlerem Einkommen bzw. der Verbraucherpreise andererseits zu
verstehen ist (Senat, BGHZ 75, 279, 283; 77, 188, 191; 87, 198 f.; Urt. v.
31. Oktober 2008, V ZR 71/08, NJW 2009, 679, 680).
9
2. Nicht zu beanstanden ist auch, dass das Berufungsgericht zur Be-
stimmung des Änderungsbetrages nicht auf den Zeitpunkt der letzten Anpas-
sung des Erbbauzinses, sondern auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Erb-
baurechtsvertrages abgestellt hat. Wird in einem Erbbaurechtsvertrag eine An-
passung des Erbbauzinses an die Änderung der im Vertrag bezeichneten Ver-
10
- 6 -
hältnisse vereinbart, wird der Umfang der vereinbarten Anpassung von den Ver-
hältnissen bei Vereinbarung der Abänderungsklausel bestimmt (Senat, BGHZ
68, 152, 154; Urt. v. 27. Mai 1981, V ZR 20/80, NJW 1981, 2567, 2568). Hieran
ändert sich nicht dadurch etwas, dass die Vertragsparteien in späterer Zeit zum
Vorteil einer Vertragspartei von dem vereinbarten Maßstab abweichen (vgl. Se-
nat, BGHZ 169, 215, 220). Anders liegt es nur dann, wenn die Parteien durch
oder im Zusammenhang mit der Abweichung eine Änderung des vertraglich
vereinbarten Maßstabes der Anpassungsregelung vereinbaren (Senat, Urt. v.
20. Dezember 2001, V ZR 260/00, NJW 2002, 1424, 1425). Dass es sich so
bei den früher wirksam gewordenen Erhöhungen des Erbbauzinses verhielte,
ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
3. Ohne eine besondere Vereinbarung im Vertrag ist zur Bestimmung
des Umfangs der Anpassung nicht von einem durchschnittlichen Jahresbetrag,
sondern von dem für einen jeden Monat ermittelten Wert auszugehen (Senat,
BGHZ 87, 198, 201). Soweit das Berufungsgericht, statt hiervon auszugehen,
den Klägerinnen dahin gefolgt ist, auf Jahreswerte abzustellen, bedeutet dies
keinen Umstand, der auf die Entscheidung Einfluss hätte. Eine so begründete
Unrichtigkeit des Erhöhungsverlangens der Klägerinnen wirkt sich allein zu de-
ren Nachteil aus. Sie haben den von den Beklagten für den Zeitraum ab dem
1. Januar 2008 zu zahlenden Erbbauzins zu ihrem Nachteil zu niedrig bemes-
sen.
11
4. Die von dem Berufungsgericht festgestellten Indexwerte werden von
den Parteien im Revisionsverfahren nicht angegriffen. Ihre Feststellung obliegt
dem Tatrichter und ist von dem Senat hinzunehmen (Senat, Urt. v. 31. Oktober
2008, V ZR 71/08, NJW 2009, 679).
12
- 7 -
5. Zu Unrecht meint das Berufungsgericht jedoch, dem Vertrag vom
10. Februar 1963 eine Regelung entnehmen zu können, nach der die Tatsache,
dass die in der Vergangenheit vorgenommenen Erhöhungen des Erbbauzinses
den Erhöhungsanspruch der Klägerinnen nicht ausgeschöpft haben, unter dem
Gesichtspunkt der Billigkeit bewirke, dass die Klägerinnen für den Zeitraum ab
dem 1. Januar 2008 diesen Rahmen nicht ausschöpfen dürften.
13
a) Die Belastung eines Grundstückes mit einem verzinslichen Erbbau-
recht bildet eine Maßnahme der entgeltlichen Nutzung eines Grundstücks. Das
aus der Belastung für den Eigentümer fließende Entgelt wird grundsätzlich von
dem Wert des Grundstücks bestimmt. Hierzu wird der Erbbauzins in der Regel
nach einem Prozentsatz des für das Grundstück angenommenen Wertes ver-
einbart. Die üblicherweise lange Zeit, für die das Recht bestellt wird, und die
während dieser Zeit eintretenden Änderungen des Grundstückswerts und der
Wirtschafts- und Währungsverhältnisse verzerren indessen die bei Vertragsab-
schluss angetroffene Situation, auf der die Kalkulation des vereinbarten Erb-
bauzinses beruht.
14
Dem soll durch die Vereinbarung eines Anspruchs auf Anpassung des
Erbbauzinses entgegengewirkt werden. Als Maßstab der Änderung bieten sich
insoweit die Änderungen des Grundstückswerts und die Änderung der Wirt-
schafts- und Währungsverhältnisse an. Die Vergangenheit hat indessen ge-
zeigt, dass die Änderung der für Grundstücke bezahlten Preise nachhaltig über
die Änderung der Lebenshaltungskosten und Einkommen hinausgeht. An der
Entwicklung der Grundstückspreise nimmt der Erbbauberechtigte jedoch nicht
teil. Für ihn stellt sich der Erbbauzins wirtschaftlich als Miete des Grundstücks
dar, die er grundsätzlich aus einem Einkommen zu bezahlen hat. Eine Erhö-
hung des Erbbauzinses verzerrt die Relation zwischen dem Wert des Grund-
stücks, den Wirtschafts- und Währungsverhältnissen und dem Einkommen des
15
- 8 -
Erbbauberechtigten im Ausgangspunkt nicht, soweit letzteres in die Berechnung
des Anpassungsbetrages einfließt und die Erhöhung des Grundstückswertes
hierüber nicht hinausgeht. Soll der Grundstückswert Maßstab der Anpassung
sein, ist dies nicht gewährleistet. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber durch
§ 9a ErbbauRG Regelungen zur Anpassung des Erbbauzinses an die Änderung
des Grundstückswertes die Wirksamkeit versagt, soweit diese unbillig sind. So
soll es sich nach § 9a Abs. 1 Satz 2 ErbbauRG bei Wohngrundstücken regel-
mäßig verhalten, wenn das Erhöhungsverlangen über die Änderung der allge-
meinen wirtschaftlichen Verhältnisse hinausgeht.
Entspricht das Erhöhungsverlangen der Änderung dieser Verhältnisse,
kann das Verlangen grundsätzlich nicht als unbillig angesehen werden.
16
b) Etwas anderes ergibt sich, wie die Revision zutreffend geltend macht,
auch nicht aus der zwischen den Parteien geltenden Regelung des Vertrags
vom 10. Februar 1963. Nach dieser soll durch den Anspruch auf Anpassung
"eine billige und angemessene Verzinsung des Grundstückswertes gewährleis-
tet" werden. Der Erbbauzins wird mithin auf die Höhe desjenigen Betrags be-
grenzt, der bei einer langfristigen Anlage eines dem Grundstückswert entspre-
chenden Kapitalbetrags zu erzielen wäre. Dabei soll nicht die Anpassung, son-
dern die durch die Vereinbarung der Anpassungsregelung gewährleistete Ver-
zinsung des Grundstückswerts billig und angemessen sein. So verhält es sich
nach der Feststellung des Berufungsgerichts mit dem von den Klägerinnen ver-
langten Betrag. Zu dessen Berechnung sind die Klägerinnen nicht von der
durch § 9a Abs. 1 Satz 2 ErbbauRG für Wohngrundstücke verworfenen Ände-
rung des Wertes des Grundstücks, sondern von der Änderung der Einkom-
mensverhältnisse und der Lebenshaltungskosten, und damit von einem billigen
Maßstab ausgegangen.
17
- 9 -
c) Die Bezugnahme auf die "allgemeinen Wirtschafts- und Währungsver-
hältnisse" und die "Verzinsung des Grundstückswertes" in dem Erbbaurechts-
vertrag stellt klar, dass sich die Anpassung des Erbbauzinses nicht nach den
Besonderheiten im Verhältnis der Vertragsparteien richten soll, sondern nach
allgemeinen Gegebenheiten.
18
19
d) Auch unabhängig hiervon ist nicht zu erkennen, weswegen eine For-
derung auf Bezahlung eines Erbbauzinses von 1,32 €/qm und Jahr unbillig sein
und die Beklagten in unangemessener Weise belasten könnte.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO.
20
Krüger Klein
Stresemann
Czub
Roth
Vorinstanzen:
AG Wolfsburg, Entscheidung vom 15.10.2008 - 10 C 291/08 (III) -
LG Braunschweig, Entscheidung vom 20.05.2009 - 4 S 488/08 -