Urteil des BGH vom 09.05.2000

BGH (aussetzung, zpo, sache, deutsche bundespost, oldenburg, vorfrage, verhandlung, rüge, stand, bestand)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
KZR 1/99
Verkündet am:
9. Mai 2000
Walz
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
------------------------------------
Aussetzungszwang
ZPO §§ 539, 540, 261 Abs. 3 Nr. 2;
GWB § 87 Abs. 1 Satz 2 (F: 26. August 1998);
GWB § 96 Abs. 2 (F: 24. September 1980)
a) Zu den Voraussetzungen einer Zurückverweisung durch das Berufungs-
gericht.
b) Durch die Neuregelung in § 87 Abs. 1 Satz 2 GWB n.F. ist die Zustän-
digkeit eines Nichtkartellgerichts für ein vor dem 1. Januar 1999 anhän-
gig gewordenes Verfahren entfallen, in dem sich eine kartellrechtliche
Vorfrage stellt, in dem aber unter Geltung des alten Rechts keine Aus-
setzung mehr ausgesprochen worden ist.
BGH, Urteil vom 9. Mai 2000 – KZR 1/99 – OLG Oldenburg
LG Oldenburg
- 2 -
Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 9. Mai 2000 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofes Geiß, die
Richter Dr. Melullis und Ball, die Richterin Dr. Tepperwien und den Richter
Prof. Dr. Bornkamm
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 2. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Oldenburg vom 2. Dezember 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den Kartellsenat des
Oberlandesgerichts Celle zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Deutsche Bundespost Telekom, deren Rechtsnachfolgerin die Klägerin
ist, schloß im Dezember 1993 mit dem Beklagten einen Vertrag über die Überlas-
sung von Bestandsdaten von Telefonkunden in den neuen Bundesländern. Mit
der Klage beansprucht die Klägerin das vertraglich vereinbarte Entgelt in Höhe
von 208.533,40 DM. Der Beklagte erhebt Mängelrügen und macht geltend, der
- 3 -
Vertrag sei nach § 138 BGB und nach § 134 BGB i.V. mit § 26 Abs. 2 und 4 GWB
a.F. (jetzt § 20 Abs. 1 und 4 GWB) nichtig.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, nachdem es zuvor darauf hin-
gewiesen hatte, daß zur Klärung kartellrechtlicher Vorfragen auch eine Ausset-
zung nach § 96 Abs. 2 GWB a.F. in Betracht komme. Das Berufungsgericht hat
dieses Urteil aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.
Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, der der Beklagte entgegentritt.
Entscheidungsgründe:
I.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Berufungsgericht ausge-
führt, das Landgericht habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, den Rechtsstreit
nach § 96 Abs. 2 GWB a.F. auszusetzen. Den entsprechenden Aussetzungsan-
trag des Beklagten habe es nicht beschieden. Nachdem zuvor eine Entscheidung
über den Aussetzungsantrag angekündigt worden sei, stelle die Sachentschei-
dung darüber hinaus eine das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verlet-
zende Überraschungsentscheidung dar. Eine Aussetzung des Verfahrens nach
§ 96 Abs. 2 GWB a.F. sei rechtlich geboten gewesen. Die anstehenden kartell-
rechtlichen Fragen seien in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht hinrei-
chend geklärt gewesen, um auch von einem Nichtkartellgericht beantwortet wer-
den zu können. Der Rechtsstreit sei auch ohne Klärung der kartellrechtlichen
Fragen nicht entscheidungsreif; die Frage einer Nichtigkeit nach § 138 BGB lasse
sich nur unter Einbeziehung der kartellrechtlichen Wertungen beantworten; die
Voraussetzungen für Gewährleistungsansprüche des Beklagten seien nicht
schlüssig dargetan.
- 4 -
II.
Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Sie führen
zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache
an den inzwischen zuständigen Kartellsenat des Oberlandesgerichts Celle.
1.
Zu Unrecht hat das Berufungsgericht darin einen Verfahrensfehler ge-
sehen, daß das Landgericht über den Aussetzungsantrag des Beklagten nicht
entschieden hat. Denn in der erfolgten Sachentscheidung durch das Landgericht
liegt die konkludente – vom Landgericht allerdings nicht begründete – Ablehnung
der Aussetzung. Auch ein Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen
Gehörs liegt nicht vor. Die Parteien waren durch prozeßleitende Verfügung darauf
hingewiesen worden, daß keine Verweisung an das zuständige Kartell-
Landgericht, sondern nur eine Aussetzung zur Klärung einer kartellrechtlichen
Vorfrage (§ 96 Abs. 2 GWB a.F.) in Betracht komme, worüber nach der mündli-
chen Verhandlung entschieden werde. Dies ist entsprechend der Ankündigung
geschehen.
2.
Es bedarf keiner Entscheidung, ob das Landgericht im Streitfall von ei-
ner Aussetzung absehen durfte; denn jedenfalls hätte der darin liegende Verfah-
rensfehler das Berufungsgericht nicht veranlassen dürfen, das landgerichtliche
Urteil aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen (§§ 539,
540 ZPO).
a) Dem Beklagten stand im Berufungsverfahren die Rüge des § 529 Abs. 2
ZPO zur Seite. Wurde unter der Geltung des § 96 Abs. 2 GWB a.F. in einem
Rechtsstreit, in dem sich eine kartellrechtliche Vorfrage stellte, vom Nichtkartell-
gericht in der Sache entschieden, statt das Verfahren auszusetzen, konnte die
unterlegene Partei mit der Berufung die Rüge der sachlichen Unzuständigkeit er-
heben, wenn sie nicht in erster Instanz rügelos verhandelt hatte (§ 529 Abs. 2
- 5 -
ZPO; vgl. BGHZ 37, 194, 196 f. – Spar). Der Beklagte hat sich die Rügemöglich-
keit dadurch erhalten, daß er in erster Instanz vorab die Unzuständigkeit des
Landgerichts Oldenburg gerügt und hilfsweise die Aussetzung des Verfahrens
beantragt hatte (vgl. K. Schmidt in Immenga/Mestmäcker, GWB, 2. Aufl., § 96
Rdn. 32; Bornkamm in Langen/Bunte, Kartellrecht, 9. Aufl., § 95 GWB Rdn. 3).
b) Ob das Landgericht die kartellrechtliche Vorfrage ausnahmsweise selbst
entscheiden durfte oder – wie das Berufungsgericht gemeint hat – zwingend hätte
aussetzen müssen, kann offenbleiben. Denn jedenfalls hätte das Berufungsge-
richt diesen Verfahrensfehler nicht zum Anlaß nehmen dürfen, die Sache an das
Landgericht zurückzuverweisen.
aa) Leidet das erstinstanzliche Verfahren an einem wesentlichen Mangel,
kann das Berufungsgericht das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zu-
rückverweisen (§ 539 ZPO). An die Zurückverweisung, die – anders als in den
Fällen des § 538 ZPO – die Ausnahme sein soll, ist dabei jedoch ein strenger
Maßstab anzulegen (vgl. BGHZ 31, 358, 362; Zöller/Gummer, ZPO, 21. Aufl.,
§ 539 Rdn. 1). Sie kommt insbesondere dann nicht in Betracht, wenn dem Beru-
fungsgericht eine Entscheidung ohne weitere Sachaufklärung möglich ist (BGH,
Urt. v. 4.2.1986 – VI ZR 220/84, NJW 1986, 2436, 2437). Im Streitfall konnte das
Berufungsgericht das Verfahren ebenso wie das Landgericht nach § 96 Abs. 2
GWB a.F. aussetzen. Einer Zurückverweisung bedurfte es hierfür nicht. Auch die
anderen Einwände des Beklagten, über die abschließend nach Klärung der kar-
tellrechtlichen Vorfragen zu entscheiden gewesen wäre, machten eine weitere
Sachaufklärung – wie sich aus den Gründen des Berufungsurteils ergibt – nicht
erforderlich.
- 6 -
bb) Im Streitfall stellt sich die Zurückverweisung noch aus einem weiteren
Grund als ermessensfehlerhaft dar: Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beru-
fungsgerichts am 2. Dezember 1998 war das Sechste Gesetz zur Änderung des
Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26. August 1998 (BGBl. I
S. 2521) bereits verabschiedet. Es stand bereits fest, daß dieses Gesetz nach
seinem Artikel 4 am 1. Januar 1999 in Kraft treten und in der dann geltenden Fas-
sung nicht mehr zwischen Kartellstreitsachen und Streitigkeiten, in denen sich ei-
ne kartellrechtliche Vorfrage stellt, unterscheiden, vielmehr auch letztere Streitig-
keiten den Kartellgerichten in ausschließlicher Zuständigkeit zuweisen würde
(§ 87 Abs. 1 Satz 2 GWB n.F.). Dies bedeutete, daß für Verfahren, in denen bei
Inkrafttreten der Neuregelung eine Aussetzung noch nicht ausgesprochen war,
die bestehende eingeschränkte Zuständigkeit des Nichtkartellgerichts – entgegen
§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO – entfallen würde; denn nach dem Inkrafttreten der Neu-
regelung bestand die Möglichkeit der Aussetzung nach § 96 Abs. 2 GWB a.F.
nicht mehr, so daß die Sache an das nunmehr zuständige Kartellgericht zu ver-
weisen oder die Klage – wenn ein entsprechender Antrag nicht gestellt wurde –
als unzulässig abzuweisen war (Wiedemann/Bumiller, Handbuch des Kartell-
rechts, § 60 Rdn. 67; Bornkamm in Langen/Bunte, Kartellrecht, 9. Aufl., § 95
GWB Rdn. 1; zu dem Fall, daß das Nichtkartellgericht bereits vor dem 1.1.1999
ausgesetzt hat: BGH, Urt. v. 14.3.2000 – KZR 8/99, Umdr. S. 4 f.). Da bereits ab-
zusehen war, daß das Landgericht eine Aussetzung vor dem 1. Januar 1999 nicht
mehr aussprechen würde, lief die Zurückverweisung allein darauf hinaus, den
Rechtsstreit vom Landgericht an das seit 1. Januar 1999 zuständige Landgericht
Hannover zu verweisen (ZustVO-Justiz v. 22.1.1998 [Nds.GVBl. S. 66], zuletzt
geändert durch VO v. 10.6.1999 [Nds.GVBl. S. 128]). In dieser besonderen, durch
die bevorstehende Änderung der Zuständigkeit geprägten prozessualen Situation
hätte das Berufungsgericht den Rechtsstreit nicht an das Landgericht zurückver-
- 7 -
weisen dürfen, sondern hätte entweder selbst die zu dem damaligen Zeitpunkt
noch mögliche Aussetzung aussprechen oder den Rechtsstreit nach dem
1. Januar 1999 auf Antrag selbst an das zuständige Kartellgericht verweisen
müssen.
3.
Da die kassatorische Entscheidung des Berufungsgerichts keinen Be-
stand haben kann, ist sie aufzuheben (§ 565 Abs. 1 ZPO). Nachdem die Klägerin
in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Verweisung an das nunmehr
zuständige Kartellgericht beantragt hat, ist der Rechtsstreit nicht an das Oberlan-
desgericht Oldenburg, sondern an den Kartellsenat des Oberlandesgerichts Celle
zurückzuverweisen (BGHZ 49, 33, 39 – Kugelschreiber; BGH, Urt. v. 3.11.1981
– KZR 33/80, WuW/E 1898, 1900 – Holzpaneele). Zwar ist in Niedersachsen nur
die erstinstanzliche Zuständigkeit für Kartellstreitsachen konzentriert. Der Verord-
nungsgeber hat aber erkennbar von der Möglichkeit, auch die Zuständigkeit der
Oberlandesgerichte zu konzentrieren (§ 93 GWB), nur deswegen keinen Ge-
brauch gemacht, weil er davon ausging, im Hinblick auf die erstinstanzliche Kon-
zentration beim Landgericht Hannover könnten Berufungen in Kartellstreitsachen
nur beim Oberlandesgericht Celle und nicht bei den Oberlandesgerichten Olden-
burg und Braunschweig anfallen. Zwar trifft dies jedenfalls nach neuem Recht
nicht mehr zu, weil inzwischen auch nach dem Gesetzeswortlaut die materielle an
die Stelle der formellen Anknüpfung getreten ist (§ 91 Satz 2 GWB) mit der Folge,
daß auch eine in erster Instanz von einem Nichtkartellgericht entschiedene
- 8 -
Rechtsstreitigkeit nach § 87 Abs. 1 GWB von dem beim Oberlandesgericht zu bil-
denden Kartellsenat (§ 91 Satz 1 GWB) zu entscheiden ist. Da beim Oberlandes-
gericht Oldenburg aber ein Kartellsenat nicht gebildet worden ist, geht der Senat
davon aus, daß es dem Willen des Verordnungsgebers entspricht, die Kartell-
streitigkeiten auch in zweiter Instanz zu konzentrieren (vgl. BGH WuW/E 1898,
1900
– Holzpaneele).
Geiß
Melullis
Ball
Tepperwien
Bornkamm