Urteil des BGH vom 23.08.2007

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VII ZB 115/06
vom
23. August 2007
in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 767 Abs. 1
Mit der prozessualen Gestaltungsklage analog § 767 Abs. 1 ZPO kann geltend ge-
macht werden, dass ein Urteil infolge eines Vergleichs wirkungslos geworden ist.
BGH, Beschluss vom 23. August 2007 - VII ZB 115/06 - OLG Karlsruhe
LG Karlsruhe
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. August 2007 durch die
Richter Dr. Kuffer, Prof. Dr. Kniffka und Bauner, die Richterin Safari Chabestari
und den Richter Dr. Eick
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des
8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 2. November
2006 aufgehoben.
Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss
des Landgerichts Karlsruhe vom 29. September 2006 wird zu-
rückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahrens.
Gründe:
I.
Die Parteien streiten um die Kosten des Rechtsstreits nach übereinstim-
mender Erledigungserklärung. Mit ihrer Klage wandte sich die Klägerin gegen
die Vollstreckung aus einem Versäumnisurteil, das durch einen späteren Ver-
gleich gegenstandslos geworden war.
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Die Parteien hatten zunächst vor dem Landgericht einen Rechtsstreit
umgekehrten Rubrums geführt. Der Beklagte des hiesigen Verfahrens hatte
dort gegen die Klägerin ein Versäumnisurteil erwirkt, wonach diese an den Be-
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klagten einen Betrag von 39.364,54 € nebst Zinsen zu bezahlen hatte. Aufgrund
des vorläufig vollstreckbaren Versäumnisurteils hatte der Beklagte die Oberge-
richtsvollzieherin H. mit der Zwangsvollstreckung gegen die Klägerin beauftragt
und einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erwirkt, durch den Ansprü-
che der Klägerin gegenüber ihrer Hausbank gepfändet und dem Beklagten zur
Einziehung überwiesen wurden. Nach fristgerechtem Einspruch ist das Verfah-
ren vor dem Landgericht im Einspruchstermin durch Vergleich beendet worden.
Im Vergleich verpflichtete sich die hiesige Klägerin, an den Beklagten einen Be-
trag von 16.250 € zu zahlen. Der hiesige Beklagte verpflichtete sich seinerseits,
sämtliche Pfändungsmaßnahmen unverzüglich einzustellen und dies der zu-
ständigen Gerichtsvollzieherin mitzuteilen.
Unter dem 19. Juni 2006 teilte der hiesige Beklagte sowohl den Vertre-
tern der Klägerin als auch der Bank mit, dass nur noch aus einem Betrag in Hö-
he von 16.250 € vollstreckt werde und dies auch der Gerichtsvollzieherin so
mitgeteilt worden sei. Sollte der Betrag eingetrieben sein, werde man die Voll-
streckungsmaßnahmen im Übrigen zurücknehmen. Am 5. und 6. Juli 2006 for-
derte die Klägerin den Beklagten telefonisch auf, noch am 6. Juli 2006 gegen-
über der Gerichtsvollzieherin und der Bank mitzuteilen, dass die Vollstre-
ckungsmaßnahmen als gegenstandslos zu betrachten seien. Dies ließ der Be-
klagte durch seinen Prozessbevollmächtigten zunächst ablehnen. Mit Schrift-
satz vom 7. Juli 2006 teilten die Bevollmächtigten des Beklagten den Rechts-
anwälten der Klägerin mit, dass sie die Pfändung zurücknehmen werden. Mit
Schriftsätzen vom 10. Juli 2006 nahm der Beklagte sowohl gegenüber der Bank
als auch gegenüber der Gerichtsvollzieherin jeweils die Pfändung aus dem Ver-
säumnisurteil zurück.
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Bereits am 6. Juli 2006 hat die Klägerin Vollstreckungsgegenklage beim
Landgericht eingereicht. Sie hat beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem
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Versäumnisurteil des Landgerichts für unzulässig zu erklären und den Beklag-
ten zu verurteilen, die ihm erteilte vollstreckbare Ausfertigung des Versäumnis-
urteils an die Klägerin herauszugeben. Der Beklagte hat Zurückweisung der
Vollstreckungsabwehrklage beantragt. Nach Aushändigung der vollstreckbaren
Ausfertigung des Versäumnisurteils an die Bevollmächtigten der Klägerin am
29. August 2006 hat die Klägerin am 30. August 2006 den Rechtsstreit in der
Hauptsache für erledigt erklärt. Dem hat der Beklagte mit Schriftsatz seiner
Prozessbevollmächtigten vom 27. September 2006 zugestimmt.
Das Landgericht hat dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufer-
legt, weil die gegen die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil gerichtete Voll-
streckungsabwehrklage zulässig und begründet gewesen sei. Auf die sofortige
Beschwerde des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Kosten des Rechts-
streits der Klägerin auferlegt. Dagegen richtet sich die vom Oberlandesgericht
zugelassene Rechtsbeschwerde der Klägerin.
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II.
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Ent-
scheidung und zur Zurückweisung der sofortigen Beschwerde des Beklagten.
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1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO mit Bindungswir-
kung für den Bundesgerichtshof zugelassene Rechtsbeschwerde ist statthaft
(vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2006 - VI ZB 63/03, NJW-RR 2004, 1717
m.w.N.) und auch im Übrigen zulässig.
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2. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, die Vollstreckungsgegen-
klage nach § 767 ZPO sei nicht der richtige Rechtsbehelf und daher mangels
Rechtsschutzinteresses unzulässig gewesen. Die Klägerin habe sich mit ihrer
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Klage gegen einen nicht mehr existierenden Titel gewandt, weil das für vorläufig
vollstreckbar erklärte Versäumnisurteil durch den vor dem Landgericht ge-
schlossenen Vergleich wirkungslos geworden sei. Zwar habe der Bundesge-
richtshof in seiner Entscheidung vom 16. Juli 2004 (IXa ZB 326/03, NJW-RR
2004, 1718) den Grundsatz aufgestellt, der Schuldner habe ein Wahlrecht,
wenn die Voraussetzungen sowohl des § 732 ZPO als auch die der Vollstre-
ckungsgegenklage in entsprechender Anwendung des § 767 ZPO vorlägen.
Dieser Grundsatz gelte nach der zitierten Entscheidung aber nur, wenn es mög-
lich sei, mit einer Vollstreckungsgegenklage eine weitere Klage in entsprechen-
der Anwendung des § 767 ZPO (prozessuale Gestaltungsklage) zu verbinden.
Das sei aber nur dann der Fall, wenn gegen den Titel tatsächlich auch materiel-
le Einwendungen erhoben würden. Gehe es dem Schuldner lediglich darum, die
Wirkungslosigkeit des Titels feststellen zu lassen, stehe ihm ausschließlich die
Klauselerinnerung nach § 732 ZPO zur Verfügung.
3. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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a) Die fehlende Vollstreckungsfähigkeit des Titels kann mit der prozes-
sualen Gestaltungsklage analog § 767 ZPO geltend gemacht werden, ohne
dass ein Rechtsschutzinteresse wegen der Möglichkeit, dies mit der Klauseler-
innerung nach § 732 ZPO geltend zu machen, zu verneinen wäre (BGH, Urteil
vom 7. Dezember 2005 - XII ZR 94/03, BGHZ 165, 223; Beschluss vom 16. Juli
2004 - IXa ZB 326/03, NJW-RR 2004, 1718; Urteil vom 10. März 2004 - IV ZR
143/03, NJW-RR 2004, 1275; Urteil vom 2. Dezember 2003 - XI ZR 421/02,
VersR 2004, 839; Urteil vom 27. September 2001 - VII ZR 388/00, BauR 2002,
83 = NZBau 2002, 25 = ZfBR 2002, 63; Urteil vom 18. November 1993 - IX ZR
244/92, BGHZ 124, 164, 170 ff). Die prozessuale Gestaltungsklage kann mit
einer Vollstreckungsgegenklage, die sich auf materiell-rechtliche Einwendungen
stützt, verbunden werden. Ihre Zulässigkeit hängt entgegen der Auffassung des
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Berufungsgerichts jedoch nicht davon ab, dass sie gemeinsam mit einer Voll-
streckungsgegenklage erhoben wird. Für eine derartige einschränkende Vor-
aussetzung fehlt jeglicher sachliche Grund.
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b) Mit der prozessualen Gestaltungsklage kann auch die Wirkungslosig-
keit eines Titels infolge eines Vergleichs geltend gemacht werden. Auch wenn
das Versäumnisurteil durch Abschluss des Vergleichs im Einspruchsverfahren
ohne gerichtlichen Ausspruch seine Wirksamkeit verloren hat, stellt es weder
ein Nichturteil noch ein nichtiges (wirkungsloses) Urteil dar. Es besitzt weiter
den Rechtsschein der Vollstreckungsfähigkeit. Da es der Sache nach um die
Vollstreckungsfähigkeit des vorläufig vollstreckbaren Titels geht und diese nach
der Systematik der Zivilprozessordnung nur im Wege einer Vollstreckungsge-
genklage beseitigt werden kann, rechtfertigt sich die analoge Anwendung des
§ 767 ZPO (BGH, Urteil vom 18. November 1993 - IX ZR 244/92, BGHZ 124,
164, 170 ff).
4. Die Kostenentscheidung des Landgerichts hält der allein gebotenen
summarischen rechtlichen Nachprüfung stand. Die Zwangsvollstreckung aus
dem vorläufig vollstreckbaren Versäumnisurteil war durch Abschluss des nach-
folgenden Vergleichs im Einspruchstermin unzulässig geworden, weil der Ver-
gleich dem Versäumnisurteil ohne weiteres die Wirkung und damit die formelle
Vollstreckungsfähigkeit genommen hatte, ohne dass es dazu eines gerichtli-
chen Ausspruchs bedurfte. Der Prozessvergleich beendet im Umfang der Ver-
einbarung über den Streitgegenstand den Rechtsstreit und die Rechtshängig-
keit (Lackmann in Musielak, ZPO, 5. Aufl. § 794, Rdn. 19; MünchKommZPO/
Wolfsteiner, 3. Aufl., § 794, Rdn. 72; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl.
§ 794, Rdn. 26 ff.). Urteile, die im Rechtsstreit ergangen, aber noch nicht
rechtskräftig sind, werden daher ohne weiteres wirkungslos, wenn die Parteien
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keine anderen Vereinbarungen treffen, etwa, dass aus dem Urteil weiter voll-
streckt werden dürfe.
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Eine solche Vereinbarung haben die Parteien dieses Rechtsstreits nicht
getroffen; vielmehr heißt es unter Ziffer 2 des Vergleiches ausdrücklich, dass
der Kläger sich verpflichtet, sämtliche Pfändungsmaßnahmen unverzüglich ein-
zustellen und dies der zuständigen Gerichtsvollzieherin mitzuteilen. Dieser Ver-
einbarung ist zu entnehmen, dass das Versäumnisurteil keine Grundlage für die
Zwangsvollstreckung mehr sein soll.
Die Anwendung des Rechtsgedankens aus § 93 ZPO kommt nicht in Be-
tracht. Der Beklagte hat Anlass zur Klage gegeben. Er war mehrfach von den
Prozessbevollmächtigten der Klägerin aufgefordert worden, Pfändungsmaß-
nahmen einzustellen, Zwangsvollstreckungsanträge zurückzunehmen und die
vollstreckbare Ausfertigung des Versäumnisurteils herauszugeben. Dem ist er
trotz seiner Verpflichtung aus dem Vergleich bis zur Erhebung der Vollstre-
ckungsgegenklage nicht nachgekommen.
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III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Kuffer Kniffka Bauner
Safari
Chabestari
Eick
Vorinstanzen:
LG Karlsruhe, Entscheidung vom 29.09.2006 - 11 O 86/06 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 02.11.2006 - 8 W 87/06 -