Urteil des BGH vom 28.06.2005
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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 119/05
vom
28. Juni 2005
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. Juni
2005, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Maatz
als Vorsitzender,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1.
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des
Landgerichts Rostock vom 7. Dezember 2004 wird ver-
worfen.
2.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten des unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem
Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 13 Fällen, des uner-
laubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 68 Fällen sowie des unerlaub-
ten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 14 Fällen
schuldig gesprochen und ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren
und drei Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es den Verfall von Wertersatz
in Höhe von 10.000 Euro angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte
die Verletzung sachlichen Rechts.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die Überprüfung des Schuldspruchs
hat - wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend ausgeführt hat
- keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Auch der
Rechtsfolgenausspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand.
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1. Zu Unrecht rügt die Revision, das Landgericht habe bei der gemäß
§ 31 Nr. 1 BtMG vorgenommenen Strafmilderung nicht berücksichtigt, daß der
Angeklagte durch die freiwillige Offenbarung seines Wissens über weitere ge-
plante Betäubungsmittelstraftaten, die schließlich zur Sicherstellung von 8 kg
Haschisch und 100 g Kokain geführt hat, auch die Voraussetzungen des § 31
Nr. 2 BtMG erfüllt hat. Liegen sowohl die Voraussetzungen des § 31 Nr. 1
BtMG als auch die des § 31 Nr. 2 BtMG vor, so hat der Tatrichter unter Berück-
sichtigung beider Strafmilderungsgründe im Wege einer einheitlichen Ermes-
sensentscheidung darüber zu befinden, ob und gegebenenfalls in welcher Wei-
se und Umfang er von der Milderungsmöglichkeit nach § 49 Abs. 2 StGB Ge-
brauch macht. Dem hat das Landgericht entsprochen. Zwar hat es die Bestim-
mung des § 31 Nr. 2 BtMG nicht explizit genannt; es hat jedoch den Gesichts-
punkt, daß durch den Hinweis des Angeklagten auf einen Rauschgifthändler
die genannten Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten, bei seiner Ent-
scheidung nach § 31 BtMG ausdrücklich berücksichtigt.
2. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts unterliegt der
Strafausspruch auch nicht deshalb der Aufhebung, weil sich die Urteilsgründe
nicht zu einer (möglichen) rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung (vgl.
Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) verhalten.
Nach nunmehr übereinstimmender Rechtsprechung der Strafsenate des
Bundesgerichtshofs muß ein Revisionsführer, der das Vorliegen einer Art. 6
Abs. 1 Satz 1 MRK verletzenden Verfahrensverzögerung geltend machen will,
grundsätzlich eine Verfahrensrüge erheben (vgl. BGH, Beschluß vom 11. No-
vember 2004 – 5 StR 376/03, NJW 2005, 518 in Erledigung des Anfragebe-
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schlusses vom 13. November 2003, NStZ 2004, 639). Eine solche liegt jedoch
nicht vor.
Wird lediglich - wie hier - die Verletzung sachlichen Rechts gerügt, so
unterliegt die Frage, ob ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK vorliegt,
nur dann der revisionsrechtlichen Überprüfung, wenn sich entweder die Verfah-
rensverzögerung aus den Urteilsgründen - gegebenenfalls unter Heranziehung
der vom Revisionsgericht von Amts wegen zur Kenntnis zu nehmenden Verfah-
renstatsachen - ergibt oder aber die Urteilsgründe jedenfalls ausreichende An-
haltspunkte enthalten, die das Tatgericht zur Prüfung einer solchen Verfah-
rensverzögerung drängen mußten (vgl. BGH aaO). Keine dieser Vorausset-
zungen ist hier gegeben.
Den Urteilsgründen kann zum Verfahrensgang lediglich entnommen
werden, daß der Angeklagte unmittelbar nach Begehung der letzten Tat am
23. Januar 2002 festgenommen worden ist und bei einer polizeilichen Verneh-
mung mit umfassenden Angaben zu den Tatbeiträgen von insgesamt fünf wei-
teren Tätern zu bedeutenden Aufklärungserfolgen beigetragen hat. Er wurde
nicht in Haft genommen. Am 14. Oktober 2004 erfolgte die Anklageerhebung
wegen der verfahrensgegenständlichen 95 Taten. Am 12. November 2004 wur-
de die Anklage zugelassen, am 7. Dezember 2004 erging nach einer eintägi-
gen Hauptverhandlung das angefochtene Urteil.
Diese Feststellungen belegen für sich gesehen nicht bereits das Vorlie-
gen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung. Bei einer Gesamtver-
fahrensdauer von etwas über zwei Jahren und zehn Monaten liegt hier ein Ver-
stoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK auch unter Berücksichtigung des Um-
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standes, daß der Angeklagte den Schuldvorwurf - zu einem in den Urteilsgrün-
den nicht konkret festgestellten Zeitpunkt - eingeräumt hat, nicht einmal nahe.
Die Urteilsgründe zeigen auch keine Umstände auf, die das Landgericht zur
Prüfung der Frage einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung drängen
mußten. Nach den Urteilsfeststellungen kommen mannigfache Gründe in Be-
tracht, die - selbst im Falle eines umfassenden Geständnisses des Angeklag-
ten unmittelbar nach seiner Festnahme - eine längere Verfahrensdauer erklä-
ren können. Insbesondere sind die der Verurteilung zugrunde liegenden Sach-
verhalte nicht einfach gelagert. Vielmehr verteilen sich die festgestellten 95
Einzeltaten auf einen Tatzeitraum von ca. 1 ½ Jahren sowie auf sieben unter-
schiedlich beschaffene Tatkomplexe mit jeweils wechselnden Tatbeteiligten. Es
liegt daher nahe, daß - auch bei einem Geständnis des Angeklagten - weitere,
unter Umständen zeitaufwendige Ermittlungen zur Aufklärung der Einbindung
des Angeklagten in den ihm angelasteten Drogenhandel durchzuführen waren.
Ersichtlich ist dies auch geschehen, da dem Urteil entnommen werden kann,
daß es infolge der Angaben des Angeklagten zu rechtskräftigen Verurteilungen
weiterer Tatbeteiligter gekommen ist. Diese Ermittlungen haben sich schließ-
lich auch zu Gunsten des Angeklagten ausgewirkt, denn das Landgericht hat
dem Angeklagten gerade den durch seine Angaben bewirkten weiteren Aufklä-
rungserfolg nach § 31 BtMG in erheblichem Umfang strafmildernd zugute ge-
bracht.
3. Das Urteil läßt auch im übrigen zum Rechtsfolgenausspruch keinen
durchgreifenden Rechtsfehler erkennen. Zwar hat das Landgericht nicht be-
dacht, daß - teilweise - eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung zwischen den
Taten zu II. 14 bis 59 der Urteilsgründe (Tatzeitraum Juli 2000 bis 22. Mai
2001) mit der in den Urteilsgründen angesprochenen Verurteilung des Ange-
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klagten durch das Amtsgericht Rostock "im Jahr 2000 wegen Diebstahls zu
einer Geldstrafe" in Betracht kam. Der Senat kann eine entsprechende Prüfung
auch nicht selbst vornehmen, da dem Urteil weder das genaue Datum der Vor-
verurteilung entnommen werden kann noch dieses Aufschluß darüber gibt, ob
die verhängte Strafe vor Erlaß des landgerichtlichen Urteils im Sinne des § 55
Abs. 1 Satz 1 StGB noch nicht erledigt war. Er kann jedoch nach Sachlage aus-
schließen, daß der Angeklagte durch die (möglicherweise) unterbliebene nach-
trägliche Gesamtstrafenbildung, die aufgrund der Zäsurwirkung der Vorverur-
teilung die Verhängung von zwei Gesamtfreiheitsstrafen nach sich gezogen
hätte, beschwert ist.
Maatz Kuckein Athing
Ernemann Sost-Scheible