Urteil des BGH vom 30.01.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 74/11
vom
30. Januar 2013
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
VersAusglG § 48 Abs. 2; FGG-RG Art. 111 Abs. 3
Für die Frage der Anwendung des vor oder nach dem 1. September 2009 gel-
tenden materiellen und formellen Rechts zum Versorgungsausgleich steht das
bloße Nichtbetreiben eines Verfahrens nicht einer gerichtlichen Anordnung über
das Ruhen des Verfahrens gleich.
BGH, Beschluss vom 30. Januar 2013 - XII ZB 74/11 - OLG Stuttgart
AG Reutlingen
- 2 -
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Januar 2013 durch den
Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schilling, Dr. Günter, Dr. Nedden-
Boeger und Dr. Botur
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der Be-
schluss des 18. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesge-
richts Stuttgart vom 2. Februar 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Be-
schwerdegericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 2.000
Gründe:
I.
Die Parteien streiten über den Versorgungsausgleich.
Auf den am 21. April 2008 zugestellten Antrag hat das Familiengericht
die am 22. März 1996 geschlossene Ehe der Antragstellerin (Ehefrau) und des
Antragsgegners (Ehemann) - insoweit rechtskräftig - durch Verbundbeschluss
vom 11. August 2010 geschieden und den Versorgungsausgleich auf der
Grundlage des seit 1. September 2009 geltenden Rechts geregelt.
Auf die Beschwerde der Ehefrau hat das Oberlandesgericht die Ent-
scheidung zum Versorgungsausgleich - ebenfalls unter Anwendung des seit
1
2
3
- 3 -
1. September 2009 geltenden Rechts - abgeändert. Hiergegen richtet sich die
zugelassene Rechtsbeschwerde des Ehemanns.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung
der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Be-
schwerdegericht.
Entgegen der Annahme des Oberlandesgerichts ist auf das Verfahren
gemäß Art. 111 Abs. 1, 3, 4 FGG-RG, § 48 Abs. 1, 2 VersAusglG noch das bis
Ende August 2009 geltende Verfahrensrecht und materielle Recht anzuwenden,
weil das Verfahren vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist und weil es we-
der am 1. September 2009 noch danach abgetrennt oder ausgesetzt und das
Ruhen nicht angeordnet war (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Mai 2011
- XII ZB 139/09 - FamRZ 2011, 1287 mwN).
Zwar hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Amtsgerichts mit
Aktenvermerk vom 9. Dezember 2009 festgestellt, dass das Verfahren seit
sechs Monaten nicht betrieben sei und deshalb gemäß § 7 Abs. 3 AktO als er-
ledigt gelte. Dies steht jedoch der Anordnung eines Ruhens des Verfahrens im
Sinne des Art. 111 Abs. 3 FGG-RG und des § 48 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG nicht
gleich.
Der ursprüngliche Gesetzentwurf, nach dem das neue materielle Recht
anzuwenden sei, wenn das Verfahren nach dem Tag seines Inkrafttretens "ent-
weder wieder aufgenommen oder sonst weiterbetrieben werde" (BT-Drucks.
16/10144 S. 16, 86), wurde im Gesetzgebungsverfahren dahin abgeändert,
dass nur ein Ruhen auf der Grundlage einer formellen gerichtlichen Entschei-
4
5
6
7
- 4 -
dung einen Wechsel des materiellen und formellen Rechts bewirken solle, wäh-
rend ein solcher Wechsel nicht an bloße faktische, gerichtsinterne Vorgänge
anknüpfen solle, die für die Verfahrensbeteiligten nicht ohne weiteres erkennbar
seien (BT-Drucks. 16/11903 S. 23, 57, 61 f.; BT-Drucks. 16/10144 S. 127; vgl.
bereits OLG Celle FamRZ 2011, 587). An der danach erforderlichen formellen
gerichtlichen Entscheidung über das Ruhen des Verfahrens, die allein den
Wechsel des anwendbaren Rechts bewirken könnte, fehlt es im vorliegenden
Fall.
Das Oberlandesgericht wird den Versorgungsausgleich insgesamt nach
dem bis zum 1. September 2009 geltenden Recht durchzuführen haben, da die
vollständige interne Teilung der in der gesetzlichen Rentenversicherung ehe-
zeitlich erworbenen Anwartschaften - auch wenn sie mit der Beschwerde und
Rechtsbeschwerde nicht angegriffen ist - neben einem möglichen erweiterten
Splitting nach § 3 b Abs. 1 Nr. 1 VAHRG bezüglich der in der Lebensversiche-
rung erworbenen Anrechte keinen Bestand haben kann.
Dose
Schilling
Günter
Nedden-Boeger
Botur
Vorinstanzen:
AG Reutlingen, Entscheidung vom 11.08.2010 - 2 F 416/08 -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 02.02.2011 - 18 UF 257/10 -
8