Urteil des BGH vom 02.05.2006
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 137/06
Verkündet
am:
7. März 2007
Heinekamp
Justizhauptsekretär
als
Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
AUB 95 § 7 I (1)
Zu den Anforderungen an eine ärztliche Feststellung als Voraussetzung für den
Anspruch auf Invaliditätsleistung nach § 7 I (1) AUB 95.
BGH, Urteil vom 7. März 2007 - IV ZR 137/06 - OLG Karlsruhe
LG Baden-Baden
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsit-
zenden Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung
vom 7. März 2007
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten und unter Zurückweisung
der Anschlussrevision des Klägers wird das Urteil des
12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom
2. Mai 2006 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben,
als es zum Nachteil der Beklagten ergangen ist.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landge-
richts Baden-Baden vom 2. April 2004 wird insgesamt zu-
rückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Unfallversicherung,
der unter anderem die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen
(AUB 95) zugrunde liegen.
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Am 7. April 1997 war er Fahrgast in einem Taxi, dessen Fahrerin
einen Verkehrsunfall verschuldete. Der Kläger zog sich neben verschie-
denen Prellungen und Schürfungen eine Hüftpfannenfraktur links zu, die
den stationären Aufenthalt in einem Krankenhaus bis zum 16. April 1997
erforderte. Nach seiner Darstellung leidet der Kläger seit dem Unfall un-
ter Schmerzattacken, Kopfschmerzen, Schwindel und Konzentrationsstö-
rungen; zudem habe sich eine Depression entwickelt, die Folge der or-
ganischen Verletzung sei. Wegen des Hüftschadens und einer darauf be-
ruhenden Invalidität von 10% zahlte die Beklagte an den Kläger
33.000 DM (16.872,63 €). Weitere Versicherungsleistungen lehnte sie
unter Hinweis auf § 2 Abs. 4 AUB 95 ab, der "krankhafte Störungen in-
folge psychischer Reaktionen" vom Versicherungsschutz ausnehme,
gleichgültig wodurch diese verursacht seien.
Das Landgericht hat die Klage auf Zahlung einer Invaliditätsent-
schädigung in Höhe weiterer 1.467.000 DM (750.065,19 €), einer Invali-
ditätsrente von 1.500 DM (766,94 €) monatlich für die Zeit von April 1997
bis Februar 2000 und auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten
zur Zahlung einer monatlichen Rente in gleicher Höhe ab März 2000
- jeweils nebst Zinsen - abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat dem
Kläger die Invaliditätsrente im begehrten Umfang und eine Invaliditäts-
entschädigung in Höhe weiterer 236.216,84 € zzgl. Zinsen zuerkannt,
wobei es von einem Invaliditätsgrad in Höhe von 50 % ausgegangen ist.
Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision. Der Kläger hat
sich dem Rechtsmittel angeschlossen und erstrebt eine Verurteilung der
Beklagten zur Zahlung einer Invaliditätsentschädigung in voller Höhe.
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Entscheidungsgründe:
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Die Revision der Beklagten hat Erfolg, während die Anschlussrevi-
sion des Klägers als unbegründet zurückzuweisen war.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die beim Kläger aufgetre-
tene Depression und seine damit zusammenhängenden Beschwerden
seien von § 2 IV AUB 95 nicht erfasst. Die Ausschlussklausel beziehe
sich nicht auf psychische Störungen, welche sich durch eine unfallbe-
dingte organische Beeinträchtigung erklären ließen, auch wenn im Ein-
zelfall das Ausmaß, in dem sich die organische Ursache auswirke, von
der psychischen Verarbeitung durch den Versicherten abhänge. Stehe
- wie hier - eine unfallbedingte Invalidität fest, müsse der Versicherer für
die geltend gemachte Leistungsfreiheit beweisen, dass und in welchem
Umfang äußere Einwirkungen auf die Psyche oder eine psychische Fehl-
verarbeitung den krankhaften Zustand hervorgerufen hätten. Nach den
überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des gerichtlichen
Sachverständigen könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass die
- als solche unstreitige - Depression auf der körperlichen Primärverlet-
zung und deren Folgen, insbesondere der damit verbundenen zeitweili-
gen Immobilität, beruhe, ohne dass sich insoweit eine psychische Fehl-
verarbeitung feststellen lasse.
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Auch
die
Voraussetzungen des § 7 I (1) AUB 95 für die begehrten
Invaliditätsleistungen seien gegeben. Die Invalidität, die sich aus der
Depression entwickelt habe, sei binnen Jahresfrist eingetreten. Das Vor-
liegen einer Dauerfolge sei vom Versicherungsnehmer dann nachgewie-
sen, wenn der sich nach einem Jahr ergebende unfallbedingte Zustand
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nach Ablauf von drei Jahren - unbeschadet gradueller Unterschiede -
noch immer vorhanden sei und sich sein Ende nicht absehen lasse. Die
dazu vernommenen Zeugen hätten übereinstimmend geschildert, dass
sie zeitnah zum Unfallereignis vom 7. April 1997 eine Wesensverände-
rung und eine deutlich eingeschränkte Leistungsfähigkeit beim Kläger
beobachtet hätten. Der den Kläger behandelnde Arzt für Neurologie und
Psychiatrie, der Zeuge D. , habe bereits am 26. Juni 1998 die
Diagnose einer depressiven Störung gestellt. Der Arzt Dr. I. sei
davon ausgegangen, dass dieser Zustand auf nicht absehbare Zeit (min-
destens über drei Jahre) andauern werde. Diese ärztliche Prognose ha-
be sich als zutreffend herausgestellt; aufgrund der eingetretenen Chroni-
fizierung habe sich der Zustand des Klägers während der maßgeblichen
Dreijahresfrist sogar noch verschlechtert.
Die Invalidität sei binnen 15 Monaten nach dem Unfall ärztlich
festgestellt und - unstreitig - innerhalb dieser Frist beim Versicherer gel-
tend gemacht worden. Die Invaliditätsbescheinigung des Zeugen
Dr. I. vom 26. Juni 1998 nenne als die Invalidität verursachende
Funktionsstörungen ständige Cephalgie, Gedächtnisreduzierung sowie
Schmerzen in der linken Hüfte und der Lendenwirbelsäule. Zwar werde
eine Depression in der Invaliditätsbescheinigung nicht ausdrücklich auf-
geführt. Die Feststellungswirkungen der ärztlichen Bescheinigung seien
indes nicht eng auszulegen, da sie lediglich den vom Arzt benannten
Verletzungsbereich beschränkten. Bei den in der ärztlichen Bescheini-
gung beschriebenen Funktionsstörungen und der später diagnostizierten
Depression handele es sich zweifelsfrei um denselben Defekt, zumal
Cephalgie und Gedächtnisreduzierung oftmals im Zusammenhang mit ei-
ner Depression aufträten.
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Allerdings sei aufgrund des Gutachtens des ärztlichen Sachver-
ständigen eine Gesamtinvalidität von lediglich 50% anzunehmen. Das
ergebe unter Berücksichtigung der vereinbarten progressiven Invalidi-
tätsstaffel, eines Treuebonus und unter Abzug der bereits erhaltenen
Versicherungsleistung eine neben der Unfallrente zu zahlende Invalidi-
tätsentschädigung von 236.216,84 €.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Dabei kann dahin-
gestellt bleiben, ob das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde
legen durfte, dass binnen Jahresfrist eine über den Hüftgelenkschaden
hinausgehende unfallbedingte Invalidität eingetreten ist. Es fehlt jeden-
falls an der Anspruchsvoraussetzung (BGHZ 137, 174, 176) einer inner-
halb weiterer drei Monate ärztlich festgestellten Invalidität.
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1. Nach § 7 I (1) Abs. 2 AUB 95 genügt das Vorliegen einer durch
den Unfall verursachten dauernden Beeinträchtigung der körperlichen
oder geistigen Leistungsfähigkeit, wie hier vom Kläger für die Depression
als unfallbedingter Dauerschaden geltend gemacht, für sich allein nicht.
Es bedarf für den Anspruch auf Invaliditätsleistung zusätzlich der Beach-
tung bestimmter Fristen. So muss die Invalidität binnen eines Jahres
nach dem Unfall eingetreten und innerhalb von 15 Monaten ärztlich fest-
gestellt worden sein. Das dient dem berechtigten Interesse des Versiche-
rers an der baldigen Klärung seiner Einstandspflicht und führt selbst
dann zum Ausschluss von Spätschäden, wenn den Versicherungsnehmer
an der Nichteinhaltung der Frist kein Verschulden trifft. Auch eine Leis-
tungsablehnung des Versicherers ändert nichts daran, dass der An-
spruch des Versicherungsnehmers nicht entsteht, wenn die Invalidität
nicht fristgerecht ärztlich festgestellt worden ist (vgl. Senatsurteil vom
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27. Februar 2002 - IV ZR 238/00 - VersR 2002, 472 unter 1 c a.E.; Be-
schluss vom 23. Oktober 2002 - IV ZR 154/02 - VersR 2002, 1578 unter
3). Allerdings sind an die Feststellung der Invalidität keine hohen Anfor-
derungen zu stellen. So muss sie sich nicht abschließend zu einem be-
stimmten Invaliditätsgrad äußern. Die Feststellung der Unfallbedingtheit
eines bestimmten Dauerschadens braucht noch nicht einmal richtig zu
sein und dem Versicherer auch nicht innerhalb der Frist zuzugehen, so-
fern sie nur fristgerecht getroffen worden ist (vgl. Senatsurteil vom
16. Dezember 1987 - IVa ZR 195/86 - VersR 1988, 286 unter 2 b; BGHZ
aaO S. 177). In dieser Auslegung hält die Fristenregelung einer sachli-
chen Inhaltskontrolle stand (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB; BGHZ
aaO S. 175 ff.). Sie wird überdies dem Maßstab des Transparenzgebotes
gerecht (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB; BGHZ 162, 210, 214 ff.).
2. Aus der Invaliditätsfeststellung müssen sich aber die ärztlicher-
seits dafür angenommene Ursache und die Art ihrer Auswirkungen erge-
ben. Denn die Invaliditätsbescheinigung soll dem Versicherer Gelegen-
heit geben, dem geltend gemachten Versicherungsfall nachzugehen und
seine Leistungspflicht auf Grundlage der ärztlichen Feststellung zu prü-
fen. Zugleich soll sie eine Ausgrenzung von Spätschäden ermöglichen,
die in der Regel nur schwer abklärbar und überschaubar sind und die der
Versicherer deshalb von der Deckung ausnehmen will (Senatsurteil vom
16. Dezember 1987 aaO). Deshalb können nur die in der ärztlichen Inva-
liditätsfeststellung beschriebenen unfallbedingten Dauerschäden Grund-
lage des Anspruchs auf Invaliditätsentschädigung sein.
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Daraus folgt: Erforderlich ist die Angabe eines konkreten, die Ar-
beitsfähigkeit des Versicherten beeinflussenden Dauerschadens (BGHZ
130, 171, 178). Allein das wird den berechtigten Interessen des Versi-
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cherers gerecht, die dieser an der zeitnahen Klärung seiner Leistungs-
pflicht hat. Nur einem Dauerschaden, zu dessen Ursache und Auswir-
kungen sich die Bescheinigung bereits verhält, kann der Versicherer
nachgehen. Führt die ärztliche Bescheinigung hingegen einen Dauer-
schaden, auf den sich der Versicherungsnehmer später für seinen An-
spruch auf Invaliditätsleistung beruft, noch gar nicht auf, kann der mit der
Regelung in § 7 I (1) Abs. 2 AUB 95 verfolgte Zweck nicht erreicht wer-
den. Der Versicherer hat für diesen Fall keinen Anlass, den Sachverhalt
weiter abzuklären, weil ihm der Dauerschaden, den der Versicherungs-
nehmer später geltend macht, durch die ärztliche Feststellung nicht be-
kannt wird. Umgekehrt kann der Versicherungsnehmer nicht davon aus-
gehen, dass eine ärztliche Bescheinigung, die (nur) einen bestimmten
Dauerschaden benennt, ihn davon enthebt, einen weiteren, dort nicht
aufgeführten Dauerschaden, der nach seiner Auffassung zusätzlich vor-
liegt, ärztlich feststellen zu lassen.
Dem Senatsurteil vom 16. Dezember 1987 (aaO) ist Entgegenste-
hendes nicht zu entnehmen. Die Entscheidung befasst sich lediglich mit
der Frage, ob die auf einen konkreten Dauerschaden bezogene ärztliche
Feststellung der Unfallbedingtheit richtig sein muss, um den Anforderun-
gen des § 7 I (1) Abs. 2 AUB 95 zu genügen. Aus ihr folgt nicht, dass die
betreffende Anspruchsvoraussetzung auch gewahrt ist, wenn die ärztli-
che Feststellung unvollständig ist, weil sie einen (weiteren) Dauerscha-
den nicht benennt, oder ihr deshalb die inhaltliche "Richtigkeit" fehlt, weil
an die Stelle des dort angeführten Dauerschadens später ein anderer
Dauerschaden tritt, der von dem feststellenden Arzt als solcher nicht er-
kannt worden ist.
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3.
Diesen
Anforderungen genügen die beiden ärztlichen Stellung-
nahmen vom 26. Juni 1998 nicht. Sie enthalten keine auf eine Depressi-
on als Dauerschaden bezogene und auf objektiven Befunden beruhende
ärztliche Prognose, dass als Unfallfolge eine dauernde Beeinträchtigung
der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit gegeben ist. Die Stel-
lungnahme des Zeugen D. beschränkt sich auf die Darstellung
der von ihm erhobenen psychischen Befunde und die Diagnose einer de-
pressiven Störung. Sie beschreibt aber keinen Dauerschaden und zieht
nicht den wertenden und für die ärztliche Feststellung zwingend erforder-
lichen Schluss auf Invalidität. Die Invaliditätsbescheinigung des Zeugen
Dr. I. besagt nichts über eine Depression als unfallbedingten
Dauerschaden. Dem Kläger werden lediglich eine Cephalgie (Kopf-
schmerz) und Gedächtnisreduzierung bescheinigt, was entgegen der
Auffassung des Berufungsgerichts mit einer Depression nicht gleichzu-
setzen ist und auch keinen Rückschluss auf das Vorliegen eines solchen
Dauerschadens zulässt.
Die Depression als Invalidität begründender Dauerschaden ist so-
mit nicht ärztlich festgestellt. Die Bescheinigungen haben der Beklagten
als Versicherer keinen Anlass gegeben, über die körperlichen Unfallfol-
gen hinaus eine Beeinträchtigung auch der geistigen Leistungsfähigkeit
abzuklären. Sie sind daher zur Ausgrenzung von - dem Versicherungs-
schutz nicht unterfallenden - Spätschäden nicht geeignet.
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Schon daran scheitert der Anspruch des Klägers auf die begehrten
Versicherungsleistungen; auf weiteres kommt es nicht an.
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch
Vorinstanzen:
LG Baden-Baden, Entscheidung vom 02.04.2004 - 2 O 95/00 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 02.05.2006 - 12 U 192/04 -