Urteil des BGH vom 27.10.2004

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 106/04
vom
27. Oktober 2004
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 8
Zur Anwendbarkeit des § 8 ZPO (Wertberechnung) bei einem Streit über das Beste-
hen oder die Dauer eines miet- oder pachtähnlichen Nutzungsverhältnisses.
BGH, Beschluß vom 27. Oktober 2004 - XII ZB 106/04 - OLG Rostock
LG Stralsund
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Oktober 2004 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Prof. Dr. Wagenitz,
Fuchs und Dr. Ahlt
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des 3. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Rostock vom 5. April 2004 wird auf Ko-
sten der Klägerin als unzulässig verworfen.
Beschwerdewert: bis 300 €
Gründe:
I.
Die Klägerin verlangte mit ihrer Klage Herausgabe des unbebauten Teils
eines etwa 90 m² großen Grundstücks, und zwar in erster Linie aus Eigentum,
hilfsweise aus einem gekündigten Nutzungsverhältnis.
Dem gegenüber berief sich der Beklagte auf ein Recht zum Besitz aus
einem Vertrag mit der früheren Grundstückseigentümerin, in den die Klägerin
als Erwerberin des Grundstücks eingetreten sei. Gemäß einer nur von der frü-
heren Grundstückseigentümerin unterschriebenen "Zustimmungserklärung"
vom 10. Dezember 1990 sei er entweder als neuer Nutzer in deren Vertrag vom
20. März 1985 mit dem VEB W. H. eingetreten, oder er habe mit
der früheren Eigentümerin einen neuen Vertrag zu den Bedingungen des frühe-
ren Vertrages geschlossen.
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Mit dem als "Nutzungsvertrag" bezeichneten Vertrag hatte die frühere
Grundstückseigentümerin dem VEB das Grundstück gegen ein jährliches Nut-
zungsentgelt von 22,50 Mark (DDR) zur Nutzung durch teilweise Überbauung
mit einem Lagergebäude überlassen. Nach Maßgabe des Vertrages sollte das
unbefristete Nutzungsverhältnis nur durch Vereinbarung der Vertragspartner
beendet werden können.
Das Landgericht wies die Klage mit der Begründung ab, wegen des ver-
einbarten Kündigungsausschlusses habe die Klägerin das zwischen ihr und
dem Beklagten bestehende Pachtverhältnis nicht durch die von ihr ausgespro-
chene Kündigung beenden können.
Die dagegen eingelegte Berufung der Klägerin verwarf das Berufungsge-
richt durch Beschluß als unzulässig, weil der Wert des Beschwerdegegenstan-
des 600 € nicht übersteige (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Die Beschwer belaufe sich
nach § 8 ZPO höchstens auf den 25-fachen Betrag der Jahresmiete von
22,50 DM = 562,50 DM (287,60 €).
Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 522 Abs. 1 Satz 3 ZPO statthaft, aber
nicht zulässig, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch
eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts
oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist, § 574
Abs. 2 ZPO.
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1. Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend erkennt, ist § 8 ZPO auch dann
anzuwenden, wenn eine Herausgabeklage auf Eigentum gestützt wird und der
Beklagte ein Miet- oder Pachtverhältnis einwendet, dessen Bestand oder Dauer
streitig ist (vgl. BGH, Beschluß vom 7. November 2002 - LwZR 9/02 -
BGHReport 2003, 757 f.).
2. Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde jedoch geltend, die Be-
schwer sei hier nach § 6 ZPO zu bemessen, weil § 8 ZPO nur auf einen Streit
über das Bestehen oder die Dauer eines Miet- oder Pachtverhältnisses anzu-
wenden sei, nicht aber auf einen Streit über das Bestehen oder die Dauer eines
sonstigen Nutzungsverhältnisses, das einem Miet- oder Pachtverhältnis nur
ähnlich sei. Die vom Berufungsgericht gegebene Begründung sei daher unzu-
treffend und birgt die Gefahr einer Verallgemeinerung dahingehend, daß § 8
ZPO auf alle sonstigen Nutzungsverhältnisse anzuwenden sei. Zudem verletze
die angefochtene Entscheidung das Verfahrensgrundrecht der Klägerin auf wir-
kungsvollen Rechtsschutz, indem sie ihr eine Sachprüfung durch die zweite
Instanz verwehre.
a) Für die Bemessung der Beschwer nach § 8 ZPO ist es ohne Bedeu-
tung, ob ein Vertrag als Mietvertrag oder Pachtvertrag zu qualifizieren ist (vgl.
Senatsurteil vom 20. Dezember 1995 - XII ZR 244/94 - WM 1996, 1064 ff.). Die
entgeltliche Überlassung eines Grundstücks ist jedenfalls regelmäßig als Miet-
verhältnis zu qualifizieren (vgl. BGHZ 117, 236, 238; Schmidt-Futterer/Blank
Mietrecht 8. Aufl. Rdn. 1, 3 und 8 vor § 535 BGB), soweit die Überlassung nur
zum Gebrauch und nicht zum Fruchtgenuß erfolgt. Daher hat das Berufungsge-
richt das hier streitige Rechtsverhältnis zutreffend als Mietvertrag angesehen
und die Beschwer nach § 8 ZPO bemessen.
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Dessen Anwendung steht nicht entgegen, daß der ursprüngliche Vertrag
nach dem Recht der ehemaligen DDR abgeschlossen und als Nutzungsvertrag
bezeichnet wurde (vgl. auch Senatsbeschlüsse vom 20. Dezember 1995 aaO
und vom 10. Mai 2000 - XII ZR 335/99 - NJW-RR 2000, 1739 f.). Etwas anderes
gilt nur, wenn das vereinbarte Entgelt keine adäquate Bewertung des Nutzungs-
interesses darstellte und der Vertrag daher eher einem unentgeltlichen Nut-
zungsverhältnis ähnlich ist (vgl. Senatsbeschluß vom 22. Januar 1992 - XII ZR
149/91 - JURIS). Insoweit ist aber auf die Vorstellungen der Parteien bei Ver-
tragschluß abzustellen. Ein Jahresentgelt von 22,50 Mark (DDR) für die Über-
lassung eines ungünstig geschnittenen und unbebauten 90 m² großen Rand-
grundstücks war angesichts der Wertmaßstäbe in der ehemaligen DDR nicht
völlig unangemessen; so wurden beispielsweise für die Überlassung unbebau-
ter Grundstücke zu Erholungszwecken (§ 312 ZGB) Jahresentgelte zwischen
0,03 und 0,10 Mark gezahlt (vgl. MünchKomm-Voelskow BGB 3. Aufl., Anhang
zu Art. 232 §§ 4, 4 a Rdn. 1).
Abgesehen davon hat sich der Beklagte alternativ damit verteidigt, nicht
auf Seiten des VEB in den ursprünglichen Vertrag eingetreten zu sein, sondern
im Dezember 1990 ein neues Vertragsverhältnis mit der Voreigentümerin be-
gründet zu haben. Ein solches Vertragsverhältnis hätte von Anfang an dem
Mietrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches unterlegen, so daß als Zins im Sinne
des § 8 ZPO stets nur das vertraglich vereinbarte Entgelt zu berücksichtigen ist
und es nicht darauf ankommt, ob das ortsübliche Entgelt höher ist oder eine
Partei das vereinbarte Entgelt als unangemessen ansieht (vgl. Senatsbeschluß
vom 20. Dezember 1995 aaO).
b) Verwehrt ist der Rechtsbeschwerde auch der Einwand, aus Rechts-
gründen könne zwischen den Parteien kein Vertragsverhältnis zustande ge-
kommen sein, so daß der Beklagte ein ortsübliches Entgelt hätte zahlen müs-
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sen, dessen Jahresbetrag weit über 600 € gelegen habe. Die Bemessung der
Beschwer nach § 8 ZPO setzt nämlich nur voraus, daß zwischen den Parteien
das Bestehen eines Miet- oder Pachtvertrages streitig ist. Darauf, ob es wirklich
besteht und welches Entgelt andernfalls zu zahlen wäre, kommt es gerade nicht
an.
c) Die vom Berufungsgericht angenommene Beschwer von unter 600 €
ist daher aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Der Klägerin ist daher
durch die angefochtene Entscheidung keine zweitinstanzliche Sachentschei-
dung verwehrt worden, auf die sie Anspruch gehabt hätte.
Hahne
Sprick
Wagenitz
Fuchs
Ahlt