Urteil des BGH vom 06.12.2012

BGH: sozialeinrichtung, insolvenz, anfechtung, kalb, eigenschaft, eingriff, tarifvertrag, rüge, gefahr, gerichtsbarkeit

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 89/12
vom
6. Dezember 2012
in dem Rechtsstreit
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Fischer, Grupp und die
Richterin Möhring
am 6. Dezember 2012
beschlossen:
Auf die Rechtsmittel des Klägers werden der Beschluss des
19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom
6. August 2012 und der Beschluss der 5. Zivilkammer des Land-
gerichts Wiesbaden vom 9. Mai 2012 aufgehoben.
Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten wird für zulässig
erklärt.
Der Streitwert wird auf 3.000
€ festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Kläger ist Verwalter in dem auf den Eigenantrag vom 10. Juni 2008
über das Vermögen der J. GmbH (nachfolgend: Schuldnerin) am
1. Juli 2008 eröffneten Insolvenzverfahren. Er nimmt die Beklagte, eine Zusatz-
versorgungskasse des Baugewerbes, im Wege der Insolvenzanfechtung auf
Erstattung seitens der Schuldnerin erbrachter Beitragszahlungen in Anspruch.
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Landgericht und Oberlandesgericht haben auf Rüge der Beklagten den
Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den
Rechtsstreit an das Arbeitsgericht verwiesen. Dagegen richtet sich die von dem
Berufungsgericht zugelassene Rechtsbeschwerde.
II.
Die kraft Zulassung durch das Beschwerdegericht gemäß § 17a Abs. 4
Satz 4 und 6 GVG statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig.
Sie hat in der Sache Erfolg, weil es sich vorliegend um eine bürgerlich rechtli-
che Streitigkeit (§ 13 GVG) handelt, die vor die ordentlichen Gerichte gehört.
1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, der Streit über die Rückgewähr
der von der Schuldnerin an die Beklagte geleisteten Beiträge sei ein Rechts-
streit im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 6 ArbGG. Er betreffe die Rückabwicklung ei-
ner arbeitsrechtlichen Leistungsbeziehung, weil er sich gegen die Beklagte als
Sozialeinrichtung nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b richte. Insoweit sei der
Kläger für die Dauer des Insolvenzverfahrens als Arbeitgeber anzusehen. Mit-
hin sei die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte gegeben.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört der
Anfechtungsrechtsstreit als bürgerlich-rechtlicher Rechtsstreit gemäß § 13 GVG
vor die ordentlichen Gerichte. Ob der Insolvenzverwalter bestimmte Rechts-
handlungen anfechten und daraus einen Rückgewähranspruch herleiten kann,
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ist nach den Rechtssätzen der Insolvenzordnung zu entscheiden. Der anfech-
tungsrechtliche Rückgewähranspruch ist generell ein bürgerlich-rechtlicher An-
spruch aus § 143 InsO, der die materiellen Ordnungsvorstellungen des Insol-
venzrechts gegenüber sämtlichen Gläubigern nach Maßgabe der §§ 129 ff InsO
durchsetzt und außerhalb der Insolvenz geltende allgemeine Regelungen ver-
drängt (BGH, Beschluss vom 24. März 2011 - IX ZB 36/09, WM 2011, 998
Rn. 5). Der Rückgewähranspruch ist von Ansprüchen aus dem zugrundeliegen-
den Rechtsverhältnis wesensverschieden und folgt eigenen Regeln. Es handelt
sich um einen originären gesetzlichen Anspruch, der mit der Insolvenzeröffnung
entsteht, dem Insolvenzverwalter vorbehalten und mit dessen Amt untrennbar
verbunden ist (BGH, aaO Rn. 6). Diese Rechtsauffassung wird in der neueren
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs geteilt (BFH, Beschluss vom 5. Sep-
tember 2012 - VII B 95/12, ZIP 2012, 2073 Rn. 11, 13; Kahlert, ebendort,
S. 2075 f; Schmittmann, EWiR 2012, 701; Tillmann AO-StB 2012, 327 f).
b) Die Gerichte für Arbeitssachen sind gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchsta-
be b ArbGG ausschließlich zuständig für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten
zwischen Arbeitnehmern oder ihren Hinterbliebenen und Sozialeinrichtungen
des privaten Rechts über Ansprüche, die mit dem Arbeitsverhältnis in rechtli-
chem oder unmittelbar wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Daran anknüp-
fend weist § 2 Abs. 1 Nr. 6 ArbGG bürgerliche Streitigkeiten zwischen Arbeitge-
bern und Einrichtungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b den Arbeitsgerichten
zu. Die vorliegende Streitigkeit fällt, weil es an einer Beteiligung des Klägers als
Arbeitgeber fehlt, nicht gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 6 in Verbindung mit Nr. 4
Buchst. b ArbGG in die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte.
aa) Der Insolvenzverwalter ist nach Auffassung des Gemeinsamen Se-
nats für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis für die Dauer des Insolvenzver-
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fahrens Arbeitgeber im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG. Vertragsarbeitgeber
bleibt auch in der Insolvenz der Schuldner, der Insolvenzverwalter wird aber für
die Dauer des Insolvenzverfahrens faktisch Arbeitgeber. Da der Vertragsarbeit-
geber die aus der Arbeitgeberstellung fließenden Rechte und Pflichten nicht
mehr ausüben kann, fallen sie dem Insolvenzverwalter zu (Beschluss vom
27. September 2010, GmS-OGB 1/09, BGHZ 187, 105 Rn. 16, 18). Für Ansprü-
che aus dem Arbeitsverhältnis ist der Insolvenzverwalter für die Dauer des In-
solvenzverfahrens Arbeitgeber kraft Amtes (Gemeinsamer Senat, aaO Rn. 18).
Aus diesen Erwägungen ist nach Ansicht des Gemeinsamen Senats für die
Klage des Insolvenzverwalters gegen einen Arbeitnehmer des Schuldners auf
Rückgewähr vom Schuldner geleisteter Vergütung nach § 143 Abs. 1 InsO der
Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gegeben (Gemeinsamer Senat,
aaO Rn. 9, 10).
bb) Diese Würdigung kann mangels eines zwischen dem Kläger und ei-
nem Arbeitnehmer anhängigen, im Arbeitsverhältnis wurzelnden Rechtsstreits
auf die Beurteilung der hier zu entscheidenden Rechtsfrage nicht übertragen
werden. Vielmehr ist § 2 Abs. 1 Nr. 6 in Verbindung mit Nr. 4 Buchst. b ArbGG
in dem von dem Kläger vorliegend allein in seiner Eigenschaft als Insolvenz-
verwalter geführten Rechtsstreit nicht einschlägig.
(1) Der Insolvenzverwalter übernimmt - wie seine Einstufung als aus dem
Arbeitsverhältnis verpflichteter faktischer Arbeitgeber verdeutlicht - nach Auf-
fassung des Gemeinsamen Senats die Arbeitgeberfunktion des Schuldners
ausschließlich in der Rechtsbeziehung zu dessen Arbeitnehmern (aaO Rn. 18).
Dieser Bewertung liegt die Erkenntnis zugrunde, dass sich das Arbeitsrecht auf
den Arbeitgeber nur in seiner Eigenschaft als Partner eines Arbeitsverhältnisses
erstreckt und der Begriff des Arbeitgebers in dieser Beziehung konstitutive Be-
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deutung entfaltet (MünchKomm-BGB/Müller-Glöge, BGB, 6. Aufl., § 611
Rn. 231). Soweit Rechtsstreitigkeiten lediglich äußerlich an die Arbeitgeberstel-
lung des Schuldners anknüpfen, ohne dass dieser im Rahmen eines Arbeitsver-
trages konkrete Arbeitgeberaufgaben versieht, rückt der Insolvenzverwalter bei
der Erhebung von Insolvenzanfechtungsansprüchen isoliert in die vermögens-
rechtliche Pflichtenstellung des Schuldners ein, ohne insoweit selbst Arbeitge-
ber zu werden. In einer solchen, durch keine besonderen Berührungspunkte mit
dem Arbeitsverhältnis geprägten Verfahrenslage kann nicht die Tatsache aus-
geblendet werden, dass der Insolvenzverwalter bei der Geltendmachung von
Anfechtungsansprüchen nur in dieser Funktion tätig wird.
(2) Nach Inhalt und Natur des streitigen Erstattungsanspruchs gegen
eine Sozialkasse ist nicht das Arbeitsverhältnis mit Arbeitnehmern und folglich
nicht die darauf gegründete Arbeitgeberfunktion berührt.
Mit Hilfe von § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG wird eine umfassende Zuständigkeit
der Gerichte für Arbeitssachen im Blick auf individualrechtliche Ansprüche aus
dem Arbeitsverhältnis begründet. Demgegenüber betreffen § 2 Abs. 1 Nr. 4 bis
10 ArbGG außerhalb des Arbeitsverhältnisses angesiedelte Streitigkeiten (Kalb
in Henssler/Willemsen/Kalb, ArbGG, 5. Aufl., § 2 Rn. 65). Bei der nachträglich
eingefügten, nicht originär arbeitsgerichtlichen Zuweisung des § 2 Abs. 1 Nr. 4
Buchst. b, Nr. 6 ArbGG (vgl. GMP/Matthes/Schlewing, ArbGG, 7. Aufl., § 2
Rn. 87) geht es ganz allgemein um die Rechtsbeziehung des Arbeitgebers zu
einer Sozialeinrichtung des privaten Rechts. Dabei knüpft die Zuständigkeitsre-
gel des § 2 Abs. 1 Nr. 6 ArbGG nur formal an die Arbeitgeberstellung an, funkti-
onal jedoch an den im Verhältnis des Arbeitgebers zu einer Sozialeinrichtung
bestehenden, nicht durch Arbeitsverhältnisse ausgestalteten besonderen Pflich-
tenkreis. Darum übt der Insolvenzverwalter in diesem Zusammenhang ohnehin
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vornehmlich vermögensrechtliche Rechte und Pflichten des Schuldners in des-
sen Funktion als Arbeitgeber aus. Ist nur die vermögensrechtliche Stellung des
Schuldners als Träger von Arbeitsverhältnissen betroffen, wird der Anfech-
tungsanspruch nicht arbeitsrechtlich überlagert oder umgestaltet. Folglich wird
der Insolvenzverwalter nicht als Arbeitgeber tätig, wenn er von dem Schuldner
an eine Sozialeinrichtung geleistete Beiträge auf der Grundlage der §§ 129 ff
InsO zurückfordert.
(3) Überdies entnehmen der Gemeinsame Senat und das Bundesar-
beitsgericht der Vorschrift des § 108 Abs. 1 InsO, nach deren Inhalt Arbeitsver-
träge mit Wirkung für die Insolvenzmasse fortbestehen, einen maßgeblichen
Wertungsgesichtspunkt für den Übergang der Arbeitgeberfunktion von dem
Schuldner auf den Insolvenzverwalter bei der Geltendmachung von Anfech-
tungsansprüchen gegen Arbeitnehmer (vgl. Gemeinsamer Senat, aaO Rn. 18;
BAG, Beschluss vom 27. Februar 2008 - 5 AZB 43/07, ZIP 2008, 1499 Rn. 6 f).
An vorliegendem Rechtsstreit ist der Kläger indessen nicht in seiner Rolle als
faktischer Arbeitgeber beteiligt, weil die angefochtenen Zahlungen ihre Grund-
lage nicht in den von der Schuldnerin eingegangenen Arbeitsverhältnissen,
sondern in dem für sie maßgeblichen - nach Verfahrenseröffnung weiter ver-
bindlichen - Tarifvertrag finden (vgl. BAG, Urteil vom 28. Januar 1987 - 4 AZR
150/86, ZIP 1987, 727, 728). Mit dem vorliegenden Rechtsstreit ist folglich ein
korrigierender Eingriff in eine arbeitsrechtliche Leistungsbeziehung (vgl. Ge-
meinsamer Senat, aaO Rn. 12) nicht verbunden. Ebenso wirkt der Kläger durch
die Anfechtung von Beitragszahlungen nicht in sonstiger Weise auf zwischen
der Schuldnerin und ihren Arbeitnehmern bestehende Arbeitsverhältnisse ein
(vgl. Gemeinsamer Senat, aaO Rn. 18). Deswegen geht es bei der Anfechtung
von Beitragszahlungen nicht um eine Rechtsstreitigkeit des Arbeitgebers mit
einer Sozialeinrichtung des privaten Rechts (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 ArbGG), sondern
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allein um den von dem Kläger als Insolvenzverwalter erhobenen anfechtungs-
rechtlichen Rückgewähranspruch.
cc) Die Zuweisung der vorliegenden Streitigkeit an die Zivilgerichte er-
scheint auch im Blick auf die anerkennenswerten Belange der Verfahrensbetei-
ligten allein sachgerecht.
Für insolvenzrechtliche Anfechtungsklagen gegen Sozialversicherungs-
träger ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben (BGH, Be-
schluss vom 24. März 2011 - IX ZB 36/09, WM 2011, 998; zustimmend BFH,
Beschluss vom 5. September 2012 - VII B 95/12, ZIP 2012, 2073 Rn. 13). Ein
insolventer Arbeitgeber kann zum gleichen Zeitpunkt unter auch sonst identi-
schen Voraussetzungen Zahlungen zugunsten eines Sozialversicherungsträ-
gers und einer als Sozialeinrichtung geführten Zusatzversorgungskasse bewir-
ken. Werden diese gleichermaßen der Alterssicherung dienenden Zahlungen
angefochten, wäre es nicht interessengerecht, für daraus sich ergebende
Rechtsstreitigkeiten unterschiedliche Rechtswege vorzusehen. Dies würde die
tunlichst zu vermeidende Gefahr eines gespalteten Rechtsweges bergen (vgl.
BAG, Beschluss vom 15. Juli 2009 - GmS-OGB 1/09, ZIP 2009, 1687 Rn. 2).
Vor diesem Hintergrund ist den Belangen der Verfahrensbeteiligten am ehesten
gedient, wenn derartige Rechtsstreitigkeiten zwecks einer gleichförmigen
Rechtsanwendung unter die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit
konzentriert werden. Verfahrensrechtliche Erwägungen, die im Interesse der
Arbeitnehmer eine Zuständigkeitszuweisung an die Arbeitsgerichte nahelegen
mögen (so Gemeinsamer Senat, aaO Rn. 13), greifen mangels einer besonde-
ren Schutzbedürftigkeit beider Parteien nicht durch. Im Übrigen ist nicht ersicht-
lich, dass der Nutzung der Kenntnisse von im Arbeitsleben erfahrenen Perso-
nen, dem geringeren Kostenrisiko vor den Arbeitsgerichten und dem Umstand,
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dass sich die Parteien kostenlos von volljährigen Familienangehörigen oder
Gewerkschaftern (von letzteren in allen Instanzen) vertreten lassen können, bei
der Insolvenzanfechtung von Beitragszahlungen an eine Sozialkasse Bedeu-
tung zukommen könnte.
Kayser
Gehrlein
Fischer
Grupp
Möhring
Vorinstanzen:
LG Wiesbaden, Entscheidung vom 09.05.2012 - 5 O 78/12 -
OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 06.08.2012 - 19 W 33/12 -