Urteil des BGH vom 26.01.2010

Leitsatzentscheidung

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
StGB §§ 51, 55
Zum Härteausgleich für entgangene Bewährung durch Anwen-
dung des Vollstreckungsmodells.
BGH, Beschluss vom 26. Januar 2010
- 5 StR 478/09
LG Bremen -
5 StR 478/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 26. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen räuberischer Erpressung u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Januar 2010
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-
gerichts Bremen vom 18. Mai 2009 gemäß § 349 Abs. 4
StPO dahin ergänzt, dass als Härteausgleich für entgangene
anderweitige Gesamtstrafbildung vier Monate der verhängten
Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gelten.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten der Revision zu tragen, je-
doch wird die Gebühr um ein Viertel ermäßigt. Je ein Viertel
der in der Revisionsinstanz entstandenen gerichtlichen Aus-
lagen und notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der
Staatskasse zur Last.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischer Erpressung
(Einzelfreiheitsstrafe sieben Monate), wegen Freiheitsberaubung in zwei Fäl-
len (Einzelfreiheitsstrafen je zwei Monate), wegen unerlaubten Überlassens
von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch in zwei Fällen (Einzel-
freiheitsstrafen zwei Monate und ein Monat) und wegen Beleidigung (Einzel-
freiheitsstrafe ein Monat) unter Einbeziehung der vom Landgericht Bremen in
dessen Urteil vom 9. Oktober 2008 verhängten und zur Bewährung ausge-
setzten Freiheitsstrafe von zwei Jahren zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt und von weiteren Vorwürfen frei-
gesprochen. Die Revision des Angeklagten ist hinsichtlich des Schuld- und
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Strafausspruchs unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Indes bedarf
das Urteil der Ergänzung um einen Härteausgleich wegen entgangener an-
derweitiger Gesamtstrafbildung.
1. Die im angefochtenen Urteil ausgeurteilten Taten waren zwischen
Ende Februar und dem 26. März 2007 begangen worden. Nachdem eine
Gesamtstrafenbildung mit der zunächst eine Zäsur begründenden Nachver-
urteilung durch Strafbefehl des Amtsgerichts Bremen vom 2. August 2007 zu
einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je zehn Euro wegen vollständiger
Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe zehn Tage vor der hier erfolgten Ver-
urteilung nicht mehr möglich gewesen ist, hat das Landgericht folgerichtig, in
der Sache zutreffend und unvermeidbar mit der nächsten noch nicht erledig-
ten Strafe – der wegen eines am 14. Februar 2008 begangenen schweren
Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung durch Urteil des
Landgerichts Bremen vom 9. Oktober 2008 verhängten zweijährigen, zur
Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe – die erkannte Gesamtfreiheitsstra-
fe gebildet. Zu deren Begründung hat das Landgericht ausgeführt: „Anderer-
seits war nicht zu übersehen, dass die Aussetzung der Vollstreckung der
zweijährigen Freiheitsstrafe zur Bewährung zwar somit keinen Bestand mehr
haben konnte, die jetzt erforderliche Gesamtstrafenbildung dem Angeklagten
wiederum aber insoweit zugute kommt, als bei Einbeziehung allein der Geld-
strafe aus dem Strafbefehl vom 02.08.2007 die dann bestehend bleibende
zweijährige Einzelstrafe sowie die im Übrigen zu bildende Gesamtstrafe der
Summe nach zu einer höheren Gesamtsanktion geführt hätte“ (UA S. 38).
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2. Die hier erfolgte Gesamtstrafenbildung ist nur aufgrund vollständi-
ger Ersatzfreiheitsstrafenvollsteckung notwendig geworden, die den Wegfall
einer den Angeklagten begünstigenden Zäsur zur Folge hatte. Die zitierte
Erwägung des Landgerichts lässt diese Besonderheit des Verlusts der ge-
währten Strafaussetzung zur Bewährung hinsichtlich der zweijährigen Frei-
heitsstrafe aus dem Urteil vom 9. Oktober 2008 – die Widerrufsvorausset-
zungen des § 56f Abs. 1 StGB lagen nicht vor – unberücksichtigt. Der Ange-
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klagte hat die ausgeurteilten Taten nicht nach der Aussetzungsentscheidung,
sondern weit über ein Jahr zuvor begangen. Ohne die vollständige Ersatz-
freiheitsstrafenvollstreckung wäre die Strafaussetzung infolge anderweitiger
Gesamtstrafenbildung bestehen geblieben.
Damit wirkt sich die Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe unter Heranzie-
hung einer erheblichen, zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe als
Einsatzstrafe für den Angeklagten überaus nachteilig aus (vgl. BGH, Be-
schluss vom 2. März 1994 – 2 StR 740/93); dies erfordert die Gewährung
eines besonders nachhaltigen Härteausgleichs (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 1
Schuldausgleich 15 m.w.N.). Diesen nimmt der Senat zur Vermeidung weite-
rer Verfahrensverzögerung in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1
StPO selbst vor.
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3. Dabei hält er auch für den in dieser Fallkonstellation vorzunehmen-
den Härteausgleich nunmehr die Anwendung des Vollstreckungsmodells für
vorzugswürdig (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2009 – 5 StR 433/09
Tz. 10 m.w.N., zur Aufnahme in BGHSt bestimmt, für den Fall nicht mehr
möglicher Gesamtstrafenbildung von Geldstrafe mit lebenslanger Freiheits-
strafe). Die Überlegenheit dieser Vorgehensweise gegenüber der herkömm-
lich vorgenommenen Herabsetzung der (Gesamt-)Strafe hat der Große Se-
nat für Strafsachen in BGHSt 52, 124, 136 der Sache nach anhand von Fäl-
len notwendigerweise systemwidriger Eingriffe in die Strafzumessung zur
Verwirklichung des Härteausgleichs (BGHSt 31, 102 – Unterschreiten der
Untergrenze des § 54 Abs. 1 StGB; BGHSt 36, 270 – Milderung von Einzel-
strafen) anerkannt.
Seine Anwendung ist aber darüber hinaus auch sonst sachlich gebo-
ten. Die Verwirklichung des Härteausgleichs knüpft nicht an der maßgebli-
chen Grundlage der Strafhöhe, der Tatschuld (§ 46 Abs. 1 StGB) an, son-
dern erstrebt die Festsetzung eines gerechten Ausgleichs dafür, dass auf-
grund verfahrensrechtlicher Zufälligkeiten eine den Angeklagten beschwe-
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rende getrennte bzw. – hier – zusammengefasste Strafbemessung stattge-
funden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2009 aaO). Die Anwen-
dung des Vollstreckungsmodells erleichtert die Straffestsetzung ferner, weil
bisher zu berücksichtigende, getrennt zu bewertende Umstände nicht mehr
berührt werden. Dies erleichtert zudem maßgeblich die in Fällen dieser Art
besonders sachgerechte abschließende Entscheidung durch das Revisions-
gericht. Zudem wird die Transparenz hinsichtlich des gewährten Härteaus-
gleichs, aber auch bezüglich der Straffestsetzung erhöht (vgl. BGH, Be-
schluss vom 8. Dezember 2009 aaO m.w.N.).
4. Eine Anrechnung von vier Monaten als verbüßt trägt dem hier gebo-
tenen Härteausgleich ausreichend Rechnung. Hierauf erkennt der Senat bei
gleichzeitiger Entscheidung über die Kosten gemäß § 473 Abs. 4 StPO.
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