Urteil des BGH vom 11.03.2013

BGH: fao, könig, schöffengericht, abweisung, strafrecht, anzeichen, form, anerkennung, strafrichter, rechtsanwaltschaft

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
AnwZ (Brfg) 24/12
Verkündet am:
11. März 2013
Boppel,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache
wegen Gestattung zum Führen einer Fachanwaltsbezeichnung
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 11. März 2013 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs
Prof. Dr. Tolksdorf, die Richter Prof. Dr. König und Seiters sowie die Rechtsan-
wälte Dr. Wüllrich und Prof. Dr. Stüer
für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des 2. Senats des
Thüringer Anwaltsgerichtshofs vom 21. März 2012 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Der Streitwert wird auf 12.500
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist seit dem 28. März 1991 zur Rechtsanwaltschaft zugelas-
sen und Mitglied der Beklagten. Mit Schreiben vom 2. April 2009 beantragte er
bei dieser die Verleihung der Befugnis, die Bezeichnung "Fachanwalt für Straf-
recht" zu führen. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 12. Juli
2010 mit der Begründung ab, dass der Kläger den Nachweis der Teilnahme an
40 Hauptverhandlungsterminen vor dem Schöffengericht oder einem überge-
ordneten Gericht nicht ordnungsgemäß erbracht habe. Unter anderem betreffe
eine Reihe der von ihm aufgelisteten Hauptverhandlungstermine "Zweitverteidi-
gungen", deren einziger Zweck die Erlangung der Fachanwaltsbezeichnung
gewesen sei, ohne dass der Kläger dabei persönlich und weisungsfrei als
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Rechtsanwalt tätig geworden wäre. Nach erfolgloser Durchführung des Wider-
spruchsverfahrens verpflichtete der Anwaltsgerichtshof die Beklagte im ange-
fochtenen Urteil, dem Kläger die Befugnis zum Führen der Bezeichnung "Fach-
anwalt für Strafrecht" zu verleihen.
Mit ihrer Berufung erstrebt die Beklagte die Aufhebung des Urteils und
die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung hat Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom
12. Juli 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 2010 ist
rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 112c Abs. 1
Satz 1 BRAO, § 113 Abs. 5 VwGO). Die Berufung führt daher unter Abände-
rung des angefochtenen Urteils zur Abweisung der Klage.
1. Die Beklagte hat die Erlaubnis zum Führen der Fachanwaltsbezeich-
nung im Ergebnis mit Recht versagt. Der Kläger hat nicht nachgewiesen, dass
er im Zeitraum von drei Jahren vor der Antragstellung Fälle an 40 Hauptver-
handlungstagen vor einem Schöffengericht oder einem übergeordneten Gericht
(persönlich und weisungsfrei) als Rechtsanwalt bearbeitet hat (§ 5 Abs. 1
Buchst. f FAO).
Entgegen der Auffassung des Anwaltsgerichtshofs können die Fälle 27,
31 und 34 schon deswegen nicht im Sinne der Vorschrift "zählen", weil sie
Hauptverhandlungstermine vor dem Strafrichter betreffen.
Auch der im angefochtenen Urteil nicht erörterte Fall 22 ist für den erfor-
derlichen Nachweis nicht geeignet. In Frage stehen insoweit zwei Strafvollstre-
ckungssachen (jeweils betreffend die Strafrestaussetzung zur Bewährung). Da-
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bei spricht viel dafür, dass im Vollstreckungsverfahren in Anwesenheit des
Rechtsanwalts durchgeführte mündliche Anhörungen keine "Hauptverhand-
lungstage" im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. f FAO sind. Indessen muss dies
nicht abschließend entschieden werden, weil sich aus den Unterlagen des Klä-
gers nicht ergibt, dass er überhaupt an einer mündlichen Anhörung teilgenom-
men hat.
Im Ergebnis das Gleiche gilt für den - auch im angefochtenen Urteil nicht
anerkannten - Fall 19. Denn der durch den Kläger vorgelegten Niederschrift
über die Sitzung des Jugendschöffengerichts vom 2. April 2009 ist nur zu ent-
nehmen, dass dieser neben dem Verteidiger zum Termin erschienen war. Dass
er durch den dortigen Angeklagten mandatiert worden ist, geht hingegen weder
aus dem Protokoll noch aus sonstigen Unterlagen hervor. Eine Mandatierung,
die unerlässliche Voraussetzung für eine Verhandlungsteilnahme "als Rechts-
anwalt" ist (vgl. auch AGH Hamm StraFo 1999, 393), hat er auch vor dem Se-
nat trotz Erörterung nicht behauptet. Dahingestellt bleiben kann mithin, ob der
genannte Hauptverhandlungstermin auch deshalb nicht anerkennungsfähig ist,
weil wegen Nichterscheinens des Angeklagten keine Verhandlung in der Sache
stattgefunden hat.
2. Nach alledem kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die vom
Kläger weiter vorgelegten Fälle von "Zweitverteidigungen" (Nr. 2, 3, 4, 5, 7, 9
und 14) hätten Anerkennung finden können. Der zu beurteilende Sachverhalt
gibt dem Senat aber Anlass zu folgenden Hinweisen:
Die Erlaubnis zum Führen einer Fachanwaltsbezeichnung wird Rechts-
anwälten verliehen, deren auch praktische Erfahrungen auf dem jeweiligen Ge-
biet überdurchschnittlich sind (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 29. Januar 1996
- AnwZ (B) 50/95, NJW-RR 1996, 1147). Vor diesem Hintergrund stehen die in
§ 5 Abs. 1 FAO normierten Mindestfallzahlen im Drei-Jahres-Zeitraum. Die
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- bestätigt durch die Beweisaufnahme vor dem Anwaltsgerichtshof (vgl. insbe-
sondere Bl. 141 der Sachakten) - hier gepflogene Verfahrensweise, Kollegen
mit dem alleinigen Ziel des Erreichens der Mindestzahlen daraufhin anzuspre-
chen, ob man als zweiter Verteidiger an einer kurz danach stattfindenden
Hauptverhandlung teilnehmen dürfe, ist mit den Zielvorstellungen der Fachan-
waltsordnung demgemäß schwerlich vereinbar. In Konstellationen, in denen
Anzeichen für solches ausschließlich vom Blick auf die Mindestzahlen gepräg-
tes Vorgehen gegeben sind (hier etwa: neun "Zweitverteidigungen" im Monat
vor der Antragstellung), wird der Rechtsanwalt in geeigneter Form näher glaub-
haft zu machen haben, dass er, wie es die Fachanwaltsordnung verlangt, den
Fall persönlich und weisungsfrei als Rechtsanwalt bearbeitet hat. Hierfür kann
insbesondere sprechen, dass er sich in Vorbereitung der Hauptverhandlung mit
dem Inhalt der Verfahrensakten vertraut gemacht und die Sache mit dem Man-
danten besprochen hat. Davon bleibt unberührt, dass es der Rechtsanwalts-
kammer im Grundsatz nicht auferlegt ist und auch nicht zukommt, eine Tätigkeit
als Strafverteidiger im eigentlichen Sinn zu bewerten.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154
Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 52
Abs. 1 GKG.
Tolksdorf
König
Seiters
Wüllrich
Stüer
Vorinstanz:
AGH Jena, Entscheidung vom 21.03.2012 - AGH 2/10 -
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