Urteil des BGH vom 18.06.2014

BGH: ärztliche behandlung, stationäre behandlung, leiche, kirche, gesamtstrafe, vergiftung, könig, waffe, mord, schuss

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 S t R 6 0 / 1 4
vom
18. Juni 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Juni 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Prof. Dr. Sander,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt P.
als Verteidiger,
Rechtsanwalt H. ,
Rechtsanwältin R. ,
Rechtsanwältin Sc. ,
Rechtsanwalt U. H. ,
Rechtsanwalt S. H.
als Vertreter der Nebenkläger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Braunschweig vom 5. August 2013 aufgehoben,
soweit das Landgericht die besondere Schwere der Schuld ver-
neint hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-
zung und wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe ver-
urteilt. Die Revision des Angeklagten ist durch Beschluss des Senats vom
12. März 2014 verworfen worden. Gegen das Urteil wendet sich die Staatsan-
waltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision, soweit das Landge-
richt die besondere Schwere der Schuld des Angeklagten verneint hat (§ 57a
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB). Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt
nicht vertreten wird, hat Erfolg.
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1. Das Landgericht ist im Wesentlichen zu folgenden Feststellungen und
Wertungen gekommen:
a) Der Angeklagte war mit seiner Ehefrau seit 1985 verheiratet und hatte
mit ihr zehn Kinder. Nach seiner Rückkehr von einem mehrjährigen Auslands-
aufenthalt war seine Frau nicht mehr zur Wiederaufnahme der ehelichen Ge-
meinschaft bereit. Der Angeklagte wollte sie aber unbedingt dazu bewegen,
wieder mit ihm zusammenzuleben. Er verfiel auf die Idee, sie in einen Zustand
zu versetzen, in dem sie auf seine Unterstützung bei der Haushaltsführung und
der Erziehung der Kinder angewiesen sein würde. Zu diesem Zweck zerstieß er
Tabletten eines hochwirksamen und potentiell lebensgefährlichen Neurolepti-
kums in kleine Stücke. Das Pulver gab er seiner damals zwölfjährigen Tochter
T. und täuschte vor, es handele sich um Zucker. Das Mädchen glaubte sei-
nem Vater und mischte, dessen Weisungen folgend, das Medikament dem Tee
der Mutter bei. Die unbemerkte Aufnahme des Medikaments führte bei dieser
im Oktober und Anfang November 2012 zu schwerwiegenden Ausfallerschei-
nungen, die eine ärztliche Behandlung notwendig machten. Das Mädchen ahn-
te, dass die Krankheit der Mutter mit den Beimischungen in Zusammenhang
stehen könnte, und stellte diese ein. Der Gesundheitszustand der Mutter bes-
serte sich.
Nachdem der Angeklagte am 16. November 2012 erfahren hatte, dass
seine Ehefrau die Scheidung betrieb, beschloss er, sie zu töten, falls sie nicht
zu ihm zurückkehre. In der Kirche, in der sie als Küsterin arbeitete, versteckte
er seine Vorderschaftrepetierflinte. Vermutlich nach einem gescheiterten letzten
Versöhnungsversuch trat er von hinten an seine sich keines Angriffs versehen-
de Frau heran. Als sie gerade die Tür zur Sakristei absperrte, tötete er sie mit
einem Schuss in den Hinterkopf aus der herbeigeholten Waffe.
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Seine Tochter T. und sein damals 20-jähriger Sohn R. hatten
vor der Kirche gewartet. Sie hörten den Schuss, eilten in die Kirche und erblick-
ten ihre blutüberströmt am Boden liegende Mutter. Der Angeklagte forderte sei-
ne schockierten und völ
lig aufgelösten Kinder „mit einem energischen Ton“ auf,
ihm zu helfen, die Leiche wegzutragen und sauberzumachen (UA S. 22). Mit
R. trug er die Leiche in den Keller der Kirche. Auch T. half zunächst
mit, weil die Leiche schwer war und R. aufgrund seines traumatisierten Zu-
stands fast zusammenbrach. Danach wischten alle drei beträchtliche Mengen
Blut sowie Gewebeteile auf und spülten diese in die Toilette. Anschließend
flüchtete der Angeklagte mit beiden Kindern im Auto nach Österreich, kehrte
jedoch zwei Tage später nach Deutschland zurück und stellte sich der Polizei.
Nach seiner Festnahme wurde der Angeklagte zur Beobachtung im psy-
chiatrischen Krankenhaus untergebracht. In deren Verlauf übergab er dem psy-
chiatrischen Sachverständigen einen mehrseitigen Brief, in dem er seinen Sohn
bezichtigte, die Mutter getötet zu haben, weil dieser sich von ihr schlecht be-
handelt gefühlt habe. Es sei in der Kirche zwischen ihm und R. zu einem
Handgemenge gekommen, bei dem ihm R. die Waffe entrissen habe. R .
sei zur Mutter gelaufen und habe sie erschossen. Zur Beimischung des
Medikaments bekundete er gegenüber dem Sachverständigen, er habe das
Pulver von R. bekommen und es für Süßstoff gehalten. In diesem Glauben
habe er es T. zur Weiterreichung an seine Ehefrau gegeben. Die Tabletten
müsse R. zerkleinert haben, möglicherweise als Anschlag auf seine Mutter.
b) Die Schwurgerichtskammer hat die Tötung der Ehefrau des Angeklag-
ten als Heimtückemord gewertet. Das Mordmerkmal des Handelns aus niedri-
gen Beweggründen hat sie verneint, weil sich der Angeklagte auch in Verzweif-
lung befunden habe. Die besondere Schuldschwere hat sie unter anderem im
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Blick auf eine bei ihm diagnostizierte narzisstische Persönlichkeitsakzentuie-
rung abgelehnt. Dass der Angeklagte seinen Sohn R. hinsichtlich beider
Taten der Täterschaft bezichtigt habe, sei zulässiges und deswegen nicht be-
rücksichtigungsfähiges Verteidigungsverhalten. Zudem habe er in der Haupt-
verhandlung geschwiegen und daher die Vorwürfe nicht wiederholt. Die Mithilfe
seiner Kinder bei der Spurenbeseitigung und dem Wegtragen der Leiche habe
er nicht geplant und seine Kinder auch nicht dazu gezwungen. Die gefährliche
Körperverletzung und der Mord stünden nicht „in kriminologischem Zusammen-
hang“ und seien von unterschiedlicher Zielrichtung geprägt. Auch bei einer zu-
sammenfassenden Bewertung beider Taten sei die Annahme besonderer
Schuldschwere deshalb nicht geboten.
2. Die Ablehnung der besonderen Schuldschwere im Sinne der § 57a
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 57b StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar
ist dem Revisionsgericht dabei eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle
versagt; jedoch ist auf die Sachrüge zu prüfen, ob das Tatgericht alle maßgebli-
chen Umstände bedacht und rechtsfehlerfrei abgewogen hat (vgl. BGH, Be-
schluss vom 22. November 1994
– GSSt 2/94, BGHSt 40, 360, 370; Urteile vom
1. Juli 2004
– 3 StR 494/03, BGHR StGB § 57a Abs. 1 Schuldschwere 25; vom
9. Oktober 2008
– 4 StR 354/08, NStZ 2009, 203, 204, und vom 27. Juni 2012
– 2 StR 103/12, BGHR StGB § 57a Abs. 1 Schuldschwere 27). Daran fehlt es
hier in mehrfacher Hinsicht.
a) Bei der Prüfung der besonderen Schuldschwere hat sich das Tatge-
richt an den für die Strafzumessungsschuld im Sinne von § 46 StGB geltenden
Regeln zu orientieren (vgl. LK/Hubrach, 12. Aufl., § 57a Rn. 16 mwN). Dement-
sprechend kann nach den hierfür von der Rechtsprechung entwickelten
Grundsätzen (vgl. LK/Theune, 12. Aufl., § 46 Rn. 197 ff.) auch das Nachtatver-
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halten bei der Frage zu berücksichtigen sein, ob Umstände von Gewicht (vgl.
BGH, Beschluss vom 22. November 1994
– GSSt 2/94, aaO) die Annahme be-
sonderer Schuldschwere indizieren, wenn ein innerer Zusammenhang mit dem
Schuldvorwurf besteht und sichere Schlüsse auf die Einstellung des Täters zur
Tat möglich sind. Nach diesen Maßstäben hat die Schwurgerichtskammer die
von Seiten des Angeklagten erfolgte Falschbezichtigung seines Sohnes auch
eingedenk des dem Tatgericht in diesem Bereich zustehenden Beurteilungs-
spielraums (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 1995
– 1 StR 69/95, StV 1995,
633, 634; LK/Theune, aaO, § 46 Rn. 210 mwN) zu Unrecht als zulässiges Ver-
teidigungsverhalten gewertet und daher nicht in seine Schuldschwereabwägung
eingestellt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann dem
Angeklagten ein Verhalten gegenüber Zeugen oder Mitangeklagten ausnahms-
weise dann angelastet werden, wenn es eindeutig die Grenzen angemessener
Verteidigung überschreitet und Rückschlüsse auf eine rechtsfeindliche Haltung
zulässt; dies kann etwa dann anzunehmen sein, wenn der Angeklagte einen
völlig Unschuldigen der Tatbegehung bezichtigt (vgl. BGH, Urteil vom 22. Janu-
ar 1974
– 1 StR 593/73, MDR bei Dallinger 1974, 721; Beschlüsse vom 21. Ap-
ril 1995
– 1 StR 69/95, aaO; vom 22. März 2007 – 4 StR 60/07, NStZ 2007,
463; LK/Theune, aaO, § 46 Rn. 210 f.).
So liegt der Fall hinsichtlich beider Taten hier. Die besonders verwerfli-
che Einstellung des Angeklagten (vgl. dazu BGH, Urteil vom 14. Novem-
ber 1990
– 3 StR 160/90, NStZ 1991, 181, 182) kommt dabei augenfällig
dadurch zum Ausdruck, dass dieser seinen eigenen Sohn, der ihm ergeben (UA
S. 8) und durch den Verlust der Mutter sowie die vom Angeklagten „energisch“
befohlene Mitwirkung beim Wegtragen der Leiche und der Säuberung des Tat-
orts ohnehin traumatisiert war, als Alleinverantwortlichen für die Vergiftung und
Tötung der Mutter bezeichnet hat. Zwar hat der in der Hauptverhandlung
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schweigende Angeklagte seine Vorwürfe dort nicht dezidiert wiederholt. Dies
lässt sein Verhalten aber schon deswegen nicht in einem entscheidend milde-
ren Licht erscheinen, weil sie dort
– ihm zurechenbar – insbesondere im Zu-
sammenhang mit der Vernehmung des psychiatrischen Sachverständigen zent-
raler Gegenstand der Erörterung waren, was sich auch in breiten Ausführungen
in den Urteilsgründen niedergeschlagen hat (UA S. 44 ff., 58 ff.).
b) Die bewusste und energische Instrumentalisierung seiner Kinder bei
der Spurenbeseitigung am Tatort und die
– von der Schwurgerichtskammer in
diesem Zusammenhang trotz ihrer Wesentlichkeit überhaupt nicht erörterten
auch dadurch verursachten psychischen Beeinträchtigungen seiner Tochter
(UA S. 23, 49) und seines Sohns, die bei diesem eine 17 Wochen dauernde
stationäre Behandlung und eine anschließende ambulante Therapie erforderlich
machten, sind allein für sich genommen Umstände von besonderem Gewicht,
die bei der Prüfung der § 57a Abs. 1 Nr. 2, § 57b StGB zu würdigen gewesen
wären. Die Überlegungen der Schwurgerichtskammer zum Fehlen hypothetisch
noch weiter schulderhöhend wirkender Umstände (Zwang, Einbindung der Kin-
der als Teil eines vorgefassten Tötungsplans) vermögen in Bezug auf die fest-
gestellten und den Angeklagten bereits für sich genommen außerordentlich
schwer belastenden Strafzumessungstatsachen keine schuldmindernde Wir-
kung zu entfalten.
c) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet es schließlich, dass
das angefochtene Urteil der vorhergehenden, von der Schwurgerichtskammer
mit einer Einzelfreiheitsstrafe von drei Jahren geahndeten Vergiftung des Op-
fers mangels „unmittelbaren zeitlichen oder auch nur situativen Kontexts“ (UA
S. 97) einen hinreichenden Zusammenhang mit dem später verübten Mord ab-
spricht und sie deshalb gar nicht in Ansatz bringt. Die zeitlich nicht weit ausei-
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nanderliegenden Taten sind dadurch gekennzeichnet, dass der Angeklagte sei-
ne Interessen unter Verletzung von Leib und Leben desselben Opfers und sei-
ne Kinder instrumentalisierend durchzusetzen bestrebt war. Dass es ihm zu-
nächst um die Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft und nach Nicht-
erreichen dieses Ziels um die Vernichtung des Lebens seiner Ehefrau gegan-
gen ist, stellt den erforderlichen inneren („kriminologischen“) Zusammenhang
(vgl. dazu BGH, Urteil vom 8. August 2001
– 3 StR 162/01) deshalb nicht in
Frage.
d) Ein weiterer Rechtsfehler liegt darin, dass die Schwurgerichtskammer
bei der Prüfung der Schuldschwere nicht berücksichtigt hat, dass der Angeklag-
te die Taten während laufender Bewährung aus seiner Verurteilung zu einem
Jahr Freiheitsstrafe wegen Misshandlung seiner schwerbehinderten Tochter
E. L. begangen hat.
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht auch in An-
betracht der Persönlichkeitsakzentuierung des Angeklagten, die fraglos einen
gewichtigen Milderungsgrund darstellt, gleichwohl zur Annahme der besonde-
ren Schwere der Schuld gelangt wäre, wenn es die genannten Umstände
rechtsfehlerfrei gewürdigt und abgewogen hätte. Da lediglich Wertungsfehler
inmitten stehen, können die Feststellungen bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2
StPO). Ergänzende Feststellungen sind möglich, soweit sie den bisher getroffe-
nen nicht widersprechen.
4. Für die neue Hauptverhandlung wird darauf hingewiesen, dass das
Tatgericht einen Ermessensspielraum hat, ob es die besondere Schuldschwere
schon bei der Würdigung des Mordes prüft sowie gegebenenfalls feststellt und
dann in einem zweiten Schritt hinsichtlich der Gesamtstrafe die gefährliche Kör-
perverletzung als weiteren schulderhöhenden Umstand bewertet (§ 57b StGB)
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oder ob es die besondere Schuldschwere in einer Gesamtwürdigung nur in Be-
zug auf die Gesamtstrafe erörtert (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Novem-
ber 1996
– 3 StR 469/96, NJW 1997, 878 mwN; siehe auch BGH, Urteil vom
9. Oktober 2008
– 4 StR 354/08, NStZ 2009, 203, 204).
Basdorf Sander Schneider
König Bellay