Urteil des BGH vom 21.02.2008

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
VERSÄUMNISURTEIL
IX ZR 209/06
Verkündet
am:
21. Februar 2008
Preuß
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
InsO § 96 Abs. 1 Nr. 3, §§ 129, 146 Abs. 1; BGB § 204 Abs. 1 Nr. 1
a) Für die Ausübung des Anfechtungsrechts genügt jede erkennbare - auch konklu-
dente - Willensäußerung, dass der Insolvenzverwalter eine Gläubigerbenachteili-
gung in der Insolvenz nicht hinnehme, sondern zur Masseanreicherung wenigs-
tens wertmäßig auf Kosten des Anfechtungsgegners wieder auszugleichen su-
che.
b) Zur Frage, wann das Gericht davon ausgehen darf, ein Insolvenzverwalter, der
die Anfechtbarkeit einer bestimmten Rechtshandlung geltend macht und zusätz-
lich die Tatsachengrundlage für die Anfechtung einer weiteren Rechtshandlung
vorträgt, wolle diese von der Anfechtung ausnehmen.
BGH, Versäumnisurteil vom 21. Februar 2008 - IX ZR 209/06 - OLG Rostock
- 2 -
LG Stralsund
- 3 -
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 21. Februar 2008 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gero Fischer und die
Richter Dr. Ganter, Dr. Kayser, Prof. Dr. Gehrlein und Dr. Detlev Fischer
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Rostock vom 3. November 2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Im Juni 1999 kaufte die verklagte Kommanditgesellschaft von ihrer damaligen
Komplementär-GmbH (fortan: Schuldnerin) die technischen Anlagen des von
der Schuldnerin betriebenen Heizkraftwerks. Vereinbarungsgemäß wurde der
größte Teil des Kaufpreises durch Verrechnung mit Verbindlichkeiten der
Schuldnerin gegenüber der Beklagten beglichen. Der Rest wurde durch Über-
weisung bezahlt. Im September 1999 stellte die Schuldnerin ihren Geschäftsbe-
trieb ein. Am 7. Juli 2000 wurde Insolvenzantrag gestellt, der am 2. Januar 2001
zur Eröffnung führte.
1
- 4 -
Der klagende Insolvenzverwalter hat die Verrechnung mitsamt der Ver-
rechnungsvereinbarung angefochten. Er verlangt von der Beklagten die Zah-
lung des durch Verrechnung beglichenen Teils des Kaufpreises (173.974,77 €).
Die Beklagte hat sich unter anderem damit verteidigt, es fehle an einer Gläubi-
gerbenachteiligung, weil die verkauften Gegenstände der Beklagten bereits am
12. Januar 1999 sicherungsübereignet worden seien.
2
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr
zunächst durch Urteil vom 24. November 2003 bis auf einen Teil des Zinsan-
spruchs stattgegeben. Der erkennende Senat hat dieses Urteil in einem ersten
Revisionsverfahren aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen (BGH, Urt. v. 22. Juli 2004 - IX ZR 270/03, WM 2004, 1966 ff).
Daraufhin hat das Berufungsgericht durch Urteil vom 3. November 2006 die
Berufung des Klägers zurückgewiesen. Dagegen wendet sich dieser wiederum
mit seiner - vom Senat zugelassenen - Revision.
3
Entscheidungsgründe:
Gegen die im Verhandlungstermin nicht erschienene Beklagte ist durch
Versäumnisurteil zu entscheiden. Dieses beruht jedoch inhaltlich nicht auf der
Säumnis; es berücksichtigt den gesamten Sach- und Streitstand (vgl. BGHZ 37,
79, 81 ff).
4
Das Rechtsmittel führt erneut zur Aufhebung und Zurückverweisung.
5
- 5 -
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Aufrechnungslage sei nicht
anfechtbar hergestellt worden im Sinne von § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO, weil es an
einer objektiven Gläubigerbenachteiligung fehle. Die Beklagte sei schon auf-
grund Vertrages vom 12. Januar 1999 Sicherungseigentümerin der Kaufge-
genstände gewesen und habe seither daran ein vollwertiges Absonderungs-
recht gehabt. Mit der Veräußerung sei dieses Absonderungsrecht durch die
gleichwertige Befugnis der Verrechnung der gesicherten Forderung mit der
Kaufpreisschuld ersetzt worden. Die Sicherungsübereignung habe der Kläger
nicht innerhalb der Zweijahresfrist nach § 146 InsO in der bis zum Inkrafttreten
des Gesetzes vom 9. Dezember 2004 geltenden Fassung angefochten. Die
bloße Anfechtbarkeit, die auch einredeweise geltend gemacht werden könne,
habe nicht genügt, weil der Kläger insofern keinen Anspruch der Beklagten ab-
wehren, sondern als "Angreifer" das sicherungshalber übertragene Eigentum
zur Masse zurückholen wolle. Es habe deshalb einer ausdrücklichen Anfech-
tung der Sicherungsübereignung bedurft. Innerhalb der zweijährigen Verjäh-
rungsfrist habe er bewusst davon abgesehen, die Sicherungsübereignung an-
zufechten.
6
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
7
1. In seinem ersten Revisionsurteil hatte der Senat darauf hingewiesen,
dass die Insolvenzgläubiger durch den kurz vor dem Eröffnungsantrag vorge-
nommenen Verkauf von Gegenständen an einen Gläubiger und die dadurch
8
- 6 -
hergestellte Aufrechnungslage im Sinne des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht be-
nachteiligt werden, wenn der Käufer zuvor bereits ein insolvenzbeständiges Si-
cherungseigentum an den Kaufgegenständen hatte. Hierzu hatte der Senat
Feststellungen des Berufungsgerichts vermisst.
2. Solche Feststellungen hat das Berufungsgericht auch nach der Zu-
rückverweisung nicht getroffen. Die Erwägungen in dem zweiten Berufungsur-
teil machten diese nicht entbehrlich. Es ist im Gegenteil davon auszugehen,
dass der Kläger auch die Sicherungsübereignung rechtzeitig angefochten hat.
9
a) Ob dem Berufungsgericht darin zu folgen ist, dass es im vorliegenden
Fall nicht genügt habe, einredeweise die Anfechtbarkeit der Sicherungsübereig-
nung geltend zu machen (§ 146 Abs. 2 InsO), der Kläger diese vielmehr aktiv
hätte anfechten müssen (§ 146 Abs. 1 InsO i.V.m. § 204 BGB), erscheint zwei-
felhaft. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts verfolgt der Kläger hin-
sichtlich der Sicherungsübereignung keinen Anspruch auf Rückgewähr zur
Masse (§ 143 InsO). Er macht die Anfechtbarkeit der Sicherungsübereignung
nur geltend, um den Einwand der Beklagten auszuräumen, die (teilweise) Ver-
rechnung des Kaufpreises mit Gegenforderungen sei wirksam, weil die Gläubi-
ger dadurch wegen der vorausgegangenen Sicherungsübereignung der gekauf-
ten Gegenstände nicht benachteiligt worden seien. Indes kann diese Frage un-
entschieden bleiben. Auch wenn man der strengeren Auffassung folgt, hat sich
der Kläger fristgerecht in zweifelsfreier Weise auf die Anfechtung der Siche-
rungsübereignung berufen.
10
b) Die Anfechtung muss nicht - geschweige denn ausdrücklich - als sol-
che "erklärt" werden (BGHZ 135, 140, 149 ff; BGH, Urt. v. 26. Oktober 2000 - IX
ZR 289/99, ZIP 2001, 33, 35; v. 11. Dezember 2003 - IX ZR 336/01, ZIP 2004,
11
- 7 -
671, 672; v. 13. Mai 2004 - IX ZR 128/01, ZIP 2004, 1370, 1371). Die Anfech-
tungsabsicht muss zwar erkennbar sein. Wenn der Insolvenzverwalter deutlich
macht, er wolle einen bestimmten Sachverhalt nicht der Anfechtung unterwer-
fen, so ist dies zu respektieren. Umgekehrt genügt jedoch für die Ausübung des
Anfechtungsrechts jede erkennbare - auch konkludente - Willensäußerung,
dass der Insolvenzverwalter eine Gläubigerbenachteiligung in der Insolvenz
nicht hinnehme, sondern zur Masseanreicherung wenigstens wertmäßig auf
Kosten des Anfechtungsgegners wieder auszugleichen suche (MünchKomm-
InsO/Kirchhof, § 129 Rn. 194; Kübler/Prütting/Paulus, InsO § 129 Rn. 44).
Davon zu unterscheiden ist die Frage, auf welche Weise erforderlichen-
falls die Verjährung des Anfechtungsanspruchs (§ 146 InsO) unterbrochen oder
gehemmt werden kann (MünchKomm-InsO/Kirchhof, aaO). Dies beurteilt sich
nach den §§ 203 ff BGB (HK-InsO/Kreft, 4. Aufl. § 146 Rn. 6). Verfolgt der Ver-
walter vor Gericht (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) das Ziel, dass der Gegner einen
erworbenen Gegenstand zumindest wertmäßig wieder der Masse zuführt, stützt
er sein Begehren auf einen Sachverhalt, der geeignet sein kann, die Vorausset-
zungen einer Anfechtungsnorm zu erfüllen, und lässt der Vortrag erkennen,
welche Rechtshandlungen angefochten werden, wird die Verjährung des An-
spruchs bezüglich all dieser Rechtshandlungen gehemmt (vgl. BGH, Urt. v.
11. Dezember 2003 - IX ZR 336/01, aaO; HK-InsO/Kreft, aaO § 146 Rn. 8).
12
Dass ein Insolvenzverwalter, der vor Gericht eine bestimmte Rechts-
handlung anficht - oder sich auf die Unwirksamkeit einer anfechtbaren Rechts-
handlung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO beruft - und zusätzlich die Tatsachen-
grundlage für die Anfechtbarkeit einer weiteren Rechtshandlung vorträgt, diese
von der Anfechtung ausnehmen will, entspricht auch dann nicht der Lebenser-
fahrung, wenn die in Betracht kommenden Rechtshandlungen verschiedene
13
- 8 -
wirtschaftliche Vorgänge betreffen. Im Zweifel hat das Gericht in einem derarti-
gen Fall gemäß § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO auf eine Klarstellung hinzuwirken.
Eine solche Klarstellung, Ergänzung oder Berichtigung des Tatsachenvortrags
ist auch noch nach Fristablauf möglich (vgl. BGH, Urt. v. 17. Januar 1985
- IX ZR 29/84, NJW 1985, 1560, 1561). Die Grenze, die § 146 Abs. 1 InsO einer
Ergänzung oder Berichtigung des Klagevorbringens setzt, ist nicht eng zu zie-
hen. Sie ist erst überschritten, wenn ein neuer oder in wesentlichen Teilen ge-
änderter Sachverhalt als Klagegrund nachgeschoben wird (vgl. BGHZ 117, 374,
381).
c) Dass der Kläger - wie das Berufungsgericht gemeint hat - die Siche-
rungsübereignung bewusst von der Anfechtung habe ausnehmen wollen, trifft
nicht zu. Insofern kann der Senat die Prozesserklärungen des Klägers selbst
auslegen (BGH, Urt. v. 31. Mai 1995 - VIII ZR 267/94, NJW 1995, 2563, 2564;
v. 18. Juni 1996 - VI ZR 325/95, NJW-RR 1996, 1210, 1211; Beschl. v. 7. No-
vember 2006 - VI ZB 70/05, NJW-RR 2007, 780).
14
Allerdings hat der Kläger in erster Linie die - unzutreffende - Auffassung
vertreten, einer Anfechtung der Sicherungsübereignung bedürfe es nicht, weil
diese in Folge der Verrechnung obsolet geworden sei. In der mündlichen Ver-
handlung vom 14. Juni 2002 hat er jedoch darauf hingewiesen, dass auch die
Sicherungsübereignung anfechtbar sei "und dass dies ggf. noch nachgeholt
würde". Im Schriftsatz vom 21. Oktober 2002 hat er die "Einrede der Anfecht-
barkeit" erhoben. Zu diesem Zeitpunkt war die zweijährige Anfechtungsfrist
noch nicht abgelaufen. Aus dem zitierten Vorbringen ergibt sich mit hinreichen-
der Deutlichkeit, dass der Kläger die Sicherungsübereignung nicht als insol-
venzbeständig akzeptieren wollte. Dass er von der "Einrede der Anfechtbarkeit"
gesprochen hat, ist auch dann unschädlich, wenn es - wie der Senat unter-
15
- 9 -
stellt - einer aktiven Anfechtung bedurfte. Ein Interesse des Klägers daran, die
Anfechtbarkeit nur verteidigungsweise, nicht aber als Grundlage seiner Klage
geltend zu machen oder die Anfechtung gar auf die mit dem Verkauf getroffene
Verrechnungsabrede zu beschränken, ist nicht erkennbar. Das Argument des
Berufungsgerichts, der Kläger habe bewusst nur die Verrechnungsabrede an-
gefochten, um der Masse die Vorteile aus dem unangefochtenen Kaufvertrag
zukommen zu lassen, ist nicht tragfähig. Der Kaufvertrag blieb auch dann be-
stehen, und etwa daraus sich ergebende Vorteile für die Masse blieben dieser
auch und gerade dann erhalten, wenn die frühere Sicherungsübereignung an-
gefochten wurde.
III.
Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sa-
che ist erneut zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Die dem Berufungsge-
richt schon durch das erste Revisionsurteil aufgetragene Prüfung, ob die ver-
kauften Gegenstände mehr wert waren, als die Beklagte durch Überweisung
16
- 10 -
gezahlt hat, ist nachzuholen; gegebenenfalls ist weiter zu prüfen, ob die Siche-
rungsübereignung anfechtbar ist.
Dr. Gero Fischer
Dr. Ganter
Dr. Kayser
Prof. Dr. Gehrlein
Dr. Detlev Fischer
Vorinstanzen:
LG Stralsund, Entscheidung vom 13.09.2002 - 5 O 35/02 -
OLG Rostock, Entscheidung vom 03.11.2006 - 3 U 7/03 -