Urteil des BGH vom 19.12.2003

BGH (gerichtliche zuständigkeit, zpo, internationales zivilprozessrecht, vollstreckung, zivilprozessrecht, anerkennung, antragsteller, hamburg, verordnung, form)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 7/04
vom
22. September 2005
in dem Verfahren auf Vollstreckbarerklärung
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Fischer, die Richter Raebel, Vill, Cierniak und die Richterin Lohmann
am 22. September 2005
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 29. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Hamm vom 19. Dezember 2003 wird auf
Kosten der Antragsgegnerin als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
2.193,63 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller, ein französischer Rechtsanwalt, ist für die Antrags-
gegnerin in Frankreich anwaltlich tätig geworden. Der Präsident der Anwalts-
kammer von Paris hat mit Beschluss vom 19. Juni 2001 eine Honorarforderung
des Antragstellers in Höhe von 15.500 FF abzüglich gezahlter 3.200 FF sowie
zu erstattende Auslagen von 5.210,33 FF abzüglich gezahlter 3.421 FF aner-
kannt. Dieser Beschluss ist vom Präsidenten des Tribunal des Grande Instance
von Paris am 30. April 2002 für vollstreckbar erklärt worden.
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Der Antragsteller begehrt die Vollstreckbarerklärung dieser Beschlüsse.
Der Vorsitzende einer Zivilkammer des Landgerichts hat dem Antrag stattge-
geben. Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist erfolglos geblieben. Dagegen
wendet sich diese mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
Das gemäß § 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte
Rechtsmittel ist unzulässig; denn die Rechtssache hat keine grundsätzliche
Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Rechtsbe-
schwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO).
1. Auf das Verfahren findet die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates
über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung
von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000
(EuGVVO) gemäß Art. 66 Abs. 2 Buchst. a, Art. 76 EuGVVO Anwendung.
2. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 15 Abs. 1
AVAG, § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) liegt entgegen der Auffassung der Rechtsbe-
schwerde nicht vor. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu,
wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige
Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen
kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitli-
chen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGHZ 154, 288, 291
zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Dahinstehen kann, ob die innerhalb der
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Frist (§ 16 Abs. 2 Satz 2 AVAG, § 575 Abs. 2, § 551 Abs. 2 Satz 6 a.F. ZPO)
vorgetragene Rechtsmittelbegründung dem Darlegungserfordernis des § 575
Abs. 3 Nr. 2 ZPO, § 16 Abs. 2 AVAG entspricht. Denn die von der Rechtsbe-
schwerde aufgeworfene Frage, ob hier eine Entscheidung im Sinne des Art. 32
EuGVVO vorliegt, ist in Rechtsprechung und Literatur nicht ernsthaft umstritten
und daher nicht klärungsbedürftig.
Der Begriff der Entscheidung ist in Art. 32 EuGVVO legal definiert. Er
ist autonom auszulegen (Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht 7. Aufl.
Art. 32 EuVVO Rn. 2). Die weit gefasste Definition schließt ausdrücklich Kos-
tenfestsetzungsbeschlüsse eines Gerichtsbediensteten ein. Ein solcher liegt
hier in Form der Vollstreckbarerklärung des Präsidenten des Tribunal des
Grande Instance von Paris vor.
Daher war bereits zu dem im Wesentlichen gleichlautenden Art. 25 des
Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Voll-
streckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ)
anerkannt, dass die Vollstreckbarerklärung der Vergütung eines französischen
Rechtsanwalts eine gerichtliche Entscheidung darstellt (OLG München IPRspr.
1992 Nr. 223; LG Karlsruhe IPRax 1992, 92, 93; Reinmüller IPRax 1987, 10 f;
1989, 142 f; 1992, 73, 74; Hök JBüro 1989, 1333, 1335; Schmidt RIW 1991,
626, 628; ders., Die internationale Durchsetzung von Rechtsanwaltshonoraren
Diss. Münster 1990 S. 100; Gruber VersRAI 2004, 30, 32; MünchKomm-
ZPO/Gottwald, 2. Aufl. Art. 25 EuGVÜ Rn. 12; vgl. auch OLG Koblenz IPRax
1987, 24, 25). Ebenso verhält es sich zu Art. 32 EuGVVO (Kropholler, aaO
Art. 32 EuGVVO Rn. 9; Zöller/Geimer, ZPO 25. Aufl. Art. 32 EuGVVO Rn. 3;
MünchKomm-ZPO/Gottwald, 2. Aufl. Aktualisierungsband Art. 32 EuGVVO
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Rn. 1; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht 2. Aufl. Art. 32 EuGVVO Rn. 4; Baum-
bach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 63. Aufl. Art. 32 EuGVVO Rn. 1; Rau-
scher/Leible, Europäisches Zivilprozessrecht Art. 32 EuGVVO Rn. 9; Nagel/
Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht 5. Aufl. § 12 Rn. 27).
Die von der Rechtsbeschwerde angeführte Entscheidung des Landge-
richts Hamburg vom 31. August 1987 (IPRax 1989, 162) widerspricht dem
nicht; denn das Landgericht hat die Vollstreckbarerklärung abgelehnt, weil es
- unzutreffenderweise (Art. 31 Abs. 1 EuGVÜ = Art. 38 Abs. 1 EuGVVO, vgl.
Reinmüller IPRax 1989, 142, 143; Hök aaO Sp. 1334; Schmidt, aaO S. 98 ff;
ders. RIW 1991, 626, 628) - davon ausgegangen ist, es werde die Vollstreck-
barerklärung einer ausländischen Exequaturentscheidung begehrt. Das Ober-
landesgericht Düsseldorf hat in seinem Beschluss vom 23. August 1995 (IPRax
1996, 415) die Frage, ob eine richterliche Vollstreckbarkeitsverfügung nach
Art. 32 des niederländischen Tarifgesetzes als Entscheidung im Sinne des
Art. 25 EuGVÜ anzusehen ist, ausdrücklich offengelassen (bejahend z.B. LG
Hamburg IPRspr. 1978 Nr. 165; Rauscher/Leible, aaO; Schmidt, Diss. aaO
S. 97 und RIW 1991, 626, 628). Der Hinweis von Hüßtege (in: Thomas/Putzo,
ZPO 26. Aufl. Art. 32 EuGVVO Rn. 7), die Vollstreckbarerklärung des anwaltli-
chen Honorars ohne justizförmiges Verfahren falle nicht unter Art. 32 EuGVVO,
trifft nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts (§ 293 ZPO) auf das hier
angewandte französische Recht nicht zu.
3. Die Auffassung der Rechtsbeschwerde, der angefochtene Beschluss
"unterlaufe" im Ergebnis die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
zur Zuständigkeit für Honorarklagen von Rechtsanwälten, geht schon im Blick
auf den Vorrang der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gericht-
liche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidun-
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che Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidun-
gen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 fehl.
4. Im Übrigen wird gemäß § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO, § 17 Abs. 2 Satz 2
AVAG von einer Begründung abgesehen.
Fischer Raebel Vill
Cierniak Lohmann