Urteil des BGH vom 26.07.2004

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 212/04
Verkündet am:
2. März 2005
Fritz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
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VVG §§ 102, 104; BGB § 1127
Der gesetzliche Rangrücktritt des § 104 Satz 2 VVG dient dem Schutz aller
Grundpfandgläubiger, die nach § 102 Abs. 1 Satz 2 VVG privilegiert sind. Er greift
unabhängig davon ein, ob der Versicherer die von ihm geschuldete Leistung an
den vorrangigen Grundpfandgläubiger ganz oder nur zum Teil erbracht hat.
BGH, Urteil vom 2. März 2005 - IV ZR 212/04 - LG Paderborn
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsit-
zenden Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung
vom 2. März 2005
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des
Landgerichts Paderborn vom 26. Juli 2004 wird auf Ko-
sten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Berichtigung des Grundbuchs
in Anspruch.
Sie ist Eigentümerin eines Grundstücks, das mit einem Erbbau-
recht belastet ist. Im Erbbaugrundbuch sind in Abteilung II unter Nr. 2 ei-
ne Reallast, die der Sicherung des Erbbauzinses dient, und unter Nr. 3
eine Vormerkung eingetragen, die im Falle der Erhöhung des Erbbauzin-
ses den Anspruch auf Eintragung einer weiteren Reallast sichert.
Der Erbbauberechtigte betrieb auf dem Grundstück eine Diskothek,
die aufgrund einer vorsätzlichen Eigenbrandstiftung vollständig zerstört
wurde. Die Beklagte leistete als Gebäudeversicherer an die D.
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B. , zu deren Gunsten Grundschulden in Höhe von insgesamt
1,5 Mio. DM (766.937,80 €) nebst Zinsen und Nebenleistungen bestellt
und im Range vor den Rechten der Klägerin in Abteilung III unter Nr. 1,
2, 4 und 5 des Erbbaugrundbuchs eingetragen waren, eine Zahlung in
Höhe von 1,9 Mio. DM (971.454,57 €). Dieser Betrag entsprach dem
Zeitwert der Diskothek zuzüglich aufgelaufener Zinsen; die Beklagte war
damit ihren Leistungspflichten aus dem Versicherungsvertrag vollständig
nachgekommen.
Nachfolgend veranlaßte die Beklagte mit Bewilligung der bisheri-
gen Grundpfandgläubigerin die Umschreibung der auf sie übergegange-
nen Grundschulden, ohne daß im Grundbuch eine Änderung der Rang-
verhältnisse vermerkt wurde. Die Klägerin bewirkte daraufhin die Eintra-
gung eines Amtswiderspruchs. Ihrer Klage, mit der sie von der Beklagten
die Zustimmung zur Eintragung der in Abteilung II unter Nr. 2 und 3 be-
stehenden Rechte mit dem Vorrang vor den Rechten in Abteilung III
Nr. 1, 2, 4 und 5 verlangt, hat das Landgericht stattgegeben. Dagegen
wendet sich die Beklagte mit der Sprungrevision.
Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
1. Das Landgericht hat ausgeführt: Das Grundbuch sei unrichtig,
weil die Eintragung der Beklagten im Rang vor den Rechten der Klägerin
§ 104 Satz 2 VVG widerspreche. Der Anspruch des nach § 101 Abs. 1
VVG (gemeint: § 102 Abs. 1 VVG) privilegierten Gläubigers entstehe ab-
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schließend mit dem Versicherungsfall. Für das rechtliche Schicksal die-
ses Anspruchs komme es nicht darauf an, ob das Grundpfandrecht im si-
chernden Grundstück ausreichend Deckung finde. Das gelte nicht nur für
den vorrangig gesicherten Gläubiger, der Befriedigung durch die Auszah-
lung der Versicherungsleistung an sich erlange, sondern gleichermaßen
für den nachrangig gesicherten Gläubiger. Diesem sei der Versicherer
ebenso zur Leistung verpflichtet, weil die volle Versicherungssumme zur
Haftungsmasse zu rechnen sei, die sämtlichen privilegierten Gläubigern
- und zwar mit Vorrang gegenüber den auf den Versicherer übergegan-
genen Rechten - zur Verfügung stehe. Für den Rangrücktritt im Sinne
des § 104 Satz 2 VVG sei daher nicht entscheidend, ob der Versicherer
die von ihm geschuldeten Leistungen erst zum Teil oder bereits vollstän-
dig erbracht habe.
2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Ist ein Grundstück mit einer Reallast, Grundschuld oder Ren-
tenschuld belastet, finden nach § 107b VVG die zugunsten des Hypothe-
kengläubigers geltenden Vorschriften der §§ 99-107a VVG entsprechen-
de Anwendung. Nach § 11 ErbbVO gelten die sich auf Grundstücke be-
ziehenden Vorschriften - ausgenommen die §§ 925, 927 und 928 BGB -
auch für das Erbbaurecht. Damit sind nicht nur die Bestimmungen des
Bürgerlichen Gesetzbuches gemeint, sondern es werden alle Vorschrif-
ten erfaßt, die für Grundstücke maßgeblich sind. Denn das Erbbaurecht
kann wie ein Grundstück belastet werden; das auf seiner Grundlage er-
richtete Bauwerk gilt nach § 12 ErbbVO als dessen wesentlicher Be-
standteil und haftet für seine dinglichen Belastungen (Staudinger/Rapp,
[2002] § 11 ErbbVO Rdn. 2, 4 und 9; § 12 ErbbVO Rdn. 14). Es sind da-
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her sämtliche materiell-rechtlichen Vorschriften des Bürgerlichen Ge-
setzbuches über den grundpfandrechtlichen Haftungsverband anwend-
bar; darüber hinaus besteht kein sachlicher Grund, ein dinglich belaste-
tes Erbbaurecht von den Vorschriften über die Haftung des Versicherers
gegenüber den Realgläubigern gemäß den §§ 102 ff. VVG auszuneh-
men. Auf die Art der Belastung kommt es dabei nicht an, solange es sich
– wie bei der Reallast (Staudinger/Amann, [2002] Einl. zu §§ 1105-1112
BGB Rdn. 23; § 1107 BGB Rdn. 12) – um ein dingliches Verwertungs-
und kein bloßes Nutzungsrecht handelt.
b) Die Beklagte als Gebäudeversicherer ist zwar von der Verpflich-
tung zur Leistung nach § 61 VVG frei geworden, weil ihr Versicherungs-
nehmer den Versicherungsfall durch Brandstiftung vorsätzlich herbeige-
führt hat. Gleichwohl blieb nach §§ 102 Abs. 1 Satz 1, 107b VVG ihre
Verpflichtung zur Leistung gegenüber den Grundpfandgläubigern beste-
hen. Die Vorschrift des § 102 Abs. 1 VVG schafft ein selbständiges, un-
mittelbares Recht des Realgläubigers, das als gesetzlicher Anspruch an
die Stelle der pfandweisen Haftung der Versicherungsforderung gemäß
§ 1127 Abs. 1 BGB tritt. Dieser Anspruch entsteht unmittelbar mit dem
Versicherungsfall, hier mit der brandweisen Zerstörung der Diskothek als
dem zum Erbbaurecht gehörenden Bauwerk. Der Realgläubiger soll da-
mit die gleichen Rechte haben wie bei Bestehen des Anspruchs aus dem
Versicherungsvertrag (Senatsurteile vom 4. Dezember 1996 - IV ZR
143/95 - ZIP 1997, 232 unter 2 b; vom 19. Februar 1981 - IVa ZR 57/80 -
WM 1981, 488 unter I 2; RGZ 102, 350, 352). Sein Anspruch gegen den
Versicherer ist lediglich der Höhe nach begrenzt durch die an ihn aus
dem Grundstück zu zahlende Summe einerseits und durch den vom Ver-
sicherer bedingungsgemäß zu ersetzenden Schaden andererseits (Se-
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natsurteil vom 4. Dezember 1996 aaO). Die Beklagte ist damit ihrer Ver-
pflichtung aus § 102 Abs. 1 Satz 1 VVG durch Zahlung an die erstrangi-
ge Grundschuldgläubigerin in vollem Umfang nachgekommen, weil sie
insgesamt nur eine Versicherungsleistung in Höhe von 1,4 Mio. DM
(715.808,63 €) zuzüglich Zinsen schuldete.
c) Nach § 104 Satz 1 VVG i.V. mit § 107b VVG sind mit Befriedi-
gung der Realgläubigerin deren dingliche Rechte auf die Beklagte über-
gegangen; sie war daher im Grundbuch als neue Inhaberin der Grund-
schulden einzutragen. Allerdings treten, wovon das Berufungsgericht zu
Recht ausgegangen ist, die auf sie übergegangenen Grundpfandrechte
gemäß § 104 Satz 2 VVG im Rang gegenüber den Rechten der Klägerin
zurück. Entgegen einer Minderansicht in der Literatur (Langheid in Rö-
mer/Langheid, 2. Aufl. § 104 VVG Rdn. 8 ff.; ders. NVersZ 2002, 529 ff.)
kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob der Versicherer
die von ihm geschuldete Versicherungssumme an die erstrangige
Grundpfandgläubigerin in voller Höhe oder nur zum Teil erbracht hat.
Vielmehr beruht diese Auffassung auf einem Fehlverständnis von Wort-
laut, Sinn und Zweck der genannten Vorschrift.
(1) Der in § 104 Satz 2 VVG angeordnete gesetzliche Rangrücktritt
dient dem Schutz aller Gläubiger, die nach den §§ 102 Abs. 1 Satz 1,
107b VVG privilegiert sind. Ihnen gegenüber bleibt die Verpflichtung des
Versicherers zur Leistung bestehen, auch wenn er wegen des Verhaltens
des Versicherungsnehmers von seiner Verpflichtung zur Leistung frei
geworden ist. Die Realgläubiger sind - gleich welchen Rang sie haben -
im gestörten Versicherungsverhältnis des Versicherers zum Versiche-
rungsnehmer so zu stellen, wie sie bei einem ungestörten stünden (Koll-
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hosser in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 104 Rdn. 6; BK/Dörner/Stau-
dinger, § 104 VVG Rdn. 13; R. Schmidt, Die rechtliche Stellung des Re-
algläubigers gegenüber dem Versicherer, S. 222; Johannsen in Bruck/
Möller, VVG Bd. III 8. Aufl. Anm. J 73; OLG Hamm W M 2002, 2329).
Damit steht sämtlichen Realgläubigern, die sich auf die §§ 102 Abs. 1
Satz 1, 107b VVG berufen können, die Versicherungsforderung als Teil
des grundpfandrechtlichen Haftungsverbandes zur Verfügung (§§ 1127,
1107, 1192 Abs. 1, 1200 Abs. 1 BGB). Allein darauf nimmt § 104 Satz 2
VVG Bezug, wenn er für den Rangrücktritt zur Voraussetzung macht,
daß die Verpflichtung des Versicherers zur Leistung gegenüber den
gleich- oder nachstehenden Realgläubigern bestehen geblieben ist.
(2) Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob ein Realgläubiger
den bevorrechtigten Zugriff auf die Haftungsmasse hat, sollte diese für
die Befriedigung aller privilegierten Gläubiger nicht ausreichen. Das wie-
derum beurteilt sich nach dem Rang des dinglichen Rechts (R. Schmidt,
aaO S. 206) und hat hier zur Folge, daß die Beklagte die Versicherungs-
leistung an die erstrangige Grundschuldgläubigerin zu erbringen hatte.
Da sich die Entschädigungssumme mit Zahlung an diese Gläubigerin er-
schöpft hat, ist dieser Gegenstand des Haftungsverbandes für die weite-
ren privilegierten Gläubiger verloren. Ihnen steht nur noch die restliche
Haftungsmasse zur Befriedigung zur Verfügung. Um den Zugriff darauf
nicht zu schmälern, enthält § 104 Satz 2 VVG eine Rangvorschrift für die
nach § 104 Satz 1 VVG auf den Versicherer übergegangenen Rechte.
Der Versicherer soll mit diesen Rechten nicht neben oder vor die
verbleibenden Gläubiger treten, obwohl er dinglich die Stelle eines Gläu-
bigers einnimmt, der das ihm Zustehende bereits erhalten hat. Die Vor-
schrift ordnet deshalb einen Rangrücktritt an, weil andernfalls der Versi-
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cherer als neuer Realgläubiger in den Rang einrücken würde, wie ihn der
ausgeschiedene - voll befriedigte - Realgläubiger innegehabt hat. Diese
vom Gesetzgeber als unberechtigt erachtete Bevorzugung des Versiche-
rers soll durch die Regelung in § 104 Satz 2 VVG vermieden werden.
Die Vorschrift des § 104 Satz 2 VVG könnte ihren Sinn und Zweck
nicht erfüllen, sollte sie nur dann zur Anwendung kommen, wenn der
Versicherer die von ihm geschuldete Leistung noch nicht vollständig er-
bracht hat, wie dies von der Minderansicht vertreten wird (Langheid,
aaO). Denn in diesem Fall könnte der nachrangige Gläubiger ohnehin
den noch offenen Teil der Versicherungssumme für sich beanspruchen
(Johannsen, aaO). Ein Schutzbedürfnis für die gleich- und nachrangigen
Gläubiger ergibt sich erst, wenn die Versicherungsleistung in voller Höhe
an den erstrangigen Gläubiger gezahlt worden ist. Der Übergang des
Grundpfandrechts auf den Versicherer führte ohne die Regelung in § 104
Satz 2 VVG dazu, daß nachstehende Gläubiger im Rang nicht vorrücken
könnten; ebenso gingen die gleichstehenden Gläubiger des Vorteils ver-
lustig, den das Ausscheiden des befriedigten Gläubigers sonst mit sich
brächte (vgl. Motive zum VVG hrsg. vom Bundesaufsichtsamt für das
Versicherungs- und Bausparwesen [1963] S. 171 f.). Ihre Rechte als pri-
vilegierte Gläubiger, denen durch die Befriedigung eines gleich- oder
vorstehenden Gläubigers die Versicherungsforderung als Gegenstand
des Haftungsverbandes verlorengegangen ist, wären gefährdet, würde
der Versicherer an die Stelle des befriedigten Gläubigers treten und des-
sen Recht neben oder vor ihnen geltend machen können. Um das zu
verhindern, ist § 104 Satz 2 VVG mit dem Inhalt eingeführt worden, daß
der Versicherer den Übergang des dinglichen Rechts des befriedigten
Gläubigers nicht zum Nachteil eines gleich- oder nachstehenden Real-
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gläubigers geltend machen kann, demgegenüber (ebenso) die Verpflich-
tung des Versicherers zur Leistung bestehen geblieben ist.
d) Die Klägerin ist daher mit entsprechendem Vorrang für ihre be-
stehende Reallast in Abteilung II Nr. 2 des Grundbuchs auszuweisen.
Das gleiche gilt für die in Abteilung II unter Nr. 3 eingetragene Vormer-
kung. Wird die vorgemerkte Reallast zu einem späteren Zeitpunkt einge-
tragen, ist diese in ihren rechtlichen Wirkungen auf den Zeitpunkt der
Eintragung der Vormerkung zurückzubeziehen (§ 883 Abs. 3 BGB; RGZ
151, 389, 392, 394; Staudinger/Gursky, [2002] § 883 BGB Rdn. 251
m.w.N.). Demnach ist auch für diese künftige Reallast davon auszuge-
hen, daß mit Eintritt des Versicherungsfalles die Verpflichtung der Be-
klagten als Versicherer der Klägerin gegenüber als privilegierter Gläubi-
gerin im Sinne des § 102 Abs. 1 Satz 1 VVG bestehen geblieben ist.
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch