Urteil des BFH vom 24.04.2007

BFH (wiedereinsetzung in den vorigen stand, materielles recht, fristversäumnis, irrtum, erkrankung, abgabenordnung, wiedereinsetzung, prüfung, rechtsfrage, einspruch)

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 23.1.2008, I B 101/07
Vergessen als Wiedereinsetzungsgrund - Klärungsfähigkeit der Frage des schuldhaften Handelns eines Beraters - Keine
Amtsermittlungen im Wiedereinsetzungsverfahren
Tatbestand
1 I. Streitpunkt ist, ob der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), die erst nach Ablauf der Einspruchsfristen
Einspruch gegen mehrere Steuerbescheide eingelegt hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 der
Abgabenordnung (AO) zu gewähren ist.
2 Die Klägerin, eine GmbH, ist ein …unternehmen. Im Jahr 2004 war beim Finanzgericht (FG) Düsseldorf hinsichtlich der
Jahre 1993 bis 1995 eine Klage bezüglich verdeckter Gewinnausschüttungen (vGA) wegen aus Sicht des Beklagten
und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) zu niedriger Entgelte für die Überlassung von …daten anhängig. Im
Rahmen einer Außenprüfung nahmen die Prüfer aus dem gleichen Grund auch für die Streitjahre des vorliegenden
Verfahrens (1996 bis 2000) vGA an. Der von der steuerlichen Beraterin und jetzigen Prozessbevollmächtigten der
Klägerin --der X-AG-- mit der Wahrnehmung der Interessen der Klägerin betraute Rechtsanwalt und Steuerberater A
behielt sich in der Schlussbesprechung Einwendungen gegen die diesbezüglichen Feststellungen der Prüfer vor.
3 Dem Prüfungsbericht folgend erließ das FA am 29. April 2004 geänderte Steuerbescheide betreffend die Streitjahre.
Gegen diese hat die Klägerin am 13. Juli 2004 --mithin nach Ablauf der in § 355 AO bestimmten Monatsfrist-- Einspruch
erhoben und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung des
Wiedereinsetzungsantrags hat sie Folgendes vorgebracht: Der bei der X-AG mit der Prüfung von Steuerbescheiden
befasste Sachbearbeiter habe A nach Prüfung der streitgegenständlichen Bescheide mitgeteilt, dass diese mit den
Ergebnissen der Betriebsprüfung übereinstimmten. A habe sodann die für die Fristenkontrolle zuständige Mitarbeiterin
darüber informiert, dass keine Einsprüche einzulegen seien. Dabei habe A, obwohl er das Gerichtsverfahren betreffend
die Jahre 1993 bis 1995 für die Klägerin betreut und den Vorbehalt bei der Schlussbesprechung angebracht habe,
nicht an die vGA-Problematik gedacht. Dies sei sehr ungewöhnlich gewesen, weil A ansonsten die Details eines
Sachverhalts auch in schwierigen Situationen im Blick behalte. A sei seit Anfang Mai 2004 gesundheitlich beeinträchtigt
gewesen und habe dennoch wegen termingebundener und rechtlich anspruchsvoller Aufgaben weit mehr als die
üblichen acht Stunden gearbeitet.
4 Das FA hat den Antrag auf Wiedereinsetzung abgelehnt und die Einsprüche als unzulässig verworfen. Die dagegen
gerichtete Klage hat das FG mit Urteil vom 24. April 2007 6 K 4658/06 K,F teils als unzulässig und teils als unbegründet
abgewiesen.
5 Die Klägerin begehrt die Zulassung der Revision gegen das FG-Urteil und beruft sich zur Begründung auf die
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie auf einen Verfahrensfehler des FG.
6 Das FA beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unzulässig, weil die Klägerin entgegen § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe nach § 115 Abs. 2 FGO nicht bzw. nicht hinreichend dargetan hat.
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1. Im Hinblick auf die Abweisung der den Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 1997 betreffenden Klage als
unzulässig fehlt es in der Beschwerdebegründung an jeglicher Darlegung eines Revisionszulassungsgrundes.
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2. Soweit die Klägerin ihr Rechtsmittel in Bezug auf die weiteren Klagegegenstände auf die grundsätzliche Bedeutung
der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO stützt, hat sie die Voraussetzungen dieses Zulassungsgrundes schon
mangels der erforderlichen Darlegung der Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfragen in dem angestrebten
Revisionsverfahren (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 27. März 2007 I B 72/06, juris; Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -
-BFH-- vom 10. Februar 2005 II B 37/04, BFH/NV 2005, 1116; vom 28. August 2003 VII B 71/03, BFH/NV 2004, 493)
nicht schlüssig dargetan.
10 a) Die Klärungsfähigkeit der von der Klägerin aufgeworfenen Frage, ob ein Berater auch dann schuldhaft handele,
wenn er sich auf sein Erinnerungsvermögen verlasse, das ihn bis zum Tag der Fristversäumnis nicht im Stich
gelassen habe, ist ihrem Vorbringen nicht zu entnehmen. Die Frage lässt sich nicht allgemeingültig beantworten, weil
eine unüberschaubare Vielzahl von unterschiedlichen Situationen denkbar ist, in denen eine gedankliche
Fehlleistung eines Beraters zu einer Fristversäumnis führen könnte. Selbst wenn grundsätzlich Situationen denkbar
wären, in denen das Vergessen eines Einspruchsgrundes als nicht schuldhaft anzusehen wäre, wäre damit noch nicht
gesagt, dass im Streitfall eine solche Situation vorgelegen hat.
11 Im Übrigen hat das FG nach Dafürhalten des Senats offensichtlich zutreffend entschieden, dass allein das Vergessen
der Einspruchsbedürftigkeit durch den Bevollmächtigten zur Glaubhaftmachung des fehlenden Verschuldens an der
Fristversäumnis nicht geeignet ist. Es ist dann nämlich naheliegend oder zumindest möglich, dass der Bevollmächtigte
sich unter Verstoß gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht schlicht keine hinreichend konkreten und intensiven
Gedanken über die Einspruchsbedürftigkeit gemacht hat. Mithin fehlt es auch an der erforderlichen
Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage (vgl. Senatsbeschluss vom 25. April 2007 I B 52/06, BFH/NV
2007, 1646, m.w.N.).
12 b) Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund die des Weiteren aufgeworfene Rechtsfrage, ob das im Streitfall
gegebene Vergessen der Einspruchsbedürftigkeit durch den Bevollmächtigten einem Irrtum über materielles Recht
gleichkommt, welcher nach der Rechtsprechung grundsätzlich nicht unverschuldet i.S. von § 110 Abs. 1 AO sein kann
(vgl. etwa BFH-Beschluss vom 22. Mai 2006 VI R 51/04, BFHE 214, 145, BStBl II 2006, 833, m.w.N.), im Streitfall
klärungsfähig sein soll. Das FG hat das Verschulden des A nicht abstrakt aus einer Gleichsetzung des Vergessens der
Einspruchsbedürftigkeit mit einem Irrtum über materielles Recht abgeleitet. Vielmehr hat es eine konkrete
Verschuldensprüfung vorgenommen und eine Sorgfaltspflichtverletzung des A darin gesehen, dass dieser die
Einspruchsbedürftigkeit nicht hinreichend geprüft habe.
13 c) Ebenso wenig erschließt sich, warum klärungsfähig sein soll, ob eine Erkrankung geeignet sein kann, einen Irrtum
über die Einspruchsbedürftigkeit zu entschuldigen. Das FG hat eine solche Entschuldigungsmöglichkeit grundsätzlich
bejaht, die Entschuldigung indes auf Tatsachenebene nicht als ausreichend erachtet, weil die Klägerin die behauptete
Erkrankung des A nicht hinreichend glaubhaft gemacht hat.
14 3. Nicht hinreichend dargelegt hat die Klägerin auch den behaupteten Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) der
unzureichenden Sachaufklärung im Hinblick auf die behauptete Erkrankung des A. Es ist nicht ersichtlich, aus
welchem Rechtsgrund in diesem Punkt eine Sachaufklärungspflicht des FG bestanden haben soll. Die tatsächlichen
Voraussetzungen des fehlenden Verschuldens an der Fristversäumnis sind gemäß § 110 Abs. 2 Satz 2 AO vom
Antragsteller glaubhaft zu machen. Für Amtsermittlungen ist in diesem Verfahren grundsätzlich kein Raum
(Senatsbeschluss vom 21. April 2004 I B 108/03, juris; BFH-Urteil vom 20. November 1987 III R 208/84, III R 210-
211/84, BFH/NV 1989, 370; Stöcker in Beermann/Gosch, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 76 FGO Rz
33.1; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 76 FGO Rz 47).