Urteil des BFH vom 24.01.2013

Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG - Abholung und Entsorgung von Speiseabfällen aus Restaurants und Großküchen ist keine "landwirtschaftliche Dienstleistung" - Keine Anwendbarkeit von § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO bei Erstbescheiden - Verfassungsm

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 24.1.2013, V R 34/11
Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG - Abholung und Entsorgung von Speiseabfällen
aus Restaurants und Großküchen ist keine "landwirtschaftliche Dienstleistung" - Keine
Anwendbarkeit von § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO bei Erstbescheiden - Verfassungsmäßigkeit der
gesetzmäßigen Besteuerung - Prüfung einer Schätzung durch den BFH
Leitsätze
Die Abholung und Entsorgung von Speiseabfällen aus Restaurants und Großküchen stellt keine
landwirtschaftliche Dienstleistung dar, die der Pauschalbesteuerung nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
UStG unterliegt.
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Landwirt. Er betrieb in den Streitjahren 2003
bis 2005 auf ca. 19 ha gepachteten Flächen einen Mastbetrieb (Schweine und Rinder), ohne
dass die Anzahl der Vieheinheiten (VE) nachhaltig die in § 51 Abs. 1a des
Bewertungsgesetzes bezeichnete Grenze überschritt.
2 In den Streitjahren holte er mit einem Spezialfahrzeug von Großküchen und Restaurants
gegen Bezahlung organische Abfälle (Speiseabfälle) ab. Diese erhitzte der Kläger und
verfütterte sie anschließend ausschließlich an seine eigenen Schweine.
3 Im Anschluss an eine Außenprüfung vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt --FA--) die Auffassung, dass die Entsorgung der Speiseabfälle eine dem
Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistung des Klägers darstelle, und setzte mit
Bescheiden vom 29. Oktober 2008 erstmalig Umsatzsteuer für die Jahre 2003, 2004 und
2005 fest. Dabei berücksichtigte das FA die streitbefangenen Umsätze
(Speiseresteabholung), in deren Bemessungsgrundlage es neben den Geldzahlungen der
Restaurants und Großküchen zusätzlich den Wert der Speiseabfälle einbezog, und die damit
zusammenhängenden Vorsteuern.
4 Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit dem in
"Entscheidungen der Finanzgerichte" 2012, 187 veröffentlichten Urteil nur insoweit statt, als
das FA die Bemessungsgrundlage für die streitbefangene Leistung des Klägers
(Speiseresteabholung) um den Wert der Speisereste erhöht hatte. Im Übrigen wurde die
Klage abgewiesen.
5 Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen aus, die Abholung und Entsorgung der
Speiseabfälle sei eine sonstige Leistung, die nicht der Durchschnittssatzbesteuerung gemäß
§ 24 der in den Streitjahren gültigen Fassung des Umsatzsteuergesetzes 1999 bzw. 2005
(UStG) unterliege. Die Entsorgungsleistungen trügen nicht "normalerweise zur
landwirtschaftlichen Erzeugung" i.S. von Art. 295 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom
28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) bei, da sie
der gewerblichen Betätigung der Restaurants und Großküchen dienten. Die Leistungen des
Klägers fielen auch nicht unter Anhang VIII Nr. 2 MwStSystRL, denn die dort genannten
Betätigungen müssten sich auf "landwirtschaftliche Erzeugnisse" beziehen. Die
Speiseabfälle seien aber keine "landwirtschaftlichen", sondern gewerbliche (Abfall-)
Produkte.
6 Die Speiseresteabholung unterfalle zudem weder als sog. landwirtschaftlicher Hilfsumsatz
noch als landwirtschaftlicher Nebenbetrieb der Besteuerung nach § 24 UStG. Bei restriktiver
richtlinienkonformer Auslegung seien landwirtschaftliche Hilfsleistungen nicht von § 24 UStG
erfasst. Ein landwirtschaftlicher Nebenbetrieb --dessen Vereinbarkeit mit Art. 295 i.V.m.
Anhang VIII MwStSystRL unterstellt-- liege nicht vor, da die Umsätze aus der
Speiseresteverwertung in erheblichem Umfang die Umsätze aus Landwirtschaft überstiegen
hätten, so dass die Speiseresteabholung nicht als Betätigung von untergeordneter
Bedeutung beurteilt werden könne. Für die Frage der "Bedeutung" der Leistungen komme es
nicht auf die aufgewendete Arbeitszeit, sondern auf die gegenüber Dritten erbrachten
Leistungen an, deren Umfang sich nach dem Entgelt richte.
7 Die Regelbesteuerung der Speiseresteabholung verstoße weder gegen den Gleichheitssatz
noch gegen Vertrauensschutzgesichtspunkte. Es gelte das Prinzip der
Abschnittsbesteuerung. Eine Verwaltungsanweisung, auf die der Kläger hätte vertrauen
dürfen, habe nicht existiert. Die steuerliche Behandlung der Erzeugung und des Verkaufs
von Biogas sei mangels Vergleichbarkeit für den Streitfall unerheblich. Die vom Kläger
herangezogenen Vorschriften über die Speiseabfallentsorgung hätten lediglich
ordnungspolitische Zwecke und könnten die europaweit harmonisierte Umsatzbesteuerung
nicht beeinflussen.
8 Als Bemessungsgrundlage berücksichtigte das FG die in den Jahresabschlüssen zum
30. Juni des dem jeweiligen Streitjahr folgenden Kalenderjahres ausgewiesenen Erlöse
abzüglich der Umsatzsteuer. Eine auf das Kalenderjahr bezogene Berechnung sei nicht
möglich. Durch die Verschiebung würden sich allenfalls geringe Abweichungen ergeben.
9 Gegen das Urteil wendet sich der Kläger mit der vom FG zugelassenen Revision, die er auf
Verletzung materiellen Rechts stützt. Zu Unrecht gehe das FG davon aus, dass die
streitbefangenen Umsätze der Regelbesteuerung unterlägen.
10 Das FG lege Art. 295 ff. MwStSystRL zu eng aus. Eine landwirtschaftliche Dienstleistung
müsse nicht zwingend gegenüber einem Land- und Forstwirt erbracht werden. Es müsse
berücksichtigt werden, dass Speisereste nicht als gewerblicher Abfall entsorgt werden
dürften, sondern im Ergebnis landwirtschaftlich verarbeitet werden müssten. Nach der
Speiseabfallverordnung erhalte eine Genehmigung zur Entsorgung nur, wer Schweine
mäste oder zur Schlachtung führe. Die Beurteilung aus Sicht des Leistungsempfängers sei
ursprünglich als Vereinfachungsregelung entwickelt worden und diene landwirtschaftlicher
Nachbarschaftshilfe. Sie dürfe nicht zum Dogma erhöht werden.
11 Da die streitigen Umsätze der Futterbeschaffung dienten, handele es sich um
Vorbereitungshandlungen zur landwirtschaftlichen Urproduktion (Schweinemast) und nicht
um Hilfsumsätze. Der Vorgang sei vergleichbar mit der Beschaffung von Fertigfutter, die der
Durchschnittsbesteuerung unterliege. Zudem handele es sich um einen landwirtschaftlichen
Nebenbetrieb.
12 Die rückwirkende Änderung der Verwaltungsauffassung verstoße gegen Art. 20 Abs. 3,
Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 sowie Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Zudem sei Art. 3
Abs. 1 GG verletzt, soweit die Speiseresteverwertung im Rahmen der Schweinemast anders
beurteilt werde als im Rahmen der Verwertung in einer Biogasanlage.
13 Der Kläger beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es die Klage abgewiesen hat, und die
Umsatzsteuerbescheide für 2003, 2004 und 2005 vom 29. Oktober 2008 dahingehend zu
ändern, dass die erfassten Leistungen der Durchschnittssatzbesteuerung gemäß § 24 UStG
unterworfen werden.
14 Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
15 Es schließt sich der Auffassung des FG an. Ergänzend weist es darauf hin, dass der Kläger
für die Ausführung der streitigen Umsätze spezielle Gerätschaften in Form eines Fahrzeuges
und eines Dampfsterilisators benötigt und damit die "normale Ausrüstung" seines
landwirtschaftlichen Betriebs nicht ausgereicht habe.
Entscheidungsgründe
16 II. Die Revision ist unbegründet und gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
zurückzuweisen. Das FG geht zutreffend davon aus, dass der Kläger nicht berechtigt ist, für
seine sonstigen Leistungen, die in der Entsorgung der Speiseabfälle bestehen, gemäß § 24
Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG die Durchschnittssatzbesteuerung anzuwenden.
17 1. Für die im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs ausgeführten Umsätze
wird die Steuer für Dienstleistungen i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 9 UStG gemäß
§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG und die diesen Umsätzen zuzurechnenden Vorsteuerbeträge
gemäß § 24 Abs. 1 Satz 3 UStG auf jeweils neun Prozent der Bemessungsgrundlage
festgesetzt.
18 a) Als land- und forstwirtschaftlicher Betrieb gelten nach § 24 Abs. 2 Satz 1 UStG
19 "1. die Landwirtschaft, die Forstwirtschaft, der Wein-, Garten-, Obst- und Gemüsebau, die
Baumschulen, alle Betriebe, die Pflanzen und Pflanzenteile mit Hilfe der Naturkräfte
gewinnen, die Binnenfischerei, die Teichwirtschaft, die Fischzucht für die Binnenfischerei
und Teichwirtschaft, die Imkerei, die Wanderschäferei sowie die Saatzucht;
20 2. Tierzucht- und Tierhaltungsbetriebe, soweit ihre Tierbestände nach den §§ 51 und 51a
des Bewertungsgesetzes zur landwirtschaftlichen Nutzung gehören".
21 Zum land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gehören nach § 24 Abs. 2 Satz 1 UStG auch die
Nebenbetriebe, die dem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb zu dienen bestimmt sind.
22 b) § 24 UStG ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH)
richtlinienkonform entsprechend dem geltenden Unionsrecht, in den Streitjahren Art. 25 der
Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften
der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG),
auszulegen (vgl. BFH-Urteil vom 13. Januar 2011 V R 65/09, BFHE 233, 72, BStBl II 2011,
465, m.w.N.).
23 Nach Art. 25 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG können die Mitgliedstaaten auf
landwirtschaftliche Erzeuger, bei denen die Anwendung der normalen
Mehrwertsteuerregelung oder gegebenenfalls der vereinfachten Regelung nach Art. 24 der
Richtlinie 77/388/EWG auf Schwierigkeiten stoßen würde, als Ausgleich für die Belastung
durch die Mehrwertsteuer, die auf die von den Pauschallandwirten bezogenen Gegenstände
und Dienstleistungen gezahlt wird, eine Pauschalregelung anwenden. Nach Art. 25 Abs. 2
fünfter Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG gelten als landwirtschaftliche
Dienstleistungen die in Anhang B aufgeführten Dienstleistungen, die von einem
landwirtschaftlichen Erzeuger mit Hilfe seiner Arbeitskräfte und/oder der normalen
Ausrüstung seines landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen oder Fischereibetriebs
vorgenommen werden. Als landwirtschaftliche Dienstleistungen gelten nach Anhang B der
Richtlinie 77/388/EWG Dienstleistungen, die normalerweise zur landwirtschaftlichen
Produktion beitragen, wie z.B. "Hüten, Zucht und Mästen von Vieh" (vierter Gedankenstrich).
24 2. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) gilt Art. 25
der Richtlinie 77/388/EWG nur für die Lieferung landwirtschaftlicher Erzeugnisse und die
Erbringung landwirtschaftlicher Dienstleistungen, wie sie in Abs. 2 dieser Bestimmung
definiert sind; demgegenüber unterliegen die sonstigen Umsätze der Pauschallandwirte der
allgemeinen Besteuerungsregelung (EuGH-Urteile vom 15. Juli 2004 C-321/02, Harbs, Slg.
2004, I-7101 Rdnrn. 31 und 36, sowie vom 26. Mai 2005 C-43/04, Stadt Sundern, Slg. 2005,
I-4491 Rdnr. 21). Weiter sind die von Art. 25 der Richtlinie 77/388/EWG verwendeten
Begriffe in der gesamten Gemeinschaft autonom und einheitlich auszulegen (EuGH-Urteil
Stadt Sundern in Slg. 2005, I-4491 Rdnr. 24). Dabei ist die Sonderregelung nach Art. 25 der
Richtlinie 77/388/EWG eng auszulegen und darüber hinaus nur insoweit anzuwenden, als
dies zur Erreichung ihres Zieles erforderlich ist (EuGH-Urteile Harbs in Slg. 2004, I-7101
Rdnr. 27, und Stadt Sundern in Slg. 2005, I-4491 Rdnr. 27; vom 8. März 2012 C-524/10,
Umsatzsteuer-Rundschau 2012, 685 Rdnr. 49). Dieses Ziel besteht darin, die Belastung
durch die Steuer auf die von den Landwirten bezogenen Gegenstände und Dienstleistungen
dadurch auszugleichen, dass den landwirtschaftlichen Erzeugern, die ihre Tätigkeit im
Rahmen eines landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen oder Fischereibetriebs ausüben, ein
Pauschalausgleich gezahlt wird, wenn sie landwirtschaftliche Erzeugnisse liefern oder
landwirtschaftliche Dienstleistungen erbringen (EuGH-Urteile Harbs in Slg. 2004, I-7101
Rdnr. 29, und Stadt Sundern in Slg. 2005, I-4491 Rdnr. 28). Keine "landwirtschaftlichen
Dienstleistungen" sind daher Leistungen, die keinen landwirtschaftlichen Zwecken dienen
und sich nicht auf normalerweise in land-, forst- und fischwirtschaftlichen Betrieben
verwendete Mittel beziehen (EuGH-Urteile Harbs in Slg. 2004, I-7101 Rdnr. 31, und Stadt
Sundern in Slg. 2005, I-4491 Rdnr. 29).
25 Dieser Auslegung folgt die Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Urteil in BFHE 233, 72,
BStBl II 2011, 465, m.w.N.). Die ertragsteuerrechtliche Beurteilung ist daher ohne Bedeutung
(BFH-Urteil vom 13. August 2008 XI R 8/08, BFHE 221, 569, BStBl II 2009, 216, unter II.3.).
26 3. Bei Anwendung dieser Grundsätze handelt es sich bei den streitbefangenen Leistungen
nicht um landwirtschaftliche Dienstleistungen, die der Pauschalbesteuerung nach § 24
Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG unterliegen.
27 a) Eine Ausweitung des Anwendungsbereiches des § 24 UStG auf die von Landwirten
durchgeführte Entsorgung von in Restaurants und Großküchen anfallenden Speiseabfällen
ist mit Art. 25 der Richtlinie 77/388/EWG nicht vereinbar. Dies ergibt sich bereits daraus,
dass die Entsorgung von Speiseresten in der Liste der landwirtschaftlichen Dienstleistungen
gemäß Anhang B der Richtlinie 77/388/EWG nicht ausdrücklich aufgeführt ist. Bei der
gebotenen engen Auslegung (vgl. EuGH-Urteile Harbs in Slg. 2004, I-7101 Rdnr. 27; Stadt
Sundern in Slg. 2005, I-4491 Rdnr. 27; BFH-Urteil in BFHE 233, 72, BStBl II 2011, 465)
handelt es sich nicht um das Mästen von Vieh im Sinne von Anhang B vierter
Gedankenstrich i.V.m. Art. 25 Abs. 2 fünfter Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG.
28 b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann es dahinstehen, ob die
Speiseresteentsorgung innerhalb eines landwirtschaftlichen Nebenbetriebs erfolgt ist. Die
Zuordnung zu einem landwirtschaftlichen Nebenbetrieb ändert nichts daran, dass nur
landwirtschaftliche Dienstleistungen der Durchschnittssatzbesteuerung unterliegen. Eine
solche liegt hier nicht vor.
29 4. Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich eine abweichende Beurteilung auch
nicht aufgrund schutzwürdigen Vertrauens.
30 a) Soweit der Vortrag des Klägers dahin zu verstehen ist, dass er aufgrund Abschn. 264
Abs. 1 Satz 2 der Umsatzsteuer-Richtlinien 2000 bzw. 2005 i.V.m. R 135 Abs. 3 und 4 bzw.
R 15.5 der in den Streitjahren gültigen Fassung der Einkommensteuer-Richtlinien darauf
vertraut habe, dass auch die Entsorgungsleistungen der Durchschnittssatzbesteuerung
unterliegen, ist dieses Vertrauen im Streitfall nicht nach § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der
Abgabenordnung (AO) geschützt. Die Vorschrift ist bei Erstbescheiden nicht anwendbar (vgl.
BFH-Beschluss vom 4. Juni 2007 IV B 88/06, BFH/NV 2007, 2088; BFH-Urteil vom 19. März
2002 VIII R 57/99, BFHE 198, 137, BStBl II 2002, 662, m.w.N.). Da der Kläger weder
Umsatzsteuervoranmeldungen noch Jahressteuererklärungen für die Streitjahre eingereicht
hat, die gemäß § 168 Satz 1 AO als Festsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gelten
könnten, handelt es sich bei den angegriffenen Bescheiden um Erstbescheide.
31 Ob eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO diesen Aspekt ggf. berücksichtigen könnte,
kann im vorliegenden Verfahren nicht entschieden werden (vgl. BFH-Urteil vom
12. Dezember 1995 VIII R 59/92, BFHE 179, 335, BStBl II 1996, 219).
32 b) Soweit sich der Kläger darauf beruft, dass der streitige Sachverhalt durch das FA bei
vorangegangenen Betriebsprüfungen nicht beanstandet wurde, begründet dies nach
ständiger Rechtsprechung keinen Vertrauensschutz. Eine Bindung des FA an eine früher
erfolgte rechtliche Beurteilung kann sich nur aufgrund einer verbindlichen Zusage gemäß
§ 204 AO oder einer nach Treu und Glauben verbindlichen Auskunft ergeben (z.B. BFH-
Urteile vom 31. Mai 2007 V R 5/05, BFHE 217, 290, BStBl II 2011, 289, m.w.N.; vom 30. April
2009 V R 3/08, BFHE 226, 144). Dafür ist nichts ersichtlich.
33 c) In einer dem UStG und der Richtlinie 77/388/EWG entsprechenden, d.h. gesetzmäßigen
Besteuerung vermag der Senat weder eine Verletzung der in Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1
und Art. 2 Abs. 1 GG verbürgten Grundrechte, noch einen Verstoß gegen das
Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) zu sehen. Unbillige Härten, die aufgrund eines
schutzwürdigen Vertrauens in eine fehlerhafte rechtliche Beurteilung entstehen, sind im
Wege des § 163 AO geltend zu machen. Dieses Verfahren bietet den Betroffenen
ausreichenden Rechtsschutz (vgl. Klein/Rüsken, AO, 11. Aufl., § 176 Rz 3, m.w.N.).
34 5. Einen vom Kläger behaupteten Verstoß des FG-Urteils gegen Art. 3 Abs. 1 GG im Hinblick
auf die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der Speiseresteabholung zur Verwertung in einer
Biogasanlage vermag der Senat nicht zu erkennen. Die Speiseresteentsorgung gegen
Entgelt stellt unabhängig davon, ob der leistende Unternehmer eine Biogasanlage oder eine
Schweinemast betreibt, keine landwirtschaftliche Dienstleistung i.S. von § 24 Abs. 1 Satz 1
Nr. 3 UStG dar.
35 Eine möglicherweise unzutreffende Besteuerung eines Konkurrenten ist im Wege der
Konkurrentenklage geltend zu machen (vgl. BFH-Urteil vom 26. Januar 2012 VII R 4/11,
BFHE 236, 481, BStBl II 2012, 541), in deren Rahmen zu klären ist, ob dem Kläger insoweit
ein subjektives Recht auf Schutz gegenüber der Konkurrenz zusteht. Der Gleichheitssatz
vermittelt jedenfalls keinen Anspruch auf Anwendung einer rechtswidrigen
Verwaltungspraxis und damit auf "Gleichheit im Unrecht" (BFH-Beschluss vom 1. Juli 2010
V B 62/09, BFH/NV 2010, 2136, m.w.N.).
36 Auch der Hinweis des Klägers auf eine vermeintliche "Ungleichbehandlung" zu einem
Betrieb, der Fertigfutter erwirbt, führt zu keiner anderen Beurteilung. Es fehlt bereits an einem
vergleichbaren Sachverhalt, da der Erwerb von Fertigfutter keine Ausgangsleistung ist, die
mit den streitigen Leistungen des Klägers verglichen werden könnte.
37 6. Die Schätzung des FG zur Höhe des für die Entsorgungsleistungen gezahlten Entgelts ist
revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
38 a) Die Schätzung gehört zu den tatsächlichen Feststellungen i.S. des § 118 Abs. 2 FGO. Der
BFH kann sie nur darauf überprüfen, ob sie zulässig war, ob sie verfahrensrechtlich
einwandfrei zustande gekommen ist, und ob das FG anerkannte Schätzungsgrundsätze,
Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze beachtet hat, d.h. ob das Ergebnis der
Schätzung schlüssig und plausibel ist (vgl. BFH-Urteil vom 17. Oktober 2001 I R 103/00,
BFHE 197, 68, BStBl II 2004, 171).
39 Die Schätzungsbefugnis ergibt sich aus § 96 Abs. 1 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO i.V.m.
§ 162 Abs. 2 Satz 1 AO, da der Kläger keine ausreichende Aufklärung über die im jeweiligen
Kalenderjahr ausgeführten Umsätze zu geben vermag. Bei der Schätzung der Höhe nach
orientiert sich das FG an den in den Jahresabschlüssen der abweichenden Wirtschaftsjahre
ausgewiesenen Erlösen. Dies lässt weder Verfahrensfehler erkennen noch ist dies
unschlüssig oder unplausibel. Im Übrigen besteht hierüber zwischen den Parteien auch kein
Streit.
40 b) Ob darüber hinaus der Wert der Speiseabfälle gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 UStG
Bestandteil der Bemessungsgrundlage ist, braucht der Senat im vorliegenden Verfahren
nicht entscheiden, da die Revision bereits aus den oben ausgeführten Gründen keinen
Erfolg hat.