Urteil des BAG vom 20.10.2009

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BUNDESARBEITSGERICHT Beschluß vom 20.10.2009, 5 AZB 30/09
Handelsvertreter - Durchschnittsvergütung - Rechtsweg
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des
Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 29. Juli 2009 - 2 Ta 71/09 - wird
zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 1.200,15 Euro
festgesetzt.
Gründe
1 I. Die Parteien streiten über Provisionsansprüche und vorab über die Zulässigkeit des
Rechtswegs.
2 Der Kläger war aufgrund eines Handelsvertretungsvertrags (HVV) vom 18. September 2007 für
die Beklagte tätig. Er vermittelte Verkaufsgeschäfte und erhielt Provisionen nach einer vertraglich
geregelten Staffelung. Entsprechend der Bestimmung des § 6 Nr. 4 HVV stellte die Beklagte dem
Kläger im September 2007 „für den Erwerb des Vertriebsgebietes“ einen
„Gebietsübernahmebetrag“ von 10.017,54 Euro zzgl. Mehrwertsteuer in Rechnung, welcher sich
„aus dem aktuellen Wert des übernommenen Verkaufsgebietes, bezogen auf den
durchschnittlichen Umsatz der letzten 32 Monate“ errechnete. § 6 Nr. 5 HVV bestimmte, dass bis
zum vollständigen Ausgleich dieser Rechnung ab dem 18. September 2007 monatlich 25 % der
aus Geschäften mit den bereits vorhandenen Umsatzkunden angefallenen Provisionen verrechnet
werden. Für den Fall der Vertragsbeendigung vor einem vollständigen Ausgleich war die
Verrechnung des noch offenen Restbetrags mit sämtlichen Ansprüchen des Klägers vorgesehen.
3 Die Beklagte stellte Provisionsabrechnungen aus, die die Provisionen aus dem Gesamtumsatz,
die Verrechnungsbeträge und den Saldo, bezeichnet als die „gesamte Provision“, auswiesen. Das
Handelsvertreterverhältnis endete am 31. Juli 2008. Zu diesem Zeitpunkt war die
Gebietsübernahmerechnung noch nicht ausgeglichen, mit der Folge, dass die Provision für Juli
2008 vollständig verrechnet wurde.
4 Der Kläger hält die Vereinbarung eines Gebietsübernahmebetrags für unwirksam. Mit seiner Klage
verlangt er Auszahlung der im Zeitraum von September 2007 bis Juli 2008 verrechneten
Provisionen in der Gesamthöhe von 3.600,44 Euro. Für die sechs Monate von Februar bis Juli
2008 hatte die Beklagte unter Berücksichtigung der verrechneten Beträge „gesamte“ Provisionen
in Höhe von insgesamt 4.783,38 Euro abgerechnet und ausgezahlt. Ohne die Verrechnung hätten
sich insoweit Provisionen in Höhe von 7.346,53 Euro einschl. Mehrwertsteuer ergeben.
5 Das Arbeitsgericht hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen als unzulässig
angesehen und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Iserlohn verwiesen. Das
Landesarbeitsgericht hat auf die sofortige Beschwerde des Klägers den Beschluss des
Arbeitsgerichts abgeändert und den beschrittenen Rechtsweg für zulässig erklärt. Mit der vom
Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Beklagte Aufhebung der
Beschwerdeentscheidung und Zurückweisung der sofortigen Beschwerde des Klägers.
6 II. Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Zulässigkeit des
Rechtswegs zu Recht bejaht.
7 1. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich
zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem
Arbeitsverhältnis. Handelsvertreter sind selbständig und deshalb nicht Arbeitnehmer, § 84 Abs. 1
HGB. Sie gelten nur dann als Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes, wenn sie zu
dem Personenkreis gehören, für den nach § 92a des Handelsgesetzbuchs die untere Grenze der
vertraglichen Leistungen des Unternehmers festgesetzt werden kann, und wenn sie während der
letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses, bei kürzerer Vertragsdauer während dieser, im
Durchschnitt monatlich nicht mehr als 1.000,00 Euro aufgrund des Vertragsverhältnisses an
Vergütung einschließlich Provision und Ersatz für im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandene
Aufwendungen bezogen haben, § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG. Nach § 92a Abs. 1 Satz 1 HGB kann
für das Vertragsverhältnis eines Handelsvertreters, der vertraglich nicht für weitere Unternehmer
tätig werden darf oder dem dies nach Art und Umfang der von ihm verlangten Tätigkeit nicht
möglich ist, die untere Grenze der vertraglichen Leistungen des Unternehmers durch
Rechtsverordnung festgesetzt werden, um die notwendigen sozialen und wirtschaftlichen
Bedürfnisse dieser Handelsvertreter oder einer bestimmten Gruppe von ihnen sicherzustellen.
8 2. Der Kläger war, wie das Landesarbeitsgericht unter I. der Gründe festgestellt hat, als
Einfirmenvertreter für die Beklagte tätig. An diese Feststellung ist der Senat gem. § 577 Abs. 2
Satz 4 in Verb. mit § 559 Abs. 2 ZPO gebunden (vgl. BGH 1. März 2007 - III ZB 7/06 - Rn. 25,
BGHZ 171, 245). Eine Verfahrensrüge hat die Beklagte nicht erhoben.
9 3. Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe während der letzten sechs Monate
des Vertragsverhältnisses im Durchschnitt monatlich nicht mehr als 1.000,00 Euro an Vergütung
von der Beklagten bezogen, trifft im Ergebnis zu.
10 a) Ob der Handelsvertreter eine Vergütung bereits dann iSd. § 5 Abs. 3 ArbGG bezogen hat, wenn
der Vergütungsanspruch unbedingt entstanden ist (so BGH 12. Februar 2008 - VIII ZB 51/06 -
Rn. 14 ff. mwN, VersR 2008, 533), ist streitig. Nach anderer Ansicht dürfen die Ansprüche nur
einbezogen werden, soweit sie durch Zahlung oder jedenfalls durch Aufrechnung mit
Gegenansprüchen getilgt sind (vgl. BGH 12. Februar 2008 - VIII ZB 51/06 - aaO). Die Beklagte hat
während der letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses insgesamt 4.783,38 Euro und damit
im Durchschnitt monatlich nicht mehr als 1.000,00 Euro gezahlt. Sie hat auch nicht mit einer
eigenen Forderung gegen die Forderung des Klägers aufgerechnet.
11 b) Die aufgeworfene Streitfrage bedarf keiner Entscheidung. Der unbedingt entstandene
Vergütungsanspruch des Klägers betrug zwischen Februar und Juli 2008 im Durchschnitt nicht
mehr als 1.000,00 Euro.
12 Die nach § 6 Nr. 1 und 2 in Verb. mit § 1 HVV grundsätzlich für alle Geschäfte der Beklagten mit
Kunden im Vertragsgebiet verdienten Provisionen standen von vornherein unter dem Vorbehalt der
Verrechnung gem. § 6 Nr. 4 und 5 HVV. Sie reduzierten sich demnach ohne Weiteres für
Geschäfte mit bei Vertragsschluss „bereits vorhandenen Umsatzkunden“. Damit trugen die
Vertragsparteien dem Gesichtspunkt Rechnung, dass der Kläger ein bestehendes Vertragsgebiet
der Beklagten übernahm und eine Kunden- und Interessentenliste erhielt. Bei den vorhandenen
Kunden der Beklagten hatte er zur Provisionserzielung jedenfalls in der Regel eine geringere oder
unter Umständen überhaupt keine Tätigkeit zu entfalten. Zwar war die Reduzierung der
betreffenden Provisionen kraft Verrechnung nicht dauerhaft, sondern zeitlich je nach Art und
Umfang der vom Kläger vermittelten Geschäfte beschränkt. Gerade darin kommt aber zum
Ausdruck, dass die Parteien in der Anfangsphase des Vertragsverhältnisses ein geringeres
Provisionsniveau und damit ein geringeres Einkommen des Klägers zugrunde legen wollten. Diese
Phase sollte erst enden, wenn der Kläger bestimmte Provisionen erzielt hatte. Erst dann sollten
auch die Altkunden in vollem Umfang als „seine“ Kunden zählen. Demnach handelte es sich bei
den Verrechnungsbeträgen auch nicht um Aufwendungen des Handelsvertreters, die im
regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstehen.
13 Bei diesem Verständnis des HVV standen sich nicht zwei aufzurechnende Ansprüche der
Parteien gegenüber. Es lag keine Aufrechnungsvereinbarung vor, die im Hinblick auf § 394 Satz 1
BGB auch nicht zulässig gewesen wäre (vgl. BAG 18. Juli 2006 - 1 AZR 578/05 - BAGE 119, 122,
126). Vielmehr sollte es auf die Voraussetzungen der Aufrechnung gemäß den §§ 387 ff. BGB
nach den Vorstellungen der Parteien nicht ankommen. Die Parteien legten in § 6 Nr. 4 HVV zwar
einen bestimmten Rechnungsbetrag fest. Festlegung und Inrechnungstellung dienten aber nur
dazu, die Reduzierung der bezeichneten Provisionen um 25 % zeitlich zu begrenzen. Es handelte
sich nicht um den Kauf eines Rechtes iSv. §§ 453, 433 BGB und den Kaufpreis hierfür. So konnte
der Kläger das Vertragsgebiet nicht etwa weiterveräußern. Er musste - auch bei vorzeitiger
Vertragsbeendigung - nichts selbst zahlen, sondern nur die als Verrechnung bezeichnete
Reduzierung seiner Ansprüche hinnehmen. Ob diese Reduzierung nach Art und Umfang
gerechtfertigt war, insbesondere ob sie sich im Falle der Vertragsbeendigung auf andere
(Provisions-)Ansprüche des Klägers erstrecken durfte (§ 6 Nr. 5 Satz 2 HVV), hat der Senat nicht
zu entscheiden. Selbst wenn man den Provisionsanspruch des Klägers für Juli 2008 anteilig als
Einkommen berücksichtigte, änderte sich am Ergebnis nichts.
14 c) Allein die Tatsache, dass der Kläger sich eines Anspruchs berühmt, der im Falle seines
Bestehens zur Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte führen würde, kann die über § 5 Abs. 3
ArbGG begründete Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen nicht ausschließen (nicht
eindeutig insoweit BGH 12. Februar 2008 - VIII ZB 3/07 - Rn. 14 aE, VersR 2008, 641).
15 4. Danach gilt der Kläger als Arbeitnehmer iSd. ArbGG einschließlich dessen § 2 Abs. 1 Nr. 3
Buchst. a. Dementsprechend hat die Beklagte als Arbeitgeberin zu gelten. Der Anspruch resultiert
aus einem Arbeitsverhältnis iSd. ArbGG.
16 III. Die Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu
tragen.
17 IV. Die Wertfestsetzung beruht auf § 63 GKG. Festzusetzen ist ein Drittel des
Hauptsachestreitwerts.
Müller-Glöge Mikosch Laux