Urteil des ArbG Essen vom 04.04.2008
ArbG Essen: wichtiger grund, fristlose kündigung, grad des verschuldens, abmahnung, überwiegendes interesse, juristische person, arbeitsgericht, firma, auflage, unternehmen
Arbeitsgericht Essen, 5 Ca 3715/07
Datum:
04.04.2008
Gericht:
Arbeitsgericht Essen
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 Ca 3715/07
Schlagworte:
ohne
Normen:
ohne
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
kein Leitsatz vorhanden
Tenor:
1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3.Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 9.093,-- € festgesetzt.
T a t b e s t a n d:
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit zweier außerordentlicher und hilfsweise
ordentlicher Kündigungen.
2
Die am 29.12.1963 geborene Klägerin war seit dem 01.07.2006 bei der Beklagten in
einem Betrieb mit mehr als zehn Arbeitnehmern als Diplomsozialarbeiterin gegen ein
monatliches Bruttoentgelt von ca. 2.100,- € beschäftigt. Sie betreute psychisch kranke
Menschen und Suchtkranke in deren Wohnungen (sog. ambulant betreutes Wohnen).
3
Die Beklagte hatte das Arbeitsverhältnis zunächst mit einem Schreiben vom 3..09.2007
fristlos gekündigt. Diese Kündigung war Gegenstand eines Rechtsstreits vor dem
Arbeitsgericht F. mit dem Aktenzeichen 6 Ca 3308/07. Im Rahmen des Gütetermins in
diesem Verfahren am 02.11.2007 hat die Beklagte die Kündigung mit Zustimmung der
Klägerin zurückgenommen.
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Sieben von der Klägerin betreute Patienten verfassten am 3..09.2007 jeweils ein
Schreiben, mit welchem sie den Betreuungsvertrag mit der Beklagten fristlos kündigten.
Diese Schreiben, die von der Klägerin zu Post gebracht wurden, sind bei der Beklagten
am 3..09.2007 eingegangen. Eine weitere Patientin der Klägerin kündigte den
Betreuungsvertrag mit einem am 05.10.2007 eingegangenen Schreiben.
5
Ebenfalls am 3..09.2007 erhielt die Klägerin von dem Unternehmen „Sunrise“, welches
in Konkurrenz zur Beklagten steht, per e-mail die Zusage einer Einstellung unter
6
Übernahme namentlich genannter Patienten der Klägerin. Mitte Oktober 2007 wurde der
Klägerin dann mitgeteilt, dass die Firma „Sunrise“ von der Einstellung Abstand nahm.
Am 19.10.2007 informierte ein Betreuter, Herr K. C., den Geschäftsführer der Beklagten
in einem Telefonat darüber, dass eine Patientin der Klägerin, Frau Q., angeblich
gemeinsam mit dieser zu der Firma „Sunrise“ wechsle. Der Geschäftsführer der
Beklagten nahm daraufhin Kontakt zu deren Betreuerin, Frau U., beim ASB -
Betreuungsverein auf. Diese leitete ihm am 23.10.2007 eine an sie gerichtete e-mail der
Klägerin vom 3..09.2007 zu, in welchem die Klägerin folgendes ausführte:
7
„Und hier noch einmal meine Entschuldigung dafür, dass Frau Q.
8
ohne Rücksprache mit Ihnen diesen Schritt gegangen ist. Ich habe sie
9
darauf hingewiesen, dass sie mit Ihnen Rücksprache halten sollte über
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einen Wechsel …“
11
Dieser e-mail war ein Betreuungsvertrag der Firma „Sunrise“ beigefügt.
12
Mit Schreiben vom 3..10.2007, welches der Klägerin am selben Tag zugegangen ist,
kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien fristlos und hilfsweise zum
30.11.2007. Die Klägerin hat diese Kündigung mit der am 09.11.2007 beim
Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 19.11.2007 zugestellten Klage
angegriffen.
13
Am 31.10.2007 leitete Frau U. der Beklagten eine e-mail der Klägerin vom selben Tag
weiter, in welcher die Klägerin u.a. folgendes mitteilte:
14
„Ich habe vorletzte Woche erfahren, dass mich Frau E. nicht beim
15
LVR angemeldet hat. Ich könnte ... beweisen, dass ich mündlich und
16
elektronisch schriftlich eingestellt war ...
17
Beim Landschaftsverband liegt von Kollegen und mir ein Antrag auf
18
Zulassung als Leistungsanbieter im Ambulant Betreuten Wohnen vor.
19
...“
20
Bei Frau E. handelte es sich um die Ansprechpartnerin der Klägerin bei „Sunrise“.
21
Sodann kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit einem Schreiben vom
02.11.2007, zugegangen am selben Tag, erneut fristlos und hilfsweise fristgerecht zum
30.11.2007. Diese Kündigung hat die Klägerin mit einer am 3..11.2007 zugestellten
Klage angegriffen, die Gegenstand des Verfahrens vor dem Arbeitsgericht F. mit dem
Aktenzeichen 5 Ca 3925/07 war. Das Arbeitsgericht F. hat mit Beschluss vom
15.01.2008 beide Verfahren unter Führung des vorliegenden Rechtsstreits miteinander
verbunden.
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Die Klägerin behauptet, sie habe zuletzt einen Stamm von elf Patienten betreut. Das
Angebot zur Beschäftigung bei der Firma „Sunrise“ habe sie angenommen, um den
Verzugsschaden so gering wie möglich zu halten. Ihre Klienten hätten selbst den
Kontakt zu ihr aufgenommen. Es sei deren eigener Entschluss gewesen, den
Betreuungsvertrag mit der Beklagten wegen der dortigen hohen Fluktuation selbst zu
kündigen. Sie selbst hätten zu einem etwaigen neuen Anbieter der Klägerin wechseln
wollen.
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Weiter rügt die Klägerin die Nichteinhaltung der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs.2 BGB.
Schon in einer Teambesprechung am 3..09.2007 sei erklärt worden, die Kündigung sei
erfolgt, weil die Klägerin sich selbständig machen und in Konkurrenz zur Beklagten
treten wolle. Jedenfalls habe die Kenntnis vom Kündigungssachverhalt spätestens am
3..09.2007 vorgelegen, wie ein an sie adressiertes anwaltliches Schreiben von diesem
Tag zeige. In diesem Schreiben haben die jetzigen Prozessbevollmächtigten der
Beklagten - unstreitig - ausgeführt, die Beklagte habe erfahren, dass die Klägerin den
Kontakt zu Klienten und deren Betreuern aufrecht erhalte und ein Abwerben der
Klienten betreibe. Wegen der Einzelheiten wird auf die von der Klägerin als Anlage 3
überreichte Kopie des Schreibens der Rechtsanwälte I. pp. vom 3..09.2007 Bezug
genommen.
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Die Klägerin beantragt,
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1.festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch
eine Kündigung der Beklagten vom 3..10.2007 noch durch eine
Kündigung der Beklagten vom 02.11.2007 beendet worden ist;
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2.die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ein Zwischenzeugnis zu
erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt;
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3.für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu
verurteilen, die Klägerin bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung
über den Feststellungsantrag zu den im Arbeitsvertrag geregelten
Arbeitsbedingungen mit mindestens 35 Wochenarbeitsstunden als
Diplomsozialarbeiterin im Bereich ambulant betreutes Wohnen in
Vollzeit weiter zu beschäftigen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie trägt vor, die Kündigung vom 3..10.2007 sei ausgesprochen worden, da die Klägerin
versucht habe, unter Mitnahme der von ihr betreuten acht Stamm- Patienten zu einem
Konkurrenzunternehmen zu wechseln. Von diesem Sachverhalt habe die Beklagte erst
durch das Telefonat mit Herrn C. am 19.10.2007 und die anschließende
Kontaktaufnahme mit Frau U. erfahren. Das anwaltliche Schreiben vom 3..09.2007 habe
lediglich auf einem Verdacht beruht, der darauf gründete, dass sieben Patienten der
Klägerin unmittelbar nach der fristlosen Kündigung vom 3..09.2007 zeitgleich und unter
Aufgabe der Schreiben auf dem gleichen Postamt den Betreuungsvertrag mit der
Beklagten gekündigt hätten.
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Hinsichtlich der Kündigung vom 02.11.2007 trägt die Beklagte vor, diese sei erfolgt, weil
32
die Klägerin sich habe selbständig machen wollen, nachdem der Versuch einer
Beschäftigung bei „Sunrise“ gescheitert sei.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den gesamten zum Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gemachten Akteninhalt Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
34
I.
35
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung vom
3..10.2007 fristlos beendet worden.
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a) Es liegt ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs.1 BGB vor.
38
aa) Gemäß § 626 Abs.1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund
außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem
Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter
Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
nicht zugemutet werden kann. Die Prüfung, ob danach im konkreten Fall ein wichtiger
Grund für eine fristlose Kündigung vorliegt, hat nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts in zwei Schritten zu erfolgen (vgl. BAG v. 27.04.2006 - 2 AZR
386/05 - NZA 2006, 977; BAG v. 07.07.2005 - 2 AZR 581/04 - NZA 2006, 98; BAG v.
11.12.2003 - 2 AZR 36/03 - AP Nr. 179 zu § 626 BGB; BAG v. 02.03.1989 - 2 AZR
280/88 - EzA § 626 BGB n.F. Nr. 118; BAG v. 17.05.1984 - 2 AZR 3/83 - AP Nr. 14 zu §
626 BGB Verdacht strafbarer Handlung). Zunächst ist festzustellen, ob ein bestimmter
Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen
wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Dabei muss auch festgestellt werden, ob der
an sich zur außerordentlichen Kündigung geeignete Sachverhalt im Streitfall zu einer
konkreten Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat. In einer zweiten Stufe
ist zu untersuchen, ob nach Abwägung der in Betracht kommenden Interessen der
Parteien des Arbeitsverhältnisses die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist.
39
Weiter ist zu beachten, dass ein Arbeitnehmer vor Ausspruch einer außerordentlichen
Kündigung in der Regel wirksam abgemahnt werden muss. Dies folgt zum einen aus
dem sog. Prognoseprinzip, zum anderen aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
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Prognoseprinzip bedeutet, dass der Zweck einer Kündigung nicht in der bloßen
Sanktion einer Vertragspflichtverletzung liegt. Die Kündigung dient vielmehr der
Vermeidung des Risikos weiterer Pflichtverletzungen. Die vergangene Pflichtverletzung
muss sich noch in der Zukunft belastend auswirken (vgl. BAG v. 12.01.2006 - 2 AZR
179/05 - AP Nr. 54 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung; BAG v. 3..11.1996 - 2
AZR 357/95 - AP Nr. 130 zu § 626 BGB). Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus
der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung
geschlossen werden kann, dass der Arbeitnehmer den Arbeitsvertrag auch nach einer
Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen wird. Die
Abmahnung dient in diesem Zusammenhang der Objektivierung der negativen
Prognose (vgl. BAG v. 12.01.2006 aaO; Staudinger - Preis, BGB, Buch 2,
Neubearbeitung 2002, § 626 BGB Rn. 109). Liegt eine ordnungsgemäße Abmahnung
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vor und verletzt der Arbeitnehmer erneut seine vertraglichen Pflichten, kann regelmäßig
davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen
kommen (vgl. BAG v. 10.11.1988 - 2 AZR 215/88 - AP Nr.3 zu § 1 KSchG 1969
Abmahnung).
Die Abmahnung ist zugleich Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, da eine
Kündigung nicht gerechtfertigt ist, wenn es andere geeignete mildere Mittel gibt, um die
Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen (vgl. BAG v. 12.01.2006 - 2 AZR 179/05 - aaO;
Staudinger/Preis, § 626 BGB Rn. 105). Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314
Abs.2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren (vgl. BAG v. 12.01.2006 - 2
AZR 179/05 - aaO; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im
Arbeitsverhält-nis, 9. Auflage 2005, Rn. 1172).
42
Trotz der vorgenannten Grundsätze ist eine vorherige Abmahnung aber aus-
nahmsweise dann entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft nicht erwartet
werden kann (vgl. BAG v. 12.01.2006 - 2 AZR 3./05 - AP Nr.53 zu § 1 KSchG 1969
Verhaltensbedingte Kündigung; BAG v. 12.01.2006 - 2 AZR 179/05 - aaO). Gleiches gilt,
wenn es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit dem
Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist und bei der die Hinnahme des Verhaltens
durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (vgl. BAG v. 12.01.2006 - 2
AZR 179/05 aaO; BAG v. 06.10.2005 - 2 AZR 280/04 - AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969
Personenbedingte Kündigung; BAG v. 15.11.2001 - 2 AZR 605/00 - AP Nr. 175 zu § 626
BGB). Dem Arbeitnehmer muss bewusst gewesen sein, dass er mit dem gerügten
Verhalten seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt. Die Pflichtverletzung muss so schwer
sein, dass dem Arbeitnehmer klar gewesen sein muss, dass sein Verhalten nicht
lediglich mit einer Abmahnung geahndet werden, sondern dass der Arbeitgeber sofort
mit einer Kündigung reagieren wird (vgl. BAG v. 10.02.1999 - 2 ABR 31/98 - NZA 1999,
708). Dies gilt auch für den Vertrauensbereich. Hier hat das Bundesarbeitsgericht zwar
nach früherer Rechtsprechung eine Abmahnung für entbehrlich gehalten (vgl. BAG v.
30.11.1978 - 2 AZR 145/77 - AP Nr. 1 zu § 64 SeemG; BAG v. 04.04.1974 - 2 AZR
452/73 - AP Nr.1 zu § 626 BGB Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat). Diese
Rechtsprechung hat das Bundesarbeitsgericht jedoch später dahingehend modifiziert,
dass bei Störungen im Vertrauensbereich eine Abmahnung jedenfalls dann nicht
entbehrlich ist, wenn es um ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers geht und eine
Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann (vgl. BAG v. 09.02.2006 - 6
AZR 47/05 - NZA 2006, 1046; BAG v. 3..06.2001 - 2 AZR 30/00 - NZA 2002, 232; BAG
v. 07.01.1999 - 2 AZR 676/98 - NZA 1999, 1270).
43
bb) Nach diesen Maßstäben ist die fristlose Kündigung gerechtfertigt.
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(1) Ein wichtiger Grund liegt darin, dass die Klägerin versucht hat, unter Mitnahme von
Klienten der Beklagten zu einem Konkurrenzunternehmen zu wechseln.
45
Die Verletzung eines für die Dauer des Arbeitsverhältnisses bestehenden
Wettbewerbsverbotes kann an sich einen wichtigen Grund für die außerordentliche
Kündigung nach § 626 Abs.1 BGB darstellen (BAG v. 23.04.1998 - 2 AZR 442/97 - n.v.;
BAG v. 25.04.1991 - 2 AZR 624/90 - AP Nr. 104 zu § 626 BGB). Während des
rechtlichen Bestandes eines Arbeitsverhältnisses ist dem Arbeitnehmer jede
Konkurrenztätigkeit zum Nachteil des Arbeitgebers untersagt, auch wenn der
Einzelarbeitsvertrag keine ausdrücklichen diesbezüglichen Regelungen enthält (BAG v.
23.04.1998 und 25.04.1992.aO). Die für Handlungsgehilfen bestehende Regelung des §
46
60 HGB konkretisiert insoweit einen allgemeinen Rechtsgedanken. Der Arbeitgeber soll
vor Wettbewerbshandlungen seiner Arbeitnehmer geschützt sein. Bei einer
Pflichtverletzung in diesem Bereich bedarf es regelmäßig keiner Abmahnung vor
Ausspruch einer Kündigung (vgl. BAG v. 23.04.1998 aaO, Rn.3.; BAG v. 25.04.1992.aO,
Rn.37). Jedem Arbeitnehmer ist bewusst, dass ein Arbeitgeber keinen Wettbewerb
durch die eigenen Mitarbeiter dulden kann und hierdurch der Bestand des
Arbeitsverhältnisses gefährdet wird. Mit einer Wiederherstellung des durch die
Konkurrenztätigkeit zerstörten Vertrauens-verhältnisses kann regelmäßig nicht
gerechnet werden.
Diese Grundsätze gelten prinzipiell auch, wenn der Arbeitgeber vor Aufnahme der
Wettbewerbshandlungen eine Kündigung erklärt hat, die sich im Nachhinein als
unwirksam herausstellt (BAG v. 25.04.1991 - 2 AZR 624/90 - AP Nr. 104 zu § 626 BGB;
vgl. auch BAG Beschluss v. 13.12.2007 - 2 AZR 196/06 - n.v.; ebenso für
Handelsvertreter: BGH v. 12.03.2003 - VIII ZR 197/02 - NJW-RR 2003, 981 ff.). Eine
Befreiung vom Wettbewerbsverbot ist nicht etwa deshalb gerechtfertigt, weil der
Arbeitgeber durch den vorherigen Ausspruch einer Kündigung selbst zum Ausdruck
gebracht hat, sich nicht mehr an bestehende vertragliche Bindungen halten zu wollen.
Wenn der Arbeitnehmer diese Kündigung nicht akzeptiert und um seinen Arbeitsplatz
kämpft, verhält er sich widersprüchlich, wenn er diesen andererseits durch
Wettbewerbshandlungen gefährdet. Allein die Priorität der Vertragsverletzung durch den
Arbeitgeber erlaubt nicht von vornherein nachfolgende objektive Vertragsverstöße des
Arbeitnehmers (BAG v. 25.04.1991 - 2 AZR 624/90 - aaO).
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Entgegen der Ansicht der Klägerin ergibt sich eine Rechtfertigung dafür, in der Zeit bis
zur Klärung der Wirksamkeit der Kündigung ein Konkurrenzunternehmen zu
unterstützen, nicht aus dem Gesichtspunkt der Verpflichtung zur Minderung des
Annahmeverzugsschadens (vgl. wiederum BAG v. 25.04.1991 - 2 AZR 624/90 - AP Nr.
104 zu § 626 BGB). Zwar muss sich ein Arbeitnehmer gemäß § 615 S.2 BGB auf die
fortzuzahlende Vergütung auch Einkünfte anrechnen lassen, die er böswillig nicht
erworben hat. Böswillig handelt ein Arbeitnehmer aber nur dann, wenn ihm vorgeworfen
werden kann, trotz Kenntnis aller objektiven Umstände, die sich insbesondere auch auf
die Nachteilsfolgen für den Arbeitgeber zu erstrecken haben, untätig geblieben zu sein
(BAG v. 25.04.1992.aO). Da die Nachteile einer Wettbewerbshandlung für den
Arbeitgeber regelmäßig größer sein werden als der Vorteil, für nicht geleistete Dienste
keine Vergütung nach § 615 BGB zahlen zu müssen, wird dem Arbeitnehmer das
Unterlassen einer Wettbewerbstätigkeit nur in den Fällen als böswillig anzulasten sein,
in denen der Arbeitgeber nach der Entlassung ausdrücklich oder konkludent zu
erkennen gibt, mit Wettbewerbs-handlungen nach der faktischen Beendigung des
Arbeitsvertrages einverstanden zu sein (BAG v. 25.04.1992.aO).
48
Letzteres war ím Streitfall nicht gegeben. Im Gegenteil: Mit dem anwaltlichem Schreiben
vom 3..09.2007 hat die Beklagte der Klägerin sogar ausdrücklich
Wettbewerbshandlungen untersagt. Dennoch hat sie die angestrebte Tätigkeit bei dem
Konkurrenzunternehmen „Sunrise“ nicht selbst aufgegeben.
49
(2) Auch die erforderliche Einzelfallwürdigung im Rahmen der Interessenabwägung
führt zu keinem anderen Ergebnis.
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In diesem Rahmen sind die aus § 615 S.2 BGB herzuleitenden Interessen des
Arbeitnehmers an der anderweitigen Verwendung seiner Arbeitskraft für die Beurteilung
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erheblich sowie ob und mit welchem Gewicht ihm die Gründung einer Konkurrenzfirma
oder die Tätigkeit für ein Konkurrenzunternehmen vorwerfbar ist (BAG v. 25.04.1991 - 2
AZR 624/90 - AP Nr. 104 zu § 626 BGB). Soweit es dem Arbeitnehmer nur um eine
Übergangslösung geht, welche der Rückkehr zum bisherigen Arbeitsplatz nicht
entgegen steht und für den Arbeitgeber keine dauerhafte Konkurrenz darstellt, ist ihm
allenfalls ein geminderter Schuldvorwurf zu machen. Beginnt er hingegen eine auf
Dauer angelegte Konkurrenztätigkeit, so erscheint sein Vorgehen regelmäßig als
schwerwiegend (vgl. BAG v. 25.04.1992.aO). Für den Grad des Verschuldens und für
die Interessenabwägung kommt es weiter auf den Zeitpunkt des Beginns der
Konkurrenztätigkeit, ihre Art und ihre Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb des
Arbeitgebers an (BAG v. 25.04.1992.aO).
Bei Zugrundelegung dieser Kriterien erweist sich das Fehlverhalten der Klägerin als
besonders schwerwiegend. Sie hat sich nicht darauf beschränkt, ihre Arbeitskraft einem
Konkurrenzunternehmen anzubieten, sondern zugleich versucht, die von ihr betreuten
Stammpatienten mitzunehmen. Hierfür war sie diesen zum einen bei der Kündigung des
Betreuungsvertrages behilflich. Zum anderen hat sie den Kontakt zur Firma „Sunrise“
hergestellt, diesem Unternehmen die Namen ihrer Patienten genannt und den von ihr
Betreuten einen Betreuungsvertrag der Firma „Sunrise“ zukommen lassen, wie der an
Frau U. gerichteten e-mail vom 3..09.2007 zu entnehmen ist. Damit hat sie Fakten
geschaffen, die deutlich machen, dass ihre Abkehr von der Beklagten dauerhaft sein
sollte.
52
Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn man zugunsten der Klägerin unterstellt,
dass die von ihr betreuten Patienten ohnehin entschlossen waren, den Vertrag mit der
Beklagten zu kündigen. Die Treuepflicht zu ihrem Arbeitgeber hätte es gefordert, dass
die Klägerin die Patienten in diesem Entschluss nicht unterstützt hätte. Zumindest hätte
die Klägerin ihnen klar machen müssen, dass es nicht sicher sei, ob sie selbst dauerhaft
zu „Sunrise“ wechseln würde, sofern sie wirklich eine Rückkehr an ihren alten
Arbeitsplatz beabsichtigt hätte. Ihr Verhalten zeigt stattdessen, dass sie trotz der im
Vorverfahren 6 Ca 3308/07 erhobenen Kündigungsschutzklage mit ihrem alten
Arbeitgeber abgeschlossen hatte.
53
Es gibt auch keine sonstigen Umstände, die ein überwiegendes Interesse der Klägerin
daran begründen könnten, dass das Arbeitsverhältnis zumindest bis zum Ablauf der
ordentlichen Kündigungsfrist fortbesteht. Sie war zum Kündigungszeitpunkt erst eine
verhältnismäßig kurze Zeit beschäftigt. Zu Unterhaltspflichten ist nichts vorgetragen.
Auch weitere besondere Umstände, die zugunsten der Klägerin ins Gewicht fallen, sind
nicht ersichtlich.
54
b) Die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs.2 BGB wurde gewahrt.
55
aa) Die Beklagte hat frühestens fünf Tage vor Ausspruch der Kündigung Kenntnis von
dem Kündigungssachverhalt erlangt.
56
Die Frist beginnt erst, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und
möglichst vollständige Kenntnis vom Kündigungssachverhalt hat, die ihm die
Entscheidung ermöglicht, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder
nicht (BAG v. 17.03.2005 - 2 AZR 245/04 - AP Nr. 46 zu § 626 BGB Ausschlussfrist;
BAG v. 02.09.1981 - 7 AZR 405/79 - n.v.; BAG v. 06.07.1972 - 2 AZR 386/71 - AP Nr. 3
zu § 626 BGB Ausschlussfrist; Fischermeier in Gemeinschaftskommentar zum
57
Kündigungsrecht (KR), 8. Auflage 2008, § 626 BGB Rn. 319). Erheblich ist nur die
positive Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen, selbst eine grob fahrlässige Unkenntnis
ist dem nicht gleichzustellen (BAG v. 17.03.2005 aaO; BAG v. 11.03.1976 - 2 AZR 29/75
-, AP N. 9 zu § 626 BGB Ausschlussfrist).
Der Geschäftsführer der Beklagten erlangte am 19.10.2007 in einem Telefonat mit dem
Betreuten K. C. Kenntnis davon, dass eine Patientin der Klägerin, Frau Q., gemeinsam
mit ihr zu dem Konkurrenzunternehmen „Sunrise“ wechseln sollte. Genauere Kenntnis
der Umstände erlangte die Beklagte dann durch die am 23.10.2007 von Frau U.
weitergeleitete e-mail der Klägerin vom 3..09.2007.
58
Die Klägerin hat nicht vorgetragen, auf welche Weise die Beklagte vor den genannten
Zeitpunkten von diesen Umständen Kenntnis erlangt haben soll. Soweit sie auf ein
anwaltliches Schreiben vom 3..09.2007 verweist, so lassen sich diesem keine konkreten
Angaben, insbesondere hinsichtlich des Unternehmens, zu welchem die Klägerin
wechseln wollte, entnehmen. Es handelt sich - wie schon dem Zeitablauf zu entnehmen
ist - erkennbar um eine Reaktion auf die an diesem Tag eingegangenen
Kündigungsschreiben von sieben Patienten der Klägerin. Soweit die Beklagte hieraus
die naheliegende Vermutung getroffen hat, die Klägerin werbe diese ab, entspricht dies
keiner zuverlässigen und möglichst vollständigen Kenntnis des Kündigungs-
sachverhalts.
59
Nichts anderes gilt, wenn man die Behauptung der Klägerin als wahr unterstellt, die
Beklagte habe bereits in einer Teamsitzung am 3..09.2007 erklärt, die Klägerin wolle
sich selbständig machen. Hieraus geht keine Kenntnis der beabsichtigten Tätigkeit für
ein Konkurrenzunternehmen und die Abwerbung von Patienten hervor.
60
bb) Selbst wenn man aber entgegen den obigen Ausführungen davon ausgehen würde,
dass die Beklagte mehr als zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigung Kenntnis von
der Konkurrenztätigkeit der Klägerin gehabt hätte, so wäre die 2-Wochen-Frist gewahrt.
61
Bei der Tätigkeit für ein Konkurrenzunternehmen handelt es sich um ein Dauerdelikt
(LAG Schleswig - Holstein v. 27.06.2007 - 3 Sa 143/07 - n.v.). Bei diesen beginnt die
Zweiwochenfrist des § 626 BGB nicht vor deren Beendigung (vgl. BAG v. 13.01.1977 - 2
AZR 423/75 - AP Nr. 2 zu § 19 AFG; ebenso BGH v. 3..06.2005, AP Nr. 3 zu § 64
GmbHG; Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht - Müller-Glöge, 8. Auflage 2008, § 626
BGB Rn. 212). Bei wettbewerbswidrigem Verhalten ist dies der Zeitpunkt der
Beendigung desselben.
62
Im Streitfall stand erst Mitte Oktober 2007 fest, dass die Klägerin nicht von dem
Unternehmen „Sunrise“ fest eingestellt würde. Erst ab diesem Zeitpunkt konnte die
Zwei-Wochen-Frist zu laufen beginnen. Bis zum 3..10.2007 war die Zweiwochenfrist
damit noch nicht abgelaufen.
63
2. Da das Arbeitsverhältnis am 02.11.2007 bereits beendet war, geht die hiergegen
gerichtete Kündigungsschutzklage ins Leere.
64
3. Der Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses ist unbegründet. Ein solches
setzt den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses voraus (vgl. Reinecke in Küttner,
Personalbuch, 15. Auflage 2008, Zeugnis Rn. 3). Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ist
aber - wie dargelegt - wirksam beendet worden.
65
4. Über den Weiterbeschäftigungsantrag war nicht zu entscheiden, da er nur für den Fall
des Obsiegens der Kündigungsschutzklage gestellt worden ist.
66
II.
67
Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs.2 ArbGG i.V.m. § 91 ZPO.
68
III.
69
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 61 Abs.1 ArbGG sowie § 42 Abs.4 S.1 GKG und §
3 ZPO. Für die Kündigung vom 3..10.2007 wurden drei Monatsgehälter angesetzt, für
die zeitnahe Kündigung vom 02.11.2007 nach der sog. Differenztheorie ein
Monatsbruttogehalt und für den Antrag zu 2) 33% eines Monatsentgelts. Der als
unechter Hilfsantrag gestellte Weiterbeschäftigungsanspruch wirkt sich nach der
Rechtsprechung des LAG Düsseldorf nicht streitwerterhöhend aus.
70
Rechtsmittelbelehrung
71
Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei
72
B e r u f u n g
73
eingelegt werden.
74
Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
75
Die Berufung muss
76
innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat
77
beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 3., 40227 Düsseldorf, Fax:
(0211) 7770 - 2199
78
eingegangen sein.
79
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung
80
Die Berufungsschrift muss von einem Rechtsanwalt eingereicht werden; an seine Stelle
können Vertreter einer Gewerkschaft oder einer Vereinigung von Arbeitgebern oder von
Zusammenschlüssen solcher Verbände treten, wenn sie kraft Satzung oder Vollmacht
zur Vertretung befugt sind und der Zusammenschluss, der Verband oder deren
Mitglieder Partei sind. Die gleiche Befugnis haben Angestellte juristischer Personen,
deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der zuvor genannten
Organisationen stehen, solange die juristische Person ausschließlich die
Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder der Organisation entsprechend
deren Satzung durchführt.
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* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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- Barth -
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