Urteil des AG Mannheim vom 07.05.2009
AG Mannheim: tsg, namensänderung, heimatrecht, form, transsexueller, zgb, anknüpfung, ausländer, antragsrecht, geschlechtsumwandlung
AG Mannheim Beschluß vom 7.5.2009, Ja 2 UR III 5064/07
Recht der Transsexuellen: Innerdeutsche Antragsbefugnis von Ausländern zur Vornamensänderung
Leitsätze
1. § 1 Abs. 1 Ziffer 3 d TSG gewährt ausländischen Betroffenen eine Antragsbefugnis zur Namensänderung nur, wenn deren Heimatrecht keine dem
deutschen TSG vergleichbare Befugnis kennt. Diese Anknüpfung an das Personalstatut gebietet der Respekt vor dem ausländischen Souverän in
Statussachen und ist deshalb nach Art. 3 GG nicht zu beanstanden.
2. Die Schweiz und Frankreich verfügen über dem deutschen TSG vergleichbare Regelungen, der ausländische Betroffene ist daher nur in seinen
Heimatländern antragsbefugt, die gerichtliche Namensänderung zu betreiben. Eine vergleichbare Regelung liegt dann vor, wenn die
Namensänderung aus "wichtige Grund" oder bei "Vorliegen eines legitimen Interesses" beantragt werden kann und die Namensänderung nicht von
einer vorherigen chirurgischen Geschlechtsumwandlung abhängig ist.
Tenor
1. Der Antrag auf Änderung des Vornamens wird als unzulässig abgewiesen.
2. Der Gegenstandswert wird auf 3.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
1
Die Antragstellerin ist schweizerische und französische Staatsangehörige. Als EU-Angehörige hat sie in Deutschland ein uneingeschränktes
Aufenthaltsrecht. Sie lebt seit ihrer Kindheit in Deutschland und beabsichtigt, auch künftig hier zu wohnen.
2
Mit Schreiben vom 23.04.2008 (AS. 48) stellte sie den Antrag, aufgrund ihrer transsexuellen Prägung ihren bisher weiblichen Vornamen S.
gemäß § 1 TSG in die männlichen Vornamen E.R. zu ändern.
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Sie ist der Ansicht, ohne die Änderung des Vornamens sei sie in der Ausübung ihrer Grundrechte (Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG; freie
Persönlichkeitsentfaltung, Art. 2 Abs. 1 GG und zwar in Form des Schutzes der Privat- und Intimsphäre; Freiheit der beruflichen Tätigkeit, Art. 12
Abs. 1 GG; Freizügigkeit, Art. 11 Abs. 1 GG; Vereinigungsfreiheit, Art. 9 Abs. 1 GG und der Religionsfreiheit, Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG) eingeschränkt.
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Sie meint, antragsbefugt zu sein. § 1 Abs. 1 Ziff. 3 d TSG, der im Hinblick auf die Antragsbefugnis von ausländischen Betroffenen voraussetzt,
dass deren Heimatrecht keine dem deutschen TSG vergleichbare Regelung kenne, verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG. Ihr,
als lange Zeit in Deutschland lebender Ausländerin, müssten dieselben Rechte zustehen wie deutschen transsexuellen Menschen, ohne dass
sie zur Durchsetzung ihrer Rechte auf ihr Heimatrecht verwiesen werden dürfe. Im Übrigen ist sie der Meinung, dass ihre Heimatländer Schweiz
und Frankreich keine dem deutschen TSG vergleichbaren Regelungen zur Namensänderung transsexueller Menschen kennen. Auch aufgrund
des Inlandsbezuges, der sich daraus ergebe, dass sie schon fast immer in Deutschland lebe, hier ihren Schulabschluss erreicht habe und
beruflich integriert sei, seien die deutschen Gerichte zur Entscheidung berufen.
5
Über die Frage, ob in der Schweiz und Frankreich dem TSG vergleichbare Regelungen zur Namensänderung transsexueller Menschen
vorhanden sind, wurde ein Gutachten eingeholt. Auf das am 16.01.2009 von Prof. Dr. M. l, Universität Köln, erstellte Gutachten (AS. 119 ff.) wird
Bezug genommen.
II.
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Der gestellte Antrag ist unzulässig. Die Antragstellerin ist nach § 1 Abs.1 Ziff.3 d) TSG nicht antragsbefugt.
7
1. § 1 Abs. 1 Ziff. 3 d TSG verstößt nicht gegen geltendes Verfassungsrecht.
8
Nach § 1 Abs. 1 Ziff 3 a) TSG können transsexuelle deutsche Staatsangehörige, nach § 1 Abs1 Ziff 3b) und c) TSG transsexuelle Staatenlose,
Heimatlose, Asylberechtigte und Flüchtlinge eine Geschlechts angleichende Namensänderung beantragen. Transsexuellen Ausländerinnen und
Ausländern mit unbefristetem Aufenthaltsrecht, wie es die Antragstellerin ist, räumt § 1 Abs.1 Ziff. 3 d) TSG nur dann ein Antragsrecht auf
Vornamensänderung ein, wenn es im Heimatrecht der Betreffenden keine vergleichbaren Regelungen gibt.
9
Durch Beschluss vom 18.07.2006 (AZ BvL 1/04) hat das Bundesverfassungsgericht zum damals geltenden § 1 Abs. 1 Nr. 1 TSG entschieden,
dass die Vorschrift in der damaligen Form mit der Verfassung nicht vereinbar war, da ausländischen Staatsangehörigen, die nicht zu den jetzt in
§ 1 Abs. 1 Ziff. 3 b) und c) genannten Gruppen gehörten, in Deutschland keinerlei Antragsrecht zur Namensänderung aufgrund ihrer
transsexuellen Prägung zuerkannt wurde, auch dann nicht, wenn das Heimatrecht der Ausländerin / des Ausländers eine vergleichbare
Regelung nicht kannte. Soweit § 1 Abs. 1 Nr. 1 TSG alter Form Ausländerinnen und Ausländer, selbst dann wenn sie rechtmäßig in Deutschland
waren, auf ihr Heimatrecht verwies, lag eine gegen Art. 3GG verstoßende Ungleichbehandlung gegenüber Deutschen und den in § 1 Abs 1 Ziff. 3
b) und c) genannten Gruppen in den Fällen vor, in denen das Heimatrecht der Betroffenen keine vergleichbare Möglichkeit zur Namensänderung
vorsah. Denn Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistet einen Persönlichkeitsschutz, der Personen, deren Heimatrecht eine
entsprechende Namensänderung nicht vorsieht. Die Vorschriften des TSG dürfen diese nicht von der Möglichkeit ausschließen, ihre empfundene
Geschlechtlichkeit anerkannt zu erhalten (BVerfG a. a. O. Rdnr. 58). Allerdings ist nicht zu übersehen, dass die grundsätzliche Anknüpfung der
Antragsbefugnis an das Personalstatut legitim ist. Der Respekt vor der Souveränität anderer Staaten gebietet dies in Statusfragen (BVerfG a. a. O.
Rd.Ziff. 59). Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte führte das Bundesverfassungsgericht aus, dass Ausländerinnen und Ausländer
aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes nur dann einer Antragsbefugnis in Deutschland bedürfen, wenn ihr Heimatrecht keine vergleichbare
Regelung vorsieht.
10 Nach diesen Vorgaben wurde das TSG, in der jetzt vorliegenden Form, gefasst.
11 2. Sowohl in der Schweiz als auch in Frankreich gibt es dem deutschen TSG vergleichbare Regelungen, nach denen die Antragstellerin die
gewünschte Namensänderung erreichen kann.
12 Vergleichbare Regelungen des ausländischen Rechts können nach den Beratungen und der Beschlussempfehlung des Innenausschusses (BT-
DRUCKSACHE 16/5445, S. 13) Vorschriften sein, die dem deutschen TSG entsprechen. Es können aber auch z. B. Regelungen der jeweiligen
Verfassung sein, deren Auslegung durch Gerichte und Behörden ein dem deutschen Recht entsprechendes Verfahren gewährleisten.
13 a) Nach § 1 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 TSG sieht das deutsche Recht vor, dass die Vornamen von Personen auf ihren Antrag vom Gericht zu ändern
sind, wenn die Betroffenen sich aufgrund ihrer sexuellen Prägung nicht mehr dem in ihrem im Geburtseintrag angegebenen Geschlecht, sondern
dem anderen Geschlecht als zugehörig empfinden, seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang stehen, ihren Vorstellungen entsprechend zu
leben und mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sich ihr Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nicht mehr ändern
wird.
14 b) Das schweizerische Recht kennt keine spezielle gesetzliche Regelung für die Namenänderung transsexueller Menschen. Nach der
schweizerischen Rechtsprechung zu der namensrechtlichen Generalklausel des Art. 30 Abs. 1 ZGB ist jedoch eine Änderung des Vornamens
aus wichtigem Grund möglich (vgl. Gutachten Seite 2 m. w. N). Es ist in der Schweiz inzwischen in der Rechtsprechung anerkannt - nach dem
zunächst nur die (isolierte) Namensänderung in doppelgeschlechtliche / geschlechtsneutrale Namensformen gebilligt wurde -, dass auch die
Änderung des Vornamens - wie hier gewünscht - in nichtgeschlechtsneutrale Formen nach Art. 30 Abs. 1 ZGB möglich ist. Dies ist - wie in
Deutschland - möglich, ohne dass zuvor eine chirurgische Geschlechtsumwandlung des Namensträgers hätte stattfinden müssen. Das Vorliegen
eines wichtigen Grundes im Sinne des Art. 30 Abs. 1 ZGB wird nach der schweizerischen Rechtsprechung dann angenommen, wenn der
Betroffene mit der andersgeschlechtlichen Identität beruflich und sozial integriert ist, den gewünschten Vornamen seit einiger Zeit verwendet und
dieser im gesamten Umfeld akzeptiert ist. Bei der Frage, wie lange der beantragte Name bereits faktisch geführt werden musste, wurde eine
Dauer von drei Jahren als "relativ lang" qualifiziert.
15 Diese Kriterien sind den im § 1 Abs. 1 Ziff. 1 u. 2 TSG festgelegten Voraussetzungen zur Namensänderung vergleichbar.
16 c) In Frankreich gibt es ebenfalls dem deutschen TSG vergleichbare Möglichkeiten der Namensänderung, wenn auch das französische Recht
nicht über eine spezielle gesetzliche Regelung hierzu verfügt. Die einschlägige Rechtsprechung hat zu der namensänderungsrechtlichen
Generalklausel (Art. 60 Abs. 1 S. 1 Code Civil) Regelungen entwickelt, wonach eine Änderung des Vornamens bei Vorliegen eines legitimen
Interesses möglich ist.
17 Als solches legitimes Änderungsinteresse kommt das Individualinteresse der Betroffenen in Betracht, dass Identität und physische Erscheinung
übereinstimmen, dass die Einzelnen also von Umfeld und Öffentlichkeit einheitlich als Frau oder Mann angesehen und entsprechend integriert
werden. Damit korrespondiert das Kollektivinteresse, einer männlichen bzw. weiblichen Namensidentität eine männliche bzw. weibliche
Erscheinung zuordnen zu können (Gutachten S. 7 m. w. N.).
18 Auch nach diesen Kriterien wäre es der Antragstellerin möglich, vergleichbar dem deutschen Recht eine Namensänderung für sich in Frankreich
zu erreichen.
III.
19 Die Bestimmung des Gegenstandswertes sowie die Kostentragungspflicht beruhen auf §§ 2, 128 a, S. 2, 30 Abs. 2 KostO.