Urteil des AG Kerpen vom 26.02.2003
AG Kerpen: versicherungsnehmer, kündigung, versicherer, beginn der versicherung, versicherungsprämie, gegenleistung, verzug, kontrolle, haftpflichtversicherung, mahnung
Amtsgericht Kerpen, 22 C 309/02
Datum:
26.02.2003
Gericht:
Amtsgericht Kerpen
Spruchkörper:
Abteilung 22
Entscheidungsart:
Teil-Versäumnis- und Schlussurteil
Aktenzeichen:
22 C 309/02
Tenor:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 252,23 EUR nebst 6,5 %
Zinsen seit dem 18.1.2002 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Gegen dieses Urteil wird gemäß § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO n.F. die
Berufung zugelassen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d :
1
Für den Beklagten bestand bei der Klägerin unter der Versicherungsnummer ##-###-
###### eine Kraftfahrzeug-Versicherung. Der Beginn der Versicherung datiert auf den
24.12.1999, 0.00 Uhr. Für den Zeitraum vom 24.12.1999 bis zum 31.12.2000 hat der
Beklagte unstreitig die Versicherungsprämie entrichtet.
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Mit ihrer Klage macht die Klägerin für den Zeitraum vom 1.1.2001 bis zum 1.1.2002
einen Anspruch gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG geltend.
3
Mit einer Mahnung vom 17.4.2001 hat die Klägerin dazu die Versicherungsprämie
angefordert. Wegen der Einzelheiten der Gestaltung der Mahnung wird auf diese Bezug
genommen (vgl. Bl. 16 GA).
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Mit Verfügung vom 11.10.2002 hat das Gericht darauf hingewiesen, daß Bedenken an
der Verfassungskonformität von § 40 Abs. 2 VVG bestehen.
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Die Klägerin hält diese Bedenken für unberechtigt, hat aber hilfsweise vorgetragen, daß
der Beklagte mit Wirkung zum 12.7.2001 eine neue Versicherungsbestätigungskarte
eines anderen Versicherers bei der zuständigen Zulassungsstelle hinterlegt habe. Dem
entsprechend hat die Klägerin einen Hilfsantrag formuliert.
6
Die Klägerin beantragt nunmehr,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie 475,91 EUR nebst 6,5 % Zinsen seit der
Zustellung des Mahnbescheides zu zahlen;
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hilfsweise, den Beklagten zu verurteilen, an sie 252,50 EUR nebst 6,5 % Zinsen
seit der Zustellung des Mahnbescheides zu zahlen.
9
Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
10
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
11
Der Rechtsstreit ist nicht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG (Grundgesetz) dem BVerfG
(Bundesverfassungsgericht) zur Entscheidung vorzulegen.
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Eine solche Vorlage ist dann geboten, wenn es zur Entscheidung eines Rechtsstreits
auf die Gültigkeit einer nachkonstitutionellen Norm ankommt. Daran fehlt es hier.
13
Die Klägerin stützt ihren Anspruch gegenüber der Beklagten auf § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG
(Versicherungsvertragsgesetz). Diese Vorschrift hat ihre derzeit noch gültige Fassung
durch die Verordnung vom 19.12.1939 (RGBl. I S. 2443) erhalten (vgl. dazu auch
BVerfG, VersR 1985, 852). Damit handelt es sich aber um vorkonstitutionelles Recht,
welches nicht dem Verwerfungsmonopol des BVerfG unterliegt. Ergänzend wird
insofern auf die eingehenden Ausführungen des BVerfG vom 4.6.1985 (VersR 1985,
852) Bezug genommen.
14
Gegenteiliges folgt auch nicht aus der Neufassung von § 40 Abs. 2 VVG durch den
Bundesgesetzgeber durch Art. 2 Gesetz vom 21.7.1994 (BGBl. I S. 1630). Denn durch
dieses Gesetz ist lediglich der Satz 3 von § 40 Abs. 2 VVG gestrichen worden. Der Satz
3 des Absatzes 2 bezog sich dabei schon sprachlich nicht auf den vorliegenden Fall
einer Kündigung des Versicherungsverhältnisses durch den Versicherungsgeber.
Vielmehr hatte S. 3 folgenden Wortlaut:
15
"Ist mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde in den Versicherungsbedingungen
ein bestimmter Betrag für die Geschäftsgebühr festgesetzt, so gilt dieser als
angemessen."
16
Der Satz 3 von § 40 Abs. 2 VVG bezog sich damit unmittelbar auf den Satz 2 des
gleichen Absatzes. In diesem Satz ist für den Rücktritt des Versicherungsgebers nach §
38 Abs. 1 VVG bestimmt, daß der Versicherungsgeber sodann eine "angemessene
Geschäftsgebühr" verlangen kann. In § 40 Abs. 2 VVG sind somit zwei unterschiedliche
Sachverhalte geregelt: Während Satz 1 die Rechtsfolge für die Zahlungsverpflichtung
des Versicherungsnehmers im Falle der Kündigung des Versicherungsverhältnisses
durch den Versicherungsgeber regelt, regelt der weitere Teil von § 40 Abs. 2 das
Schicksal des Gebührenanspruches für den Fall des Rücktritts nach § 38 Abs. 1 VVG.
Fehlt es daher schon an einer zureichenden inhaltlichen Verschränkung der Normen, so
läßt auch das Gesetzgebungsverfahren erkennen, daß sich der Gesetzgeber nicht mit
der Bestimmung des § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG auseinandergesetzt hat. Dazu verhält sich
die Bundestagsdrucksache 12/6959 (vom 4.3.1994). Dort ist auf S. 101 ausgeführt:
17
"Zu Nummer 5 (§ 40 Abs. 2 Satz 3 VVG)
18
Die Bestimmung wird durch den Wegfall der präventiven
Bedingungsgenehmigung durch die Aufsichtsbehörden gegenstandslos und ist
daher aufzuheben."
19
Der Bundesgesetzgeber hat daher mit der Streichung von § 40 Abs. 2 Satz 3 VVG
lediglich dem Umstand Rechnung tragen wollen, daß die Versicherungsbedingungen
nicht mehr einer präventiven Kontrolle unterliegen. Durch diesen Wegfall der
präventiven Kontrolle hat dann auch in der Tat Satz 3 von § 40 Abs. 2 VVG seinen Sinn
verloren; die dort für den Fall der Genehmigung vorgesehene, unwiderlegliche
Vermutung, daß ein bestimmter Betrag als "angemessen" angesehen werden sollte,
konnte keinen Bestand mehr haben und mußte aufgehoben werden.
20
Diesem Zusammenhang ist aber zu entnehmen, daß die Regelung des § 40 Abs. 2 Satz
1 VVG nach wie vor als vorkonstitutionelles Recht einzustufen ist.
21
Denn mit der Rechtsprechung des BVerfG kann eine ehemals vorkonstitutionelle Norm
nur dann dem BVerfG zur Kontrolle vorgelegt werden, wenn der Gesetzgeber die Norm
nach Inkrafttreten des Grundgesetzes in seinen Willen aufgenommen hat (vgl. BVerfGE
63, 181 = NJW 1983, 1968 m.w. Nachw.; BVerfG, Beschluß vom 4.6.1985, VersR 1985,
852 f.). Eine solche Aufnahme in den Willen des Gesetzgebers kann sich daraus
ergeben, daß dieser Wille im Gesetz selbst zum Ausdruck kommt oder daß sich auf
einen solchen Willen "aus dem engen sachlichen Zusammenhang zwischen
unveränderten und geänderten Normen objektiv erschließen läßt (BVerfGE 60, 135
[139] m.w. Nachw.)" (vgl. BVerfGE 63, 181 = NJW 1983, 1968). Die von dem BVerfG
(a.a.O.) angegebenen Beispiele für eine solche Übernahme eines vorkonstitutionellen
Gesetzes in den Bestätigungswillen des Bundesgesetzgebers liegen hier samt und
sonders nicht vor. Insbesondere ist nicht erkennbar, daß der Gesetzgeber die Vorschrift
des § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG neu verkündet hätte. Des weiteren ist nicht ersichtlich, daß
eine neue, nachkonstitutionelle Vorschrift auf die Regelung des § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG
verweist. Schließlich hat der Gesetzgeber auch durch die Streichung von § 40 Abs. 2
Satz 3 VVG das Rechtsgebiet nicht "durchgreifend geändert"; auch der Zusammenhang
zwischen der geänderten Regelung (Aufhebung von § 40 Abs. 2 Satz 3 VVG) und den
beibehaltenen Vorschriften (§ 40 Abs. 2 Satz 1 und 2 VVG) ist nicht so eng, als daß
darin ein Bestätigungswille des Gesetzgebers liegen könnte. Vielmehr kann in der
schlichten Streichung des überflüssig gewordenen Satz 3 von § 40 Abs. 2 VVG kein
Bestätigungswille des Bundesgesetzgebers hinsichtlich des Satzes 1 von § 40 Abs. 2
VVG erkannt werden.
22
Fehlt es nach alledem an einer nachkonstitutionellen Norm, so haben die Gerichte von
einer Vorlage an das BVerfG abzusehen und selbst über die Verfassungskonformität der
Norm zu entscheiden.
23
Die Vorschrift des § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG hält einer solchen Kontrolle an dem GG
jedenfalls für die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung (Kfz-Haftpflicht) nicht stand.
24
Als maßgebliche Prüfungskriterien erweisen sich dabei insbesondere das
Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG sowie das in Art. 20 GG zum Ausdruck
kommende Übermaßverbot.
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Vornehmlich das Übermaßverbot wird durch die Vorschrift des § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG
verletzt. Das Übermaßverbot (Verhältnismäßigkeitsprinzip) ist dann verletzt, wenn eine
vom Gesetzgeber vorgesehene Rechtsfolge in keinem angemessenen Verhältnis mehr
zu dem normauslösenden Sachverhalt steht.
26
Eine solche Sachlage ist hier gegeben. Denn nach einer Kündigung des
Versicherungsvertrages hat der Versicherungsnehmer dem Versicherungsunternehmen
nicht etwa (nur) den entgangenen Gewinn als Schadensersatz zu entrichten; vielmehr
behält das Versicherungsunternehmen nach der Regelung des § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG
den Anspruch auf die Prämie bis zur Beendigung der laufenden Versicherungsperiode.
27
Diese Regelung begünstigt den Versicherungsgeber zumindest in den hier
einschlägigen Fällen einer Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung in der überwiegenden
Zahl der Fälle unverhältnismäßig.
28
Das Gericht geht dabei davon aus, daß Versicherungsverträge im Kfz-Haftpflichtwesen
weit überwiegend für den Zeitraum eines Jahres geschlossen werden. Insoweit ist auch
auf die Vorschrift des § 9 VVG zu verweisen. Nach dieser Norm "gilt" als
Versicherungsperiode der Zeitraum eines Jahres, falls nicht die Prämie nach kürzeren
Zeitabschnitten bemessen ist. Kündigt nun der Versicherungsgeber gemäß § 40 Abs. 2
Satz 1 VVG im Verbindung mit § 39 VVG den Versicherungsvertrag, so bleibt dem
Versicherungsgeber der Prämienzahlungsanspruch in voller Höhe erhalten, während
der Versicherungsnehmer - durch die Kündigung - keinen Versicherungsschutz mehr
beanspruchen kann.
29
Daß dieses Ergebnis grob unbillig ist, liegt nach Auffassung des Gerichts auf der Hand.
Denn während das Versicherungsunternehmen nach der Mahnung (gemäß § 39 Abs. 2
VVG) und der Kündigung des Versicherungsvertrages gegenüber dem
Versicherungsnehmer von der Leistungspflicht befreit ist, soll dieser nach der Vorschrift
des § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG noch die volle Prämie bis zur Beendigung der laufenden
Versicherungsperiode zahlen. Durch die Vorschrift des § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG wird
daher das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nachhaltig gestört; der
Versicherungsnehmer soll nach dem Willen des (vorkonstitutionellen) Gesetzgebers
zwar selbst noch leisten müssen, während das Versicherungsunternehmen zumindest
gegenüber dem Versicherungsnehmer von der vertraglichen Haftungsübernahme befreit
ist. Ein derartig schwerwiegenden Eingriff in das Gegenseitigkeitsverhältnis von
Leistung und Gegenleistung kann nach Auffassung des Gerichts auch vom Gesetzgeber
nur dann vorgenommen werden, wenn dafür gravierende und überzeugende Gründe
sprechen. Solche Gründe sind aber - zumindest für den Bereich der Kfz-
Haftpflichtversicherung - nicht erkennbar (vgl. dazu noch sogleich).
30
Die Unbilligkeit der gesetzlichen Regelung des § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG erschließt sich
dabei auch im Vergleich mit anderen Regelungen, die Rechtsfolgen für den Fall der
Kündigung von Verträgen enthalten.
31
Kündigt beispielsweise der Besteller eines Werkes den Werkvertrag, so muß der
Besteller zwar nach § 649 Satz 2 Halbsatz 1 BGB die vereinbarte Vergütung entrichten;
der Werkunternehmer muß sich aber nach dem 2. Halbsatz der Vorschrift ersparte
Aufwendungen oder dasjenige anrechnen lassen, was er durch anderweitige
Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterläßt. Unter den
ersparten Aufwendungen kann dabei unter versicherungsrechtlichen Aspekten das
32
Haftungsrisiko verstanden werden, welches der Versicherungsgeber nach der
Kündigung nicht mehr zu tragen hat.
Auch außerhalb des Kündigungsrechtes entspricht es einem allgemeinen
Rechtsgrundsatz, daß sich der Geschädigte solche Vorteile schadenmindernd
anrechnen lassen muß, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem
schadenstiftenden Ereignis stehen (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 61. Aufl., Vorbem. v. §
249 Rdn. 129 m.w. Nachw.).
33
Ist der Schädiger zum Ersatz des entgangenen Gewinns verpflichtet, so muß sich der
Geschädigte die ersparten Selbstkosten anspruchsmindernd anrechnen lassen (vgl.
Palandt-Heinrichs, a.a.O., § 252 Rdn. 7 und § 325 Rdn. 16 ff.).
34
Dem gesamten Schadenersatzrecht kann daher der Grundsatz entnommen werden, daß
der Geschädigte bei einer schuldhaft herbeigeführten Kündigung seinen Anspruch auf
die Gegenleistung nicht einschränkungslos behält und er gleichzeitig von seiner
eigenen Leistungspflicht befreit wird.
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Wenn das VVG für die Kündigung des Versicherungsverhältnisses nach § 39 VVG
insoweit eine Ausnahme statuiert und der Versicherungsnehmer bis zum Ende der
laufenden Versicherungsperiode noch die volle Prämie bezahlen muß, ohne seinerseits
noch in den Genuß des entsprechenden Versicherungsschutzes zu kommen, so
verstößt der Gesetzgeber mit einer solchen, allgemeine Schadensgrundsätze
mißachtenden Regelung gegen das Übermaßverbot.
36
Der Versicherungsnehmer wird nämlich dadurch in der Regel (vgl. § 9 VVG) der zu
beurteilenden Fälle in einer Weise gegenüber dem allgemeinen Schadensrecht
schlechter gestellt, für die es eine keine nachvollziehbare Begründung gibt.
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Soweit in Rechtsprechung und Literatur teilweise die Ansicht vertreten wird, daß die
volle Prämienzahlung als "Folge des Grundsatzes der sogenannten Unteilbarkeit der
Versicherungsprämie" hinzunehmen sei (so AG Wetzlar, Urteil vom 25.6.1985 - 3 C
363/85 -, VersR 1986, 859 f.; Brentrup, VersR 1986, 862 f.) kann dem nicht gefolgt
werden. Mit dem BGH (VersR 1991, 1277 [1278 unter I. 3. a)] m.w. Nachw.) ist nämlich
davon auszugehen, daß es einen "allgemeinen Grundsatz der Unteilbarkeit der Prämie"
gar nicht gibt. Die volle Prämienzahlungsverpflichtung kann daher auch nicht auf diesen
Grundsatz gestützt werden.
38
Weiter kann die Regelung des § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG auch nicht mit dem Argument
gehalten werden, daß es gelte, den Versicherungsnehmer nicht noch "quasi zur
Belohnung" (so AG Haßfurt, a.a.O.) von der bereits fällig gewordenen Prämie ganz oder
teilweise freizustellen. Denn die Anwendung des § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG führt derzeit
dazu, daß der Versicherungsnehmer weithin eine Leistung noch voll entrichten muß, auf
welche er wegen der Kündigung gar keinen Anspruch mehr hat. Die Lösung der
Problematik kann daher weder darin liegen, den Versicherungsnehmer ohne
Gegenleistung über Gebühr für etwas einstehen zu lassen, noch darin, seine
schuldhafte Vertragsverletzung (welche die Kündigung nach sich gezogen hat)
folgenlos bleiben zu lassen. Vielmehr ist der Versicherungsnehmer im Rahmen des
allgemeinen Schadensersatzsrechtes zum Schadensersatz verpflichtet. Der kündigende
Versicherungsgeber kann daher gemäß § 326 BGB Abs. 1 BGB a.F. (vgl. auch § 280
BGB n.F. sowie §§ 323, 325 BGB n.F.) den ihm entstandenen Schaden, einschließlich
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des gemäß § 252 BGB entgangenen Gewinns, geltend machen. Die durch die
Verfassungswidrigkeit von § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG gerissene Lücke ist daher durchaus
nicht zwingend in der Weise auszufüllen, daß der Versicherungsnehmer nur "pro rata
temporis" für die bis zur Kündigung abgelaufene Versicherungszeit seinen
Zahlungsverpflichtungen genügen müßte. Es geht daher in der Sache nicht darum, die
schuldhafte Vertragsverletzung des Versicherungsnehmers zu prämiieren, sondern
darum, ihn lediglich nach allgemeinen Schadensersatzgrundsätzen zur Verantwortung
zu ziehen.
Weiter hat das AG Haßfurt (VersR 1986, 860 [862]) bereits zutreffend darauf
hingewiesen, daß § 4b der alternativen AKB (veröffentlicht in VerBAV 26 [1977], 48) ein
anderer Ansatzpunkt zur Bestimmung der Gegenleistung des Versicherungsnehmers
bei der Kündigung des Versicherungsvertrages durch den Versicherungsgeber
entnommen werden kann. Diese Bestimmung lautet:
40
"Kündigt der Versicherer wegen nicht rechtzeitiger Zahlung einer Folgeprämie,
so gebührt dem Versicherer derjenige Teil des Beitrags, welcher der
abgelaufenen Versicherungszeit entspricht. Fällt die Kündigung in das erste
Versicherungsjahr, so gebührt dem Versicherer ein entsprechend der Dauer der
Versicherungszeit nach Kurztarif berechneter Beitrag." (Entnommen der
Entscheidung des AG Haßfurt, a.a.O.)
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Mit der Entscheidung des AG Haßfurt ist daher davon auszugehen, daß es durchaus
andere, sachlich berechtigte Formen zur Bestimmung der den Versicherungsnehmer
treffenden Schadensersatzpflicht gibt, die weder unzumutbar kompliziert noch sind noch
den Versicherungsnehmer über Gebühr begünstigen oder belasten.
42
Die Regelung des § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG kann auch nicht unter dem Blickwinkel eines
"pauschalierten Schadensersatzes" aufrecht erhalten werden (so aber Brentrup, VersR
1986, 862 f., Anm. zu AG Haßfurt, VersR 1986, 860 f.).
43
Hierzu vertritt Brentrup die Ansicht, daß der Schaden im Einzelfall "kaum oder nur mit
unvertretbarem Aufwand" verifiziert werden könne. Dieser Einwand vermag zumindest
für den zu erwartenden Gewinn aus dem Versicherungsvertrag nicht zu überzeugen.
Denn hier kommt dem Versicherer schon die Vorschrift des § 252 BGB zugute. Danach
braucht der Versicherer nur darzulegen, welcher Gewinn "nach dem gewöhnlichen Lauf
der Dinge" zu erwarten gewesen wäre. Gerade weil es sich bei den hier zu
beurteilenden Versicherungsfällen um Massengeschäfte handelt, dürfte es dem
Versicherer anhand der vorliegenden Geschäftsdaten ein Leichtes sein, die
durchschnittliche Gewinnerwartung für den jeweiligen Versicherungszweig zu ermitteln
und daran den zu erwartenden Gewinn auszurechnen. Es entspricht dabei auch einer
gerichtlichen Erfahrung, daß sich vergleichbare Werte ohne weiteres dann ermitteln
lassen, wenn diese für die Rechtsverfolgung auf anderem Gebiet erforderlich sind (etwa
die sogenannten Refinanzierungskosten im Leasinggeschäft).
44
Zu Recht verweist Brentrup allerdings sodann darauf, daß der Versicherer bis zum
Ablauf der in der Mahnung enthaltenen qualifizierten Frist (vgl. § 39 Abs. 1 VVG) und
auch noch nach der Abmeldung des Fahrzeuges gegenüber dem Straßenverkehrsamt
(vgl. § 3 Ziffer 5 PflVG) in der Haftung steht.
45
Beide Gesichtspunkte rechtfertigen es jedoch nicht, der Versicherung einen Anspruch
46
zuzubilligen, der im Regelfall weit höher liegen wird, als der Anspruch aus § 326 BGB
a.F. (bzw. nach §§ 280, 323, 325 BGB n.F.). Denn der Versicherungsschutz stellt nun
einmal die natürliche Gegenleistung des Versicherungsgebers für den
Prämienanspruch dar. Wenn der Versicherer daher für die erwähnten Zeiträume haften
muß, obwohl die Prämie noch nicht entrichtet worden ist - der Versicherungsnehmer
also insoweit seiner Vorleistungspflicht nicht genüge getan hat -, so kann diese
potentielle Haftung des Versicherers nach Auffassung des Gerichts nicht die Zubilligung
einer Schadenpauschale rechtfertigen, die erfahrungsgemäß den Schaden
(einschließlich des entgangenen Gewinns), der sich nach dem "gewöhnlichen Lauf der
Dinge" ergeben würde, bei weitem übersteigt. Auch wenn sich Brentrup (a.a.O.) gegen
die vom AG Haßfurt (ebenfalls a.a.O.) am Verbraucherschutz orientierte
Gesetzesauslegung von § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG wendet, ist hier auch auf den in § 309
Ziffer 5 BGB n.F. (vormals: § 11 Ziffer 5 AGBG) zum Ausdruck kommenden
Rechtsgedanken zurückzugreifen. Nach dieser Vorschrift ist die Vereinbarung eines
pauschalierten Anspruchs des Verwenders auf Schadensersatz unwirksam, wenn
a. die Pauschale den in den geregelten Fällen nach dem gewöhnlichen Lauf der
Dinge zu erwartenden Schaden ... übersteigt, oder
b. dem anderen Vertragsteil der Nachweis abgeschnitten wird, ein Schaden ... sei
überhaupt nicht entstanden oder wesentlich niedriger als die Pauschale.
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Anders ausgedrückt: Hätte man die Vorschrift des § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG an der
Regelung des § 309 Ziffer 5 BGB n.F. zu messen, so würde die Norm wegen der
Verletzung sowohl von Ziffer 5a) als auch wegen des Verstoßes gegen Ziffer 5b) für
unwirksam zu erachten sein. Entgegen der Ansicht von Brentrup liegt daher § 40 Abs. 2
Satz 1 VVG keine akzeptable Pauschalierung des dem Versicherer typischerweise
entstehenden Schadens zugrunde.
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Mit dieser Wertung befindet sich das Gericht im Einklang mit den Ausführungen von
Prölss (in: Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 40 Rdn. 9 f.). Auch Prölss erkennt, daß die
"vom Zeitpunkt der Kündigung bis zum Ende der Versicherungsperiode anfallende
Prämie auch nicht annähernd den auf Grund der Kündigung entgangenen Gewinn
kennzeichnet und ohne weiteres eine realitätsnähere Typisierung des entgangenen
Gewinns (z.B. ein - wenn auch relativ großzügig bemessener - Prozentsatz der
entgangenen Prämie) möglich ist" (vgl. a.a.O. Rdn. 10).
49
Des weiteren kann die Norm nach Ansicht des Gerichts auch nicht mit der Begründung
für verfassungskonform gehalten werden, daß die Versicherungsprämie aus § 40 Abs. 2
Satz 1 VVG vielfach nicht "realisiert" werden kann. Die dahinter stehende Erwägung
von Brentrup, der sich insofern auf eine Stellungnahme des BGH in dem
Normenkontrollverfahren beruft (vgl. Brentrup, a.a.O. bei Fußnote 10), bedeutet letztlich,
daß die Versicherungsnehmer, bei welchen der Anspruch aus § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG
realisierbar ist, zugleich im Sinne einer solidarischen Haftung den Nachteil der
Versicherer bei solchen Versicherungsnehmern ausgleichen sollen, bei welchen die
Versicherungsgeber mit ihrer Forderung ausfallen. Auch dieser Aspekt kann indessen
nach Auffassung des Gerichts nicht durchschlagen. Denn es entspricht keinen
rechtsstaatlichen Grundsätzen, durch eine übermäßige Belastung der solventen
50
Schuldner der Versicherungsprämie nach § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG den Nachteil
auszugleichen, den die Nichtdurchsetzbarkeit der Versicherungsbeiträge nach § 40
Abs. 2 Satz 1 VVG bei den zahlungsunfähigen Versicherungsnehmern nach sich zieht.
Die übermäßige Rechtsfolge des § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG kann nach Auffassung des
Gerichts schließlich auch nicht mit dem Argument verteidigt werden, daß der
Versicherungsnehmer durch rechtzeitige Kündigung des Versicherungsvertrages oder
durch fristgerechte Prämienzahlung die Anwendbarkeit der Norm von sich aus
ausschließen kann. Diese Argumentation kann schon deshalb nicht verfangen, weil
auch sonst eine übermäßigen Reaktion des Gesetzgebers nicht mit dem Argument
begegnet werden kann, daß die der Norm unterworfene Person ihr Verhalten eben
entsprechend hätte einrichten müssen, daß die Vorschrift nicht zur Anwendung gelangt
(ähnlich AG Haßfurt, VersR 1986, 860 und Prölss, in: Prölss/Martin, a.a.O., § 40 Rdn.
10).
51
Weiter verstößt die Regelung des § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
52
Denn die Versicherungsnehmer, deren Verträge gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG in
Verbindung mit § 39 VVG gekündigt worden sind, müssen alle in gleicher Weise bis
zum Ende der Versicherungsperiode die volle Prämie entrichten. Der Gesetzgeber
behandelt somit unterschiedslos alle Versicherungsnehmer gleich, ohne darauf zu
achten, wie lange die Versicherungsperiode bis zur Kündigung des
Vertragsverhältnisses schon gedauert hatte. Auch in dieser unterschiedslosen
Gleichbehandlung aller Versicherungsnehmer, denen der Versicherungsvertrag nach §
40 Abs. 2 VVG in Verbindung mit § 39 VVG gekündigt worden ist, liegt ein Verstoß
gegen Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. ebenso Prölss, in: Prölss/Martin, a.a.O., § 40 Rdn. 10).
53
Entgegen der Auffassung des BGH kann diese Ungleichbehandlung nach Auffassung
des erkennenden Gerichts auch nicht mit dem Argument gerechtfertigt werden, daß es
sich bei der Abwicklung von Versicherungsverträgen um ein "Massengeschäft" handelt,
bei welchem Härten in Einzelfällen hinzunehmen wären (vgl. BGH, VersR 1991, 1277
[1278 unter I. 3.]). Denn auch im Rahmen von "Massengeschäften" darf der Gesetzgeber
nicht "sehenden Auges" vermeidbare Ungerechtigkeiten hinnehmen. So hat das BVerfG
entschieden (BVerfGE 45, 376 [390]), daß eine zulässige Typisierung voraussetzt, daß
die "in ihrer Folge entstehende Ungerechtigkeit nur unter Schwierigkeiten vermeidbar
wäre und der in ihr liegende Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist
(vgl. BVerfGE 26, 265 [275 f.])."
54
Beides kann - entgegen der Auffassung des BGH - hier nicht festgestellt werden.
55
Hinsichtlich der Vermeidbarkeit der Schwierigkeiten bei einer anderen Ausgestaltung
der Rechtsfolgen einer Kündigung ist dabei sowohl daran zu denken, daß der
Gesetzgeber § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG in einer Weise novelliert, welche die
Schadensersatzverpflichtung des Versicherungsnehmers näher an den tatsächlich zu
erwartenden Schaden angleicht; darüber hinaus ist es nach Auffassung des Gerichts
auch für die Versicherer ohne größere Schwierigkeiten denkbar, eine von § 40 Abs. 2
Satz 1 VVG abweichende Vertragsgestaltung für die Fälle der Kündigung des
Versicherungsvertrages vorzunehmen. Für das Gericht ist nicht nachvollziehbar,
weshalb es mit unvermeidbaren Schwierigkeiten verbunden sein sollte, hier eine
Schadensersatzverpflichtung zu kreieren, die den Schaden, welcher den Versicherern
typischerweise entsteht, sachgerechter erfaßt. In diesem Zusammenhang sei nochmals
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auf den bereits erwähnten Alternativentwurf zu der Beitragsbemessung verwiesen.
Außerdem liegt nach Ansicht des Gerichts auch die weitere Voraussetzung für eine
zulässige Typisierung nicht vor. Denn die von der Regelung des § 40 Abs. 2 Satz 1
VVG betroffenen Versicherungsnehmer können nach Ansicht des Gerichts durchaus
hart in ihren Rechten getroffen sein.
57
Für die Frage, ob § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG als verfassungsmäßig anzusehen ist, kommt
es dabei nicht auf die Anwendung der Norm im konkreten Einzelfall an. Denn
maßgeblich ist alleine, ob § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG für die hier in Rede stehende Kfz-
Haftpflichtversicherung generell einer Prüfung am Maßstab des Grundgesetzes stand
hält. Erweist sich die Norm insofern als verfassungswidrig, so ist sie - ungeachtet ihrer
Auswirkungen im Einzelfalls - als nicht verfassungskonform anzusehen und somit auch
nicht anzuwenden.
58
Bei der Anwendung von § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG können sich nicht hinzunehmende
Härten ergeben. Im ungünstigsten Fall einer Vertragsauflösung zu Beginn einer
Versicherungsperiode kann die Belastung des Versicherungsnehmers einen
Jahresbeitrag erreichen (vgl. ebenso BGH, a.a.O.). Da dieser Belastung des
Versicherungsnehmers im ungünstigsten Fall praktisch keine Leistung des Versicherers
gegenübersteht, kann nach Auffassung des Gerichts auch von einer Härte bei der
Anwendung von § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG gesprochen werden, ohne daß es zwingend
auf die Höhe des zu entrichtenden Versicherungsbeitrages ankommt.
59
Die Ungleichbehandlung der Versicherungsnehmer auch nicht mit dem Hinweis
verteidigt werden, daß nur eine "kleinen Zahl von Personen betroffen" ist (vgl. dazu
BVerfGE 63, 119 [128]). Mit Prölss (in: Prölss/Martin, a.a.O., § 40 Rdn. 10) ist vielmehr
davon auszugehen, daß "ein keineswegs geringer Teil der Versicherungsnehmer ...
daher ohne sachlichen Grund einen Betrag bezahlen (muß), der den Schaden des
Versicherers erheblich übersteigt". Erweist sich daher die Gruppe der von § 40 Abs. 2
Satz 1 VVG betroffenen Versicherungsnehmer nicht als "klein", so kann ohne die
Erhebung von weiterem Datenmaterial auch davon ausgegangen werden, daß es
innerhalb der betroffenen Gruppe zu einer Vielzahl von Fällen kommt, in welchen
Versicherungsnehmer entweder am Anfang der Versicherungsperiode oder erst gegen
Ende der Versicherungsperiode von der Regelung des § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG betroffen
sind. Davon ist auch deshalb auszugehen, weil die Versicherungsbeiträge nicht stets für
das ganze Jahr im voraus zu entrichten sind. Vielmehr entspricht es einer durchaus
verbreiteten Praxis, daß Versicherungsbeiträge - wie hier - in Raten (etwa
quartalsmäßig) - zu entrichten sind. Kommt ein Versicherungsnehmer sodann aber erst
mit der letzten Rate in Verzug, so bedeutet für ihn die sich aus § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG
ergebende Mehrbelastung nur einen wesentlich geringeren Nachteil, als wenn bereits
der Verzug mit der ersten Rate oder der Verzug mit der (in einer Summe zu zahlenden)
Jahresprämie zum Anlaß für die Kündigung nach § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG genommen
wurde.
60
Die Vorschrift ist auch nicht etwa deshalb für verfassungskonform zu halten, weil die
Entrichtung der vollen Versicherungsprämie bis zum Ende der Versicherungsperiode im
Einzelfall für den Versicherungsnehmer günstiger sein kann, als wenn er - gemäß § 326
BGB a.F. (oder auch § 280 BGB n.F., vgl. auch §§ 323, 325 BGB n.F.) - dem
Versicherungsgeber den entgangenen Gewinn zu entrichten hätte. Dieser
Argumentation, mit welcher der BGH die Verfassungskonformität der Vorschrift im
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wesentlichen begründet hat, kann sich das erkennende Gericht nicht anschließen.
Allerdings verweist der BGH (VersR 1991, 1277 [1278]) zu Recht darauf, daß sich die
Regelung des § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG in bestimmten Situationen auch zugunsten des
Versicherungsnehmers auswirken kann. Wird nämlich durch den Versicherer ein
Versicherungsvertrag mit einer noch mehrjährigen Laufzeit vorzeitig gekündigt,
beschränkt sich der Prämienanspruch nach § 40 Abs. 2 VVG auf die Entrichtung der
Prämie bis zur Beendigung der laufenden Versicherungsperiode.
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Demgegenüber könnte der Gewinn, der sich für das Versicherungsunternehmen aus der
noch mehrjährigen Laufzeit des Vertrages ergeben könnte, höher ausfallen.
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Dieser Gesichtspunkt kann indessen die sich aus § 40 Abs. 2 VVG ergebende
Schlechterstellung des Versicherungsnehmers nicht rechtfertigen. Denn die vom BGH
angestellten Erwägungen begünstigen die "Gruppe" der Versicherungsnehmer nur in
einem sehr speziellen Ausnahmefall. Dabei ist auch zu bedenken, daß es auch in der
Hand der Versicherungsgesellschaft liegt, durch eine geschickte Wahl des
Kündigungszeitpunktes diesen Vorteil für eine Vielzahl der über mehrere Jahre
laufenden Vertragsverhältnisse wieder zunichte zu machen (vgl. dazu auch AG Haßfurt,
NJW-RR 1989, 679 re. Spalte). Ergibt sich daher z.B. gegen Ende eines laufenden
Versicherungsjahres, daß der Versicherungsnehmer mit der Zahlung einer Folgeprämie
in Verzug gekommen ist, so hat es der Versicherer z.B. in der Hand, neben der
unverzüglichen Kündigung des Versicherungsvertrages diesen zunächst weiter zu
führen und die Kündigung erst zum Beginn des Folgejahres auszusprechen. In diesen
Fällen stünde der Versicherung nicht nur der vertragliche Anspruch auf Zahlung der
Prämie für das abgelaufene Versicherungsjahr, sondern darüber hinaus noch der volle
Prämienanspruch für das Versicherungsjahr zu, in welchem der Vertrag gekündigt
wurde.
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Auch wenn der Versicherer in der letztgenannten Fallkonstellation das Risiko trägt,
einen Teil des Versicherungsrisikos ohne (vorherige) Prämienzahlung tragen zu
müssen, so erhellen die vorstehenden Erwägungen doch zumindest, daß die
Versicherungsgeber auch bei mehrjährigen Versicherungsverträgen nur in äußerst
seltenen Ausnahmefällen durch die Regelung des § 40 Abs. 2 VVG schlechter gestellt
sind, als bei einer Abrechnung des Schadens auf der Basis des § 326 BGB a.F. (oder
auch § 280 BGB n.F., vgl. auch §§ 323, 325 BGB n.F.).
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Auch von Riedler (in Honsell, Berliner Kommentar zum VVG, 1999, § 40 Rdn 12 f.) wird
dann zu Recht formuliert, daß die Aufrechterhaltung der Prämienzahlungsverpflichtung
des Versicherungsnehmers nur als "Unikum in der Rechtsordnung" bezeichnet werden
kann. Weiter hat immerhin der österreichische Gesetzgeber durch eine Novelle aus dem
1994 die bis dato gleichlautende Bestimmung des § 40 ÖVVG aufgrund der dargelegten
Erwägungen außer Kraft gesetzt (vgl. die weiteren Nachweise bei Riedler, a.a.O.). Statt
dessen ist nunmehr grds. "pro rata temporis" abzurechnen.
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Speziell für die Kraftfahrzeugversicherung kommt hinzu, daß es dem
Versicherungsnehmer bei mehrjährigen Versicherungsverträgen allemal unbenommen
bleibt, durch die Stillegung des Kraftfahrzeuges ein "Ruhen" des
Versicherungsschutzes zu erreichen (vgl. § 5 AKB) und eine Veräußerung des
Fahrzeuges dem Erwerber eine Kündigung des Versicherungsvertrages ermöglicht (vgl.
§ 158h Satz 2 VVG). Der vom BGH ins Feld geführte Vorteil, daß die Verpflichtung des
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Versicherungsnehmers zur vollen Prämienzahlung daher hinter der
Schadensersatzverpflichtung des Versicherungsnehmers bei einer mehrjährigen
Vertragsdauer zurückstehen könne, wird auch aufgrund dieser Sonderregelungen kaum
je relevant werden. Denn durch die (nicht nur vorübergehende) Stillegung oder durch
die Veräußerung des Fahrzeuges kann sich der Versicherungsnehmer faktisch aus der
mehrjährigen Bindung der Haftpflichtversicherung lösen, ohne dadurch einer
Schadensersatzverpflichtung des Versicherers ausgesetzt zu sein, welche sich an
einem noch mehrjährigen Fortbestand des Versicherungsvertrages zu orientieren hätte.
Nach alledem kann festgehalten werden, daß die Regelung des § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG
den Versicherungsnehmer insofern unverhältnismäßig belastet, als die Entrichtung der
Jahresprämie in aller Regel nicht in einem angemessenen Verhältnis zur Gegenleistung
des Versicherers steht und der Versicherungsnehmer durch die Regelung des § 40 Abs.
2 Satz 1 VVG daher in unverhältnismäßiger Weise vom Gesetzgeber benachteiligt wird.
Dies gilt aus den dargelegten Gründen zumindest für die hier in Rede stehenden Fälle
einer Kfz-Haftpflichtversicherung. Die Regelung in § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG ist daher als
verfassungswidrig anzusehen.
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Da sich die Klägerin somit nicht auf § 40 Abs. 2 Satz 1 VVG berufen kann, ist der
Anspruch auf Versicherungsprämie - mangels Darlegung eines weitergehenden
Schadensersatzanspruches - nach Auffassung des Gerichts "pro rata temporis"
abzurechnen.
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Dabei ist der Anspruch zuzuerkennen, der bis zum 12.7.2001 zu berechnen ist. Denn zu
diesem Zeitpunkt hat der Beklagte eine neue Versicherungskarte eines anderen
Versicherers bei der zuständigen Zulassungsstelle hinterlegt. Bei einem Jahresbeitrag
von 930,80 DM (4 x 232,70 DM) entspricht dies bei einem Ansatz von 53 % der Laufzeit
(193 zu 365) einem Betrag von 493,32 DM oder umgerechnet 252,23 EUR. Dieser
Betrag entspricht nahezu demjenigen, welche die Klägerin mit ihrem Hilfsantrag verfolgt
hat (252,50 EUR).
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Die zugesprochenen Zinsen ergeben sich aus Verzug.
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Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 2 ZPO.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
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Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache hat das Gericht gemäß § 511 Abs. 4
Satz 1 Nr. 1 ZPO n.F. die Berufung zugelassen.
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S t r e i t w e r t :
75
475,91 EUR
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