Urteil des AG Duisburg vom 14.10.2003
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Amtsgericht Duisburg, 63 IN 48/03
Datum:
14.10.2003
Gericht:
Amtsgericht Duisburg
Spruchkörper:
Insolvenzgericht
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
63 IN 48/03
Normen:
EulnsVO Art. 3 l; InsO § 11 l; britische Companies Act 1985 sec. 652
Leitsätze:
Die aus der Niederlassungsfreiheit innerhalb der Europäischen Union
abgeleitete Anerkennung der Rechtsfähigkeit und Rechtsform von
Gesellschaften, die in einem anderen EU-Mitgliedstaat gegründet
worden sind, gilt nicht nur für die Entstehung, sondern auch für die
Auflösung, Liquidation und rechtliche Beendigung der Gesellschaften.
Ist eine solche Gesellschaft nach dem für sie maßgebenden Recht des
Gründungsstaats erloschen, so ist dieser Status innerhalb der
Europäischen Union überall rechtlich verbindlich.
Nach britischem Recht ist eine Gesellschaft, die der Registrar of
Companies im Gesellschaftsregister wegen Aufgabe der
Geschäftstätigkeit gelöscht hat, mit der öffentlichen Bekanntmachung der
Löschung aufgelöst. Die Auflösung bewirkt, daß die Gesellschaft aufhört,
rechtlich zu existieren. Die Gesellschaft verliert damit nach deutschem
Recht die Insolvenzfähigkeit als juristische Person.
AG Duisburg, Beschluß vom 14.10.2003 - 63 IN 48/03
Tenor:
Der Eröffnungsantrag vom 10.03.2003 wird zurückgewiesen. Die Kosten
des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
Gegenstandswert (§ 37 Abs. 2 GKG): 1.000,00 EUR.
I.
Kapitalgesellschaft britischen Rechts) mit satzungsmäßigem Sitz in London in das für
England und Wales zuständige Gesellschaftsregister (Companies House, Registrar of
Companies) in Cardiff unter der Nr. xxxxx eingetragen. Sie war unter Einschaltung einer
C-Ltd. als Treuhänderin von dem Montageunternehmer Y aus Oberhausen gegründet
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worden, um in Deutschland ohne die gesetzlichen Voraussetzungen eine
Handwerkstätigkeit ausüben zu können. Das Unternehmen sollte Türen und Fenster
herstellen und montieren. Alleiniger organschaftlicher Vertreter (director) der
Schuldnerin war die C-Ltd. in London. Faktisch wurden die Geschäfte auf Grund einer in
deutscher Sprache abgefaßten Generalvollmacht von Y geführt. Wie von Anfang an
geplant, richtete er die tatsächliche Geschäftsleitung und den Produktionsbetrieb der
Schuldnerin in Oberhausen unter der selben Anschrift wie ein von ihm geführtes
Einzelunternehmen ein. In London unterhielt die Schuldnerin keine Geschäftsräume.
Auf den Briefbögen der Schuldnerin waren nur Anschriften und Bankverbindungen in
Oberhausen angegeben; die C-Ltd. wurde als Muttergesellschaft und Y als
Geschäftsführer bezeichnet.
Am 19.11.2002 löschte der Registrar of Companies die Schuldnerin im
Gesellschaftsregister. Zuvor war am 13.8.2002 auch schon die treuhänderische
Gesellschafterin C-Ltd. im Register gelöscht worden.
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Im November 2002 und im März 2003 haben zwei Krankenkassen wegen rückständiger
Sozialversicherungsbeiträge die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen
der Schuldnerin beantragt (Verfahren 63 IN 231/02 und 63 IN 48/03). Der vorläufige
Insolvenzverwalter, Rechtsanwalt Dr. F, kommt in seinem Gutachten vom 26.8.2003
(Akte 63 IN 231/02, Bl. 78 ff) zu dem Ergebnis, daß die Schuldnerin fällige
Verbindlichkeiten in Höhe von mindestens 18.500,00 EUR hat und ihnen keine
Vermögenswerte, weder liquide Mittel noch sonst verwertbare Gegenstände,
gegenüberstehen. Etwaige Ansprüche gegen den faktischen Alleingesellschafter Y
haben keinen wirtschaftlichen Wert. Er ist hoch verschuldet und zahlungsunfähig und
hat selbst ein Insolvenzverfahren über sein Vermögen beantragt, dessen Kosten nach
den Feststellungen des dort eingesetzten vorläufigen Insolvenzverwalters aus der
Masse nicht gedeckt werden können. Nach Anhörung zum Ergebnis der Ermittlungen
hat eine Antragstellerin (die KKH) ihren Antrag zurückgenommen, die andere hat sich
nicht mehr geäußert.
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II.
Schuldnerin rechtlich und wirtschaftlich nicht mehr existiert.
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1. Vorab ist festzuhalten, daß die internationale und örtliche Zuständigkeit des
Amtsgerichts Duisburg für ein etwaiges Hauptinsolvenzverfahren über das gesamte
Vermögen der Schuldnerin gegeben ist. Der maßgebliche Mittelpunkt der
hauptsächlichen Interessen der Schuldnerin (Art. 3 Abs. 1 der Europäischen
Insolvenzverordnung vom 29.5.2000 - EuInsVO) befindet sich nicht an ihrem
satzungsmäßigen Sitz in London, sondern in Oberhausen und damit im hiesigen
Gerichtsbezirk (§ 3 Abs. 1 InsO). Die tatsächliche zentrale Verwaltung der
schuldnerischen Gesellschaft wurde und wird, soweit hiervon überhaupt noch
gesprochen werden kann, ausschließlich von Oberhausen aus geführt.
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2. Die Schuldnerin wäre auch, wenn sie noch existierte, in Deutschland als beschränkt
haftende juristische Person britischen Rechts anerkannt und als solche insolvenzfähig
(§ 11 Abs. 1 Satz 1 InsO). Auf Grund der Niederlassungsfreiheit innerhalb der
Europäischen Union hängt nämlich diese Anerkennung unabhängig vom tatsächlichen
(effektiven) Sitz der Gesellschaft allein davon ab, ob die Gesellschaft nach dem Recht
ihres - der Europäischen Union angehörenden - Gründungsstaates die Rechtsfähigkeit
besitzt (vgl. EuGH Slg. 2002, I-9919 = NJW 2002, 3614, Überseering; BGH NJW 2003,
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1461). Dies gilt selbst dann, wenn der effektive Sitz niemals im Gründungsstaat gelegen
hat (EuGH, Urteil vom 30.09.2003 - C-167/01, Inspire Art Ltd., RdNr. 95 - 105, 138f.;
BayObLG NZG 2003, 290 = ZIP 2003, 398; OLG Zweibrücken NZG 2003, 537 = ZIP
2003, 849).
3. Die Schuldnerin existiert jedoch als juristische Person oder als insolvenzfähiger
Rechtsträger anderer Form nicht mehr. Durch die Löschung vom 19.11.2002 ist ihre
Existenz beendet worden.
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a) Nach den Prinzipien des europäischen internationalen Gesellschaftsrechts, wie sie
der EuGH aus der Niederlassungsfreiheit abgeleitet hat (zuletzt EuGH, Urteil vom
30.09.2003 - C-167/01, Inspire Art Ltd.), bestimmen sich Rechtsfähigkeit und Rechtsform
von Gesellschaften aus einem EU-Mitgliedstaat grundsätzlich nach dem Recht des
Gründungsstaates. Dies gilt nicht nur für ihre Entstehung, sondern auch für ihre
Auflösung, Liquidation und rechtliche Beendigung. Ist eine Gesellschaft nach dem für
sie maßgebenden Recht des Gründungsstaats erloschen, so ist dieser Status innerhalb
der Europäischen Union überall rechtlich verbindlich.
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b) Das britische Gesellschaftsrecht sieht vor, daß die Registerbehörde eine Private
Limited Company im Register löschen kann, wenn ein vernünftiger Grund zu der
Annahme besteht, daß die Gesellschaft nicht mehr am wirtschaftlichen Leben teilnimmt
(defunct company, sec. 652 I Companies Act 1985). Anlaß zur Einleitung eines
Löschungsverfahrens sehen die Registerbehörden auch darin, daß die Gesellschaft
unter ihrer registrierten Anschrift postalisch nicht erreichbar ist oder daß sie die beim
Register einzureichenden Unterlagen, insbesondere die jährliche Rückmeldung
(Annual Return, u.a. mit Angaben über die Direktoren, die Geschäftsanschrift, die
Gesellschafter und das gezeichnete Kapital) oder den Jahresabschluß (Accounts), nicht
vorgelegt hat (vgl. Strike-off, Dissolution and Restoration, ed. by Companies House,
Cardiff, 2003, Kap. 2 Nr. 1, im Internet veröffentlicht unter: www.companieshouse.gov.uk,
Guidance Booklets). Vor der Löschung ergehen über einen Zeitraum von sechs
Monaten drei Aufforderungen an die Gesellschaft zur Stellungnahme sowie eine
öffentliche Androhung in dem entsprechenden Amtsblatt (London oder Edinburgh
Gazette). Weist die Gesellschaft während dieser Zeit keine Geschäftstätigkeit nach, so
wird ihr Name im Register gelöscht und die Löschung im Amtsblatt bekanntgemacht. Mit
der Bekanntmachung ist die Gesellschaft aufgelöst (sec. 652 V Companies Act 1985).
Der Auflösungsvermerk ("dissolved") mit Datum ist auch in der allgemein zugänglichen
Internet-Veröffentlichung des Companies House über die Gesellschaft enthalten. Die
Auflösung bewirkt, daß die Gesellschaft aufhört, rechtlich zu existieren. Etwa noch
vorhandenes Vermögen gilt als herrenlos und steht - im britischen Hoheitsgebiet - der
Krone zu (sec. 654, 656 Companies Act 1985; vgl. Strike-off, Dissolution and
Restoration, Kap. 1 Nr. 2, Kap. 2 Nr. 5).
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Ein solcher Fall der Amtslöschung wegen Aufgabe der Geschäftstätigkeit liegt hier
augenscheinlich vor. Zwar hat der vorläufige Insolvenzverwalter in den unvollständigen
Geschäftsunterlagen der Schuldnerin kein Schreiben der britischen Registerbehörde
vorgefunden, das die Löschung betrifft, doch läßt sich der Internet-Veröffentlichung des
Companies House über die Gesellschaft entnehmen, daß schon die nach Ablauf des
ersten Geschäftsjahrs fälligen Unterlagen (Rückmeldung und Jahresabschluß) bei der
Behörde nicht eingereicht worden sind. Es besteht deshalb kein Zweifel daran, daß die
Gesellschaft in Übereinstimmung mit dem britischen Recht (sec. 652 Companies Act
1985) wirksam gelöscht worden ist.
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In den Begriffen des deutschen Rechts hat die Schuldnerin damit zugleich ihren
Charakter als juristische Person verloren. Angesichts der festgestellten
Vermögenslosigkeit braucht das Gericht nicht der Frage nachzugehen, wie es zu
verfahren hätte, wenn noch wirtschaftlich verwertbares Vermögen vorhanden wäre und
die Gesellschaft deshalb - nach britischem Recht nur auf Grund einer gerichtlichen
Entscheidung (sec. 651, 653 Companies Act 1985) - wieder in das Register eingetragen
werden könnte.
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c) Auch als insolvenzfähige Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit (§ 11 Abs. 2 Nr. 1
InsO) kann die Schuldnerin nicht eingestuft werden. Als ihr Gesellschafter kommt
nämlich anstelle der inzwischen ebenfalls gelöschten C-Ltd. nur der faktische
Alleingesellschafter und Geschäftsführer Y in Betracht. Eine Personengesellschaft aber,
die nur aus einer einzigen Person besteht, kennt das deutsche Recht nicht.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 4 InsO, § 91 ZPO.
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Duisburg, 14.10.2003
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Amtsgericht
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