Mietern städtischer Wohnungen in Nieheim wurde gekündigt, um Flüchtlinge unterzubringen. „Eigenbedarf“ lautete die Begründung des Bürgermeisters. Darf die Stadt so etwas?
Die Flüchtlingskrise treibt eigentümliche Blüten: In Nieheim, einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen zwischen Detmold und Höxter meldete die Stadt an einigen ihrer Wohnungen Eigenbedarf an. Eine Mieterin muss nun nach 16 Jahren ihre Wohnung verlassen. Nach einem Bericht des Stern berichtete die Welt ausführlich. Experten bezweifeln die Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens.
Kein Eigenbedarf bei juristischen Personen
Der Vermieter darf eine Wohnung nur dann ordentlich kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse nachweisen kann, z.B. Eigenbedarf. Nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB bedeutet Eigenbedarf, dass der Vermieter „die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt“. Das Gesetz zielt klar auf natürliche Personen als Vermieter ab, die selbst in die Wohnung einziehen oder sie einem Familien- oder Haushaltsangehörigen überlassen möchten. Eine Stadt als Vermieter hatte der Gesetzgeber sicher nicht im Sinn. Juristische Personen wie z.B. Kapitalgesellschaften (GmbH, AG und weitere) können selbst nicht „wohnen“, Familienangehörige haben oder einen Haushalt begründen. Also können sie auch keinen Eigenbedarf haben (BGH v. 27.6.2007 – VIII ZR 271/06). Auch so genannte Personenhandelsgesellschaften – oHG oder KG, auch in Form der GmbH & Co. KG – können keinen Eigenbedarf geltend machen (BGH v. 15.12.2010 – VIII ZR 210/10).
BGH: Gesellschafter einer GbR können Eigenbedarf haben
Anders sieht der BGH die Sache bei einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Die GbR kann sich sehr wohl auf Eigenbedarf berufen, wenn einer ihrer Gesellschafter die Wohnung benötigt. Der BGH meint, dass „es im Ergebnis nicht gerechtfertigt wäre, Gesellschafter einer bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft insoweit schlechter zu stellen als Mitglieder einer einfachen Vermietermehrheit“ (z.B. Ehegatten oder eine Erbengemeinschaft). Oft hänge es nur vom Zufall ab, ob eine Personenmehrheit eine Wohnung als Gemeinschaft oder als Gesellschaft vermiete (BGH v. 27.6.2007 – VIII ZR 271/06). Dem ist zuzustimmen. Für den BGH kommt es auch nicht darauf an, wie viele Personen sich zu der GbR zusammengeschlossen haben. Allerdings kann nur für diejenigen Gesellschafter Eigenbedarf geltend gemacht werden, die bereits bei Abschluss des Mietvertrages Gesellschafter waren; nachträglich hinzugetretene Gesellschafter bleiben unberücksichtigt (BGH v. 16.7.2009 – VIII 231/08).
Betriebsbedarf statt Eigenbedarf?
Darüber hinaus kann auch der „Betriebsbedarf“ einer Vermietergesellschaft eine ordentliche Kündigung rechtfertigen. Ein berechtigtes Interesse an der Kündigung kann vorliegen, wenn das vermietende Unternehmen die Wohnung für einen Mitarbeiter benötigt und es entsprechend der Aufgabe und Funktion des Mitarbeiters wichtig ist, dass er gerade in diese Wohnung einzieht. Das alles liegt aber bei einer Stadt als Vermieter nicht vor. Weder ist sie eine Personenmehrheit (sondern Gebietskörperschaft) noch muss ein Mitarbeiter aufgrund seiner Funktion untergebracht werden im Sinne eines Betriebsbedarfs. Warum es ein berechtigtes Interesse darstellen soll, dass ein alteingesessener Mieter seine Wohnung räumt, um sie einem neuen Einwohner – hier: Flüchtling – zu überlassen, erschließt sich mir nicht. Das öffentliche Interesse an der Unterbringung von Flüchtlingen liegt auf der Hand. Aber warum soll das schwerer wiegen als das Interesse der städtischen Mieter am Erhalt ihres Lebensmittelpunktes?
Völlig zu Recht lehnt Mieterbund-Präsident Dr. Franz-Georg Rips (den ich übrigens sehr schätze und bei dem ich seinerzeit mein Mietrecht gelernt habe) die Eigenbedarfs-Kündigungen von Nieheim ab und meint, einheimische Bevölkerung und Flüchtlinge dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Ergänzung vom 30.9.2015: Ein lehrreicher Beitrag des Kollegen Lutz Fischer aus Dresden gibt Anlass für eine Ergänzung. Auch bei einer Person des öffentlichen Rechts (die selbst nicht wohnen kann) kann ein berechtigtes Interesse an der Nutzung einer Wohnung bestehen. So hat der BGH beispielsweise die Kündigung eines Mietvertrages durch eine Kirchengemeinde zum Zweck der Unterbringung einer diakonischen Einrichtung („Beratungsstelle für Erziehungs-, Ehe- und Lebensfragen“) gebilligt (BGH v. 9.5.2012 – VIII ZR 238/11). Das BayObLG sah einen Kündigungsgrund als gegeben, wenn eine Gemeinde Räume für den Unterricht der örtlichen Feuerwehr benötigt (BayObLG vom 21.11.1980 – Allg. Reg. 83/80). In solchen Fällen hat der Vermieter einen vernünftigen und plausiblen „eigenen“ Bedarf an den Räumlichkeiten zur Erfüllung der ihm obliegenden öffentlich-rechtlichen („hoheitlichen“) Aufgaben; es ist ein dem Eigenbedarf „artverwandtes“ Interesse vorhanden. Wenn eine Gemeinde oder Stadt aber Mieter vor die Tür setzt, um andere Personen dort wohnen zu lassen, nutzt sie die Räumlichkeiten nicht selbst zur Erfüllung ihrer Aufgaben. Vielmehr werden lediglich die Bewohner ausgetauscht. Rechtsanwalt Fischer bemerkt zu Recht, dass hier „Mensch vs. Mensch“ steht, und fragt: „Ist das noch vernünftig, einem Menschen die Wohnung zu kündigen, damit andere Menschen dort in diesen Räumen untergebracht werden können?“ Diese Frage möchte ich mit nein beantworten.
Rechtsanwalt Mathias Münch
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Fachanwalt für Miet- und WEG-Recht
BRL BOEGE ROHDE LUEBBEHUESEN, Berlin
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