martina heck

19.04.2013

Verfassungswidrigkeit des Abzugsverbots für Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen

Das Finanzgericht Baden-Württemberg vertritt in einer aktuellen Entscheidung die Auffassung, dass ein Abzug von tatsächlichen Werbungskosten in begründeten Ausnahmefällen bei den Einkünften aus Kapitalvermögen möglich ist.

Dies soll jedenfalls in den Fällen auf Antrag möglich sein, in denen der tarifliche Einkommensteuersatz bereits unter Berücksichtigung des Sparer-Pauschbetrags unter dem Abgeltungssteuersatz von 25 % liegt.

In dem entschiedenen Fall war die zwischenzeitlich verstorbene Klägerin selbst zur Verwaltung ihres Vermögens aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage und hatte deshalb einen Treuhänder mit der Verwaltung ihres umfangreichen Finanzvermögens beauftragt. Mit ihrer Klage machte sie Werbungskosten geltend, die über den Sparer-Pauschbetrag hinausgehen.

Das Finanzgericht Baden-Württemberggab der Klage statt. Zwar sei im Rahmen der Abgeltungssteuer grundsätzlich der Abzug von Werbungskosten ausgeschlossen, die über den Sparer-Pauschbetrag von 801 € hinausgehen. Nach Ansicht des Finanzgerichts ist dieses absolute Abzugsverbot aber jedenfalls in den Fällen verfassungswidrig, in denen der tarifliche Steuersatz bereits bei Berücksichtigung nur des Sparer-Pauschbetrags unter dem Abgeltungssteuersatz von 25 % liegt und tatsächlich höhere Werbungskosten angefallen sind. Im Wege verfassungskonformer Auslegung müssen daher die Einkünfte aus Kapitalvermögen im Rahmen der Günstigerprüfung unter Abzug der tatsächlich angefallenen Werbungskosten ermittelt werden.

Ausdrücklich nicht entschieden hat das Finanzgericht dabei die Frage, ob der Ausschluss des Werbungskostenabzugs in den Fällen verfassungsmäßig ist, in denen der tarifliche Steuersatz des Steuerpflichtigen höher ist als der Abgeltungssteuersatz von 25 %.

Im Einzelnen:

1. Nach § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG sind die Einkünfte im Bereich der Überschusseinkunftsarten der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten. Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Sie sind bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen sind (§ 9 Abs. 1 S. 1 und 2 EStG). Nach § 2 Abs. 2 S. 2 EStG tritt bei Einkünften aus Kapitalvermögen § 20 Abs. 9 EStG vorbehaltlich der Regelung in § 32d Abs. 2 EStG an die Stelle der §§ 9 und 9a EStG. Nach § 20 Abs. 9 S. 1 EStG ist bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen ein Sparer-Pauschbetrag von 801 EUR abzuziehen; der Abzug der tatsächlichen Werbungskosten ist ausgeschlossen.

Nach § 32d Abs. 6 S. 1 EStG werden auf Antrag des Steuerpflichtigen anstelle der Anwendung des Proportionalsteuersatzes die nach § 20 ermittelten Kapitaleinkünfte den Einkünften im Sinne des § 2 hinzugerechnet und der tariflichen Einkommensteuer unterworfen, wenn dies zu einer niedrigeren Einkommensteuer einschließlich Zuschlagsteuern führt (Günstigerprüfung). Ausweislich der Gesetzesbegründung regelt diese Vorschrift die Wahlmöglichkeit des Steuerpflichtigen, seine Einkünfte aus Kapitalvermögen abweichend von § 32d EStG den allgemeinen einkommensteuerrechtlichen Regelungen zur Ermittlung der tariflichen Einkommensteuer zu unterwerfen. Der Antrag kann für den jeweiligen Veranlagungszeitraum nur einheitlich für sämtliche Kapitalerträge gestellt werden.

In der Gesetzesbegründung wird zum Hintergrund der Einführung der Abgeltungssteuer ausgeführt, der Gesetzgeber wolle – im Hinblick auf die guten Erfahrungen mit einer Abgeltungssteuer in anderen Ländern der Europäischen Union – mit der Reform den Transfer von Kapitalvermögen der privaten Haushalte ins Ausland verhindern und eine moderne Besteuerung der privaten Kapitaleinkommen einführen. Zu diesem Zweck war es erklärtes Ziel der Abgeltungssteuer, neben einer erheblichen steuerlichen Entlastung auch eine drastische Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens von Kapitaleinkünften herbeizuführen. Eine Aufnahme der Einkünfte in die Steuererklärung ist nicht mehr erforderlich, soweit der Steuerabzug an der Quelle vorgenommen wurde. In der Gesetzesbegründung ist ausgeführt, durch den Sparer-Pauschbetrag werde sowohl eine Typisierung hinsichtlich der Höhe der Werbungskosten in den unteren Einkommensgruppen vorgenommen, als auch berücksichtigt, dass mit einem relativ niedrigen Proportionalsteuersatz von 25 % die Werbungskosten in den oberen Einkommensgruppen mit abgegolten werden.

2. In der Person der verstorbenen Klägerin Frau X sind Werbungskosten von insgesamt 7.375 EUR entstanden. Die aufgrund des Treuhandvertrags im Streitjahr geleisteten Zahlungen stellen begrifflich Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen dar, soweit sie nicht mit der Betreuung von Frau X in Zusammenhang stehen und als außergewöhnliche Belastung abgezogen wurden. Nach der Veräußerung des Einfamilienhauses im Jahr 2006 umfasste das Treugut nur noch das ca. xxx.xxx EUR umfassende Finanzvermögen von Frau X sowie deren Rentenansprüche gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung und der Zusatzversorgungskasse. Anhaltspunkte für Rechtsstreitigkeiten im Hinblick auf die Rentenzahlungen sind nicht erkennbar. Die Tätigkeit des Treuhänders stand im Streitjahr damit nahezu ausschließlich im Zusammenhang mit der Verwaltung des Finanzvermögens der X, mit dem diese Einnahmen aus Kapitalvermögen erzielt hat. Das gleiche gilt für die Steuerberatungskosten, da diese mit der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen für die im Jahr 2009 abgegebene Steuererklärung für den Veranlagungszeitraum 2008 in Zusammenhang stehen. Die privaten Steuerberatungskosten (106,62 EUR) sind in der Steuererklärung davon getrennt ausgewiesen.

3. Die Regelung in § 32d Abs. 6 S. 1 EStG ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die tatsächlich entstandenen Werbungskosten jedenfalls dann abzugsfähig sind, wenn – wie im Streitfall – der individuelle Steuersatz bereits unter Berücksichtigung nur des Sparer-Pauschbetrag unter 25 % liegt. Ein absolutes und unumkehrbares Abzugsverbot von Werbungskosten wäre in diesen Fällen nach Ansicht des Finanzgerichts Baden-Württemberg verfassungswidrig.

Der in Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes formulierte allgemeine Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weit reichenden Entscheidungsspielraum. Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, wird insbesondere im Bereich des Einkommensteuerrechts durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit begrenzt. Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen angemessen sein muss. Bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands muss die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Diese Belastungsentscheidung hat der einfache Gesetzgeber durch die Bemessung der finanziellen Leistungsfähigkeit nach dem objektiven und dem subjektiven Nettoprinzip getroffen. Danach unterliegt der Einkommensteuer grundsätzlich nur das Nettoeinkommen, nämlich der Saldo aus den Erwerbseinnahmen einerseits und den betrieblichen bzw. beruflichen Erwerbsaufwendungen (objektives Nettoprinzip) sowie den privaten existenzsichernden Aufwendungen (subjektives Nettoprinzip) andererseits. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes. Als solche Gründe hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung vor allem außerfiskalische Förderungs- und Lenkungszwecke sowie Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse anerkannt. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in dem Gesamtbild zu erfassen, das nach den ihm vorliegenden Erfahrungen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergibt. Auf dieser Grundlage darf er generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen.

Die vom Gesetzgeber zur Typisierung angeführten Gründe reichen nicht aus, um einen vollständigen Ausschluss des Werbungskostenabzugs zu rechtfertigen. Durch § 20 Abs. 9 S. 1 EStG ist der Abzug von tatsächlichen Werbungskosten absolut ausgeschlossen. Ein Nachweis höherer Werbungskosten ist dem Steuerpflichtigen nicht möglich. Es liegt daher ein massiver Eingriff in das objektive Nettoprinzip vor. Durch den schwerwiegenden Eingriff, erhöhen sich auch die Anforderungen an die Rechtfertigung des Abzugsverbots.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Der Gleichheitssatz ist umso strikter, je mehr eine Regelung den Einzelnen als Person betrifft, und umso offener für gesetzgeberische Gestaltungen, je mehr allgemeine, für rechtliche Gestaltungen zugängliche Lebensverhältnisse geregelt werden.

Bezogen auf die hier streitige Regelung ergibt sich aus dem Gebot zur folgerichtigen Umsetzung für den Gesetzgeber eine erhöhte Begründungspflicht zur Rechtfertigung des absoluten Abzugsverbots. Der Gesetzgeber hat anhand prüfbarer Daten darzulegen, dass durch den Sparer-Pauschbetrag in Verbindung mit den geringeren Steuersatz die weitaus überwiegende Masse aller Fälle abgedeckt wird. Dies ist nicht geschehen. Ausweislich der Gesetzesbegründung ergibt sich der Sparer-Pauschbetrag aus der Zusammenrechnung des bis zum Veranlagungszeitraum 2008 existierenden Werbungskosten-Pauschbetrags von 51 EUR und des Sparerfreibetrags von 750 EUR; damit sollen die typischerweise entstehenden Werbungskosten in den unteren Einkommensgruppen abgedeckt werden. Es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber bei der Bemessung des Sparer-Pauschbetrages überhaupt geprüft hat, ob tatsächlich in der überwiegenden Mehrzahl aller Fälle mit einem Durchschnittssteuersatz von 25 % oder weniger nur Werbungskosten von weniger als 801 EUR entstanden sind. Nach der Analyse des Halbeinkünfteverfahrens durch das Statistische Bundesamt im Rahmen der Einkommensteuerstatistik 2002 haben Steuerpflichtige im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen 2002 – neben 1.636 EUR an Sparerfreibeträgen – im Durchschnitt insgesamt 445 EUR an Werbungskosten aufgewendet. Der Median dieser Kosten liegt bei 102 EUR. Aus dem Vergleich beider Werte ergibt sich, dass in etwa 20 % der Fälle tatsächlich höhere Werbungskosten als 801 EUR anfallen. Es ist nicht sicher, dass die verbleibende Gruppe von 20 % nahezu ausschließlich Bezieher höherer Einkommen sind. Gerade der Streitfall zeigt, dass es insbesondere in den unteren Einkommensgruppen Fälle gibt, in denen – krankheitsbedingt oder aus anderen Gründen – höhere Werbungskosten als 801 EUR entstehen und selbst die Anwendung der tariflichen Einkommensteuer noch zu einer höheren Steuerlast führt. Besonders drastisch zeigt sich die Erhöhung der Steuerlast durch das Abzugsverbot in den Fällen, in denen bei Ansatz der tatsächlichen Kosten überhaupt keine Steuer zu zahlen wäre. Dem erkennenden Senat sind aus seiner Tätigkeit zudem einige Fälle bekannt, in denen Steuerpflichtige auch mit geringerem Einkommen fremdfinanziert Aktien erworben haben und im Anschluss die – nach alter Rechtslage erhebliche – Zuordnung der Schuldzinsen zu den abziehbaren Kapitaleinkünften oder den nicht steuerbaren privaten Veräußerungsgeschäften streitig war. Dies lässt darauf schließen, dass auch bei den Kleinanlegern fremdfinanzierte Kapitalanlagen jedenfalls nicht unüblich sind. Diese Gruppe durfte der Gesetzgeber nicht einfach außer Acht lassen. Er durfte – bei einem absoluten Ausschluss von abziehbaren Werbungskosten – auch nicht abstrakt darauf vertrauen, dass in den unteren Einkommensgruppen keine höheren Werbungskosten als 801 EUR entstehen.

Das absolute Abzugsverbot ist auch nicht aus anderen Gründen gerechtfertigt. Eine grobe Pauschalierung unter Ausschluss des tatsächlich entstandenen Aufwands wurde bislang unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten insbesondere in den Fällen anerkannt, in denen es der Finanzverwaltung – z.B. aufgrund des engen Zusammenhangs zur Sphäre der privaten Lebensführung – an wirksamen Kontrollmöglichkeiten mangelt. Genau dieser Mangel an Kontrollmöglichkeiten besteht jedoch beim Abzug der Werbungskosten im Bereich der Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht. Auch die streitanfällige Zuordnung von Schuldzinsen entfällt ab dem Veranlagungszeitraum 2009.

Die mit dem Besteuerungsverfahren verbundene erhebliche Vereinfachungswirkung kann die mit der absoluten Begrenzung des Werbungskostenabzugs verbundene massive Beeinträchtigung des objektiven Nettoprinzips nicht ausgleichen. Vereinfachungszwecke können eine geringfügige Mehrbelastung rechtfertigen. Das Finanzgericht Baden-Württemberg versteht die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung vom 27.06.1991, dem Gebot der folgerichtigen Umsetzung sei durch beachtliche Freibeträge Rechnung zu tragen dahin, dass auch die Vereinfachungswirkung im Hinblick auf das Besteuerungsverfahren nicht den Ausschluss einer erheblichen Gruppe aus der gesetzlichen Typisierung rechtfertigen kann.

Auch eine Rechtfertigung durch außerfiskalische Förderungs- und Lenkungszwecke ist nicht ersichtlich. Es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber solche Zwecke mit dem Abzugsverbot verfolgt hat. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus dem Zusammenbruch des Neuen Marktes und der Finanzkrise wäre es zwar denkbar, dass der Gesetzgeber die fremdfinanzierte Kapitalanlage im privaten Bereich bewusst ausschließen wollte. Dieser Zweck ist allerdings in den Gesetzesmaterialien nicht erkennbar von der gesetzgeberischen Entscheidung getragen und kann daher nicht als Rechtfertigungsgrund angeführt werden. Dass die Abgeltungssteuer generell den Zweck hat, die Verlagerung von Kapitalvermögen ins Ausland zu vermeiden, lässt sich als Lenkungszweck zwar für den Steuersatz, nicht jedoch für das Abzugsverbot hinsichtlich der Werbungskosten verwenden.

Die Verfassungswidrigkeit lässt sich jedoch – nach Auffassung des Finanzgerichts Baden-Württemberg – durch eine verfassungskonforme Auslegung von § 32d Abs. 6 S. 1 EStG aus folgenden Gründen vermeiden:

a) Die verfassungskonforme Auslegung einer Norm ist dann geboten, wenn unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang und Zweck des Gesetzes mehrere Deutungen möglich sind, die Auslegung nicht im Widerspruch zu dem klar erkennbar geäußerten Willen des Gesetzgebers tritt und das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht wird.

b) Der Wortlaut des Gesetzes steht dieser Auslegung nicht entgegen. Auch aus systematischer Sicht ist diese Auslegung möglich. Der Gesetzgeber hat an verschiedenen Stellen der Gesetzesbegründung deutlich gemacht, dass er den Abzug von Werbungskosten dann in vollem Umfang zulassen will, wenn die Kapitaleinkünfte der tariflichen Einkommensteuer unterliegen. So ist dies ausdrücklich für die in § 32d Abs. 2 Nr. 1 und 3 EStG aufgeführten Fälle angeordnet. Auch die in § 20 Abs. 8 EStG angeordnete Subsidiaritätswirkung führt dazu, dass die Anwendung des progressiven Einkommensteuertarifs mit der vollen Abziehbarkeit von Werbungskosten einhergeht. Ferner spricht der Zweck von § 32d Abs. 6 EStG für die hier vorgenommene Auslegung. Die Günstigerprüfung soll vermeiden, dass Steuerpflichtige, deren Steuersatz geringer ist als 25 %, durch die Besteuerung im Rahmen der Abgeltungssteuer einer höheren Belastung als nach der tariflichen Einkommensteuer ausgesetzt werden. Ein eindeutiger Wille des Gesetzgebers, den Abzug der tatsächlichen Werbungskosten auch im Falle der Günstigerprüfung auszuschließen, lässt sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen. In der Begründung zu § 20 Abs. 9 EStG wird ausdrücklich ausgeführt, der Ansatz der tatsächlichen Werbungskosten sei nur “grundsätzlich” ausgeschlossen. Der Gesetzgeber ist also selbst davon ausgegangen, dass es Ausnahmen vom Ausschluss des Werbungskostenabzugs geben muss. Ebenso spricht die Gesetzesbegründung zu § 32d Abs. 6 EStG davon, dass der Steuerpflichtige die Wahl habe, seine Einkünfte aus Kapitalvermögen abweichend von § 32d den allgemeinen einkommensteuerrechtlichen Regelungen zur Ermittlung der tariflichen Einkommensteuer zu unterwerfen. Die allgemeinen einkommensteuerrechtlichen Regelungen sehen jedoch vor, dass bei der Ermittlung der Einkünfte sämtliche Werbungskosten von den Einnahmen abgezogen werden (§ 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG). Dies hat sich durch die Einfügung von § 2 Abs. 2 S. 2 EStG nicht geändert. Hiervon geht auch der Gesetzgeber aus, weil er die Kapitalerträge im Sinne des § 32d Abs. 2 Nr. 1 und 3 vom Abzugsverbot ausdrücklich ausnimmt, da diese auch zukünftig der tariflichen Einkommensteuer unterfallen. Daraus lässt sich der Wille des Gesetzgebers entnehmen, alle diejenigen Kapitalerträge, die der tariflichen Einkommensteuer unterliegen, gemäß dem objektiven Nettoprinzip nur nach Abzug der tatsächlichen Werbungskosten dem allgemeinen Einkommensteuertarif zu unterwerfen. Dies ist auch im Falle Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG der Fall.

Durch die hier vorgenommene verfassungskonforme Auslegung wird das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht. Die durch die Einführung des Sparer-Pauschbetrags erstrebte Vereinfachungswirkung bleibt erhalten. Der Steuerpflichtige muss von sich aus – durch die Antragstellung – an die Finanzbehörden herantreten. Ein Veranlagungsverfahren ist in diesen Fällen ohnehin durchzuführen. Das schwierige und streitanfällige Problem der Zuordnung von Schuldzinsen zu den laufenden Einkünften oder den nicht steuerbaren privaten Veräußerungsgeschäften ist durch die Aufnahme der letzten Gruppe in die Besteuerungstatbestände entfallen. Eine große Masse von Anträgen, die den Vereinfachungszweck konterkarieren würden, ist aufgrund der hier vorgenommenen Auslegung nicht zu erwarten. Wenn auch nicht die breite Masse, so dürfte jedoch jedenfalls ein erheblicher Anteil der Kapitalanleger in den unteren Einkommensgruppen keine höheren Werbungskosten als 801 EUR haben. In den höheren Einkommensgruppen dürfte selbst bei erheblichen Werbungskosten der Vorteil aus dem niedrigeren Steuersatz dazu führen, dass ein Antrag für den Steuerpflichtigen nicht günstiger ist. Durch die in § 93 Abs. 7 S. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung eingeräumte Möglichkeit des automatisierten Abrufs von Kontoinformationen wird auch der Prüfungsaufwand für die Finanzbehörden gering gehalten.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache hat das Finanzgericht die Revision zugelassen.

Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 17.12.2012 – 9 K 1637/10