Der Bundesfinanzhof hat unter Änderung seiner Rechtsprechung entschieden, dass Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 77/388/EWG auch die Aus- und Fortbildung erfasst, so dass es nicht darauf ankommt, ob sich der Privatlehrer an Schüler oder Hochschüler wendet oder ob es sich um einen in einen Lehr- oder Studienplan eingebetteten Unterricht handelt.
Supervisionen können nach Auffassung des Bundesfinanzhofs als Unterrichtseinheiten, die von Privatlehrern erteilt werden und die sich auf Schul- und Hochschulunterricht beziehen, nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei sein.
In dem entschiedenen Fall erbrachte die Klägerin erbrachte in den Streitjahren 2000 bis 2006 als Diplom-Sozialpädagogin und Diplom-Organisationsberaterin sog. Supervisionsleistungen für Träger der Wohlfahrtspflege, der Jugendhilfe, der Psychiatrie, für Suchtberatungsstellen sowie für Diakonie und Caritas. Dabei führte sie für ihre Auftraggeber sog. Supervisionen mit deren Mitarbeitern durch. Darüber hinaus erbrachte sie auch Lehrsupervisionsleistungen. Ihr war von der zuständigen Bezirksregierung am 25.10.1999 zur Vorlage bei den Finanzbehörden bescheinigt worden, dass sie die Leistung “Supervision und Lehrsupervision” als berufliche Bildungsmaßnahme nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG in den für die Streitjahre geltenden Fassungen ordnungsgemäß durchführe.
Im Anschluss an eine Umsatzsteuersonderprüfung ging das beklagte Finanzamt davon aus, dass die Supervisionsleistungen ebenso wie andere Leistungen der Klägerin steuerpflichtig seien und setzte mit Bescheiden vom 06.12.2006 erstmals Umsatzsteuer für die Streitjahre fest. Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg; die Klage dagegen hatte beim Finanzgericht Köln Erfolg.
Der Bundesfinanzhof hat diese Entscheidung indes nun aufgehoben .
Die Leistungen der Klägerin sind nach Auffassung des Bundesfinanzhofs nicht nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG steuerfrei.
§ 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG befreit “die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen, … wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten”.
Wie der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 17.04.2008 zur insoweit inhaltsgleichen Vorgängerregelung in § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG a.F. entschieden hat, muss sich aus der Bescheinigung ergeben, dass die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen, für die die Steuerfreiheit beansprucht wird, auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten, so dass es nicht ausreicht, dass sich aus der Bescheinigung nur ergibt, dass berufliche Bildungsmaßnahmen ordnungsgemäß durchgeführt werden. Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Bescheinigung eine dem Wortlaut widersprechende Auslegung aufgrund einer bloßen Bezugnahme auf den bei der Landesbehörde gestellten Antrag nicht in Betracht.
Die Leistungen der Klägerin können zwar nicht nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG, wohl aber gemäß Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei sein. Hierzu sind im zweiten Rechtsgang noch weitere Feststellungen zu treffen.
Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG befreien die Mitgliedstaaten “die Erziehung von Kindern und Jugendlichen, den Schul- oder Hochschulunterricht, die Ausbildung, die Fortbildung oder die berufliche Umschulung sowie die damit eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung”.
Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 77/388/EWG befreit nach seinem Wortlaut zudem “den von Privatlehrern erteilten Schul- und Hochschulunterricht”. Wie der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 28.01.2010 entschieden hat, weichen die einzelnen Sprachfassungen dieser Bestimmung voneinander ab. Unter Berücksichtigung dieser Unterschiede sind als Schul- und Hochschulunterricht “Unterrichtseinheiten, die … sich auf Schul- und Hochschulunterricht beziehen” anzusehen.
Im Streitfall kann die Klägerin nicht in Anspruch nehmen, dass ihre Leistungen gemäß Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei sind: Sie ist weder eine Einrichtung des öffentlichen Rechts noch verfügt sie – mangels Bescheinigung – über die ansonsten erforderliche Anerkennung als Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung wie eine Einrichtung, die mit z.B. Schul- oder Hochschulunterricht, Ausbildung, Fortbildung oder beruflicher Umschulung betraut ist.
Die Klägerin kann aber geltend machen, dass ihre Leistungen nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 77/388/EWG als Unterrichtseinheiten, die von Privatlehrern erteilt werden und die sich auf Schul- und Hochschulunterricht beziehen, steuerfrei sind.
Nach der EuGH-Rechtsprechung beschränkt sich der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts “nicht auf Unterricht …, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt, sondern [schließt] … andere Tätigkeiten ein …, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studenten zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben”. Es handelt sich um die “Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten durch den Unterrichtenden an Schüler oder Studierende im Rahmen einer Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit”.
Zudem ist es “unerheblich”, dass Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 77/388/EWG “nicht ausdrücklich die Aus- und Fortbildung erwähnt”, da “nicht zwischen dem Unterricht, der Schülern oder Studierenden erteilt wird, die an einer erstmaligen Schul- oder Hochschulausbildung teilnehmen, und dem Unterricht zu unterscheiden [ist], der Personen erteilt wird, die bereits über einen Schul- oder Hochschulabschluss verfügen und die aufgrund dieses Abschlusses ihre Berufsausbildung betreiben”, und da das “Gleiche für die Unterrichtseinheiten [gilt], die sich auf diesen Unterricht beziehen”, zumal sich “eine solche Unterscheidung anhand der Unterrichtsinhalte als schwierig erweisen” würde und eine besonders enge Auslegung des Begriffs Schul- und Hochschulunterricht “die Gefahr einer je nach Mitgliedstaat unterschiedlichen Anwendung des Mehrwertsteuersystems hervorrufen [würde], weil die jeweiligen Unterrichtssysteme der Mitgliedstaaten unterschiedlich gestaltet sind”.
Im Hinblick auf das EuGH-Urteil Eulitz wird im Schrifttum zutreffend geltend gemacht, dass nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 77/388/EWG nicht nur Unterrichtseinheiten, die sich auf Schul- und Hochschulunterricht beziehen, sondern auch Unterrichtseinheiten, die sich auf Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung beziehen, steuerfrei sein können.
Dem folgt auch der Bundesfinanzhof unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung. Es kommt nicht darauf an, dass der Privatlehrer an einer Schule oder Hochschule tätig ist, sich an Schüler oder Hochschüler wendet oder es sich um einen in einen Lehr- oder Studienplan eingebetteten Unterricht handelt, da sich Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 77/388/EWG auf jegliche Aus- und Fortbildung bezieht, die nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung hat. Entgegen der Auffassung des Finanzamtes ist ein Lehrplan nicht unabdingbar für die Steuerfreiheit. Daher können auch Supervisionsleistungen steuerfrei sein.
Die Entscheidung steht nicht im Widerspruch zum Urteil des Bundesfinanzhofs vom 17.06.1998, das zu Vortragstätigkeiten einer Familienbildungsstätte ergangen ist.
Der Bundesfinanzhof konnte allerdings nicht in der Sache entscheiden, da die Sache noch nicht spruchreif war. Im Hinblick auf eine mögliche Berufung der Klägerin auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 77/388/EWG sind im zweiten Rechtsgang weitere Feststellungen dazu zu treffen, ob sie als Privatlehrer tätig war und welcher Art die von der Klägerin im Einzelnen erbrachten Leistungen waren.
Der Bundesfinanzhof hat das Finanzgericht für den zweiten Rechtsgang darauf hingewiesen, dass es dabei insbesondere zu berücksichtigen hat, dass es der Erteilung von Unterrichtseinheiten, die sich auf Schul- und Hochschulunterricht beziehen, durch einen Privatlehrer nicht entgegensteht, wenn dieser mehreren Personen gleichzeitig Unterricht erteilt, dass die der Unterrichtserteilung zugrunde liegende Rechtsbeziehung auch zu einer anderen Person als Unterrichtsteilnehmer bestehen kann und dass das Nichtbestehen eines Vergütungsanspruchs im Verhinderungsfall und bei Kursausfall für eine als Privatlehrer ausgeübte Tätigkeit spricht. Die bloße Unternehmereigenschaft reicht demgegenüber nicht aus (EuGH-Urteil Eulitz in Slg. 2010, I-907 Rdnr. 47).
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Ohne Bedeutung ist für den Streitfall, dass der EuGH die Privatlehrereigenschaft versagt, wenn der Auftraggeber des Unterrichtenden die Leistung dazu verwendet, als eigenständige Bildungseinrichtung entgeltliche Unterrichtsleistungen zu erbringen, da es den Auftraggebern der Klägerin um die Aus- und Fortbildung des eigenen Personals ging.
In Bezug auf die Lehrsupervisionen kann sich die Steuerfreiheit bereits daraus ergeben, dass die Klägerin andere darin unterrichtet hat, Supervisionen auszuführen.
Hinsichtlich der weiteren Supervisionsleistungen ist – ohne Bindung an die einkommensteuerrechtliche Beurteilung des Veranlassungszusammenhangs bei Werbungskosten – zu berücksichtigen, dass diese vorrangig auf die spezifischen Bedürfnisse einer Berufstätigkeit ausgerichtet sein können, wenn sie dazu dienen, Lösungsmöglichkeiten für konkrete Arbeitsplatzsituationen zu erarbeiten und in gemeinsamer Reflexion Fehler und Schwachstellen aufzuarbeiten. Für die erforderliche Berufsbezogenheit als Aus- und Fortbildungsmaßnahme kann es ausreichen, dass die Klägerin Sozialarbeiter für die von diesen ausgeübte Berufstätigkeit anhand von Fallbeispielen gruppenweise angeleitet hat. Insoweit kommt den mit dem jeweiligen Auftraggeber vereinbarten Lehrinhalten indizielle Bedeutung zu.
Zu den von der Klägerin erbrachten Leistungen hat das Finanzgericht lediglich allgemein festgestellt, dass die von ihr erbrachten Supervisionsleistungen einer professionellen Begleitung im Sinne einer Steuerung, Korrektur, qualitativen Absicherung und Weiterentwicklung der beruflichen Tätigkeit der bei den diversen Einrichtungen angestellten Mitarbeiter dienten, und dass diese Leistungen spezifisch auf die berufliche Tätigkeit der teilnehmenden pädagogisch und psychosozial tätigen Mitarbeiter ausgerichtet waren. Feststellungen zu den einzelnen, von der Klägerin gegenüber verschiedenen Auftraggebern erbrachten Leistungen fehlen aber. Diese sind im zweiten Rechtsgang nachzuholen.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.03.2014 – V R 3/13