Sind Aufwandsentschädigungen eines Versorgungswerks an ehrenamtliche Vorstandsmitglieder nach § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG steuerfrei?
Diese Frage hat der Bundesfinanzhof nun für den Fall bejaht, dass sich das Versorgungswerk als juristische Person des öffentlichen Rechts im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgabenzuweisung auf die Gewährleistung der Alters-, Invaliden- und Hinterbliebenenversorgung für seine Zwangsmitglieder beschränkt und dabei die insoweit bestehenden Anlagegrundsätze beachtet.
Die Beteiligten streiten über die Steuerfreiheit von Aufwandsentschädigungen.
Der Kläger erzielte Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Für seine ehrenamtliche Tätigkeit als Vorstandsmitglied im Verwaltungsausschuss eines Versorgungswerks erhielt er in den Streitjahren Aufwandsentschädigungen, die er im Rahmen seiner Einkommensteuererklärungen unter Hinweis auf § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG als steuerfrei ansah.
Abweichend davon erfasste das beklagte Finanzamt die Aufwandsentschädigungen mit den angefochtenen Bescheiden als nach § 18 Abs. 1 EStG steuerbare Einkünfte aus selbständiger Arbeit.
Dagegen erhob der Kläger Einspruch, den das Finanzamt zurückwies; die dagegen gerichtete Klage hatte beim Finanzgericht keinen Erfolg.
Die Revision des Klägers hatte nun Erfolg.
Zu Unrecht geht das angefochtene Urteil davon aus, dass die vom Kläger in den Streitjahren bezogenen Aufwandsentschädigungen nicht für “öffentliche Dienste” i.S. des § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG gezahlt wurden und schon deshalb nicht als steuerfrei zu behandeln sind.
Nach § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG sind Bezüge steuerfrei, die als Aufwandsentschädigung aus öffentlichen Kassen an öffentliche Dienste leistende Personen gezahlt werden, soweit nicht festgestellt wird, dass sie für Verdienstausfall oder Zeitverlust gewährt werden oder den Aufwand, der dem Empfänger erwächst, offenbar übersteigen.
§ 3 Nr. 12 EStG ist verfassungsgemäß, soweit die Vorschrift Aufwandsentschädigungen betrifft, die nicht über die tatsächlich entstandenen Aufwendungen des Beziehers hinausgehen.
Die im Streitfall von dem Versorgungswerk als Körperschaft des öffentlichen Rechts und damit aus einer öffentlichen Kasse i.S. des § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG gezahlten Aufwandsentschädigungen sind nach Maßgabe der Vorschrift nur steuerfrei, wenn sie “für öffentliche Dienste” gezahlt wurden.
Zu den öffentlichen Diensten im Sinne der Vorschrift gehört neben der Ausübung einer eigentlichen hoheitlichen Tätigkeit der Gesamtbereich der hoheitlichen Verwaltung einschließlich der schlichten Hoheitsverwaltung. Eine Betätigung in einem Betrieb gewerblicher Art von Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG) ist jedoch grundsätzlich nicht als öffentlicher Dienst i.S. des § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG anzuerkennen.
Vielmehr ist für die Annahme “öffentlicher Dienste” im Sinne der Vorschrift eine Tätigkeit in Ausübung öffentlicher Gewalt (§ 4 Abs. 5 KStG) erforderlich, mithin eine Tätigkeit, die einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft eigentümlich und vorbehalten ist. Damit soll sichergestellt werden, dass nur Aufwandsentschädigungen für die Wahrnehmung solcher Tätigkeiten steuerfrei bleiben, mit denen die öffentliche Hand ihren eigentlichen Aufgaben nachgeht.
Nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofs in BStBl. II 1976, 355 kann eine – mit dem im Streitfall betroffenen Versorgungswerk als Körperschaft öffentlichen Rechts vergleichbare – öffentliche Versicherungsanstalt nicht schon deshalb geltend machen, öffentliche Gewalt i.S. des § 4 Abs. 5 KStG auszuüben, weil sie für ein räumlich abgegrenztes Gebiet mit der ausschließlichen Wahrnehmung von Aufgaben betraut wurde und ihr zur Durchführung dieser Aufgaben das Recht eingeräumt ist, verwaltungsrechtliche Zwangsmittel zu ergreifen. Danach kann “nicht ohne weiteres” in Fällen, in denen der Gesetzgeber für bestimmte Gruppen freier Berufe öffentlich-rechtliche Versorgungseinrichtungen geschaffen hat, angenommen werden, die entsprechenden Aufgaben seien einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft eigentümlich und vorbehalten. Begründet wurde diese Auffassung mit der Stellung der öffentlichen Versicherungsanstalt zwischen einem Hoheitsbetrieb und einem privaten Versicherungsunternehmen sowie der grundsätzlichen und in jenem Verfahren auch tatsächlich bejahten Steuerpflicht öffentlich-rechtlicher Versicherungs- und Versorgungsunternehmen in § 4 Abs. 1 Nr. 10 KStG a.F.
Anderes gilt jedoch für solche Betriebe gewerblicher Art i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG, die gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 8 KStG steuerbefreit sind. Dazu hat der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 09.02.2011 für das berufsständische Versorgungswerk einer Körperschaft öffentlichen Rechts eine Körperschaftsteuerfreiheit (nach § 5 Abs. 1 Nr. 8 KStG) nur als ausgeschlossen angesehen, soweit die Versicherungs- und Versorgungseinrichtungen Erträge aus Tätigkeiten außerhalb ihrer öffentlichen Aufgaben erzielen. Zur Begründung hat der Bundesfinanzhof ausdrücklich darauf verwiesen, dass nach der gesetzgeberischen Wertung diese Steuerbefreiung deshalb gerechtfertigt ist, weil diese Pflichtversicherungseinrichtungen weitgehend entsprechende Aufgaben der nicht der Körperschaftsteuer unterliegenden Sozialversicherungsträger (Hoheitsbetriebe) wahrnehmen.
Zweck der Steuerbefreiungen ist es demnach, die öffentlich-rechtlichen Versicherungs- und Versorgungseinrichtungen von Berufsgruppen bei ihrer Aufgabe zu unterstützen, den bei ihnen Pflichtversicherten eine Alters-, Invaliden- und Hinterbliebenenversorgung zu gewähren.
Danach bezieht sich die Tätigkeit der juristischen Person öffentlichen Rechts nicht auf eine ggf. gesondert zu erfassende wirtschaftliche, sondern auf ihre steuerbefreite Tätigkeit im Rahmen ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgaben, wenn sie die für sie bestehenden gesetzlichen Anlagegrundsätze zur Gewährleistung eine Alters-, Invaliden- und Hinterbliebenenversorgung für die Kammerangehörigen und deren Familienangehörige wahrt.
Der Zweck des § 5 Abs. 1 Nr. 8 KStG, die dort genannten Körperschaften den Sozialversicherungsträgern gleichzustellen, ist auch für die Auslegung des Merkmals “öffentliche Dienste” in § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG heranzuziehen. Mit diesen Grundsätzen, für die ersichtlich die vom Finanzamt betonten Unterschiede zwischen Sozialversicherung und berufsständischer Altersversorgung ohne entscheidungserhebliche Bedeutung sind, ist das angefochtene Urteil nicht vereinbar.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass das Versorgungswerk (ungeachtet der insoweit bestehenden Rechtsaufsicht des zuständigen Ministeriums) unter Missachtung der für seine Tätigkeit geltenden Anlagegrundsätze tätig geworden ist oder nicht zu seinen öffentlichen Aufgaben gehörende Tätigkeiten ausgeübt hat.
Auf dieser Grundlage kann die durch gesetzliche Zwangsmitgliedschaft der Kammerangehörigen allgemein angeordnete und zugleich auf diesen Personenkreis beschränkte Tätigkeit des Versorgungswerks zur sozialen Absicherung der Mitglieder in der für die gesetzliche Rentenversicherung typischen Weise (Gewährleistung der Alters-, Invaliden- und Hinterbliebenenversorgung der Angehörigen als öffentliche Aufgabe) entgegen der Ansicht des Finanzgerichts ebenso wenig wie die Tätigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung allein unter Hinweis auf die Möglichkeit entsprechender Absicherungen über private Lebensversicherungen als Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr angesehen werden.
Insbesondere kann eine privaten Unternehmen entsprechende Tätigkeit schon deshalb nicht angenommen werden, weil die zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gesetzlich angeordnete – öffentlich-rechtliche – Zwangsmitgliedschaft die Annahme eines Wettbewerbs zwischen der juristischen Person öffentlichen Rechts und privaten Unternehmen ausschließt und die juristische Person deshalb nicht der Steuerpflicht unterworfen wird.
Ausdrücklich hat der Bundesfinanzhof die Annahme eines potenziellen Wettbewerbs zwischen privaten Unternehmen und öffentlich-rechtlichen Pflichtversicherungseinrichtungen verneint, die nur gegenüber den bei ihr Pflichtversicherten Leistungen erbringen dürfen und sich auf die Erfüllung ihrer gesetzlich zugewiesenen Aufgaben beschränken.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 27.08.2013 – VIII R 34/11