Das Finanzgericht Münster hat sich in einer aktuellen Entscheidung zu einer bisher ungeklärten Rechtsfrage, die im Zusammenhang mit der im Jahr 1999 beschlossenen Verlängerung der sog. Spekulationsfrist für private Veräußerungsgeschäfte von zwei auf zehn Jahre steht und die weiterhin in einer Vielzahl von Veräußerungsfällen – insbesondere bei Grundstücksgeschäften – relevant ist, wie folgt positioniert:
Entfällt der Gewinn aus der Veräußerung eines Grundstückes innerhalb der zehnjährigen sog. Spekulationsfrist auf Wertsteigerungen, die nach „alter Rechtslage“ steuerfrei hätten realisiert können, so bleiben diese Gewinnanteile weiterhin steuerfrei. Dies müsse auch für den Teil des Veräußerungsgewinnes gelten, der daraus resultiere, dass der Verkäufer Sonderabschreibungen und andere Absetzungen bis zum 31.03.1999 in Anspruch genommen habe.
Die Verlängerung der Spekulationsfrist traf seinerzeit unter anderem auch Steuerpflichtige, die ihre Grundstücke zum Zeitpunkt der Verkündung des Gesetzes am 31.03.1999 bereits länger als zwei Jahre besaßen. Sie hätten – nach alter Rechtslage – den Gewinn, den sie beim Verkauf des Grundstückes erzielen, nicht versteuern müssen. Die gesetzliche Neuregelung führte allerdings dazu, dass für diese Grundstückseigentümer ebenfalls die neue zehnjährige Spekulationsfrist galt. Ein steuerfreier Verkauf war damit für die Betroffenen plötzlich erst wieder nach Ablauf einer Frist von insgesamt zehn Jahren zwischen An- und Verkauf möglich. Das Bundesverfassungsgericht hat dies insoweit als verfassungswidrig angesehen, als durch die Neuregelung Wertsteigerungen erfasst werden, die bis zur Verkündung des Gesetzes am 31.03.1999 bereits entstanden waren und die nach der bis dahin geltenden Rechtslage steuerfrei hätten realisiert werden können. Daher sind in einer Vielzahl von Veräußerungsfällen die entstandenen Gewinne aufzuteilen. Soweit sie auf Wertsteigerungen beruhen, die bereits vor dem 31.03.1999 eingetreten sind, bleiben die Gewinne steuerfrei.
Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften (bis 1998: Spekulationsgeschäfte) im Sinne von § 23 des Einkommensteuergesetzes (EStG) stellen gemäß § 22 Nr. 2 EStG sonstige Einkünfte dar. Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a) EStG in der bis zum 31.12.1998 gültigen Fassung (EStG a. F.) waren Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken nur dann steuerbar, wenn der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zwei Jahre betrug. Durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 wurde § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG dahingehend geändert, dass nunmehr eine zehnjährige Frist gilt. Die Neuregelung ist auf alle Veräußerungsgeschäfte anwendbar, bei denen der obligatorische Vertrag nach dem 31.12.1998 rechtswirksam abgeschlossen wurde (§ 52a Abs. 11 Satz 1 EStG).
In den Fällen, in denen die Spekulationsfrist am 31.12.1998 bereits abgelaufen war, verstößt die Anwendungsbestimmung zur Neuregelung gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes und ist nichtig, soweit in dem Veräußerungsgewinn auch Wertsteigerungen erfasst werden, die bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 am 31.3.1999 entstanden sind und die nach der zuvor geltenden Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Verkündung steuerfrei realisiert worden sind oder hätten realisiert werden können. Denn mit dem Ablauf der Zweijahresfrist erfüllte sich die vertrauensrechtlich geschützte Erwartung, dass die bisherigen Wertzuwächse steuerlich nicht erfasst werden. Durch die rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist wurde diese Vertrauensposition nachträglich entwertet.
Veräußerungsgewinn ist nach § 23 Abs. 3 Satz 1 EStG der Unterschied zwischen dem Veräußerungspreis einerseits und den Anschaffungs- oder Herstellungskosten und den Werbungskosten andererseits. Die Anschaffungs- oder Herstellungskosten mindern sich um Absetzungen für Abnutzung, erhöhte Absetzungen und Sonderabschreibungen, soweit sie bei der Ermittlung der Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 bis 7 (bis 1998: Nr. 4 bis 6) abgezogen worden sind (§ 23 Abs. 3 Satz 4 EStG bzw. § 23 Abs. 3 Satz 2 EStG a. F.). Im Streitfall beträgt der auf die gesamte Haltedauer des Grundstücks entfallende Veräußerungsgewinn unter Berücksichtigung dieser Regelung unstreitig 120.033,- DM.
Dieser Betrag ist in einen nicht steuerbaren und in einen steuerbaren Teil aufzuteilen. Der auf den Zeitraum vor dem 01.04.1999 entfallende Veräußerungsgewinn unterliegt nicht der Besteuerung. Dieser Teil beträgt 115.129,- DM. Die Kläger haben bei der Berechnung des bis zum 31.03.1999 entstandenen und damit nicht steuerbaren Teil des Veräußerungsgewinns zutreffend die bis zu diesem Zeitpunkt in Anspruch genommenen Absetzungen für Abnutzung (AfA) sowie die Sonderabschreibung nach § 4 FördG von den Anschaffungskosten abgezogen.
Nach der Entscheidung des BVerfG vom 07.07.2010 ist maßgeblich, ob der Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen enthält, die bis zum 31.03.1999 steuerfrei hätten realisiert werden können. Nach Ansicht des Senats muss dies auch für Sonderabschreibungen und andere Absetzungen gelten, die im Veräußerungsgewinn enthalten sind. Es kann nicht darauf ankommen, ob es sich um tatsächliche Steigerungen des Grundstückswerts handelt oder der Veräußerungsgewinn überwiegend deshalb entsteht, weil in der Vergangenheit gesetzlich zulässige Sonderabschreibungen in Anspruch genommen worden sind. Das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Steuerfreiheit der mit Ablauf der Zweijahresfrist geschützten Vermögensposition ist in diesem Fall verfassungsrechtlich ebenso geschützt wie bei tatsächlichen Wertsteigerungen. Maßgeblich ist allein, dass das Grundstück vor dem 31.3.1999 vollständig steuerfrei hätte veräußert werden können. Eine zeitlich lineare Aufteilung, wie sie vom Beklagten entsprechend der „Vereinfachungsregelung“ in Tz. II.1 des BMF-Schreibens vom 20.12.2010 vorgenommen wurde, entspricht den Vorgaben des BVerfG nicht.
Entgegen der Ansicht des Beklagten liegt auch keine Doppelbegünstigung des Klägers vor. Vielmehr würde umgekehrt eine teilweise Zuordnung zum steuerpflichtigen Teil eine verfassungswidrige und damit unzulässige Besteuerung darstellen. Der Kläger hat im Anschaffungsjahr die gesetzlich zulässige Sonderabschreibung nach § 4 FördG in Anspruch genommen. Dass diese Abschreibung in die Berechnung des nicht steuerbaren Veräußerungsgewinns einbezogen wird, ist Ausfluss des verfassungsrechtlich geschützten Vertrauens auf die Realisierung eines steuerfreien Gewinns.
Der verbleibende Teil des Veräußerungsgewinns in Höhe von 4.904,- DM unterliegt nach § 22 Nr. 2 i. V. m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG als privates Veräußerungsgeschäft im Streitjahr 1999 der Einkommensteuer.
Die Revision wurde wegen besonderer Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, denn nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist die Rechtsfrage, ob es sich bei im Rahmen der Berechnung des Veräußerungsgewinns nach § 23 Abs. 3 EStG zu berücksichtigenden Abschreibungen um „Wertzuwächse“ im Sinne der BVerfG-Rechtsprechung handelt, noch unentschieden. Darüber hinaus sieht das BMF-Schreiben vom 20.12.2010 in Tz. II.1. grundsätzlich eine zeitanteilig lineare Aufteilung vor und enthält keine Sonderregelungen für Abschreibungen.
Finanzgericht Münster, Urteil vom 21.06.2013 – 4 K 1918/11 E