Diese Frage ist für die Bestimmung der Höhe der zu entrichtenden Einfuhrabgaben in der Tat relevant und nicht einfach zu beantworten.
Der Bundesfinanzhof hat daher dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Sind in die Pos. 9025 KN (“Thermometer”) in Ermangelung einer abstrakten Definition, was ein Thermometer der Pos. 9025 KN ausmacht, ausnahmsweise nur die in den Erläuterungen zum Harmonisierten System zu Pos. 9025 KN, Abschnitt B (Thermometer und Pyrometer, auch mit Registriervorrichtung – Rz 08.0 bis 28.0 -) gelisteten Geräte einzureihen ?
Falls diese Frage zu verneinen ist:
Ist der Auflistung der Geräte in den Erläuterungen zum Harmonisierten System zu Pos. 9025 KN zu entnehmen, dass Vorrichtungen, die die in jenen Geräten verkörperten Funktionsweisen (Temperaturbestimmung anhand etwa der mechanischen Ausdehnung von Flüssigkeiten oder Metallen, physikalischer Veränderungen oder elektrischer Impulse etc.) nicht aufweisen, nicht in die Pos. 9025 KN eingereiht werden können ?
Falls auch diese Frage zu verneinen ist:
Ist ein Thermometer i.S. der Pos. 9025 KN auch eine Vorrichtung, die anzeigt, dass die eine zu messende Temperatur eines Gegenstands einen vorgegebenen Wert (Schwellenwert) erreicht hat, auch wenn die Vorrichtung nicht Kriterien wie die Reproduzierbarkeit des Messergebnisses, die kontinuierliche Anzeige des Temperaturverlaufs und die Möglichkeit der Mehrfachnutzung des Geräts erfüllt?
Was ist der Hintergrund dieser Fragen?
Bei den Thermopapers handelt es sich um Papierstreifen, die auf der weißen Seite mit einer Temperaturangabe bedruckt und auf der Rückseite mit einer schwarzen temperaturempfindlichen Beschichtung versehen sind. Bei Erreichen der aufgedruckten Temperatur verfärbt sich der Teststreifen irreversibel von weiß nach schwarz. Die Thermolabels bestehen aus einem mit 5 Messpunkten bestückten und mit Kunststofffolie überzogenen Teststreifen. Die Messpunkte färben sich entsprechend der aufgedruckten Temperaturangaben im jeweiligen Temperaturbereich.
Nachdem das Hauptzollamt die Waren mit Einfuhrabgabenbescheid über u.a. 246,39 EUR Zoll zunächst antragsgemäß zum freien Verkehr abgefertigt hatte, teilte die Klägerin mit, die Waren seien nicht richtig angemeldet worden. Die Thermopapers seien in die Unterposition (Unterpos.) 4823 90 95 90 0 der Kombinierten Nomenklatur (KN) – Zollsatz frei – und die Thermolabels in die Unterpos. 9025 19 80 90 0 KN – Zollsatz 2,1 % – einzureihen. Das Hauptzollamt wertete dies als Erstattungsantrag nach Art. 236 ZK, lehnte den Antrag jedoch ab und erhob Zoll nach dem für Waren der Unterpos. 3824 90 98 KN vorgesehenen Zollsatz von 6,5 % nach.
Die im Rahmen des Einspruchsverfahrens befragte Zolltechnische Prüfungs- und Lehranstalt hielt unter Hinweis auf das Ergebnis einer Projektgruppe “Chemische Kapitel” der Europäischen Kommission und auf die Rz 19 ff. zu Pos. 3824 der Nationalen Entscheidungen und Hinweise zum elektronischen Zolltarif des Ausschusses für den Zollkodex, wonach Temperaturindikatoren in die Pos. 3824 KN einzureihen seien und mehrere Mitgliedstaaten und auch das Bundesministerium der Finanzen sich dem angeschlossen hätten, an ihrer Tarifauffassung mit der Ergänzung fest, eine Einreihung in die Pos. 9025 KN komme wegen der stofflichen Beschaffenheit in Verbindung mit der Irreversibilität der Temperaturerfassung nicht in Betracht.
Das Finanzgericht verpflichtete das Hauptzollamt, der Klägerin die aufgrund der (nach seiner Auffassung) verfehlten Einreihung in die Pos. 3824 KN zu viel erhobenen Abgaben zu erstatten. Die Thermopapers und die Thermolabels seien in die Pos. 9025 KN einzureihen, weil es sich um Messgeräte zur Bestimmung der Temperatur und damit um Thermometer handele.
Hiergegen richtet sich die Revision des Hauptzollamtes. Es ist der Auffassung, die Waren seien keine Temperatur-Messgeräte, da sie keine eindeutige Aussage über den Wert der Messgröße Temperatur als Messergebnis ermöglichten, sondern Temperatur-Indikatoren und damit nicht von Kap. 90 KN, sondern von Kap. 38 KN erfasst. Unterstützend verweist es auf die Unterscheidung zwischen einem Feuchtigkeitsindikator zur Kontrolle der reinen Luftfeuchtigkeit in Verpackungen (laut verbindlicher Zolltarifauskunft – vZTA – DE 18259/10-1 Pos. 3822 KN) und einem Messgerät zum Bestimmen der relativen Luftfeuchtigkeit (Hygrometer – Pos. 9025 KN -), einem Sauerstoffindikator zur Anzeige von Sauerstoff in Verpackungen (laut vZTA DE 3255/13-1 Pos. 3822 KN) und einem Gerät zur Untersuchung des Sauerstoffanteils z.B. der Umgebungsluft, einem pH-Schnelltest zur Anzeige von Gesamthärte, pH, Chlor etc. (laut vZTA DE 12856/13-1 Pos. 3822 KN) und einem pH-Messer zum Messen des Oxidation- oder Reduziervermögens einer Lösung und auf die Erläuterungen zu Pos. 3824 KN zu den sog. Zeit-Temperatur-Indikatoren – beispielsweise zur Bestimmung des Frischegrades von Lebensmitteln. Schließlich verweise auch Anm. 3 Buchst. e zu Kap. 38 KN, wonach schmelzbare Temperaturmesser für Öfen (z.B. Segerkegel) zur Pos. 3824 KN gehörten, darauf hin, dass der Wortlaut der Pos. 9025 KN nicht beliebig auf alle Instrumente erweiterbar sei, die in irgendeiner Form Temperaturen oder Temperaturveränderungen anzeigten.
Vor diesem Hintergrund hat der Bundesfinanzhof nun das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union die eingangs bezeichneten Fragen zur Vorabentscheidung vor, weil die Auslegung der für die Entscheidung des Streitfalls maßgeblichen Vorschriften des Unionsrechts Zweifelsfragen aufwirft.
Die Beantwortung der Vorlagefragen ist nämlich entscheidungserheblich. Falls die vom Finanzgericht vorgenommene Einreihung der Thermopapers und Thermolabels in die Pos. 9025 KN zutrifft, kann jede weitere mögliche Einreihung dahinstehen. Denn in die Pos. 3824 KN (chemische Erzeugnisse und Zubereitungen der chemischen Industrie) können nur solche chemischen Erzeugnisse etc. eingereiht werden, die anderweitig weder genannt noch inbegriffen sind. Thermometer sind in der Pos. 9025 KN genannt, sie sind also aus der Pos. 3824 KN ausgewiesen. Die von der Klägerin gewünschte Einreihung der Thermopapers in die Pos. 4823 KN scheitert schon daran, dass der Begriff “Thermometer” gegenüber den Bezeichnungen “andere Papiere” und “andere Waren … aus Papier” die genauere Warenbezeichnung ist (Allgemeine Vorschrift für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur – AV – 3 Buchst. a Satz 1). Außerdem ist die Pos. 9025 KN gegenüber den Pos. 3824 und 4823 KN die zuletzt genannte Position der KN (AV 3 Buchst. c).
Zur ersten Vorlagefrage:
Der Bundesfinanzhof stimmt mit den Beteiligten überein, dass eine Definition des Thermometers, das laut Pos. 9025 KN zu den Messinstrumenten des Kap. 90 KN gehört, weder der Kombinierten Nomenklatur selbst, noch den Anmerkungen zu entnehmen ist. Lediglich in den Erläuterungen zum Harmonisierten System (ErlHS) findet sich eine umfangreiche – nicht als beispielhaft ausgewiesene – Liste der zu der Gruppe “Thermometer und Pyrometer” gehörenden Instrumente (Flüssigkeitsthermometer mit Glasröhren, Metallthermometer oder Ausdehnungs- oder Druckthermometer mit Metallelementen etc.). Thermopapers oder Thermolabels oder vergleichbare Instrumente aus Papier oder solche mit einer nur einmalig anzuzeigenden Temperatur finden sich darin nicht.
Obwohl nach gefestigter Rechtsprechung die Erläuterungen des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens zum Harmonisierten System sowie die Erläuterungen der Kommission zur Kombinierten Nomenklatur zwar ein wichtiges, aber nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen darstellen, hat der Bundesfinanzhof Zweifel, ob in Fällen wie dem vorliegenden an dieser eingeschränkten Bindungswirkung festgehalten werden kann oder ob in Ermangelung einer allgemeingültigen abstrakten Definition des Begriffs “Thermometer” im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit ausnahmsweise von einer bindenden abschließenden Aufzählung der darunter fallenden Geräte auszugehen ist.
Zur zweiten Vorlagefrage:
Sollten in die Pos. 9025 KN nicht ausschließlich die in den ErlHS Rz 08.0 bis 28.0 gelisteten Geräte einzureihen sein, so erscheint dem Bundesfinanzhof klärungsbedürftig, ob der Typusbegriff “Thermometer” impliziert, dass die Vorrichtung eine der spezifischen Funktionen der in den ErlHS zu Pos. 9025 KN gelisteten Messgeräte ausführt (z.B. kontinuierlich sich ändernde Anzeige des jeweils aktuellen Wertes auf einer vorgegebenen Skala infolge temperaturabhängigen Steigens oder Fallens einer Quecksilbersäule). Wäre dies zu bejahen, könnten die Thermopapers und Thermolabels – deren einzige Funktion in der einmaligen Anzeige einer bzw. mehrerer vorgegebenen Temperatur(en) besteht – nicht zu den Thermometern i.S. der Pos. 9025 KN gehören.
Zweifel an einer derart an spezifischen Funktionen orientierten Begriffsauslegung ergeben sich für den Bundesfinanzhof daraus, dass sowohl die Übersetzung des aus dem Griechischen stammenden Worts “Thermometer” als auch der Rückgriff auf allgemeingültige Quellen die Deutung nahelegen, dass auch die einfache Vorrichtung zur Bestimmung einer Temperatur als Thermometer i.S. der Pos. 9025 KN bezeichnet werden kann. Diese Thermometer sind – wie sich aus den Überschriften zu Abschnitt XVIII und Kap. 90 KN ergibt – Messinstrumente. Auch begrifflich wird unter einem Thermometer (altgriechisch: θερμός thermós “warm” und μέτρον métron “Maß, Maßstab”) ein Messgerät verstanden, und zwar zur Bestimmung der physikalischen Größe Temperatur. In der auch vom Hauptzollamt in Bezug genommenen DIN 1319 wird der Begriff “Messen” beschrieben als “Ausführung von geplanten Tätigkeiten zum quantitativen Vergleich der Messgröße mit einer Einheit”. In der wissenschaftlichen Literatur heißt es erläuternd: Messen ist der experimentelle Vorgang zum quantitativen Vergleich zwischen einer Messgröße und einer Bezugsgröße mithilfe einer Messeinrichtung. Das ermittelte Resultat der Messung wird Messwert genannt. In einfachen Fällen ist dieser Messwert schon das Ergebnis der Messung.
Angesichts dieser Begriffsumschreibung erscheint es zweifelhaft, ob ohne entsprechende Hinweise in der Kombinierten Nomenklatur selbst oder in den dazu ergangenen Anmerkungen eine an spezifischen Funktionsweisen der gelisteten Messgeräte orientierte Definition des Thermometers zu einer Ausweisung “einfacher” Messgeräte aus der Pos. 9025 KN führen darf.
Zur dritten Vorlagefrage:
Zweifel an der Einreihung einer Vorrichtung, die nur anzeigt, dass eine einzige zu messende Temperatur eines Gegenstands einen vorgegebenen Wert (Schwellenwert) erreicht hat, ergeben sich daraus, dass die anderen in Pos. 9025 KN genannten Geräte weitere Kriterien erfüllen, wie etwa die Messgeräte zur Bestimmung der relativen Luftfeuchtigkeit – Hygrometer – in den ErlHS zu Pos. 9025 Rz 39.1 bis 47.0, die Untersuchungsgeräte für Gase und Rauch in ErlHS zu Pos. 9027 Rz 14.1 oder die sog. pH-Messer in ErlHS zu Pos. 9027 Rz 46.1. Diese zeichnen sich sowohl durch sorgfältige Fertigung, differenzierte Einsatzmöglichkeiten und hohe Präzisionsleistung als auch durch Reproduzierbarkeit des Messergebnisses, kontinuierliche Anzeige des Messverlaufs und die Möglichkeit der Mehrfachnutzung des Geräts aus.
Zweifel ergeben sich weiter daraus, dass in den vom Hauptzollamt genannten verbindlichen Zolltarifauskünften und in der ErlHS zu Pos. 9025 Rz 46.5 sog. Indikatoren, die in ihrer Funktionsweise den streitgegenständlichen Waren durchaus ähneln, ausdrücklich nicht der Pos. 9025 KN zugewiesen werden.
Auch die durch die Anm. 3 Buchst. e zu Kap. 38 KN vorgenommene Einreihung schmelzbarer Temperaturmesser für Öfen, sog. Segerkegel, “zur Position 3824 und nicht zu anderen Positionen der Nomenklatur” macht den Klärungsbedarf der Vorlagefrage deutlich.
Schließlich mag der Bundesfinanzhof den Hinweis des Hauptzollamtes auf den Befund der Projektgruppe “Chemische Kapitel” der Europäischen Kommission vom Februar 2008, den Erlass des BMF vom 11.09.2009 II B 5 – ZT 0270 – VI/06/0019 und auf Rz 19 ff. zu Pos. 3824 der Nationalen Entscheidungen und Hinweise zum EZT, wonach Temperaturindikatoren nicht zu Pos. 3824 KN gehören sollen, nicht unerörtert übergehen, auch wenn die dort getroffene Einreihungsentscheidung für das vorliegende Verfahren keinen verbindlichen Charakter hat.
Bundesfinanzhof, Entscheidung vom 11.11.2014 – VII R 59/13